Pflege - Patientenrecht & Gesundheitswesen
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Die
Delegation von ärztlichen Aufgaben ist grundsätzlich schriftlich zu fixieren!
Nach den Regeln des Arbeitsrechts steht dem Arbeitgeber das Recht zu, im
Rahmen des Arbeitsvertrages dem Arbeitnehmer bestimmte Arbeiten zuzuweisen und nähere
Anweisungen über Zeit, Ort, Umfang und Art der Dienstleistung zu treffen. Man spricht
insoweit vom Direktions- bzw. Weisungsrecht. Zu diesem Direktions- bzw. Weisungsrecht des
Arbeitgebers gehört in der Krankenversorgung auch die Übertragung ärztlicher Aufgaben
auf das Pflegepersonal (z.B. Injektionstätigkeit). Für eine solche
Übertragungsentscheidung ist die Bezeichnung "Delegation" üblich.
Die Delegation ärztlicher Aufgaben auf das Pflegepersonal (bzw. sonstiges
nichtärztliches Personal) ist nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig und seit
vielen Jahren hinsichtlich der sich insoweit ergebenden rechtlichen Aspekte, insbesondere
wegen möglicher haftungsrechtlicher, strafrechtlicher und arbeitsrechtlicher
Verantwortlichkeiten lebhaft umstritten. Zahlreiche Veröffentlichungen in der Fachpresse
geben davon Zeugnis (siehe unten).
In einem Punkt besteht aber weitgehende Einigkeit:
Die ärztliche Anordnung im Zusammenhang mit einer Delegationsentscheidung
sollte immer schriftlich festgehalten werden; zur schriftlichen Fixierung ist in erster
Linie der delegierende Arzt verantwortlich.
Mit Rücksicht auf das Gebot der Schriftlichkeit durch den Anordnenden
müssen telefonische Delegationsentscheidungen die Ausnahme bleiben. In solchen
Ausnahmesituationen sind vom Pflegepersonal Aufzeichnungen über die angeordneten
Maßnahmen zu fertigen; diese Aufzeichnungen müssen dann schnellstmöglich dem
Anordnenden zur Gegenzeichnung vorgelegt werden.
Aus der Sicht der Pflegepersonen ist die Forderung nach einer schriftlichen Fixierung der
Delegationsentscheidung des Anordnenden auch deshalb wichtig, weil sie damit (bei Bedarf)
den Nachweis führen können, dass sie berechtigt ärztliche Aufgaben durchgeführt haben.
Würde man die telefonische Delegation als unproblematisch und jederzeit möglich
einstufen, müsste die Forderung nach schriftlichen Fixierung durch den Anordnenden
aufgegeben werden.
In Weiterbildungsveranstaltungen wird immer wieder berichtet,
dass das
"Ob" und "Wie" von Delegationsentscheidungen nicht selten umstritten
ist.
Mir selbst ist ein gravierender Fall deutlich in Erinnerung geblieben, bei dem eine
telefonische Anordnung vom zuständigen Arzt nach Eintritt einer Patientenschädigung
bestritten wurde und die tätig gewordene Pflegeperson letztlich den "schwarzen
Peter" hatte. Der Fall wurde nicht Gegenstand eines Streitverfahrens, weil der
Krankenhausträger als Arbeitgeber ein Interesse daran hatte, die Angelegenheit nicht nach
außen dringen zu lassen. Die Pflegeperson konnte mangels schriftlicher Fixierung der
Delegationsentscheidung durch den Arzt ihr Tätigwerden nicht rechtfertigen; sie wurde
schließlich entlassen und fand sich damit ab. Selbst eigene Aufzeichnungen hätte die
Pflegeperson vor den gemachten Vorwürfen kaum bewahren können; der Arzt stritt ja die
Delegationsentscheidung ab.
