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"Viele Druckgeschwüre bleiben unbehandelt" - Immer noch bestehende große Defizite in der
Dekubitusprävention und –versorgung
Köln, 11. März 2002 - Auch drei Jahre nach dem
Hamburger Dekubitus-Skandal bestehen in der Prävention und Versorgung von
Druck-Geschwüren noch große Defizite. Das meldet die gerade erschienene
Ausgabe von PRO ALTER, das Fach-Magazin des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA).
Das KDA bezieht sich dabei auf die Ergebnisse einer neuen Studie aus Hannover.
Im Zeitraum von Februar 1999 bis Ende letzten Jahres hat der Rechtsmediziner
Joachim Eidam bei 14,4 Prozent von über 12.000 untersuchten verstorbenen
Menschen Druckgeschwüre (Dekubitalulcera) der unterschiedlichsten
Ausprägungsgrade festgestellt. Im Vergleich dazu war in der Hamburger Studie,
bei der rund 10.000 Verstorbene vor ihrer Einäscherung untersucht worden waren,
"nur" eine Rate von 11,1 Prozent an Dekubitalgeschwüren ermittelt
worden. "Jeder einzelne Dekubitus ist einer zuviel", doch noch mehr
empört den an der Medizinischen Hochschule in Hannover tätigen Facharzt für
Rechtsmedizin die Tatsache, dass viele der Dekubitalulcera, die er im
Krematorium zu sehen bekommt, entweder nicht, zu spät oder falsch von
Angehörigen, Pflegepersonal oder Ärzten behandelt worden sind. "Da ist
nichts unternommen worden, denn sonst hätten keine Wunden entstehen können,
die in den schlimmsten Fällen pizzatellergroße Zonen aufweisen und bei denen
man in der Mitte durch alle Gewebeschichten bis auf den Knochen sehen
kann", berichtet Joachim Eidam in PRO ALTER. "An einigen
Körperstellen fiel die Haut in schwarz-grauen Fetzen ab." Er habe "jauchig
zerfallende Geschwüre mit stellenweise schwarz-nekrotischen Wundrändern"
gesehen. Das bedeutet, dass die Betroffenen unerträgliche Schmerzen erleiden
mussten. Eidam könne zudem nicht ausschließen, dass diese Ignoranz der
verantwortlich Pflegenden in einigen Fällen zum Tod der Betroffenen geführt
habe. Ob die Verstorbenen zuletzt zu Hause oder im Pflegeheim versorgt worden
sind, erfährt der Rechtsmediziner bei seinen "äußeren
Leichenbesichtigungen" im Krematorium meist nicht. Er weiß aber, dass es
sich bei ihnen um hilfe- und pflegebedürftige Menschen gehandelt haben muss,
denn nur bei bewegungseingeschränkten oder -unfähigen Personen entwickeln sich
Druckgeschwüre.
"Als ob jemand bei lebendigem
Leib verfault"
Oft war der letzte Aufenthaltsort eines Verstorbenen aber das Krankenhaus. Und
hier liegt das für Joachim Eidam zur Zeit größte Problem in der
Dekubitus-Entstehung. Viele alte Menschen müssten aufgrund einer
Akut-Erkrankung von zu Hause oder aus dem Pflegeheim ins Krankenhaus gebracht
werden. Aus zahlreichen Gesprächen mit Angehörigen oder dem
Altenpflegepersonal wisse er, dass die Erkrankten noch mit "heiler
Haut" ins Hospital gegangen seien, wo sie dann aufgrund mangelhafter oder
fehlender Prophylaxe aber erst einen Dekubitus entwickelt hätten. Doch gerade
dort sollten solche Druckgeschwüre konsequent zu verhindern sein. Zwar hat
Eidam auch festgestellt, dass in den letzten zwei Jahren seiner Untersuchung die
"richtig schlimmen Fälle" seltener geworden sind, doch nach wie vor
sehe er an Verstorbenen immer wieder derartig große, infizierte Wunden, die
noch zu Lebzeiten des Betroffenen "gestunken haben müssen, als ob jemand
bei lebendigem Leib verfault." Der Hannoveraner Rechtsmediziner führt das
aber nicht nur auf fahrlässiges "Übersehen", sondern auch auf die
"oft erschreckend große Unkenntnis im Hinblick auf die Entstehung eines
Dekubitus, seine Vermeidung und Behandlung" zurück. Viele Ärzte und
