Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
Die ordentliche Kündigung eines Arbeitnehmers muß durch Gründe, die in
der Person oder dem Verhalten des Arbeitnehmers liegen, oder durch dringende betriebliche
Erfordernisse, die einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers entgegenstehen, bedingt
sein. In der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe, die eine ordentliche Kündigung
als sozial gerechtfertigt erscheinen lassen, sind z.B. mangelnde Vorbildung und
Befähigung, Ungeschicklichkeit, krankheits- oder altersbedingter Leistungsabfall und
mangelnde körperliche Eignung. Die Abwägung der im Einzelfall berührten Interessen
von Arbeitgeber und Arbeitnehmer erfordert besondere Sorgfalt.
Besonders oft umstritten waren bislang Kündigungen bei langanhaltender
Arbeitsunfähigkeit (AU) und häufigen Kurzerkrankungen. Eine Kündigung bei
langanhaltender AU ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn zum Zeitpunkt der Kündigung
aufgrund der objektiven Umstände mit einer AU auf nicht absehbare Zeit zu rechnen ist und
gerade diese Ungewißheit zu unzumutbaren betrieblichen oder wirtschaftlichen Belastungen
des Arbeitgebers führt. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat mehrfach die Auffassung
vertreten, daß eine Kündigung wegen langanhaltender AU nur das äußerste Mittel
("ultima ratio") sein dürfe. Der Arbeitgeber muß stets prüfen, ob die
Kündigung nicht durch mögliche oder zumutbare Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden
kann. Liegt eine Betriebsstörung letztlich nicht vor, ist die langanhaltende AU
kündigungsrechtlich unbeachtlich. Für eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen
gelten die für die Kündigung bei langanhaltender AU aufgestellten Grundsätze
entsprechend. Eine Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen ist daher nur sozial
gerechtfertigt, wenn die prognostizierten Kurzerkrankungen die Besorgnis weiterer
häufiger Fehlzeiten sowie eine sich hieraus ergebende erhebliche Beeinträchtigung der
betrieblichen Interessen erwarten lassen. Dabei sind die Dauer des
Arbeitsverhältnisses und die Krankheitsursache zu berücksichtigen (=
Interessenabwägung). -1-
Nun hat das BAG in einem aktuellen Rechtsstreit erneut zur Kündigung wegen häufiger
Kurzerkrankungen Stellung bezogen und dabei seine bereits früher geäusserte
Rechtsauffassung mit Urteil vom 20. Januar 2000 bekräftigt.
-2-
Der Fall: Ein schwerbehinderter Arbeitnehmer ist seit 1986 bei einem
Arbeitgeber als Maschinenarbeiter tätig. Er ist 1957 geboren, verheiratet und fünf
Kindern unterhaltspflichtig. Seit 1990 kam es vermehrt zu krankheitsbedingten Fehlzeiten.
Von 1995 bis 1997 fehlte der Arbeitnehmer jährlich 67, 109 bzw. 104 Arbeitstage. Von 1990
bis 1997 entstanden dem Arbeitgeber Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von mehr als 60.000
DM. Am 9. Oktober 1997 stimmte der Betriebsrat der vom Arbeitgeber beabsichtigten
ordentlichen Kündigung zu. Auch die Hauptfürsorgestelle erteilte ihre Zustimmung,
allerdings erst mit Bescheid vom 21. Januar 1998. Die dagegen vor dem Verwaltungsgericht
erhobene Klage ist noch nicht entschieden. Am 3. Februar 1998 kündigte der Arbeitgeber
das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 30. Juni 1998, ohne den Betriebsrat erneut
anzuhören. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht (LAG Berlin, Urteil vom 15. Februar
1999 - 9 Sa 126/98 -) haben die Kündigungsschutzklage des Arbeitnehmers abgewiesen. Die
Revision des Arbeitnehmers führte zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das LAG
(Urteil des BAG vom 20. Januar 2000 - 2 AZR 378/99 -).
Entscheidungsgründe: Zwar scheitere die Wirksamkeit der Kündigung
nicht schon am Fehlen einer ordnungsgemäßen Betriebsratsanhörung. Bei der Kündigung
des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten könne die Anhörung des Betriebsrats
auch schon vor der Durchführung des Zustimmungsverfahrens bei der Hauptfürsorgestelle
erfolgen. Eine Wiederholung des Anhörungsverfahrens sei nur dann erforderlich, wenn sich
vor Ausspruch der Kündigung der Kündigungssachverhalt wesentlich verändert habe. Dies
sei hier nicht der Fall gewesen. Die soziale Rechtfertigung der Kündigung (§ 1 Abs. 2
Kündigungsschutzgesetz - KSchG -) lasse sich jedoch noch nicht abschließend beurteilen.
Das Berufungsgericht habe angenommen, nach den Diagnosen der einzelnen Erkrankungen sei
damit zu rechnen gewesen, daß der Arbeitnehmer (Kläger) auch in Zukunft jährliche
krankheitsbedingte Fehlzeiten in nicht unerheblichem Umfang aufweisen werde und deshalb
bei ihm künftig Entgeltfortzahlungskosten für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen
jährlich zu erwarten gewesen seien. Dies sei revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Das
LAG habe jedoch im Rahmen der Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht alle
maßgeblichen Umstände berücksichtigt, indem es die familiären Verhältnisse des
Klägers und dessen Schwerbehinderung völlig außer Betracht gelassen habe. Im Rahmen der
Interessenabwägung sei zu prüfen, ob die betrieblichen Beeinträchtigungen durch die
Krankheiten des Arbeitnehmers aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls vom Arbeitgeber
billigerweise noch hinzunehmen seien oder ihn überforderten. Die Unterhaltspflichten und
eine eventuelle Schwerbehinderung des Arbeitnehmers beeinflussten das Gewicht seines
Interesses an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes und seien deshalb grundsätzlich bei
einer krankheitsbedingten Kündigung im Rahmen der Interessenabwägung zu
berücksichtigen. Je mehr Unterhaltspflichten den Arbeitnehmer treffen, um so höher sei
seine soziale Schutzbedürftigkeit. Auch der Schwerbehinderte sei in besonderem Maße
sozial schutzwürdig (vgl. Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz - GG -). Die der
Tatsacheninstanz vorbehaltene Prüfung, ob angesichts der erheblichen Krankheitszeiten des
Arbeitnehmers und der zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten die familiären
Verhältnisse des Klägers und seine Schwerbehinderung tatsächlich bei der
Interessenabwägung zu seinen Gunsten den Ausschlag geben könnten, werde das LAG nach der
Zurückverweisung nachzuholen haben.
-1- Zitiert aus
Schell, W. "Arbeits-- und Arbeitsschutzrecht für die Pflegeberufe von A bis Z"
-2- Pressemitteilung des BAG Nr. 6/2000
Werner Schell (26.8.2000)
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