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Dürfen Schülerinnen und Schülern in der Kranken - bzw. Kinderkrankenpflegeausbildung die selbständige Durchführung von Nachtdienst (Nachtwachen) übertragen werden?

Die Rechtslage im Überblick
Nach § 1 Abs. 3 der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Berufe in der Krankenpflege (KrPflAPrV) sind die Schülerinnen und Schüler, die sich in einer 3jährigen Kranken- bzw. Kinderkrankenpflegeausbildung befinden, in allen nach § 4 Krankenpflegegesetz (KrPflG) für die Berufsausübung wesentlichen Kenntnissen und Fertigkeiten zu unterweisen. Es ist ihnen Gelegenheit zu geben, die im theoretischen und praktischen Unterricht erworbenen Kenntnisse zu vertiefen und zu lernen, sie bei der praktischen Arbeit anzuwenden. Nach § 1 Abs. 4 KrPflAPrV sind innerhalb des 2. und 3. Jahres der Ausbildung mindestens 120, höchstens 160 Stunden im Rahmen des Nachtdienstes abzuleisten. Dabei hat der Verordnungsgeber aber ausdrücklich bestimmt, daß diese Nachtdiensteinsätze unter Aufsicht von Inhabern einer Erlaubnis nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 KrPflG (= examinierte Kranken- bzw. Kinderkrankenpflegekräfte mit 3jähriger Ausbildung) durchzuführen sind. Danach ergibt sich, daß die KrPflAPrV Nachtdienst der Schülerinnen und Schüler in der 3jährigen Kranken- und Kinderkrankenpflegeausbildung zuläßt, ja geradezu fordert. Allerdings ist die Zahl der Nachtdiensteinsätze zahlenmäßig begrenzt, in der Absicht, die Schülerinnen und Schüler vor körperlicher und geistiger Überbeanspruchung zu schützen. Im übrigen ist zu gewährleisten, daß diese Einsätze unter fachkundiger Aufsicht erfolgen. Daraus ist unschwer zu folgern, daß der Einsatz von Schülerinnen und Schülern ohne die vom Verordnungsgeber für notwendig erachtete Aufsicht vom Ausbildungszweck nicht gedeckt und mithin eine unzulässige, d.h. rechtswidrige Maßnahme ist.
Die nach dem früheren Ausbildungsrecht (Ausbildungs- und Prüfungsordnungen vom 2.8.1966) vorgesehene Durchführung einer "selbständigen Pflege" sieht die KrPflAPrV ausdrücklich nicht mehr vor!
Der Krankenhausalltag berücksichtigt die rechtlichen Vorgaben nur unvollkommen
Ungeachtet der eigentlich klaren Rechtslage kommt es immer wieder zu Nachtdiensteinsätzen, mit denen versucht wird, die Ausbildungsvorschriften schlicht zu ignorieren oder zu umgehen. Der Nachtdiensteinsatz wird oft so gestaltet, daß 2 Schüler/innen auf einer Krankenhausstation ohne direkte fachgerechte Aufsicht Nachtdienst leisten und sich im Bedarfsfalle der Hilfe einer examinierten Pflegekraft auf einer anderen Station oder einer sog. Hauptnachtwache bedienen müssen. Begründet werden solche Maßnahmen vornehmlich mit (unvorhergesehenen) Personalengpässen.
Bereits Ende der Siebziger Jahre kam es aufgrund überhand nehmender Nachtdiensteinsätze von Schülerinnen und Schülern zu einer Kleinen Anfrage im Landtag von Nordrhein-Westfalen (Landtagsdrucksache 8/4690 vom 29.6.1979). Von der Anfrage betroffen waren mehrere Krankenhäuser. Gefragt wurde die Landesregierung u.a., ob es zu verantworten sei, daß die Auszubildenden ganz oder teilweise ohne Aufsicht arbeiten. Daraufhin erklärte die Landesregierung, daß die Krankenpflegeschulen durch den zuständigen Regierungspräsidenten angewiesen seien, "daß die Krankenpflegeschüler(-innen) die Nachtwachen nur unter Aufsicht durchführen dürfen."
Die in der Kleinen Anfrage zitierte Anweisung des zuständigen Regierungspräsidenten lautete u.a. wie folgt:
"Unter Berücksichtigung der Zielsetzung der Ausbildungsverordnung ist es selbstverständlich, daß die in der praktischen Ausbildung verrichteten Tätigkeiten nur unter Aufsicht und Anleitung eines Arztes oder einer (eines) Krankenschwester (Krankenpflegers) ausgeübt werden dürfen. Es ist grundsätzlich sicherzustellen, daß die Schüler keine selbständige Pflege eines Kranken, z.B. während des Nacht- oder Wochenenddienstes übernehmen.
