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Ist eine Freiheitsentziehung in der eigenen Wohnung zulässig?

§ 1906 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) 1 regelt die fürsorgliche Freiheitsentziehung von unter Betreuung stehenden Personen bzw. solchen Personen, die die Wahrnehmung solcher Aufgaben schriftlich auf einen Bevollmächtigten übertragen haben. Dabei wird zwischen der Unterbringung, vor allem in einer (geschlossenen) Einrichtung nach § 1906 Abs. 1 - 3 BGB, und einer unterbringungsähnlichen Maßnahme nach § 1904 Abs. 4 BGB (z.B. Anbringung eines Bettgitters, Fixierung, Einschließung, Freiheitsentziehung durch Medikamentengabe) unterschieden.
Nach dem Wortlaut des § 1906 BGB sind freiheitsentziehende Maßnahmen im Rahmen der Familienpflege nicht den Genehmigungserfordernissen des Betreuungsrechts unterworfen worden. Solche Maßnahmen sind, wenn sie im familiären Bereich erforderlich werden, nur den allgemeinen Schranken der strafrechtlichen Vorschriften zur Freiheitsberaubung (§ 239 Strafgesetzbuch - StGB -) unterworfen. Danach können freiheitsentziehende Maßnahmen in der familiären Betreuung immer dann als begründet angesehen werden, wenn sie durch bestimmte Gründe gerechtfertigt sind, so zum Beispiel bei der Einwilligung der betroffenen Person oder im Rahmen der Nothilfe oder Notwehr.

§ 239 StGB (Auszug):
(1) Wer einen Menschen einsperrt oder auf andere Weise der Freiheit beraubt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Der Versuch ist strafbar.
...

Es wird in der Literatur unterschiedlich bewertet, ob es richtig war, die familiäre Freiheitsentziehung von der fürsorglichen Aufsicht und Genehmigungspflicht des Vormundschaftsgerichts auszunehmen. Damit ist letztlich auch den Angehörigen die Möglichkeit genommen, notwendige Maßnahmen einer Freiheitsentziehung auf eine rechtlich nachvollziehbare Basis zu stellen.
Freiheitsentziehende Maßnahmen in der eigenen Wohnung sind anders einzuschätzen, wenn es sich nicht um eine Versorgung durch die Familie, sondern um eine Versorgung durch einen ambulanten Pflegedienst handelt

Diese rechtliche Beurteilung ergibt sich u.a. aus dem Beschluß des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 28. April 1998 - 50 XVII G 361 - 2
Dabei ging es um folgenden Sachverhalt: Eine unter Betreuung stehende Person wurde in ihrer Wohnung durch eine Hauspflegestation versorgt; sechsmal am Tag wurde sie besucht. Die Pflegekräfte sollten jeweils beim Verlassen der Betreuten die Wohnung abschließen. Der Betreuer hielt solche Sicherungsmaßnahmen für geboten und beantragte die vormundschaftsgerichtliche Genehmigung. Zur Begründung führte der Betreuer aus, daß die Betreute häufig nachts ihre Wohnung im Zustand völliger Verwirrung verlassen habe und dann auf der verkehrsreichen Straße vor ihrem Haus herumgeirrt sei. Einen Heimaufenthalt bzw. andere fürsorgliche Maßnahmen lehne die Betreute ab. Das Vormundschaftsgericht genehmigte die Einschließung der Betreuten nach § 1904 Abs. 4 als unterbringungsähnliche Maßnahme. 1
In den Gründen seines Beschlusses hat das Vormundschaftsgericht u.a. ausgeführt: Es ist zum Wohl der Betreuten notwendig, sie zeitweilig in ihrer Wohnung einzuschließen. Diese Freiheitsentziehung durch mechanische Vorrichtungen ist eine unterbringunsgähnliche Maßnahme im Sinne des § 1906 Abs. 4 BGB und als solche genehmigungspflichtig.
§ 1906 Abs. 1 BGB findet keine Anwendung, da der Begriff der mit Freiheitsentziehung verbundenen Unterbringung eine Unterbringung in einer geschlossenen Anstalt, in einem geschlossenen Krankenhaus oder einem geschlossenen Heim voraussetzt. Damit fällt das regelmäßige Einschließen des Betreuten in seiner eigenen Wohnung wegen des engen Unterbringungsbegriffes des § 1906 Abs. 1 BGB nicht unter diese Vorschrift.
Da die Betreute bei einem Aufenthalt außerhalb der eigenen Wohnung massive Fehlhandlungen begangen hat, die bei ihrem Verbleib in ihrer Wohnung nicht auftreten, stellt das zeitweise Einschließen der Betreuten in ihrer Wohnung den milderen Eingriff in ihre persönliche Freiheit dar als ein erzwungener (weil gegen den Willen der Betreuten gerichteter) Aufenthalt im Heim bei dem zusätzliche Maßnahmen notwendig sind, um die von der Betreuten zu erwartenden Fehlhandlungen zu verhindern. Die Betreute kann ihrem Wunsch gemäß in ihrer vertrauten Wohnung leben und das Einschließen kann auf das unbedingt notwendige Zeitmaß beschränkt werden. Das ist die Zeit zwischen dem letzten Besuch der Hauspflege um 1.00 Uhr nachts und dem ersten Besuch der Hauspflege am Morgen um 7.00 Uhr. Das regelmäßige Einschließen ist damit auf einen relativ eng begrenzten zeitlichen Rahmen begrenzt.
Gleichwohl ist eine Verhältnismäßigkeit des Eingriffs nach Auffassung des Gerichts nur dann gegeben, wenn durch weitere Schutzvorkehrungen gewährleistet ist, daß die Betreute im Notfall (wie etwa nach einem Sturz oder bei einem Brand) durch das Abschließen der Wohnungstür nicht einer Gefahr erst ausgesetzt wird, die ohne diese Schutzmaßnahme nicht bestünde. Aus diesem Grund war die unterbringungsähnliche Maßnahme nur im Zusammenhang mit einem von einer Bedienung durch die Betreute unabhängigen Notrufsystem zu genehmigen.

Werner Schell

1 in der Fassung des Betreuungsrechtsänderungsgesetzes - BtÄndG - vom 25.6.1998 (BGBl. I S. 1580).
2 Quelle: Zeitschrift Betreuungsrechtliche Praxis - BtPrax, Heft 5/98, Seite 194/195).
3 Der Beschluß des Landgerichts Hamburg vom 9.9.1994 - 301 T 206/94 - (Quelle: Roßbruch, R.: Handbuch des Pflegerechts. Loseblattsammlung; Luchterhand Verlag, Neuwied) geht ebenfalls von der Genehmigungsfähigkeit der Einschließung einer verwirrten und orientierungslosen Betreuten aus. Es ging in diesem Verfahren auch um die Gefahr, daß sich die Betreute beim Verlassen der Wohnung einer erheblichen Gefahr aussetzte.