Die Behinderteneigenschaft ist mit vielfältigen Rechtsfolgen verknüpft
Eine aktuelle Übersicht über den Schutz im Rechtsverkehr und nach der Begehung einer Straftat
« Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden »
Dieses Benachteiligungsverbot ergibt sich aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG). Es handelt sich um eine Verfassungsbestimmung, die erst 1994 in den Text
des GG eingefügt worden ist.
Inzwischen hat der Beauftragte der Bundesregierung für die Belange der Behinderten ein
Gutachten mit dem Titel "Der neue Diskriminierungsschutz für Behinderte im
Grundgesetz" (von Prof. Dr. M. Herdegen) eingeholt und der Öffentlichkeit
vorgestellt. Nach diesem Gutachten kann eine Ungleichbehandlung zu Lasten Behinderter nur
insoweit als zulässig erachtet werden, als sie für die Lösung von Problemen, die in der
Behinderung selbst angelegt sind, zwingend erforderlich ist. Herdegen betont in seinem
Gutachten, daß der neue Diskriminierungsschutz für Behinderte keinen Anspruch auf
Begünstigungen begründet. Dies gelte für finanzielle Leistungen ebenso wie für
sonstige Förderungsmaßnahmen. Jedoch liefere Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG als objektive
Wertentscheidung eine zusätzliche Rechtfertigung für Maßnahmen der Förderung und des
Nachteilsausgleiches für Behinderte. Trotz der beschränkten Wirkung des
Benachteiligungsverbotes auf die Abwehr von Diskriminierungen durch die öffentliche
Gewalt wirkt das neue Grundrecht als objektiver Wertmaßstab auf die Privatrechtsordnung
ein und verstärkt in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip und der Gewährleistung der
Menschenwürde die Möglichkeiten - und die Verpflichtung - des Gesetzgebers, der
Verwaltung und der Rechtsprechung, bestimmten diskriminierenden Auswüchsen im
Privatrechtsverkehr entgegenzutreten (Quelle: "Rechtsdienst der
Lebenshilfe", Nr. 3/1995).
Der Schutz Behinderter im Privatrechtsverkehr und beim Wahlrecht
Geschäftsfähigkeit
Volljährige (§ 2 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -) sind im allgemeinen uneingeschränkt
geschäftsfähig; d.h. sie haben die Fähigkeit, wirksam Rechtsgeschäfte vorzunehmen und
insbesondere durch Verträge Rechte zu erwerben oder Verpflichtungen einzugehen.
Volljährige Behinderte können die Tragweite ihrer Erklärungen aber aufgrund krankhafter
Zustände nicht immer abschätzen. Es gibt daher Risiken für Behinderte im allgemeinen
Rechtsverkehr, die es vorsorglich auszuschließen gilt. Entmündigungen sind aber nicht
mehr möglich! Auch die eventuell notwendige Einrichtung einer Betreuung nach § 1896 BGB
hat keine automatische Auswirkungen auf die Geschäftsfähigkeit! Nach § 1902 BGB
vertritt zwar der Betreuer den Betreuten gerichtlich und außergerichtlich in seinem
Aufgabenkreis; der Betreuer hat in seinem Aufgabenkreis die Stellung eines gesetzlichen
Vertreters. Die Vertretungsmacht des Betreuers verdrängt aber nicht die beim Betroffenen
ggf. vorhandene Handlungsfähigkeit.
Die bürgerlich-rechtliche Handlungsfähigkeit im Überblick: |
Geschäftsfähigkeit |
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Deliktsfähigkeit |
Geschäftsunfähigkeit:
- Kinder unter 7 Jahren (§ 104 Nr. 1 BGB)
- bei Störung der Geistestätigkeit (§ 104 Nr. 2 BGB)
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Deliktsunfähigkeit:
- Kinder unter 7 Jahren (§ 828 Abs. 1 BGB)
- bei Störung der Geistestätigkeit (§ 827 BGB)
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beschränkte Geschäftsfähigkeit:
- Kinder ab 7. bis zum 18. Lebensjahr (§
106 BGB)
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beschränkte Deliktsfähigkeit:
- Kinder ab 7. bis zum 18. Lebensjahr (§ 828 Abs. 2 BGB)
- Taubstumme (§ 828 Abs. 2 BGB)
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volle Geschäftsfähigkeit:
- ab dem 18. Lebensjahr (§ 2 BGB =
Eintritt der Volljährigkeit)
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volle Deliktsfähigkeit:
- ab dem 18. Lebensjahr (§ 823 BGB)
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Quelle: Schell, W.
