Pflege - Patientenrecht & Gesundheitswesen
www.wernerschell.de
Aktuelles
Forum (Beiträge ab 2021)
Archiviertes Forum
Rechtsalmanach
Pflege
Patientenrecht
Sozialmedizin - Telemedizin
Publikationen
Links
Datenschutz
Impressum
Pro Pflege-Selbsthilfenetzwerk
>> Aktivitäten im Überblick! <<
|
Die Fixierung untergebrachter Patienten bedarf der vormundschaftsgerichtlichen Genehmigung
§ 1906 Abs. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) wurde verfassungskonform ausgelegt
Schell, Werner:
Betreuungsrecht & Unterbringungsrecht
Das Recht der volljährigen Personen mit einer psychischen Krankheit oder einer körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderung
208 Seiten. 3. Auflage 1999, ISBN 3-89495-128-1. 28,00 DM.
Brigitte Kunz Verlag, Postfach 2147, 58021 Hagen. |
Die Betreuung ist
nach dem Betreuungsgesetz (BtG) seit 1992 an die Stelle von Vormundschaft und Pflegschaft
für Volljährige getreten: Die Betreuung soll mit einem Minimum an Rechtseingriffen
und einem Maximum an persönlicher Zuwendung ein Leben in Freiheit und Würde für den
Betreuten sichern. Diesem Grundsatz muß auch bei der Durchführung
unterbringungsähnlicher Maßnahmen zur Geltung verholfen werden.
Bislang wurde in Teilen der juristischen Literatur die Auffassung vertreten, daß entgegen
dem Wortlaut des § 1906 Abs. 4 BGB über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig
vorkommende Freiheitsentziehung durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente oder auf
andere Weise auch dann der Genehmigung des VormG bedürfen, wenn die Betroffenen mit
Genehmigung des VormG in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht sind. Dem steht die
Ansicht gegenüber, der Wortlaut des § 1906 Abs. 4 BGB beziehe sich eindeutig nur auf
Maßnahmen in "offenen" Einrichtungen, eine zusätzliche richterliche
Genehmigung im Falle rechtmäßiger freiheitsentziehender Unterbringung des Betreuten sei
auch aus verfassungsrechtlichen Erwägungen nicht geboten.
Das Bayrische Oberlandesgericht (BayObLG) hat in einem Beschluß vom 6.5.1993
(Az.: 3 Z BR 70/93), abgedruckt in "Recht und Psychiatrie" 1993, 147, für die
nötige Klarheit gesorgt und die Durchführung unterbringungsähnlicher Maßnahmen auch
bei Untergebrachten als genehmigungsbedürftig bezeichnet (Quelle: Rechtsdienst der
Lebenshilfe 3/1993). Wie es scheint, wird diese grundsätzliche rechtliche Bewertung zu
weitreichenden Folgerungen Anlaß geben müssen!
In dem Verfahren vor dem BayOblG ging es um die Zulässigkeit des zeitweisen Anbindens
einer Betreuten in ihrem Bett für jeweils einige Minuten, bis sie sich nach dem
zeitweisen Auftreten aggressiver Zustände, die zur Selbst- und Fremdgefährdung führen
könnten, wieder beruhigte. Die Betreute hielt sich mit Genehmigung des VormG in einer
geschlossenen Einrichtung auf. VormG sowie das Landgericht (LG) als Beschwerdeinstanz
bejahten die Notwendigkeit einer zusätzlichen Genehmigung des zeitweisen Anbindens im
Bett und befürworteten diese Maßnahme, weil in diesem Fall die Fixierung erforderlich
und angemessen sei.
Das BayOblG hat zunächst den rechtlichen Ausgangspunkt bekräftigt, daß mechanische
Vorrichtungen, mit denen dem Betreuten über einen längeren Zeitraum oder regelmäßig
die Freiheit entzogen werden soll, einer Genehmigung des VormG auch dann bedürfen, wenn
der Betreute mit Genehmigung des VormG in einer Einrichtung geschlossen untergebracht ist.
Der Wortlaut des § 1906 Abs. 4 BGB erfordere eine solche Genehmigung zwar nur, "wenn
der Betreute sich in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung aufhält,
ohne untergebracht zu sein."
Nach nahezu einhelliger Auffassung des Schrifttums verlange, so das Gericht, eine
verfassungskonforme Auslegung des Gesetzes aber auch dann, wenn der Betreute mit
gerichtlicher Genehmigung bereits untergebracht ist, grundsätzlich eine weitere
gerichtliche Genehmigung, wenn der Untergebrachten durch mechanische Vorrichtungen für
einen längeren Zeitraum oder regelmäßig über die bloße Unterbringung hinaus die
Freiheit entzogen werden solle. Denn über Zulässigkeit und Fortdauer einer
Freiheitsentziehung habe von Verfassungs wegen nur der Richter zu entscheiden (Art. 104
Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz). Als Freiheit der Person werde auch die körperliche
Bewegungsfreiheit geschützt. Diese könne kaum stärker entzogen werden als durch die in
diesem Fall in Rede stehende Fixierung, weil diese weit stärker als die bloße
Unterbringung in die körperliche Bewegungsfreiheit eingreife; eine solche Maßnahme
stelle auch dann eine Freiheitsentziehung dar, wenn sie nur verhältnismäßig kurze Zeit
andauere. Über ihre Zulässigkeit und Fortdauer müsse daher der Richter entscheiden.
Die gerichtliche Genehmigung der Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung umfaßt
nach Auffassung des BayOblG alle damit regelmäßig verbundenen Beschränkungen der
körperlichen Bewegungsfreiheit, zu denen aber ein Anbinden der Betreuten im Bett durch
einen Beckengurt "für einen längeren Zeitraum oder regelmäßig" nicht
gehöre.
Im vorliegenden Falle habe die Genehmigung der Freiheitsentziehung durch mechanische
Vorrichtungen nicht erteilt werden dürfen. Die Fixierung hätte nur zur Vermeidung einer
Selbstschädigung durchgeführt werden dürfen, wenn die Betreute aufgrund ihrer Krankheit
ihren Willen nicht hätte frei bestimmen können. Die Voraussetzungen habe das LG für die
Betroffene nicht festgestellt. Die Sache wurde daher zur erneuten Entscheidung an das LG
zurückverwiesen.
Werner Schell (06/99)
|