Pflegenoten sind ein Ausdruck zeitgenössischer Krankheit

Gesundheitswesen, Krankenhaus- und Heimwesen, Katastrophenschutz, Rettungsdienst, Arzneimittel- und Lebensmittelwesen, Infektionsschutzrecht, Sozialrecht (z.B. Krankenversicherung, Pflegeversicherung) einschl. Sozialhilfe und private Versorgung

Moderator: WernerSchell

Antworten
Presse
phpBB God
Beiträge: 14249
Registriert: 10.11.2006, 12:44

Pflegenoten sind ein Ausdruck zeitgenössischer Krankheit

Beitrag von Presse » 14.05.2013, 06:36

Nachdem sich die Pflegeheimleiterinnen und -leiter im Frankfurter Forum für Altenpflege im Januar 2013 gegen den sogenannten Pflege-TÜV ausgesprochen haben, meldet sich nun in einem Gespräch Reimer Gronemeyer zu Wort, Professor für Soziologie und Theologe, der auch Vorstandsvorsitzender der Aktion Demenz e.V. ist.
Er sagt: "Pflegenoten sind ein Ausdruck zeitgenössischer Krankheit." Wie sich diese "Krankheit" äußert, erklärt er am Lebenszusammenhang der Menschen, die in Altenpflegeheimen leben und arbeiten.
Das vollständige Interview steht zum DownLoad auf der Webseite des FFA bereit.
Quelle: Mitteilung vom 13.05.2013
Beate Glinski-Krause
Leiterin des Netzwerkbüros
FRANKFURTER FORUM FÜR ALTENPFLEGE
60323 Frankfurt am Main | Wiesenau 57
E-Mail: info@ffa-frankfurt.de | Telefon: 069 / 61 99 44 51
+++

FFA-INTERVIEW
Stellungnahme zum Thema "Pflegenoten" im Gespräch
Beate Glinski-Krause mit Prof. Reimer Gronemeyer


"Pflegenoten sind ein Ausdruck zeitgenössischer Krankheit"

FFA: Im Januar 2012 haben Sie in Berlin ein Referat über Pflegenoten gehalten, dessen Inhalte Sie auch in Ihrem neuen Buch
"Das 4. Lebensalter" ansprechen. Könnten Sie dazu etwas sagen?

Gronemeyer: Pflegenoten sind ein Ausdruck zeitgenössischer Krankheit. Wir meinen, uns sicher fühlen zu können, wenn wir etwas gemessen haben, wenn wir es standardisiert haben, wenn wir es evaluiert haben und qualitätskontrolliert haben. Der Umgang mit meinen Kindern oder der Umgang mit meiner Freundin - da kann man keine Punkte verteilen. Und genauso ist der Versuch, Pflegenoten zu geben eingestandenermaßen gescheitert. Ich kenne keinen, der der Meinung ist, dass das eine gute Idee war. Ein Kollege, der Interviews im Pflegeheim gemacht hat, hat mir neulich folgende Geschichte dazu erzählt. „Wie fühlen Sie sich hier?“ Alle fühlten sich ganz toll. Und am Schluss des Interviews hat dann eine der Interviewpartnerinnen, eine 85-jährige Dame gesagt: „Ist das Verhör jetzt zu Ende? Dann will ich jetzt mal sagen, was hier wirklich los ist.“

Im Pflegeheim sagt man als Betroffener schon einmal nichts Negatives. Das kann man sich gar nicht leisten. Schon gar nicht aus dieser Generation. Die 68er werden das vielleicht anders machen. Die Generation, die aus dem Nationalsozialismus kommt, die ist an Gehorsam gewöhnt, die widerspricht erst einmal nicht. Mit den Pflegenoten kriegt man nichts zu sehen, was einem irgendwie weiterhilft. Das wissen alle. Und von daher muss man sagen, weg damit. Einfach deswegen, weil diese Vorstellung, man könne das, was im Pflegeheim passiert, in Noten fassen, pervers ist.