Die Autoren Hans Böhme und Peter Jacobs haben sich nun in
der Zeitschrift "Die Schwester/Der Pfleger", 2/1997 (Seiten 149-152), mit dem
Thema "Rechtsfragen bei ärztlichen Anordnungen" befasst und dabei die
Auffassung vertreten, daß die Forderung, Pflegepersonal dürfe nur nach schriftlicher
Fixierung ärztliche Anordnungen ausführen, nicht berechtigt sei und letztlich zum
Stillstand unseres Gesundheitswesens führe. Daran anschließend geben die Autoren
Hinweise, wie die Pflegepersonen selbst die notwendige Dokumentationsarbeit leisten
sollen. Sie meinen im übrigen, dass Fragen der Verantwortlichkeit in erster Linie den
Anordnenden und nicht das Pflegepersonal angingen.
Da die Darstellung möglicherweise bei den Pflegeberufen zu
Mißverständnissen Veranlassung gibt, möchte ich folgende ergänzende Bemerkungen zum
Thema machen:
In dem Beitrag wird zutreffend herausgestellt,
dass es keinerlei
gesetzliche Regelungen gibt, die den Ärzten verbindlich vorschreiben, ihre Anordnungen an
das Pflegepersonal immer schriftlich abzufassen.
Allerdings ist in der (Muster)"Berufsordnung für die deutschen
Ärzte" (MBO) verpflichtend geregelt, dass Ärzte Aufzeichnungen zu fertigen haben
(vgl. Deutsches Ärzteblatt vom 10.1.1994). Der insoweit maßgebliche § 15 Abs. 1 MBO
lautet:
"Der Arzt hat über die in Ausübung seines Berufes gemachten Feststellungen und
getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen. Ärztliche
Aufzeichnungen sind nicht nur Gedächtnisstützen für den Arzt, sie dienen auch dem
Interesse des Patienten an einer ordnungsgemäßen Dokumentation". (1)
Diese Regelung kann durchaus so verstanden werden,
dass auch
Delegationsentscheidungen ärztlicherseits aufzuzeichnen sind und damit in aller Regel
schriftlich zu erfolgen haben!
Alida und Dieter Koeve haben sich in ihrem Buch "Ärztliche
Aufzeichnungen und Recht" (1. Auflage 1994; Thieme Verlag Stuttgart) u.a. mit dem
notwendigen Inhalt ärztlicher Aufzeichnungen befasst und zur "Aufzeichnung der
Therapie" u.a. ausgeführt: "Hierbei muss deutlich werden, welche Maßnahmen
der behandelnde Arzt selbst ausgeführt hat und welche auf Dritte, wie mitbehandelnde
Ärzte oder Hilfspersonal, übertragen wurden."
Ob und gegebenenfalls eine Anordnung schriftlich oder
mündlich/telefonisch erteilt wird, hängt letztlich immer von den Einzelumständen ab. Es
versteht sich, dass in einem Notfall, bei dem wegen der gebotenen Eile notwendige
Maßnahmen nur mündlich/telefonisch abgesprochen werden müssen, zunächst auf an sich
notwendige schriftliche Festlegungen verzichtet werden kann. Eine nachträgliche
Aufzeichnung ist aber mit Blick auf § 15 MBO in jedem Fall geboten.
Fachverbände sowie die überwiegende Zahl der Fachautoren sind der
Meinung, dass es aus verschiedenen Gründen grundsätzlich zweckmäßig ist, ärztliche
Delegationsentscheidungen, z.B. zur Ausführung von Injektionen, vom jeweils Anordnenden
vorher schriftlich dokumentieren zu lassen; z.B.:
-
Stellungnahme der Gewerkschaft ÖTV von
1979: "...Die medizinische Anordnung hat im Einzelfall schriftlich durch den
verantwortlichen Arzt zu erfolgen..."
-
Stellungnahme der DKG von 1980: "...2.5 Die ärztliche Anordnung ist schriftlich
festzuhalten..."
-
Hahn, B.: Die Haftung des Arztes für
nichtärztliches Hilfspersonal. (1. Auflage 1981; Athenäum Verlag Königstein/Ts.):
"...Ausreichend, aber auch erforderlich ist es, wenn aus den ärztlichen Dokumenten
hervorgeht, dass und wie die Delegierung welcher Verrichtungen welchen Hilfspersonen
übertragen wurde..." (Seite 73).
-
Stellungnahme der ADS und des DBfK von
1989: "...Injektionen...Es muss jeweils eine schriftliche ärztliche Anordnung
vorliegen..."
