Sonderrecht für Schwerbehinderte: Dem Schwerbehindertengesetz kommt eine zentrale Bedeutung zu
Das Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit,
Beruf und Gesellschaft (Schwerbehindertengesetz - SchwbG) und die zu seiner
Durchführung ergangenen Rechtsverordnungen haben für die Rehabilitation der
Schwerbehinderten zentrale Bedeutung.
Das SchwbG regelt als Sonderrecht für Schwerbehinderte insbesondere
- den geschützten Personenkreis,
- die Beschäftigungspflicht und die sonstigen Pflichten der Arbeitgeber,
- den Kündigungsschutz,
- die Aufgaben der betrieblichen Helfer,
- die begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben,
- den Zusatzurlaub für Schwerbehinderte und die Freistellung von Mehrarbeit,
- die Förderung der Werkstätten für Behinderte (WfB) sowie
- die Nachteilsausgleiche.
Der geschützte Personenkreis
Schwerbehinderte sind nach dem SchwbG Personen mit einem Grad der Behinderung (GdB) von
wenigstens 50, sofern sie ihren Wohnsitz, ihren gewöhnlichen Aufenthalt oder ihre
Beschäftigung auf einem Arbeitsplatz rechtmäßig in der Bundesrepublik Deutschland
haben.
Behinderung im Sinne des SchwbG ist die
Auswirkung einer nicht nur vorübergehenden Funktionsbeeinträchtigung, die auf einem
regelwidrigen körperlichen, geistigen oder seelischen Zustand beruht. Regelwidrig ist der
Zustand, der von dem für das Lebensalter typischen abweicht. Als nicht nur vorübergehend
gilt ein Zeitraum von mehr als 6 Monaten. Bei mehreren sich gegenseitig beeinflussenden
Funktionsbeeinträchtigungen ist deren Gesamtauswirkung maßgeblich.
Die Auswirkung der Funktionsbeeinträchtigung ist als GdB nach Zehnergraden abgestuft, von
20 bis 100 festzustellen. Für den GdB gelten die im Rahmen des § 30 Abs. 1
Bundesversorgungsgesetzes (BVG) festgelegten Maßstäbe entsprechend.
Das Abweichen von der Norm, die durch das Leitbild des gesunden Menschen geprägt ist, ist
für die Behinderung ebenso ein Merkmal wie für die Krankheit. Während man jedoch unter
einer Krankheit eine Regelwidrigkeit versteht, die im allgemeinen behebbar oder deren
Fortschreiten aufhaltbar ist, muß in dem tendenziell dauerhaften oder schwerer
überwindbaren Zustand der Behinderung ein Unterscheidungsmerkmal gesehen werden. |
Auf Antrag des
Behinderten stellen die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden (Versorgungsverwaltung)
nach ärztlicher Begutachtung das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest; sie
entscheiden dabei auch über weitere gesundheitliche Merkmale (z.B. Gehbehinderung,
Hilflosigkeit, Blindheit). Hierüber wird auf Antrag ein Ausweis ausgestellt, der
dem Nachweis für die Inanspruchnahme von Rechten und Nachteilsausgleichen dient. Bei der
Ausstellung der Ausweise ist die Ausweisverordnung Schwerbehindertengesetz (SchwbAwV)
zu beachten.
Bei der Feststellung der Behinderung und des GdB richten sich die gutachtenden Ärzte und
Behörden nach den 1996 vom Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung herausgegebenen "Anhaltspunkten
für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem
Schwerbehindertengesetz". Sie enthalten allgemeine Beurteilungsregeln und
Einzelangaben darüber, wie hoch der GdB bei welchen Behinderungen festzusetzen ist. Die
"Anhaltspunkte" gelten bundesweit und sollen für eine möglichst einheitliche
Praxis sorgen.
Bei Streitigkeiten mit der Versorgungsverwaltung steht der Rechtsweg zu den
Sozialgerichten offen. Vor der Erhebung einer Anfechtungsklage sind Rechtmäßigkeit und
Zweckmäßigkeit einer Entscheidung (Verwaltungsakt) in einem Vorverfahren
(Widerspruchsverfahren) nachzuprüfen.
Personen mit einem GdB von weniger als 50, aber wenigstens 30, können vom Arbeitsamt
Schwerbehinderten gleichgestellt werden, wenn sie infolge ihrer Behinderung ohne die
Gleichstellung einen geeigneten Arbeitsplatz nicht erlangen oder nicht behalten können.
Die Gleichstellung kann zeitlich befristet werden.