Das ist ein Zwang, eine Idiotie zu meinen, man könne Missstände durch Kontrolle in den Griff kriegen. Wenn ein Pfleger bereit ist, einen alten Menschen zu quälen, dann wird er es auch mit Pflegenoten hinkriegen.

Das vollständige Interview finden Sie unter
http://www.ffa-frankfurt.de/pm-aktuelle ... 05-13.html

WernerSchell
Administrator
Beiträge: 25258
Registriert: 18.05.2003, 23:13

Pflege-TÜV bleibt in der Kritik - BSG-Urteil wenig hilfreich

Beitrag von WernerSchell » 19.05.2013, 18:22

Aus Forum:
viewtopic.php?t=19057

Bild Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk
Unabhängige und gemeinnützige Interessenvertretung
für hilfe- und pflegebedürftige Menschen in Deutschland
Harffer Straße 59 - 41469 Neuss

Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk führt regelmäßig Pflegetreffs mit bundesweiter Ausrichtung durch.
Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk ist Kooperationspartner der „Aktion Saubere Hände.“
Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk ist Initiator bzw. Mitbegründer des Quartierkonzeptes Neuss-Erfttal.
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk ist Unterstützer von "Bündnis für GUTE PFLEGE".
Pro Pflege - Selbsthilfetzwerk ist Unterstützer der "Charta zur Betreuung schwerstkranker und sterbender Menschen".
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk tritt für wirksame Patientenrechte und deren Durchsetzung ein.
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk ist Mitgründer und Mitglied bei "Runder Tisch Demenz" (Neuss).


Pressemitteilung vom 18.05.2013

Der sog. Pflege-TÜV wurde keiner materiell-rechtlichen Prüfung unterzogen - Das BSG weist Revision mangels Rechtsschutzbe-dürfnis als unzulässig zurück

Es hat in den letzten Jahren eine Vielzahl von Klagen gegeben, mit denen die Rechtmäßigkeit des sog. Pflege-TÜV bestritten wurde. Es kam zu unterschiedli-chen Entscheidungen. Gleichwohl waren sich die meisten Pflege-Experten darin einig, dass die Pflegetransvereinbarungen (PTV) als Grundlage der Qualitätssicherung in den Pflegeeinrichtungen ungeeignet sind. Dem gesetzlichen Auftrag wird damit nicht entsprochen.

Im Gefolge der vielfältigen Streitverfahren hat die CBT-Caritas- Betriebsfüh-rungs- und Trägergesellschaft mbH, Köln (Klägerin) vor dem Bundessozialgericht (BSG) eine höchstrichterliche Entscheidung angestrebt. In seinem Urteil des BSG vom 16.05.2013 - B 3 P 5/12 R - war es aber leider nicht möglich, die gewünschte Klärung durchzusetzen.

Insoweit ist aber wichtig zu wissen: Das BSG hat „lediglich“ die eingereichte Revision mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses zurückgewiesen. Laut Pressemitteilung des BSG habe „die Klägerin keinen Anspruch darauf, die Rechtswidrigkeit der Erstellung und Veröffentlichung von Transparenzberichten feststellen zu lassen“. Die erhoffte materiell-rechtliche Prüfung des Schulnotensystems gab es daher seitens des BSG nicht. Gleichwohl hat das BSG viele Probleme in der Umsetzung des gesetzlichen Auftrages gesehen, Transparenz über die Qualität in der Pflege herzustellen. Es konnte sich aber aus rechtlichen Erwägungen insoweit nicht zu einem Eingreifen entschließen. Nun liegt die "Spielball" erneut im politischen Feld.

Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk bedauert die getroffene Entscheidung des BSG zum Pflege-TÜV (Schulnoten für Pflegeeinrichtungen) und sieht eine Chance vertan, wirkungsvoll einzufordern, das Bewertungssystem für Pflegeeinrichtungen einer grundlegenden Reform zu unterziehen. Damit bleibt der Pflege-TÜV in seiner jetzigen Ausgestaltung (vorerst) in verbraucherfeindlicher und rechtswidriger Weise bestehen.

Vgl. dazu auch die Beiträge unter: viewtopic.php?t=18666 Dort ist u.a. auch eine Pressemitteilung der Klägerin zum Prozessausgang nachlesbar. Weitere Informationen finden Sie auf der Internetseite der Anwaltskanzlei Hopfenzitz http://www.hopfenzitz.info/aktuelles/ und beim Moratorium Pflegenoten http://www.moratorium-pflegenoten.de/

Wie schon vor Jahren erklärt, gehört der Pflege-TÜV aufgelöst. Die dadurch eingesparten Finanzmittel (man schätzt insgesamt ca. 3 Milliarden Euro) sollten ergänzend für eine umfassende Pflegereform genutzt werden, die diesen Namen verdient (z.B. Verbesserung des Pflegebedürftigkeitsbegriffes zu Gunsten der Demenzkranken und Schwerstpflegebedürftigen, deutliche Anhebung der Stellenschlüssel in den Pflegeeinrichtungen, verbunden mit weiteren Maßnahmen zur Auflösung der Arbeitsverdichtungen im Pflegesystem).

Wir brauchen mehr Pflegekräfte an den Pflegebetten, und zwar zu verbesserten Konditionen, und nicht ständig hohen Druck durch vielfältige Prüfinstanzen, die dann auch noch zu allem Übel nicht Ergebnis- und Lebensqualität, sondern letztlich die Dokumentationen bewerten. Das muss beendet werden!

Manfred Borutta, Pflegewissenschaftler, schrieb in der Zeitschrift „Dr.med.Mabuse“, Juli/August 2009 u.a.: „Man bleibt orientierungslos, wenn man sich anhand von Noten ein Bild von der Qualität der Pflegeleistungen machen will. Pflege ist so nicht messbar. Wir müssen in dieser Gesellschaft endlich diskutieren, was uns Pflege bedeutet.“ - Dem kann man auch heute noch uneingeschränkt zustimmen!

Der Neusser Pflegetreff am 28.05.2013 wird über wichtige Aspekte einer not-wendigen Pflegereform informieren und diskutieren (vgl. dazu die Hinweise unter viewtopic.php?t=18156 ). Danach wird Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk den Druck auf die politisch Verantwortlichen in Bund, Ländern und Kommunen erhöhen.

In einem Statement von Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk vom 06.09.2010 wurde bereits ausgeführt:
Wichtiger als Schulnoten wäre eine wirkliche Reform der Pflegesysteme an „Haupt und Gliedern“. Ein erweiterter Pflegebedürftigkeitsbegriff und deutliche Leistungsausweitungen, die eine zuwendungsorientierte Pflege ermöglichen, sind dringend erforderlich. Zu einer Reform gehört zwingend, dass erheblich mehr Pflegefachpersonal in den Pflegeeinrichtungen zum Einsatz kommt. Menschen werden nur durch Menschen gepflegt und Abschied von der sog. Minutenpflege geht nur über Personalverstärkungen. Für die bundesweit einheitliche Personalberechnung in den Pflegeeinrichtungen, aber auch in den Krankenhäusern, bedarf es der Schaffung von Personalbemessungssystemen. Zur Zeit erfolgt der Pflege-Personaleinsatz mehr oder weniger nach Kassenlage. – Ein untragbarer Zustand!

Werner Schell – Dozent für Pflegerecht und Vorstand von Pro Pflege – Selbsthilfenetzwerk

Die vorstehende Pressemitteilung ist zur Veröffentlichung frei
Pro Pflege - Selbsthilfenetzwerk (Neuss)
https://www.pro-pflege-selbsthilfenetzwerk.de/
Bild

Antworten