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Wieviel Schmerzensgeld kann bei Behandlungs- und Pflegefehlern beansprucht werden?

Wer im Rahmen einer unerlaubten Handlung nach § 823 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) einen Schaden verursacht, muß nicht nur die materiellen Schäden (= Vermögensschäden) ausgleichen, sondern auch einstehen für die nicht vermögensrechtliche (immaterielle) Schädigung eines Verletzten. Man spricht bei der Abgeltung von nicht vermögensrechtlichen Schäden von Schmerzensgeld.
Maßgebliche Anspruchsgrundlage ist insoweit § 847 BGB. Dort heißt es u.a.:

"Im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit sowie im Falle der Freiheitsentziehung kann der Verletzte auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen."

Die Rechtsprechung hat dem Schmerzensgeldanspruch einen doppelten Charakter zugesprochen. Hierzu hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seiner noch heute maßgebenden Entscheidung vom 6. 7 1955 u.a. ausgeführt:

"Der Anspruch auf Schmerzensgeld nach § 847 BGB ist kein gewöhnlicher Schadensersatzanspruch, sondern ein Anspruch eigener Art mit einer doppelten Funktion: Er soll dem Geschädigten einen angemessenen Ausgleich für diejenigen Schäden bieten, die nicht vermögensrechtlicher Art sind, und zugleich dem Gedanken Rechnung tragen, daß der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat"

Der Schmerzensgeldanspruch ist damit gedacht für erlittene oder noch zu erleidende körperliche und seelische Schmerzen aller Art und soll in erster Linie die Minderung der Lebensfreude des Geschädigten auf andere Weise angemessen wieder ausgleichen und in zweiter Linie der Genugtuung gegenüber dem Schädiger dienen.
Das Schmerzensgeld kann und soll dazu dienen, den Verletzten aus seinem trüben Alltag herauszureißen und ihm gewissermaßen Ersatz für viele Entbehrungen zu bieten. Entspannung, Ablenkung oder Freude, die er sich sonst nicht leisten könnte, sollen ihm durch materielle Unterstützung ermöglichst werden.

Schmerzensgeld: Verwendung liegt im alleinigen Entscheidungsbereich des Verletzten
Der Verletzte, der ein Schmerzensgeld (nach einem Verkehrsunfall) verlangt, muß zur Begründung seines Begehrens nicht darlegen, auf welche Weise er sich mit der Entschädigung einen Ausgleich für seine Einbußen an Lebensfreude verschaffen will und daß die beabsichtigte Verwendung des Geldes wirtschaftlich sinnvoll ist. So entschied der Bundesgerichtshof (BGH) mit seinem Urteil vom 15.1.1991 - Az.: VI ZR 163/90 -.
Die Richter meinten, daß ein  Schadensausgleich durch Schmerzensgeld nur sehr unvollkommen und nur sehr mittelbar zur verwirklichen sei. Dies gelte vor allem für schwere Beeinträchtigungen der Lebensqualität. Schadensausgleich könne das Schmerzensgeld auch durch die Möglichkeit verschaffen, sich die Menschen um sich herum durch Freigiebigkeit gewogen zu erhalten. Selbst die Freude daran, Geldgeschenke zu machen, könne zu den Ausgleichsmöglichkeiten des Schmerzensgeldes gezählt werden. Worin der Verletzte für seine Person im einzelnen den Sinn des Schmerzensgeldes als Ausgleich für seine Einbuße an Lebensfreude sehe, müsse er nicht darlegen; es genüge, daß ihm solche Möglichkeiten eröffnet sind.