"Staatsbürgerkunde, Gesetzeskunde und Berufsrecht für die Pflegeberufe in Frage und
Antwort". Thieme Verlag, Stuttgart (11. Auflage 1998). |
§ 104 BGB
bezeichnet als geschäftsunfähig, wer nicht das 7. Lebensjahr vollendet hat oder sich in
einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der
Geistestätigkeit befindet, sofern nicht der Zustand seiner Natur nach ein
vorübergehender ist. Eine krankhafte Störung der Geistestätigkeit ist gegeben, wenn ein
Mensch zu einer selbständigen und vernünftigen Willensbildung nicht in der Lage ist. Das
ist der Fall, wenn ihm die notwendige Kritik- und Urteilsfähigkeit fehlt, wenn er seine
Entscheidungen nicht vernünftig abwägen und deren mögliche Folgen nicht in
erforderlichem Ausmaß überblicken kann. Wer sich auf Geschäftsunfähigkeit beruft, hat
diese zu beweisen.
Sämtliche Willenserklärungen eines Geschäftsunfähigen, die sich auf die Herbeiführung
einer Rechtswirkung richten (z.B. Vertragsabschluß, Kündigung) sind nichtig. Nichtig ist
auch eine Willenserklärung, die im Zustande der Bewußtlosigkeit oder vorübergehender
Störung der Geistestätigkeit abgegeben wird (§ 105 BGB).
Beschränkt geschäftsfähig ist der Minderjährige, der das 7. Lebensjahr vollendet hat
und zum anderen ein Betreuter nach § 1896 BGB, soweit ein Einwilligungsvorbehalt nach §
1903 BGB besteht. Auch dann, wenn ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet ist, bedarf der
Betreute nicht der Einwilligung seines Betreuers, wenn die Willenserklärung dem Betreuten
lediglich einen rechtlichen Vorteil bringt. Dies entspricht der in § 107 BGB für die
beschränkte Geschäftsfähigkeit enthaltenden Regelung. Der Betreute bedarf auch dann
nicht der Einwilligung seines Betreuers, wenn die Willenserklärung eine geringfügige
Angelegenheit des täglichen Lebens betrifft, es sei denn, daß das Vormundschaftsgericht
etwas anderes angeordnet hat. Geringfügige Angelegenheiten in diesem Sinne sind in erster
Linie alltägliche Bargeschäfte über geringwertige Gegenstände. So z.B. der Kauf der
zum alsbaldigen Verbrauch bestimmten Lebensmittel, wenn diese nach Menge und Wert das
übliche Maß nicht übersteigen.
Bestimmungsrecht über den Körper
Im Gegensatz zum Abschluß des bürgerlich-rechtlichen Behandlungsvertrages kommt es für
die Wirksamkeit der Einwilligung in medizinische Maßnahmen (§ 1904 BGB) nicht auf die
Geschäftsfähigkeit eines Betreuten an, sondern auf die natürliche Einsichts- und
Steuerungsfähigkeit.
Wer Art, Bedeutung und Tragweite der Maßnahme zu erfassen und seinen Willen hiernach zu
bestimmen vermag, braucht sich hierbei dem Willen eines Dritten nicht unterzuordnen (Selbstbestimmungsrecht
des Patienten!). So sind insbesondere Zwangsbehandlungen Einwilligungsfähiger nicht
zulässig. Ist ein unter Betreuung stehender Behinderter dauerhaft einwilligungsunfähig
(z.B. bei einer senilen Demenz), ist der Betreuer als gesetzlicher Vertreter allein
entscheidungsbefugt. Unter Umständen bedarf es aber einer Genehmigung des
Vormundschaftsgerichts.