-
Böhme, H.: "Das Recht des
Krankenpflegepersonals Teil 2: Haftungsrecht". (3. Auflage 1991; Kohlhammer Verlag
Stuttgart): "...Grundsätzlich haben die Anordnungen schriftlich zu erfolgen..."
(Seite 222).
-
Böhme, H.: "Pflege auf dem
Prüfstand" (Rechtsgutachten für die Senatsverwaltung Berlin, 1992): "Die
ärztliche Anordnung hat grundsätzlich schriftlich zu erfolgen ... Kommt der Arzt im Rahmen
einer Anordnungskompetenz dieser Schriftlichkeit nicht nach, muss er sich
vergegenwärtigen, dass dem durchführenden nichtärztlichen Mitarbeiter ein
Leistungsverweigerungsrecht zusteht."
-
Brenner, G.: "Rechtskunde für das
Krankenpflegepersonal" (5. Auflage 1992; Fischer Verlag Stuttgart): "...Die
Übertragung der Durchführung von Injektionen und Infusionen setzt eine schriftlich
fixierte Anordnung des Arztes voraus..."(aus "Muster einer
Dienstanweisung", Seite 327).
-
Schneider, A.: "Rechts- und
Berufskunde für die Fachberufe im Gesundheitswesen" (4. Auflage 1994, Springer
Verlag Berlin): "...Grundsätzlich sollte die ärztliche Anordnung schriftlich
festgehalten und vom Arzt abgezeichnet werden..."(Seite 87).
-
Juchli, L.: "Pflege". (7.
Auflage 1994; Thieme Verlag, Stuttgart): "Mit der Übernahme einer entsprechenden
Verordnung, die eindeutig und schriftlich erfolgen muss, steht die ausführende Person in
der Handlungskompetenz" (Seite 1004).
-
Großkopf, V.: "Fehlinjektionen"
(in "Pflegezeitschrift", 10/1994): "Die Übertragung ärztlicher Tätigkeit
auf nichtärztliches Personal bedarf einer ärztlichen Anordnung. Diese Anordnung sollte
schriftlich erfolgen ... Die schriftliche ärztliche Anordnung ist für die ausführende
Pflegekraft bei einem eventuellen Streitfall von äußerster Wichtigkeit. Über diese
Dokumentation wird ihr der Beweis der Auftragserteilung erheblich erleichtert. Aus diesem
Grund kann die Pflegekraft auf die schriftliche Dokumentation bestehen..."
-
Reimer, W.: "Pfleglicher Umfang mit
dem Recht" (1. Auflage 1995; Universitätsverlag Ulm): "...Die Anordnung
muss
immer schriftlich für eine bestimmte Person erfolgen..." (Seite 84).
-
Klie, Th.: "Rechtskunde" (5.
Auflage 1996; Vincentz Verlag, Hannover): "Telefonische Veranlassungen und
´Ferndiagnosen` sind, abgesehen von Notfallsituationen, in aller Regel
unverantwortlich ... Notwendig ist die schriftliche Dokumentation der ärztlichen
Verordnung..."
-
Kampmann, A.: "Weisungsgebundenheit
oder Arbeitsverweigerung?" (in Z. "Pflege aktuell", 6/1996): "Die
Forderung, dass der Arzt Anordnungen grundsätzlich nur schriftlich geben oder in der
Dokumentation gegenzeichnen soll, hilft, Hör- oder Verständigungsfehler zu vermeiden und
das Haftungsrisiko zu verringern..."
-
Höfert, R.: "Pflegende mit
Sicherheit im Recht?" (in Z. "Heilberufe"; 2/1997): "Es sollte darauf
bestanden werden, dass die Anordnung zur Durchführung schriftlich erteilt wird und alle
Detailanordnungen, wie z.B. Dosis, Zeit und Applikationsart, beinhaltet."