Die Voraussetzung der Anleitung und Aufsicht des Schülers ist nicht schon allein dadurch gegeben, daß befugte Personen (Arzt oder Schwester) ständig erreichbar sind (z.B. eine für das gesamte Haus zuständige Hauptwache); die unmittelbare Anwesenheit der Aufsichtsperson bei der praktischen Tätigkeit ist unerläßlich."
Die Rechtsprechung hat bislang selbständige Schüler/inneneinsätze nicht akzeptiert
Das Landesarbeitsgericht (LAG) hat mit seinem Urteil vom 21.12.1979 - 5 Sa - 1358/79 - klare Position bezogen
In einem Einzelfall entschied das LAG, daß der Einsatz einer Krankenpflegeschülerin als alleinige Nachtwachenkraft nicht mehr vom Ausbildungszweck gedeckt ist und daher eine unzulässige Maßnahme darstellt. Nur dann, so das LAG weiter, wenn sie zusammen mit einer sie beaufsichtigenden examinierten Krankenschwester eingesetzt worden wäre, könnte das vom Ausbildungszweck noch zu rechtfertigen sein. Diese, nach dem vor 1985 maßgeblichen "alten" Ausbildungsrecht ergangene Entscheidung, muß in ihren Grundsätzen als fortgeltend angesehen werden. Es gibt keinerlei Anhaltspunkte dafür, die seinerzeit ergangene Entscheidung heute in ein anderes Licht zu stellen.
In der Streitsache ging es darum, daß eine Schülerin als Klägerin verlangt hatte, von ihrem Arbeitgeber (Träger eines Kinderkrankenhauses) nur gemeinsam mit einer examinierten Krankenschwester zur Nachtwache eingeteilt zu werden. Es könne, so die Klägerin, nicht darauf verwiesen werden, daß die jeweiligen Nachbarstationen mit examinierten Krankenschwestern besetzt seien, da diese von ihren eigenen Patienten hinreichend in Anspruch genommen würden. Durch die praktizierte Handhabung werde das Ausbildungsziel gefährdet und sie werde entgegen ihres Schülerinnenstatus praktisch als vollwertige Arbeitskraft eingesetzt.
Die beklagte Klinik hielt ihre Vorgehensweise mit dem geltenden Recht für vereinbar und meinte u.a., die Einsätze im Nachtdienst seien auch zur Komplettierung der Ausbildung der Schwesternschülerinnen erforderlich. Weiter heißt es dann zum Sachverhalt: "Es könne nicht die Rede davon sein, daß die Klägerin den angeordneten Nachtdienst eigenverantwortlich abgeleistet habe bzw. ableisten müsse. Anleitung und Kontrolle seien durch die auf den Nachbarstationen L3 und L6 eingeteilten examinierten Pflegekräfte jederzeit gewährleistet gewesen. In Notfällen habe die Klägerin jederzeit Gelegenheit gehabt, diese Nachtschwestern herbeizurufen, die selbstverständlich zur Hilfeleistung bereit gewesen seien. Auch habe die Möglichkeit bestanden, den diensthabenden Arzt über Telefon um Hilfe zu bitten. Im übrigen müsse die Klägerin aufgrund ihres damaligen Ausbildungstandes in der Lage sein, grundpflegerische Maßnahmen an Patienten selbständig durchzuführen und Krankenbeobachtungen vorzunehmen. In diesen Tätigkeiten habe der Nachtdienst auf der Station L4 bestanden. Die Beklagte hat darauf hingewiesen, daß seinerzeit der Arbeitsanfall auf den einzelnen Stationen des Kinderkrankenhauses nicht besonders groß gewesen sei, da die Klinik zur damaligen Zeit nur zu 2/3 ausgelastet gewesen sei."
Ungeachtet dieser Argumentation wurde dem Kinderkrankenhaus vom LAG aufgegeben, die Schülerin nur gemeinsam mit einer examinierten Krankenschwester zur Nachtwache einzuteilen. Dazu wurde in der Begründung u.a. ausgeführt:
"Auf dieser erkennbaren gesetzlichen, die Ausbildung zum Krankenpfleger (Krankenschwester) betreffenden Zielrichtung aufbauend, stellte sich der Einsatz der Klägerin ... als alleinige Nachtwachenkraft als vom Ausbildungszweck nicht mehr gedeckte und mithin unzulässige Maßnahme dar. Nur dann, wenn sie zusammen mit einer sie beaufsichtigenden examinierten Krankenschwester eingesetzt worden wäre, könnte das vom Ausbildungszweck noch zu rechtfertigen sein, wobei die Kammer dahingestellt sein läßt, ob das auch noch zu bejahen wäre, wenn nicht nur für eine Nacht, sondern - wie hier - vier- oder fünfmal hintereinander ein solcher Nachtwacheneinsatz stattfindet.
