Pflichtwidrigkeiten des Arbeitnehmers können zu
Schadensersatzansprüchen führen bzw. eine Ermahnung oder Abmahnung (= Rüge) nach sich
ziehen
Während sich die Ermahnung in der bloßen Aufforderung erschöpft,
vertragswidriges Verhalten abzustellen, dient die Abmahnung dem Zweck, den Beweis
für begangene Vertragsverletzungen zu sichern und weitere rechtliche Konsequenzen zu
ermöglichen (z.B. Kündigung). Die Abmahnung ist ein Mittel, den Arbeitnehmer auf
Pflichtwidrigkeiten hinzuweisen (= Hinweisfunktion) und ihm die sich daraus
ergebenden Rechtsfolgen vor Augen zu führen (= Androhungsfunktion). Da die
Abmahnung letztlich der Beweissicherung dienen soll, erfolgt sie in aller Regel in
schriftlicher Form (= Dokumentationsfunktion).
Abmahnungsberechtigt sind alle Mitarbeiter eines Betriebes, die verbindliche
Anweisungen wegen des Ortes, der Zeit sowie der Art und Weise der arbeitsvertraglich
geschuldeten Arbeitsleistung erteilen können.
Muster für eine Abmahnung mit Empfangsbescheinigung:
Abmahnung
Sehr geehrte(r) Frau/Herr...
Sie sind im Juli 1996 an 5 Arbeitstagen, und zwar ... jeweils zwischen 5 und 15 Minuten zu
spät am Arbeitsplatz erschienen. Aufgrund der verspäteten Dienstantritte ergaben sich
erhebliche Probleme bei der Patientenversorgung. Ihre tägliche Arbeitszeit beginnt um ...
Uhr.
Ihr Verhalten stellt eine fortgesetzte Verletzung der Ihnen obliegenden
arbeitsvertraglichen Pflicht zur pünktlichen Arbeitsaufnahme dar. Wir sind nicht gewillt,
dieses Verhalten weiterhin zu dulden, und fordern Sie auf, Ihre arbeitsvertraglichen
Pflichten zukünftig uneingeschränkt zu erfüllen. Wir weisen ausdrücklich darauf hin,
dass Sie im Wiederholungsfall mit einer Kündigung Ihres Arbeitsverhältnisses rechnen
müssen.
Datum und Unterschrift
Empfangsbescheinigung
Ich bestätige den Erhalt der Abmahnung und erkläre, dass ich gegen
ihren Inhalt in tatsächlicher Hinsicht keine Einwendungen habe.
Datum und Unterschrift |
Abmahnung und
Kündigung
Es gibt keine festen Grundsätze, wann abgemahnte Vertragswidrigkeiten
für eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ausreichen. Die Umstände des Einzelfalles
sind insoweit entscheidend. Allgemein lässt sich jedoch feststellen:
Je leichter das abgemahnte Fehlverhalten wiegt, um so öfter muss abgemahnt werden, bevor
wegen einer weiteren Pflichtwidrigkeit mit gleichartigem Unrechtsgehalt gekündigt werden
darf. Je schwerer ein abgemahntes Fehlverhalten wiegt, desto weniger Abmahnungen genügen
vor Ausspruch einer Kündigung, so dass auch eine Abmahnung ausreichen kann, um im
Wiederholungsfall eine (außerordentliche) Kündigung zu rechtfertigen.
Unter Umständen ist eine Abmahnung entbehrlich, wenn sie im Hinblick auf die
Einsichts- und Handlungsfähigkeit des Arbeitnehmers keinen Erfolg verspricht oder die
Vertragswidrigkeit sehr schwer wiegt.
Der
Arbeitnehmer hat mehrere Möglichkeiten,
einer Abmahnung zu begegnen:
Der Arbeitnehmer kann
1. sich (in beliebiger Form) gegenüber dem Arbeitgeber äußern und eine
Rücknahme der Abmahnung verlangen
2. sich an die Arbeitnehmervertretung (Betriebsrat, Personalrat, Mitarbeitervertretung)
wenden und diese als Vermittler einschalten
3. die Sache auf sich beruhen lassen und bei einer eventuellen späteren Kündigung durch
den Arbeitgeber die Richtigkeit der Abmahnung beanstanden
4. sich mit einer Gegendarstellung zur Abmahnung äußern und verlangen, dass seine
Darstellung zur Personalakte genommen wird
5. beim Arbeitsgericht auf Entfernung der Abmahnung aus der Personalakte klagen
|
Der Arbeitgeber,
der einen Arbeitnehmer wegen einer Pflichtverletzung abmahnen möchte, ist dabei an keine
Frist gebunden
Dies entschied das Bundesarbeitsgericht (BAG) mit Urteil vom 15.1.1986 - 5
AZR 70/84 -. Das BAG war der Auffassung, dass eine bestimmte Frist für eine Abmahnung
(sogenannte Ausschlussfrist) weder aus gesetzlichen Vorschriften noch aus anderen
Bestimmungen hergeleitet werden kann. Es stehe im Belieben des Arbeitgebers, ob er eine
Arbeitsvertragsverletzung abmahne oder darauf verzichten wolle. Darum könne er auch
allein darüber entscheiden, zu welchem Zeitpunkt er eine Abmahnung ausspreche. Dennoch
sollte zwischen Vertragsverletzung und Abmahnung kein allzulanger Zeitraum liegen.