In meinem Buch "Injektionsproblematik
aus rechtlicher Sicht" (4. Auflage 1995; Kunz-Verlag Hagen), auf das die
Autoren Böhme und Jacobs in ihrem Beitrag hinweisen habe ich auf Seite 35 u.a.
ausgeführt:
"Die ärztliche Anordnung über die Durchführung von Injektionen,
Infusionen und Blutentnahmen sollte möglichst zeitgerecht schriftlich festgehalten und
vom Arzt unterschrieben werden. Dabei sind der Patient namentlich zu benennen sowie das zu
verabreichende Arzneimittel, dessen Menge, Art und Zeitpunkt der Verabreichung zu
bestimmen. Telefonische Verordnungen können im allgemeinen keine Grundlage für das
Durchführen von ärztlichen Verrichtungen sein; es sei denn, es handelt sich um einen
Notfall."
An diesen Ausführungen, die natürlich im Zusammenhang mit der
Injektionsproblematik zu bewerten sind (vgl. Buchtitel), ist ohne Abstriche festzuhalten!
Dabei bin ich mir bewusst, dass in manchen Dienstbereichen die den Ärzten an sich selbst
obliegende schriftliche Fixierung ihrer Anordnungen (vgl. § 15 MBO) mehr und mehr auf das
Pflegepersonal verlagert worden ist. Es ist aber kein Grund erkennbar, warum solche
Praktiken zum Standard erhoben werden sollen.
Die Autoren Böhme und Jacobs plädieren undifferenziert dafür, es den Ärzten
freizustellen, ob sie schriftliche oder mündliche Anordnungen erteilen. Auf der anderen
Seite mahnen sie aber das Pflegepersonal zur sorgfältigen und zeitnahen Dokumentation der
Maßnahmen.
Eine solche Verfahrensweise halte ich nicht für sachgerecht; auf keinen Fall dann, wenn
es um die Übertragung ärztlichen Tätigkeiten (z.B. Injektionen) geht: Jede Berufsgruppe
sollte ihre Aufgabe selbst wahrnehmen; ich bin klar dagegen, daß ärztliche Aufgaben
zunehmend in den pflegerischen Bereich verlagert werden.
Werner
Schell (1997)
(1)
Die MBO ist inzwischen geändert worden. Die Dokumentationspflichten sind
nunmehr in § 10 MBO wie folgt beschrieben:
§ 10 Dokumentationspflichten
1. Der Arzt hat über die in
Ausübung seines Berufes gemachten Feststellungen und
getroffenen Maßnahmen die erforderlichen Aufzeichnungen zu machen.
Diese sind nicht nur Gedächtnisstützen für den Arzt, sie dienen auch dem Interesse des Patienten an einer ordnungsgemäßen
Dokumentation.
2. Der Arzt hat dem Patienten auf dessen Verlagen grundsätzlich in die ihn betreffenden Krankenunterlagen Einsicht zu
gewähren; ausgenommen sind diejenigen
Teile, welche subjektive Eindrücke oder Wahrnehmungen des Arztes
enthalten. Auf Verlagen sind dem Patienten Kopien der Unterlagen gegen
Erstattung der Kosten herauszugeben.
3. Ärztliche Aufzeichnungen sind für die Dauer von zehn Jahren nach Abschluß der Behandlung aufzubewahren, soweit nicht nach
gesetzlichen Vorschriften eine längere
Aufbewahrungspflicht besteht.
4. Nach Aufgabe der Praxis hat der Arzt seine ärztlichen Aufzeichnungen und Untersuchungsbefunde gemäß Absatz 3
aufzubewahren oder dafür Sorge zu tragen,
daß sie in gehörige Obhut gegeben werden. Der Arzt, dem bei einer Praxisaufgabe
oder Praxisübergabe ärztliche Aufzeichnungen über Patienten in
Obhut gegeben werden, muss diese Aufzeichnungen unter Verschluß halten und
darf sie nur mit Einwilligung des Patienten einsehen oder weitergeben.
5. Aufzeichnungen auf elektronischen Datenträgern oder anderen Speichermedien
bedürfen besonderer Sicherungs- und Schutzmaßnahmen, um
deren Veränderung, Vernichtung oder unrechtmäßige Verwendung zu verhindern.
Der Arzt hat hierbei die Empfehlungen der Ärztekammer zu beachten.
Werner Schell (02.05.2004)
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