Der alleinige Einsatz der Klägerin auf der Station L4 verliert diese Qualifikation nicht dadurch, daß sie die Möglichkeit hatte, bei auffälligen Veränderungen der von ihr zu betreuenden Patienten die auf den Nachbarstationen eingesetzten examinierten Krankenschwestern zu Hilfe zu holen. Hier hat das Arbeitsgericht zu Recht darauf hingewiesen, daß nach der von der Beklagten gehandhabten Arbeitseinteilung für jede Station des Kinderkrankenhauses jeweils eine Arbeitskraft zur Nachtwache eingeteilt wird, die sich demgemäß als die insoweit notwendige Zahl von einzusetzenden Facharbeitskräften darstellt. Damit aber übernahm die Klägerin die Stelle einer vollen Arbeitskraft, was dem Charakter der Berufsausbildung widerspricht. Es ist aber auch im Interesse der Patienten nicht zu rechtfertigen, wenn dadurch, daß ihre Überwachung einer nicht voll ausgebildeten Krankenschwester anvertraut wurde, eine Verzögerung in den etwa notwendig werdenden pflegerischen und ärztlichen Maßnahmen eintreten könnte."
In einer anderen Streitsache hatte das Arbeitsgericht Dortmund bereits mit Urteil vom 31.7.1979 - 5 Ca 715/79 - in ähnlicher Weise entschieden
Diese Entscheidung läßt sich in Grundzügen wie folgt zusammenfassen: Eine im Ausbildungsverhältnis befindliche Schülerin ist nicht verpflichtet, in der Zeit von 19.00 bis 6.00 Uhr (Spät- und Nachtdienst) ohne die gleichzeitige Anwesenheit einer diensthabenden examinierten Krankenschwester Dienst als Spät- und Nachtwache auf Krankenstationen zu verrichten.
In der Begründung zu diesem Urteil wurde neben den bereits vorgestellten Rechtsgrundsätzen u.a. noch folgende Erwägung angestellt: "Im übrigen dürfte eine Nachtwache schon deshalb nicht allein von einer Auszubildenden auf einer Krankenstation durchgeführt werden, weil hier die Verantwortung für die Auszubildende zu groß wäre. Es ist sicher nicht so, daß bei einem Spät- oder Nachtdienst immer wiederkehrende Routinearbeiten zu erledigen wären. Vielmehr können plötzlich unvermutete Veränderungen im Krankheitsbild eintreten, die eine sofortige Entscheidung der Pflegekraft erfordern, ohne daß es möglich ist, eine auf einer Nachbarstation wachende ausgebildete Kraft oder etwa einen im Krankenhaus weilenden Arzt zu Rate zu ziehen."
Das Verfahren (5 Ca 715/79) fand in der Berufung durch Vergleich seine Erledigung.

Literatur:
Andreas/Debong/Siegmund-Schultze: Leseranfrage zum Haftpflichtversicherungsschutz bei Nachtwachen (in Zeitschrift "Die Schwester/Der Pfleger", Heft 12/89)
Kurtenbach/Golombek/Siebers: Krankenpflegegesetz (Kommentar). Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1992
Roßbruch, R.: Handbuch des Pflegerechts (Loseblattsammlung). Luchterhand Verlag, Neuwied
Schell, W.: Arbeits- und Arbeitsschutzrecht für die Pflegeberufe von A bis Z. Kunz Verlag, Hagen 1998
Schell, W.: Krankenpflegegesetz Kommentierte Ausgabe mit Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Berufe in der Krankenpflege. Kunz Verlag, Hagen 1994
Schneider, A.: Die Nachtwache während der Ausbildung in der Kranken- und Kinderkrankenpflege (in "Deutsche Krankenpflegezeitschrift" Heft 5/80)
Schneider, A.: Nochmals: Die Nachtwache während der Ausbildung in der Kranken- und Kinderkrankenpflege (in "Deutsche Krankenpflegezeitschrift", Heft 4/81)
Sträßner, H.: Arbeitsrechtliche und haftungsrechtliche Probleme der Nachtwache (in Zeitschrift "PflegeRecht", Heft 2/97 und Heft 3/97)

Werner Schell