Denn eine erst längere Zeit nach dem Fehlverhalten ausgesprochene Abmahnung ist in ihrer
Wirkung abgeschwächt. Wenn sich der Arbeitnehmer in der Zwischenzeit vertragstreu
verhält, so ist einer später ausgesprochenen Abmahnung die entscheidende Wirkung
genommen und diese im Falle einer Kündigung unter Umständen nicht mehr beachtlich.
Arbeitnehmer kann das Entfernen einer unbegründeten Rüge aus der
Personalakte verlangen
Der Arbeitgeber hat im Rahmen seiner allgemeinen Fürsorgepflicht
Maßnahmen zu treffen, die die Entstehung eines Schadens und damit eine Beeinträchtigung
des Fortkommens seiner Arbeitnehmer verhindern können. Der Umfang der Fürsorgepflicht
des Arbeitgebers ist im Einzelfall aufgrund einer eingehenden Abwägung der beiderseitigen
Interessen zu bestimmen. Der Arbeitgeber muss im Rahmen seiner Fürsorgepflicht dafür
Sorge tragen, dass die Personalakten ein richtiges Bild des Arbeitnehmers in dienstlichen
und persönlichen Beziehungen vermitteln. Der Arbeitnehmer kann daher, so entschied des
BAG mit Urteil vom 27.11.1985 - 5 AZR 101/84 -, die Rücknahme einer mißbilligenden
Äußerung des Arbeitgebers verlangen, wenn diese nach Form oder Inhalt geeignet ist, ihn
in seiner Rechtsstellung zu beeinträchtigen. Hierzu gehören schriftliche Rügen und
Verwarnungen, die zu den Personalakten genommen werden. Denn solche formellen Rügen
können, wenn sie unberechtigt sind, Grundlage für eine falsche Beurteilung des
Arbeitnehmers sein und dadurch sein berufliches Fortkommen behindern oder andere
arbeitsrechtliche Nachteile mit sich bringen. Ein Anspruch des Arbeitnehmers auf
Entfernung einer unbegründeten Rüge aus seinen Personalakten wird auch nicht dadurch
ausgeschlossen, dass er berechtigt ist, eine Gegendarstellung zu den Personalakten zu
reichen.
Die Rechtsauffassung, dass eine missbilligende Äußerung des Arbeitgebers
ggf. zurückgenommen werden muss hat das BAG mit seinem Urteil vom 5.8.1992 - 5 AZR
531/91- bekräftigt und dabei zusätzlich herausgestellt:
Die Klagemöglichkeit des Arbeitnehmers gegen eine Abmahnung kann nicht
deshalb verneint werden, weil der Arbeitnehmer die Berechtigung einer Abmahnung in einem
späteren Kündigungsprozess nachprüfen lassen kann. Eine missbilligende Äußerung des
Arbeitgebers, also auch eine Abmahnung, kann bereits für sich genommen den Arbeitnehmer
in seiner Rechtsstellung berühren. Die Beeinträchtigung durch eine Abmahnung liegt nicht
nur darin, dass der Bestand des Arbeitsverhältnisses wegen der angedrohten
kündigungsrechtlichen Folgen gefährdet sein kann. Vielmehr kann eine unberechtigte
Abmahnung die Grundlage für eine falsche Beurteilung des Arbeitnehmers sein, wodurch sein
berufliches Fortkommen behindert wird oder sich andere arbeitsrechtliche Nachteile für
ihn ergeben können. Da die Beeinträchtigung durch eine unberechtigte Abmahnung ab ihrer
Einfügung in die Personalakte besteht, entfällt die Klagebefugnis nicht deshalb, weil
die Beklagte nach ihrer Darstellung Abmahnungen nach zwei Jahren aus der Personalakte
entfernt. Im übrigen braucht der Arbeitnehmer auch hinsichtlich möglicher
kündigungsrechtlicher Folgen aus einer Abmahnung nicht abzuwarten, ob sich insoweit
Auswirkungen ergeben. Er kann vielmehr klären lassen, ob eine erteilte Abmahnung zu Recht
als mögliche Voraussetzung für eine Kündigung seine Rechtsstellung beeinträchtigt oder
ob sein Verhalten zu Unrecht beanstandet wurde. Verfehlt ist die Ansicht des LAG, eine
unzulässige schriftliche und zu den Personalakten genommene, aber nach der
höchstrichterlichen Rechtsprechung zu entfernende Abmahnung behalte als mündliche
Abmahnung ihre Wirkung.