Bei der Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes sind verschiedene Faktoren bedeutsam. Zum einen hängt die Höhe des Schmerzensgeldes vom Ausmaß der körperlichen und seelischen Schmerzen ab (z.B. Größe, Heftigkeit und Dauer der Schmerzen, Leiden und Entstellungen). Zum anderen spielen aber auch der Grad des Verschuldens, ein Mitverschulden des Geschädigten, das Hinauszögern der Schadensregulierung sowie die Vermögensverhältnisse des Schädigers und des Geschädigten ein Rolle.
Das Schmerzensgeld soll nach Abwägung des Einzelfalles und nach Feststellung der jeweiligen Umstände als "angemessene" Entschädigung verstanden werden. Das BGB spricht sogar nur von einer "billigen Entschädigung". Es ist zu vermuten, daß diese "billige" Genugtuung für eine Schädigung viel zu oft wörtlich genommen wird und das Schmerzensgeld nicht selten unterbewertet wird. Darüber, welches Schmerzensgeld angemessen ist bzw. ob das Schmerzensgeld als einmalige Kapitalabfindung oder als Schmerzensgeldrente zu zahlen ist, gehen die Meinungen meistens weit auseinander. Jeder einzelne Fall liegt anders und muß für sich beurteilt werden.

Rechtsprechungsübersicht: Eine Auswahl interessanter Entscheidungen
In dem im ADAC-Verlag erschienenen Buch von Hacks/Ring/Böhm "Schmerzensgeld Beträge" sind über 1100 Urteile zur Höhe des Schmerzensgeldes mit den neuesten Entscheidungen deutscher und ausländischer Gerichte übersichtlich zusammengestellt.
Eine solche Schmerzensgeldtabelle kann ein geeignetes Hilfsmittel zur gerechten Bewertung von ähnlich gelagerten Fällen darstellen, die nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit durch Fallvergleich in ein abstufbares gedankliches Gebilde eingeordnet werden können.
Hier einige Beispiele für gerichtlich entschiedene Schmerzensgeldfälle (nach der Höhe des Schmerzensgeldes geordnet):

  • Eine 38-jährige Frau wurde nach einer mißlungenen Sterilisation erneut schwanger und erhielt ein Schmerzensgeld von 2.000 DM (Entscheidung des BGH vom 18.3.1980).

  • Die fehlerhafte zahnärztliche Behandlung durch die unrichtige Eingliederung einer Zahnbrücke im Oberkiefer verursachte bei einem Mann Kaubeschwerden sowie Zahn- und Kieferschmerzen mit erheblicher Störung der Zentrik des Gebisses. Es waren mehrere zusätzliche Behandlungen erforderlich. Es wurden 2.000 DM Schmerzensgeld zugesprochen (Entscheidung des OLG München vom 8.3.1990).

  • Einer Frau wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 2.500 DM zuerkannt, weil eine Lungenverletzung durch Injektion zu einem Pneumothorax führte. Anspruchsgrundlage: Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht. Es war ein 7-tägiger Krankenhausaufenthalt erforderlich (Entscheidung des OLG Köln vom 26.3.1987).

  • Einer 33-jährigen Sportlehrerin wurde anläßlich einer erlaubten Operation zur Entfernung der Gebärmutter aus medizinisch zutreffenden Gründen ein Eierstock entfernt. Es fehlte jedoch an der notwendigen Aufklärung und wirksamen Einwilligung zu diesem zusätzlichen Eingriff. Sie erhielt 3.000 DM Schmerzensgeld zugesprochen (Entscheidung des OLG Hamm vom 13.12.1982).

  • Ein unterbliebener rechtzeitiger Schwangerschaftsabbruch (medizinische Indikation) infolge schuldhaften ärztlichen Versagens mit dadurch bedingter wesentlicher psychischer Belastung der 38-jährigen Klägerin, die trotz erheblicher medizinischer Bedenken und trotz einer von ihr gesehenen Gefahr einer erneuten komplizierten Geburt eines 5. Kindes eine nicht gewollte Schwangerschaft weiter durchstehen mußte, löste einen Schmerzensgeldzuspruch von ebenfalls 3.000 DM aus (Entscheidung des BGH vom 25.6.1985).