Die Beschäftigungspflicht und die sonstigen Pflichten der
Arbeitgeber
Arbeitgeber, die über mindestens 16 Arbeitsplätze verfügen, haben auf wenigstens 6% der
Arbeitsplätze Schwerbehinderte zu beschäftigen.
Die Bundesregierung ist ermächtigt, diesen Pflichtsatz nach dem jeweiligen Bedarf zu
ändern, jedoch auf höchstens 10% zu erhöhen oder bis auf 4% herabzusetzen.
Unter den zu beschäftigenden Schwerbehinderten müssen sich in angemessenem Umfang solche
Behinderte befinden, die nach Art oder Schwere ihrer Behinderung im Arbeits- und
Berufsleben besonders betroffen sind, bzw. Schwerbehinderte, die das 50. Lebensjahr
vollendet haben.
Solange Arbeitgeber die vorgeschriebene Zahl Schwerbehinderter nicht beschäftigen, haben
sie für jeden unbesetzten Pflichtplatz monatlich eine Ausgleichsabgabe in Höhe von
200 DM zu entrichten; sie ist an die zuständige Hauptfürsorgestelle abzuführen. Die
Ausgleichsabgabe darf nur für Zwecke der Arbeits- und Berufsförderung Schwerbehinderter
sowie für Leistungen zur begleitenden Hilfe im Arbeits- und Berufsleben verwendet werden.
Bei
einem Einstellungsgespräch ist der Stellenbewerber grundsätzlich verpflichtet, die Frage
nach der Schwerbehinderteneigenschaft oder Gleichstellung zu beantworten. Wird auf eine
entsprechende Frage wahrheitswidrig geantwortet, kann der Arbeitgeber den Arbeitsvertrag
wegen arglistiger Täuschung anfechten.
Fragt der Arbeitgeber nicht nach der Schwerbehinderung, braucht der Stellenbewerber auch
keinen entsprechenden Hinweis zu geben; es sei denn, daß wegen der Behinderung die Arbeit
nicht aufgenommen werden kann. |
Die
Hauptfürsorgestellen haben 45% des Aufkommens an Ausgleichsabgaben an den
"Ausgleichsfonds für überregionale Maßnahmen zur Eingliederung Schwerbehinderter
in Arbeit, Beruf und Gesellschaft", der vom Bundesminister für Arbeit und
Sozialordnung (unter Mitwirkung des "Beirates für die Rehabilitation
Behinderter") verwaltet wird, weiterzuleiten. Der Ausgleichsfonds überweist von
seinem Anteil 50% an die Bundesanstalt für Arbeit zur besonderen Förderung der
Einstellung und Beschäftigung Schwerbehinderter. Die Bundesanstalt für Arbeit wird durch
einen "Beratenden Ausschuß für Behinderte" unterstützt.
Die weiteren Einzelheiten über die Verwendung der Ausgleichsabgabe sind
in der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabeverordnung (SchwbAV) geregelt.
Die Arbeitgeber haben im übrigen
- ein Verzeichnis der bei ihnen beschäftigten Schwerbehinderten und
Gleichgestellten zu führen und den Vertretern des Arbeitsamtes und der
Hauptfürsorgestelle auf Verlangen vorzuzeigen;
- der Bundesanstalt für Arbeit und der Hauptfürsorgestelle die
Auskünfte zu erteilen, die zur Durchführung des SchwbG notwendig sind;
- zu prüfen, ob freie Arbeitsplätze mit Schwerbehinderten, insbesondere
mit beim Arbeitsamt gemeldeten Schwerbehinderten besetzt werden können;
- die Schwerbehinderten so zu beschäftigen, daß diese ihre Fähigkeiten
und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Sie haben die
Schwerbehinderten zur Förderung ihres beruflichen Fortkommens bei innerbetrieblichen
Maßnahmen der beruflichen Bildung bevorzugt zu berücksichtigen.
Der Kündigungsschutz
Die Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten durch den Arbeitber, das
länger als 6 Monate besteht, bedarf der vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle.
Neben der Schwerbehindertenvertretung wird der Schwerbehinderte von der
Hauptfürsorgestelle gehört. In jeder Lage des Verfahrens hat die Hauptfürsorgestelle
auf eine gütliche Einigung hinzuwirken.
Erteilt die Hauptfürsorgestelle die Zustimmung zur Kündigung, kann der Arbeitgeber die
Kündigung nur innerhalb eines Monats nach Zustellung erklären. Die Kündigungsfrist
beträgt mindestens 4 Wochen. Die Hauptfürsorgestelle soll die Zustimmung zur Kündigung
(Änderungskündigung) erteilen, wenn dem Schwerbehinderten ein anderer angemessener und
zumutbarer Arbeitsplatz gesichert ist.