Im übrigen ergibt sich: Nimmt ein Arbeitgeber eine Abmahnung ohne
vorherige Anhörung des Arbeitnehmers zu den Personalakten, so hat der Arbeitnehmer bei
Anwendbarkeit des § 13 Abs. 2 Bundesangestelltentarif (BAT) wegen Verletzung einer
Nebenpflicht einen schuldrechtlichen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung aus den
Personalakten.
§
13 Abs. 2 BAT lautet: Der Angestellte muss über Beschwerden und Behauptungen
tatsächlicher Art, die für ihn ungünstig sind oder ihm nachteilig werden können, vor
Aufnahme in die Personalakten gehört werden. Seine Äußerung ist zu den Personalakten zu
nehmen. |
Dies ergibt sich
aus dem Urteil des BAG vom 16.11.1989 - 6 AZR 64/88 -. Dieses Urteil enthält u.a.
folgende Ausführungen:
" ...Der Senat hält in Übereinstimmung mit der Vorinstanz einen Entfernungsanspruch
bereits dann für gegeben, wenn der Arbeitgeber das Anhörungsrecht des Arbeitnehmers nach
§ 13 II 1 BAT missachtet. Die nachträgliche Anhörung des Arbeitnehmers in Form der
Übersendung des zu den Akten genommenen Abmahnungsschreibens heilt den Mangel nicht.
Ebensowenig kann der abgemahnte Arbeitnehmer auf sein Recht zur Gegendarstellung oder sein
Recht zur Überprüfung der inhaltlichen Unrichtigkeit verwiesen werden.
a) Die Rechtsprechung des BVerwG steht dem nicht entgegen. Die tariflichen Vorschriften
des öffentlichen Dienstes über die Führung der Personalakten gehen zwar ebenso wie die
Bestimmungen des Beamtenrechts vom Grundsatz der Vollständigkeit der Personalakten aus.
Personalakten sind eine chronologische Sammlung von Schriftstücken, die im Bezug zur
Person des Angestellten von dienstlichem Interesse sind. Sie sollen ein umfassendes,
möglichst lückenloses Bild über Herkunft, Ausbildung, beruflichen Werdegang sowie
dienstlich relevante Daten über Befähigung und Leistung geben. Daneben gebietet aber
auch die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinem Arbeitnehmer die über die
Berichtigung hinausgehende Entfernung eines Vorgangs, der unrichtige Behauptungen enthält
...
b) Nichts anderes gilt, wenn Vorgänge der Form nach zu Unrecht zu den Personalakten
gelangt sind. Das folgt aus der Auslegung der Tarifvorschrift des § 13 II 1 BAT. Nur mit
dieser Rechtsfolge wird dem Sinn und Zweck des Anhörungsrechts genügt. Die vorherige
Anhörung des Angestellten ist nicht nur eine Förmelei, sondern bezweckt eine
Auseinandersetzung des Arbeitgebers mit der Gegendarstellung des Betroffenen. Diese
Auseinandersetzung, die im Idealfall zu einer Korrektur oder sogar zum Fallenlassen der
beabsichtigten Rüge führen kann, findet erfahrungsgemäß weniger intensiv statt, wenn
der Vorwurf bereits in Form eines zu den Personalakten genommenen Schreibens manifestiert
ist. Die Friedensfunktion der vorherigen Anhörung wird unterlaufen ... Zur Gewährung
eines uneingeschränkten Anhörungsrechts ist deshalb bei der Nichtbeachtung des
rechtlichen Gehörs der zu den Akten genommene Vorgang zunächst bis zur Durchführung
einer erneuten Anhörung zu entfernen. Denn ohne diese Sanktionierung der fraglichen
Nebenpflicht wäre das tarifliche Anhörungsrecht im Ergebnis bedeutungslos. Ggf. kann
dann der Vorgang nach entsprechender Würdigung des Vorbringens des Angestellten durch den
Arbeitgeber wieder zu den Akten genommen werden."