  • Eine 32-jährige Frau mußte eine Verlängerung des Krankenhausaufenthaltes um ca. 9 Tage auf sich nehmen, weil eine Nachoperation mit Eröffnung der Bauchhöhle nach einem schuldhaft begangenen Behandlungsfehler erforderlich war. Die Höhe des Schmerzensgeldes wurde auf 5.000 DM festgesetzt (Entscheidung des OLG Stuttgart vom 14.12.1989).

  • Eine 49-jährige Frau erhielt ein Schmerzensgeld in Höhe von 6.500 DM, weil bei der operativen Entfernung eines Weisheitszahnes der nervus alveolaris verletzt wurde. Es lag kein Behandlungsfehler, sondern eine Verletzung der ärztlichen Aufklärungspflicht vor (Entscheidung des LG Bonn vom 11.10.1988).

  • Eine 29-jährige Frau mußte entstellende Operationsnarben an beiden Brüsten nach ärztlicher Durchführung einer Reduktionsplastik und die damit verbundenen schweren psychischen Belastungen auf sich nehmen. Sie bekam einen Schmerzensgeldzuspruch in Höhe von 10.000 DM (Entscheidung des OLG Bremen vom 24.7.1979).

  • Einer Frau wurden Eileiter und die Eierstöcke als Folgen eines medizinisch gebotenen und sachgerecht ausgeführten Eingriffs entfernt; allerdings mangelte es an der Einwilligung der Patientin. Diese Mißachtung des Selbstbestimmungsrechtes der Patientin wurde mit 12.000 DM entschädigt (Entscheidung des LG Karlsruhe vom 15.1.1980).

  • Infolge eines ärztlichen Diagnosefehlers mußte eine 45-jährige, krebskranke Frau eine Lebensverkürzung um mehrere Monate in Kauf nehmen. Bei richtiger Diagnose eines Brustkrebses hätte eine Chemotherapie ein halbes Jahr früher einsetzen können. Ein Schmerzensgeld wurde in Höhe von 15.000 DM festgesetzt (Entscheidung des LG Lüneburg vom 25.4.1989).

  • Eine ärztliche Fehldiagnose nach einer schweren Hodenprellung führte bei einem 25-jährigen Mann zu einer operativen Entfernung des rechten Hodens. Ihm wurde ein Schmerzensgeld aufgrund der zu erwartenden psychischen Störungen in Höhe von 20.000 DM zugesprochen (Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 2.10.1985).

  • Ebenfalls 20.000 DM erhielt eine jugoslawische Patientin, bei der ohne wirksam erklärte Einwilligung eine Sterilisations-Operation durchgeführt wurde. Der Arzt hätte eine sprachkundige Person hinzuziehen müssen, um Mißverständnisse bei der ärztlichen Erläuterung zu vermeiden (Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 12.10.1989).

  • Eine Harninkontinenz war die Folge eines wegen mangelnder Aufklärung rechtswidrigen operativen Eingriffs bei einem 65-jährigen Patienten. Schmerzensgeld: 25.000 DM (Entscheidung des OLG Köln vom 18.12.1989).

  • Für die starke Beeinträchtigung der Sehfähigkeit beider Augen infolge ärztlicher Fehlbehandlung wurden 30.000 DM Schmerzensgeld festgesetzt; allerdings wurde geringes ärztliches Verschulden angenommen (Entscheidung des OLG Oldenburg vom 20.1.1984).

  • Stationäre Behandlungen und operative Eingriffe mußte eine 42-jährige Frau nach mehreren ärztlichen Behandlungsfehlern nach einer Meniskusoperation über sich ergehen lassen. Die Folge war ein versteiftes Kniegelenk und damit eine erhebliche Behinderung. Ihr wurden 35.000 DM Schmerzensgeld zugesprochen (Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 17.11.1988).

  • Durch einen ärztlichen Kunstfehler wurde bei einer 35-jährigen Ehefrau der Einbau künstlicher Herzklappen erforderlich. Die Erwerbsfähigkeit wurde dadurch um 50 % Prozent gemindert. Ihr Schmerzensgeld betrug 50.000 DM (Entscheidung des LG Augsburg vom 2.10.1989).

