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Sind Bettgitter für Bewohner (Patienten) in stationären Pflegeeinrichtungen (Krankenhäusern) zulässig oder strafrechtlich relevante Freiheitsberaubung?

Die Durchführung der verschiedensten vorsorglichen Maßnahmen zum Schutz der Heimbewohner (bzw. Patienten) vor Schäden wird immer lebhafter diskutiert. Es wird in den Medien von spektakulären Fehleinschätzungen in der Betreuung berichtet und von Freiheitsberaubung und Körperverletzung gesprochen. Dies alles geschieht oftmals vor dem Hintergrund unzulänglicher Personalausstattungen der Pflegeeinrichtungen und Krankenhäusern. Die vom Gesetzgeber in vielfältiger Weise geforderten Maßnahmen zur Qualitätssicherung bleiben unter diesen Umständen nichts als Worthülsen! Die besorgte Frage zahlreicher Pflegekräfte lautet z.B.: Wann sind Fixierungen zulässig, um psychisch kranke Heimbewohner bzw. Patienten vor Schäden zu bewahren? Wann dürfen die Bettgitter hochgestellt werden? Wie soll man sich konkret verhalten?

Zu dieser Fragestellung wurde folgende Zuschrift übersandt:

„Ich arbeite in einem Altenheim und würde gerne wissen, wann eine richterliche Anordnung für das Hochstellen der Seitenteile notwendig ist. Oft ist der geistige Zustand der Bewohner zeitabhängig. Reicht es bei Bewohnern, welche überwiegend geistig klar sind aus, wenn ich eine schriftliche Einverständniserklärung habe? Welche Konsequenzen können für das Pflegepersonal entstehen, wenn ein Bewohner aus dem Bett stürzt?"

Hierzu wird wie folgt Stellung genommen:

Mit Einwilligung eines geistig nicht eingeschränkten Heimbewohners (Patienten) ist das Anbringen eines Bettgitters immer zulässig. Eine Einwilligung könnte auch im Zustand der Einwilligungsfähigkeit für einen Zeitpunkt erteilt werden, wo es an der geistigen Befähigung krankheitsbedingt mangelt. Es ist empfehlenswert, mit einem Heimbewohner (Patienten) zeitgerecht über eine solche Maßnahme zu sprechen und ihn zu veranlassen, eine entsprechende Verfügung (vorsorglich) zu treffen.

Liegt keine wirksame Verfügung vor und ist der Heimbewohner (Patient) nicht im Vollbesitz der geistigen Kräfte, muß eine vom zuständigen Arzt für notwendig befundene (angeordnete) Maßnahme zur Freiheitsbeschränkung, z.B. die Eingitterung, vom gesetzlichen Vertreter, Betreuer oder Bevollmächtigten, nach den Vorschriften des Betreuungsrechts (§ 1906 Abs. 4 und 5 BGB) gebilligt werden. Zu berücksichtigen ist, daß die Angehörigen keine Entscheidungskompetenz haben, es sei denn, sie sind gleichzeitig zum gesetzlichen Vertreter bestellt. Bei Gefahr im Verzuge kann der Arzt (ausnahmsweise auch die Pflegekraft) zunächst alleine entscheiden (Notkompetenz). Eingitterungen bedürfen aber, wenn sie regelmäßig oder über einen längeren Zeitraum erfolgen, zusätzlich der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung (§ 1906 Abs. 4 BGB). Der gesamte verfahrensmäßige Ablauf muß natürlich in der üblichen Weise dokumentatiert werden!

Auch wenn die hier in Rede stehenden Maßnahmen im Einzelfall nicht den Charakter einer freiheitsbeschränkenden Maßnahme haben sollten, weil es bei dem Heimbewohner (Patienten) krankheitsbedingt an Möglichkeiten zur Nutzung der Freiheit fehlt, erscheint das übliche Vorgehen, Arztentscheidung, Betreueraufklärung und Billigung, keineswegs entbehrlich. In solchen Fällen ist aber die Einschaltung des Vormundschaftsgerichts nicht erforderlich. Es erscheint aber wichtig herauszustellen, daß auch in den Fällen, wo aufgrund der Krankheitsumstände von einer klassischen Freiheitsbeschränkung nicht ausgegangen werden kann, gleichwohl den üblichen Grundsätze der Patientenbetreuung (Selbstbestimmungsrecht) Beachtung geschenkt werden muß.

Besteht bei einem nicht entscheidungsfähigen Heimbewohner (Patienten) keine Betreuung und liegt auch keine vorsorgliche Verfügung vor, sollte das Vormundschaftsgericht informiert und die Einrichtung einer Betreuung angeregt werden. Es erscheint überhaupt zweckmäßig, öfter Kontakte zu Vormundschaftsgerichten (bzw. Betreuungsbehörden) aufzunehmen und sich über die korrekte Verhaltensweise beraten zu lassen.

Freiheitsbeschränkende Maßnahmen können nicht einfach unterbleiben, weil man der Anwendung der vorgenannten betreuungsrechtlichen Grundsätze entgehen will. Kommt es wegen mangelnder Sicherheitsmaßnahmen zu einem Schaden des Heimbewohners (Patienten), z.B. zu einem Sturz aus dem Bett, kann der insoweit verantwortliche Mitarbeiter bzw. der Träger der Einrichtung haftungsrechtlich belangt werden.

Aktueller Literaturhinweis:

Schell, Werner „Betreuungsrecht & Unterbringungsrecht - Ratgeber für die Pflegenden". Brigitte Kunz Verlag, Hagen, 4. Auflage 2001.

Das Buch versteht sich als Ratgeber für die Pflegenden. Die pflegerischen Berufe und die pflegenden Angehörigen können sich mit diesem Buch darüber näher informieren, was es im Falle einer Betreuungsbedürftigkeit zwingend zu beachten gilt. Dabei wurden auch in vereinfachter und verständlicher Form die haftungsrechtlichen Grundsätze einer fehlerhaften bzw. sorgfaltswidrigen Patientenversorgung behandelt. Zahlreiche gerichtliche Entscheidungen zur Aufsichtspflicht werden zur Veranschaulichung der Haftungsproblematik näher vorgestellt.

Werner Schell (20.7.2001)