Auch Schreiben mit nur teilweise zutreffenden Vorwürfen muss aus der
Personalakte entfernt werden
Das BAG hat mit Urteil vom 13.3.1991 - 5 AZR 133/90 - grundsätzlich
entschieden, dass ein Abmahnungsschreiben auf Verlangen des Arbeitnehmers dann
vollständig aus der Personalakte entfernt werden muss, wenn in diesem Schreiben mehrere
Pflichtverletzungen gleichzeitig gerügt werden, die aber nicht alle zutreffen. Es ist dem
Arbeitgeber aber überlassen, ob er statt dessen eine auf die zutreffenden
Pflichtverletzungen beschränkte Abmahnung aussprechen will. Diese Entscheidung erging in
einem Streitfall, in dem ein Arbeitgeber verurteilt wurde, ein Abmahnungsschreiben vom
14.6.1988 vollständig aus der Personalakte eines Arbeitnehmers zu entfernen, obwohl von
den drei gerügten Pflichtverletzungen dem Arbeitnehmer eine zu Recht vorgehalten wurde.
In der Begründung des Urteils machte das BAG u.a. folgende interessante Ausführungen:
Wenn in einem Abmahnungsschreiben gleichzeitig verschiedene Pflichtverletzungen gerügt
werden, von denen aber nur einzelne (und nicht alle) zutreffen, so kann das
Abmahnungsschreiben nicht teilweise aufrechterhalten und insoweit vom Gericht neu gefasst
werden, sondern die Abmahnung muss in diesem Fall vollständig aus der Personalakte
entfernt werden.
Das Landesarbeitsgericht (LAG; Niedersachen) will dieser Rechtsauffassung zwar im
Grundsatz folgen, es meint jedoch, wenn in dem Abmahnungsschreiben mehrere Vorwürfe
aufgezählt seien, die nicht in einem inneren Zusammenhang miteinander stünden, könnte
dem Arbeitgeber unter Aufrechterhaltung der Abmahnung im übrigen verboten werden,
einzelne im Abmahnungsschreiben zu Unrecht erhobene Pflichtverstöße aufrechtzuerhalten.
Das führt dann aber zwangsläufig zur Neufassung des Abmahnungsschreiben durch das
Gericht entsprechend der Rechtsprechung bei Arbeitszeugnissen.
Daran kann jedoch nicht angeknüpft werden, weil die Rechtslage bei einem Streit um den
Inhalt eines Arbeitszeugnisses anders ist. In diesem Falle ist der Arbeitgeber gezwungen,
sämtliche Tatsachen und Wertungen in einer Urkunde zusammenzufassen, so dass
zwangsläufig dann, wenn einzelne Tatsachen und Wertungen unzutreffend sind, das Zeugnis
mit verändertem Inhalt bestehen bleiben muss. Dagegen kann der Arbeitgeber bei der
Abmahnung frei entscheiden, ob er mehrere Pflichtverletzungen in getrennten Abmahnungen
rügt oder sie in einem Schreiben zusammenfasst.
Es kommt hinzu, dass Zeugnisse und Abmahnungen unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben
unterliegen. Das Zeugnis dient einer rückblickenden Bewertung der gesamten
Arbeitsleistung und muss auf Verlangen des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber erteilt werden
(§ 630 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -). Dagegen ist der Arbeitgeber nicht zum Ausspruch
einer Abmahnung verpflichtet und entscheidet selbst darüber, ob er im Einzelfall das
Verhalten des Arbeitnehmers rügen will oder nicht.
Es muss dem Arbeitgeber die Entscheidung darüber vorbehalten bleiben, ob er an der
Abmahnung festhalten will, wenn einzelne in dem Abmahnungsschreiben enthaltene Vorwürfe
unzutreffend sind. Wenn er gewusst hätte, dass einzelne Vorwürfe nicht zutreffen,
hätte er vielleicht von der Abmahnung abgesehen.
Eine entsprechende Heranziehung der §§ 139, 140 BGB kommt schon deswegen nicht in
Betracht, weil die Abmahnung weder ein Gestaltungsrecht noch Willenserklärung im
rechtlichen Sinne ist.
Literatur:
Schell, W. "Arbeits- und Arbeitsschutzrecht für die Pflegeberufe von A bis Z".
Brigitte Kunz Verlag, Hagen 1998 (dort weitere Literaturnachweise)
Schell, W. "Staatsbürgerkunde, Gesetzeskunde und Berufsrecht für die Pflegeberufe
in Frage und Antwort". Georg Thieme Verlag, Stuttgart 1998
Werner Schell (4.3.2000)
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