  • Bei einer 26-jährigen Studentin wurden aufgrund einer verspäteten und falschen ärztlichen Diagnose beide Eierstöcke entfernt, was eine völlige Sterilität zur Folge hatte. Zur Schmerzensgeldzuweisung in Höhe von 50.000 DM trug zum einen die zu erwartende psychische Belastung der Frau und zum anderen die beharrliche Weigerung der Ärzte, ein Schmerzensgeld zu zahlen, bei (Entscheidung des LG Hamburg vom 25.4.1986).

  • Aufgrund eines groben ärztlichen Diagnosefehlers wurde bei einer jüngeren Frau eine Metastasierung eines Brustdrüsenkarzinoms auf die Lymphknoten der linken Achselhöhle und der rechten Halsseite zu spät erkannt; eine operative Entfernung der Eierstöcke, eine langwierige Chemotherapie und die Amputation der linken Brust waren erforderlich. Der Frau wurde ein Schmerzensgeld in Höhe von 100.000 DM zugesprochen (Entscheidung des LG Bremen vom 15.6.1990).

  • 150.000 DM Schmerzensgeld erhielt ein 10-jähriger Junge für den Verlust des Geschlechtsorgans durch einen ärztlichen Kunstfehler. Das Gericht erwähnte ausdrücklich, daß es sich bei diesem Verlust um eine der schwersten Folgen einer mißglückten Operation handele, von denen ein Mensch überhaupt betroffen werden kann (Entscheidung des OLG Saarbrücken vom 17.12.1974).

  • Bei einer 66-jährigen Frau trat nach einer Myelographie, der keine vollständige Aufklärung vorangegangen war, eine inkomplette Querschnittslähmung unterhalb L 1 auf. Ihr wurden aufgrund der diversen Dauerschäden 200.000 DM Schmerzensgeld zuerkannt (Entscheidung des LG Bayreuth vom 3.2.1989).

Weitere interessante Urteile:
Nach einem Urteil des OLG Oldenburg vom 14.5.1991 steht der Mutter ein Schmerzensgeldanspruch zu, wenn ärztliches Verschulden zum Tod der Leibesfrucht führt. Mit Beschluß vom 9.11.1987 hatte das OLG Düsseldorf in einem ähnlichen Fall entschieden, daß der betroffenen Frau beim Tod der Leibesfrucht kein Schmerzensgeld zustehe.
Besondere Aufmerksamkeit verdient ein Grundsatzurteil des BGH vom 13.10.1992: Entschieden wurde im Falle der Festsetzung des Schmerzensgeldes für ein schwerstbehindertes 13 Jahre altes Mädchen, dessen Entwicklungsstand mit dem eines nur wenige Monate alten Säuglings zu vergleichen ist. Das OLG München hatte ein Schmerzensgeld in Höhe von 30.000 DM sowie eine Schmerzensgeldrente von monatlich 250 DM festgesetzt. Das OLG stützte sich bei der Bemessung des Schmerzensgeldes auf die frühere Rechtsprechung des BGH, nach der ein Schmerzensgeld für Schwerstbehinderte bisher lediglich in geringer Höhe gezahlt wurde, weil das Opfer wegen seiner geringen Erlebnisfähigkeit "den Sinn des Schmerzensgeldes als eine Art von Genugtuung" nicht empfinden könne. Es sollte folglich nur ein"symbolisches" Schmerzensgeld gezahlt werden. Der BGH ist von dieser Meinung abgerückt und hat den Rechtsstreit an das OLG zurückgewiesen, mit der Maßgabe, ein Schmerzensgeld in Beträgen "von ganz anderer Dimension" festzulegen.

Literatur:
Schell, W.: Arztpflichten Patientenrechte. 4. Auflage 1993. Reha Verlag, Bonn
Schell, W.: Patientenrechte für die Angehörigen der Pflegeberufe von A bis Z. 1. Auflage 1993. Kunz Verlag, Hagen

Werner Schell