Die Einwilligung in eine Heilbehandlung erteilt nach Aufklärung: |
Betroffener selbst bei Einwilligungsfähigkeit. |
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Betreuer im Rahmen des Aufgabenkreises, wenn Betroffener nicht über Einwilligungsfähigkeit verfügt. |
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Einwilligung des Betreuers reicht aus,
wenn die Heilbehandlung keine besondere Gefahr darstellt. |
Bei begründeter Gefahr des Todes
oder eines erheblichen gesundheitlichen Schadens ist neben der Einwilligung des Betreuers die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts erforderlich (§ 1904 BGB).
Die Genehmigung kann in Eilfällen unterbleiben. |
Quelle: Schell, W. "Staatsbürgerkunde, Gesetzeskunde und Berufsrecht für die Pflegeberufe in Frage und
Antwort", Thieme Verlag, Stuttgart |
Deliktsfähigkeit
Die Deliktsfähigkeit ist die Fähigkeit, für eine unerlaubte Handlung (Delikt)
schadensersatzpflichtig zu sein (§§ 823 ff. BGB). Volljährige sind in der Regel voll
deliktsfähig.
Deliktsunfähig ist ein Minderjähriger bis zur Vollendung des 7. Lebensjahres (§ 828
Abs. 1 BGB) und eine Person, die sich im Zustande der Bewußtlosigkeit oder in einem die
freie Willensbestimmung ausschließenden Zustande krankhafter Störung der
Geistestätigkeit befindet (§ 827 BGB). Ein Deliktsunfähiger ist für den einem anderen
zugefügten Schaden nicht verantwortlich.
Beschränkt deliktsfähig ist der Minderjährige vom vollendeten 7. Lebensjahr und ein
Taubstummer, wenn bei der Begehung einer schädigenden Handlung nicht die zur Erkenntnis
der Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht bestand (§ 828 Abs. 2 BGB). Auch bei
eingeschränkter Deliktsfähigkeit kann eine Ersatzpflicht aus Billigkeitsgründen in
Betracht kommen (§ 829 BGB).
Eine Verpflichtung zum Schadensersatz begründet eine unerlaubte Handlung im allgemeinen
nur dann, wenn das Handeln des Täters auch als schuldhaft angesehen werden kann. Man
unterscheidet Vorsatz und Fahrlässigkeit. Fahrlässig handelt jemand, der die
Sorgfaltsanforderungen, zu denen er nach den Umständen verpflichtet ist, nicht erfüllt
und deshalb nicht voraussieht, daß er einen rechtlich mißbilligten Erfolg herbeiführen
wird (§ 276 BGB). Schuldhaftes Verhalten kann nur angenommen werden, wenn dem Handelnden
die Rechtsgutverletzung als Folge einer fehlerhaften Willensbestimmung vorgeworfen werden
kann. Die Frage, ob ein schuldhaftes Handeln vorliegt, hängt somit entscheidend von der
Annahme der Entscheidungs- oder Willensfreiheit ab (= Fähigkeit, zwischen mehreren
Alternativen zu entscheiden).
Im Zusammenhang mit der möglichen Haftung Behinderter stellt sich nicht selten die Frage,
ob Aufsichtsführende zum Schadensersatz herangezogen werden können (§ 832 BGB).
Ehemündigkeit
Hierunter versteht man die Fähigkeit, eine Ehe wirksam eingehen zu können. Eine Ehe
soll, von Ausnahmen abgesehen, nicht vor Eintritt der Volljährigkeit eingegangen werden
(§ 1303 BGB). Wer geschäftsunfähig ist, kann eine Ehe nicht eingehen (§ 1304 BGB).
Eine Ehe kann in bestimmten Fällen aufgehoben werden; z.B. wenn einer der Ehegatten zur
Zeit der Eheschließung geschäftsunfähig war oder sich im Zustand der Bewußtlosigkeit
oder vorübergehenden Störung der Geistestätigkeit befand (§ 1314 BGB).
Ein Betreuer kann nie zuständig sein für die Einwilligung in das Eingehen einer Ehe.
Insoweit ist auch ein Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB unzulässig. Die
eherechtlichen Vorschriften stellen allein auf die Ehemündigkeit ab.