Der Kündigungsschutz gilt grundsätzlich auch für außerordentliche Kündigungen.
Allerdings gelten einige Sonderregelungen; z.B.: Die Kündigung kann nur innerhalb von 2
Wochen beantragt werden. Die Hauptfürsorgestelle soll die Zustimmung zur Kündigung
erteilen, wenn die Kündigung aus einem Grunde erfolgt, der nicht im Zusammenhang mit der
Behinderung steht.
Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten bedarf auch dann der
vorherigen Zustimmung der Hauptfürsorgestelle, wenn sie im Falle des Eintritts der
Berufsunfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit auf Zeit ohne Kündigung erfolgt. Die
üblichen Kündigungsschutzvorschriften gelten entsprechend (vgl. hierzu Schell, W.
"Arbeits- und Arbeitsschutzrecht für die Pflegeberufe von A bis Z". Kunz
Verlag, Hagen 2. Auflage 1998).
Die Aufgaben der betrieblichen Helfer
Die jeweiligen Arbeitnehmervertretungen (z.B. Betriebs- oder Personalräte) haben die
Eingliederung Schwerbehinderter zu fördern und darauf zu achten, daß die Arbeitgeber die
ihnen auferlegten Pflichten erfüllen.
In Betrieben und Dienststellen, in denen wenigstens 5 Schwerbehinderte nicht nur
vorübergehend beschäftigt sind, ist ein Vertrauensmann bzw. eine Vertrauensfrau und
wenigstens ein Stellvertreter (Schwerbehindertenvertretung) zu wählen. Die Wahlordnung
Schwerbehindertengesetz (SchwbWO) enthält nähere Hinweise für das Wahlverfahren.
Die Schwerbehindertenvertretung hat die Eingliederung Schwerbehinderter in den Betrieb
oder die Dienststelle zu fördern, die Interessen der Schwerbehinderten in dem Betrieb
oder der Dienststelle zu vertreten und ihnen beratend und helfend zur Seite zu stehen. Sie
hat vor allem darüber zu wachen, daß die zugunsten der Behinderten geltenden Gesetze,
Verordnungen, Tarifverträge usw. durchgeführt werden, und Anregungen und Beschwerden von
Behinderten entgegenzunehmen und auf eine Erledigung hinzuwirken. Der
Schwerbehindertenvertretung stehen im übrigen umfassende Informationsrechte zu.
Die begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben
Neben der Erhebung und Verwendung der Ausgleichsabgabe, der Gewährleistung des
Kündigungsschutzes und der zeitweiligen Entziehung des Schwerbehindertenschutzes obliegt
den Hauptfürsorgestellen in enger Zusammenarbeit mit der Bundesanstalt für Arbeit und
den übrigen Trägern der Rehabilitation die begleitende Hilfe im Arbeits- und
Berufsleben. Der Hauptfürsorgestelle steht ein "Beratender Ausschuß für
Behinderte" zur Verfügung.
Die begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben soll dahin wirken, daß die
Schwerbehinderten in ihrer sozialen Stellung nicht absinken, auf Arbeitsplätzen
beschäftigt werden, auf denen sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse voll verwerten und
weiterentwickeln können sowie durch Leistungen der Rehabilitationsträger und Maßnahmen
der Arbeitgeber befähigt werden, sich am Arbeitsplatz und im Wettbewerb mit
Nichtbehinderten zu behaupten. Die begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben umfaßt
auch die nach den Umständen des Einzelfalles notwendige psychosoziale Betreuung
Schwerbehinderter.
Die Hauptfürsorgestelle kann für die begleitende Hilfe im Arbeits- und Berufsleben
auch Geldleistungen gewähren, z.B.
- an Schwerbehinderte für technische Hilfen, zum Erreichen des
Arbeitsplatzes, zur wirtschaftlichen Selbständigkeit, zur Beschaffung, Ausstattung und
Erhaltung einer behindertengerechten Wohnung, Erhaltung der Arbeitskraft, Teilnahme an
Maßnahmen zur Erhaltung und Erweiterung beruflicher Kenntnisse und Fähigkeiten und in
besonderen behinderungsbedingten Lebenslagen,
- an Arbeitgeber zur behinderungsgerechten Einrichtung von
Arbeitsplätzen für Schwerbehinderte und für außergewöhnliche Belastungen.