Pflegekräfte wissen nicht, dass ein Dekubitus in der Regel nicht von außen
nach innen, sondern von innen nach außen entsteht. Diese Erkenntnis hat aber
enorme Konsequenzen. "Es bedeutet, dass man - noch längst bevor erste
Anzeichen wie zum Beispiel eine nicht wegdrückbare Hautrötung erkennbar sind -
vorbeugend handeln muss", erklärt Joachim Eidam in PRO ALTER. Seiner
Erfahrung nach glaubten aber viele Pflegekräfte und Ärzte, dass keine Gefahr
bestehe, solange sie außen an der Haut nichts sähen. Das sei aber ein
Trugschluss mit schwerwiegenden Folgen. "Dabei bietet die Pflegepraxis
verschiedene Risiko-Skalen zur standardisierten Einschätzung einer
Dekubitus-Gefahr an", erklärt die KDA-Pflegeexpertin Christine Sowinski in
PRO ALTER. "Nur werden sie oft genug gar nicht erst angewendet oder man
zieht nicht die geeigneten Konsequenzen daraus." Ist erst ein
Druckgeschwür entstanden, kommt es auf die richtige Therapie an. Doch auch hier
liegt nach Angaben von Sowinski und Eidam noch Vieles im Argen. "In der
Dekubitus-Behandlung werden zum Teil immer noch Methoden angewendet, deren
Wirksamkeit wissenschaftlich nie belegt worden ist", kritisieren beide.
Abhilfe durch Ersten Nationalen
Pflegestandard
In Bezug auf die Dekubitusprophylaxe sei nun aber künftig "Schluss mit
solchen Unsicherheiten". In PRO ALTER weist Christine Sowinski darauf hin,
dass im Jahr 2000 der erste deutsche "Nationale Expertenstandard in der
Pflege" zum Thema Dekubitusprophylaxe veröffentlicht worden sei.
Juristisch gelte ein nationaler Expertenstandard als eine Art
"vorweggenommenes Sachverständigengutachten", erklärt Sowinski. Das
habe erhebliche Konsequenzen für den Pflegealltag. "Die Umsetzung des
Nationalen Pflegestandards ist nicht in das Belieben der einzelnen
Pflege-Einrichtungen gestellt, sondern wird aus pflegefachlicher Sicht
vorausgesetzt. Tritt ein Dekubitus auf, muss die Einrichtung nachweisen, dass
sie dem Standard entsprechend gearbeitet hat." Könne eine
Pflegeeinrichtung aber nicht nachweisen, dass sie alles fachlich Erforderliche
zur Vermeidung eines Druckgeschwüres unternommen hat, kann es dazu kommen, dass
sie die Kosten für die Behandlung des Dekubitus in einem Krankenhaus tragen
muss. "Leider ist aber in vielen Einrichtungen dieser Standard noch nicht
bekannt oder er wird nicht als relevant erachtet", beklagt Christine
Sowinski. Dass es auch anders geht, zeigen die positiven Beispiele in dem
KDA-Magazin. So habe die gelungene Einführung des Expertenstandards im Haus zum
Guten Hirten in Bocholt zu einer spürbaren Verbesserung geführt. "Vor
allem die Reaktionszeit beim Auftreten eines Dekubitus hat sich
verringert", berichtet Renate Jormann, die Projektbeauftragte zur
Einführung des Pflegestandards, in PRO ALTER. "Rötungen an Ferse, Ohren
oder entlang der Wirbelsäule sind früher nicht richtig erkannt worden, und
unter Umständen dauerte es fast zwei Wochen, bis der Pflegedienstleitung die
Hautveränderungen gemeldet worden sind. Heute verstecken sich die Mitarbeiter
nicht mehr aus Angst vor Pflegefehlern, sondern teilen schon erste Rötungen
mit."
Bei der Evangelischen Altenhilfe Gesundbrunnen
e.V. in Hofgeismar hat man sich entschlossen, eine Art "Dekubitus-Task-Force"
einzurichten. Dahinter verbirgt sich eine unbefristete Stelle für eine
examinierte Altenpflegerin, der jedes aufgetretene Druckgeschwür gemeldet
werden muss und die den Behandlungs- und Heilungsverlauf begleiten wird,
schreibt PRO ALTER.
Weitere Informationen finden Sie unter http://www.kda.de
Quelle: Pressemitteilung des Kuratoriums Deutsche Altershilfe - Wilhelmine Lübke Stiftung e. V. vom 11.03.2002
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