Testierfähigkeit
Unter Testierfähigkeit ist die Fähigkeit zu verstehen, rechtswirksam ein Testament zu
errichten, zu ändern oder aufzuheben. Sie ist uneingeschränkt bei Volljährigkeit
gegeben. Ein Minderjähriger kann ein öffentliches Testament erst errichten, wenn er das
16. Lebensjahr vollendet hat (§§ 2229 Abs. 1 und 2247 Abs. 4 BGB).
Wer wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit, wegen Geistesschwäche oder wegen
Bewußtseinsstörung nicht in der Lage ist, die Bedeutung einer von ihm abgegebenen
Willenserklärung einzusehen und nach dieser Einsicht zu handeln, kann ein Testament nicht
errichten.
Ein Betreuer kann nie zuständig sein für die Errichtung eines Testaments. Insoweit ist
auch ein Einwilligungsvorbehalt nach § 1903 BGB unzulässig. Bei der Einsetzung von Erben
ist allein die Testierfähigkeit (§ 2229 BGB) entscheidend.
Wahlmündigkeit
Hierunter versteht man die Fähigkeit, an Wahlen teilzunehmen (Wahlrecht). Wahlmündigkeit
besitzen nach dem Bundeswahlgesetz (BWahlG) volljährige Deutsche. Vom Wahlrecht
ausgeschlossen ist u.a. derjenige, für den zur Besorgung aller seiner Angelegenheiten ein
Betreuer nicht nur durch einstweilige Anordnung bestellt ist; dies gilt auch, wenn der
Aufgabenkreis des Betreuers die in § 1896 Abs. 4 und § 1905 BGB bezeichneten
Angelegenheit nicht erfaßt (§ 13 BWahlG). In § 69l Gesetz über die Angelegenheiten der
freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG) sind die Mitteilungspflichten an das zuständige
Wahlamt beschrieben.
Der Schutz Behinderter nach den Vorschriften des Straf- und
Strafvollzugsrechts
Straffreiheit oder Strafmilderung
Wer bei Begehung einer Straftat "wegen einer krankhaften seelischen Störung, wegen
einer tiefgreifenden Bewußtseinsstörung oder wegen Schwachsinns oder einer schweren
anderen seelischen Abartigkeit unfähig ist, das Unrecht der Tat einzusehen oder nach
dieser Einsicht zu handeln" ist strafrechtlich schuldunfähig nach § 20
Strafgesetzbuch (StGB) und damit vor den Sanktionen des Strafrechts (Verhängung einer
Geld- oder Freiheitsstrafe) geschützt.
Ist die Einsichtsfähigkeit zwar vorhanden, infolge der in § 20 StGB genannten Störungen
bei Begehung einer Tat aber erheblich vermindert, kann die Strafe wegen verminderter
Schuldfähigkeit gemildert werden (§ 21 StGB).
Unterbringung
Hat jemand eine rechtswidrige Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit (§ 20 StGB) oder der
verminderten Schuldfähigkeit (§ 21 StGB) begangen, so ordnet das Gericht nach § 63 StGB
die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, wenn die Gesamtwürdigung des
Täters und seiner Tat ergibt, daß von ihm infolge seines Zustandes erhebliche
rechtswidrige Taten zu erwarten sind und er deshalb für die Allgemeinheit gefährlich
ist.
In bestimmten Fällen (Mißbrauch von alkoholischen Getränken oder anderer berauschender
Mittel im Zusammenhang mit der Begehung rechtswidriger Taten) ist auch die Unterbringung
in einer Entziehungsanstalt möglich (§ 64 StGB).
Für den Vollzug freiheitsentziehender Maßnahmen nach §§ 63 und 64 StGB enthalten
insbesondere die §§ 136 und 137 Strafvollzugsgesetz (StVollzG) nähere Hinweise (daneben
können landesrechtliche Vorschriften gelten). Die Behandlung des Untergebrachten in einem
psychiatrischen Krankenhaus richtet sich nach ärztlichen Gesichtspunkten. Soweit
möglich, soll er geheilt oder sein Zustand soweit gebessert werden, daß er nicht mehr
gefährlich ist. Ihm wird die nötige Aufsicht, Betreuung und Pflege zuteil (§ 136
StVollzG). Ziel der Behandlung des Untergebrachten in einer Entziehungsanstalt ist es, ihn
von seinem Hang zu heilen und die zugrunde liegende Fehlhaltung zu beheben (§ 137
StVollzG).
Werner Schell
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