Ist ungeklärt, welcher Träger Leistungen zur begleitenden Hilfe im
Arbeits- und Berufsleben zu gewähren hat, oder ist die unverzügliche Einleitung der
erforderlichen Maßnahmen aus anderen Gründen gefährdet, so soll die
Hauptfürsorgestelle vorläufig Leistungen gewähren.
Zusatzurlaub für Schwerbehinderte und Freistellung von Mehrarbeit
Schwerbehinderte haben Anspruch auf einen bezahlten zusätzlichen Urlaub von 5
Arbeitstagen im Urlaubsjahr; verteilt sich die regelmäßige Arbeitszeit des
Schwerbehinderten auf mehr oder weniger als 5 Arbeitstage in der Kalenderwoche, erhöht
oder vermindert sich der Zusatzurlaub entsprechend. Soweit tarifliche, betriebliche oder
sonstige Urlaubsregelungen für Schwerbehinderte einen längeren Zusatzurlaub vorsehen,
bleiben sie unberührt.
Schwerbehinderte sind auf ihr Verlangen von Mehrarbeit freizustellen.
Wird ein Mitarbeiter erst im Laufe des
Kalenderjahres schwerbehindert oder wird seine Schwerbehinderung erst im Laufe dieses
Zeitraumes behördlich anerkannt, so steht ihm auch für dieses Kalenderjahr der
Zusatzurlaub in voller Höhe zu. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in seinem Urteil vom
21.2.1995 - 9 AZR 675/93 - entschieden. |
Die
Förderung der Werkstätten für Behinderte (WfB)
Die WfB ist eine Einrichtung zur Eingliederung Behinderter in das Arbeitsleben. Sie hat
denjenigen Behinderten, die wegen Art oder Schwere der Behinderung nicht, noch nicht oder
noch nicht wieder auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig sein können,
- eine angemessene berufliche Bildung und eine Beschäftigung zu einem
ihrer Leistung angemessenen Arbeitsentgelt aus dem Arbeitsergebnis anzubieten und
- zu ermöglichen, ihre Leistungsfähigkeit zu entwickeln, zu erhöhen
oder wiederzugewinnen und dabei ihre Persönlichkeit weiterzuentwickeln.
Sie muß über ein möglichst breites Angebot an Arbeitstrainings- und
Arbeitsplätzen sowie über qualifiziertes Personal und einen begleitenden Dienst
verfügen. Die WfB steht mit gewissen Einschränkungen allen Behinderten offen, sofern
erwartet werden kann, daß sie spätestens nach Teilnahme an Maßnahmen im
Arbeitstrainingsbereich wenigstens ein Mindestmaß wirtschaftlich verwertbarer
Arbeitsleistung erbringen werden.
Arbeitgeber, die durch die Vergabe von Aufträgen an WfB zur Beschäftigung Behinderter
beitragen, können 50% des auf die Arbeitsleistung der Werkstatt entfallenden
Rechnungsbetrages solcher Aufträge (Gesamtrechnungsbetrag abzüglich Materialkosten) auf
die Ausgleichsabgabe anrechnen. Aufträge der öffentlichen Hand, die von den WfB
ausgeführt werden können, sind bevorzugt diesen WfB anzubieten.
WfB, die eine Vergünstigung nach dem SchwbG in Anspruch nehmen wollen, bedürfen der
Anerkennung durch die Bundesanstalt für Arbeit im Einvernehmen mit dem überörtlichen
Träger der Sozialhilfe. Das Nähere regelt die Werkstättenverordnung
Schwerbehindertengesetz (SchwbWV).
Das Vergünstigungswesen für die WfB gilt weitgehend auch für die Blindenwerkstätten.
Die Nachteilsausgleiche
Die Vorschriften über Hilfen für Behinderte zum Ausgleich behinderungsbedingter
Nachteile oder Mehraufwendungen (Nachteilsausgleich) sind so zu gestalten, daß sie der
Art oder Schwere der Behinderung Rechnung tragen, und zwar unabhängig von der Ursache der
Behinderung.
Hierzu gehören u.a. unentgeltliche Beförderung im öffentlichen Personenverkehr bei
erheblicher Behinderung in der Bewegungsfähigkeit (vgl. hierzu Nahverkehrszügeverordnung
-SchwbNV -), steuerliche Erleichterungen durch Einräumung von Freibeträgen,
Vergünstigungen im Funk- und Fernsprechwesen und Parkerleichterungen für
Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung.
Werner Schell
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