Zukunft mit mehr Kindern
Gutachten zu einer nachhaltigen Familienpolitik vorgestellt
Der Wirtschaftssachverständige Prof. Dr. Bert Rürup und die
Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Renate Schmidt,
haben ein Gutachten mit Eckpunkten für eine nachhaltige Familienpolitik
vorgestellt. Das Gutachten "Nachhaltige Familienpolitik im Interesse einer
aktiven Bevölkerungsentwicklung" überprüft die Bedingungen für die
Familiengründung in Deutschland. Vor dem Hintergrund der demographischen Trends
und ökonomischen Auswirkungen werden Leitlinien einer nachhaltigen
Familienpolitik entwickelt. Nachhaltige Familienpolitik umschließt das
Erreichen zweier Ziele: Erstens eine steigende Kinderzahl und zweitens die
Erhöhung der Frauenerwerbstätigenquote. Familienfreundlichkeit wird aus einer
ökonomischen Perspektive als bedeutender Faktor der wirtschaftlichen
Entwicklung definiert.
"Wenige Kinder und eine geringe Erwerbsbeteiligung der
Frauen vergrößern die volkswirtschaftlichen Probleme, die das Älterwerden
unserer Gesellschaft mit sich bringt. Alternde Gesellschaften sind aller
Erfahrung nach wenig dynamisch und damit wachstumsschwach", warnt Prof.
Rürup, der das Gutachten im Auftrag des Bundesministeriums für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend erstellt hat. "In der langen Frist entlastet
uns nur eine Trendumkehr in der Geburtenentwicklung." Bundesministerin
Schmidt unterstützt diese Sicht: "Als Deutschland jung war, wurde viel in
die sozialen Sicherungssysteme investiert, so dass insbesondere den alten
Menschen ein gesichertes Einkommen ermöglicht wurde. Heute, da Deutschland
altert, sollten wir primär in Kinder und ihre Familien investieren."
Der internationale Vergleich zeigt: In anderen - in sozialer
und kultureller Hinsicht vergleichbaren - europäischen Ländern gibt es
deutlich mehr Kinder. Gleichzeitig weisen diese Länder eine geringere
Familienarmut, bessere Bildungsergebnisse und eine höhere Frauenerwerbsquote
auf. Dabei liegt Deutschland, was die öffentlichen Ausgaben für Familien
betrifft, unter den OECD-Staaten auf einem der vorderen Ränge. Anders als in
familienpolitisch erfolgreicheren Ländern fließt der Großteil der Mittel
allerdings in direkte Transfers, deutlich weniger in Dienstleistungen für
Familien. Die Aufwendungen für Bildung, Betreuung und Erziehung zählen
international zu den eklatant niedrigen.
Prof. Rürup entwickelte ein ökonomisches Modell, wie
Kinderwünsche besser realisiert werden können und was Familienpolitik dafür
tun soll: "Wer Kinder bekommt, kann andere Tätigkeiten und den damit
verbundenen Nutzen nicht wahrnehmen und hat langfristig beträchtliche
Einkommensverluste. Je leichter der Wiedereinstieg in den Beruf nach der Geburt
eines Kindes ist, desto geringer fallen diese Opportunitätskosten aus."
Einen Lösungsansatz sieht das Gutachten in der intelligenten Kombination von
unterstützender Infrastruktur durch Kinderbetreuung und einer besseren Balance
von Familie und Arbeitswelt. Mehr Zeit für Kinder, insbesondere eine optimale
Gestaltung der Elternzeit, sind ein wesentliches Element dieser Balance.
Bundesfamilienministerin Renate Schmidt kommentiert das in
ihrem Auftrag erstellte Gutachten: "Der Charme der Familie für jeden
Einzelnen von uns bedarf keiner Begründung. Das Neuartige an Prof. Rürups
Gutachten ist, dass es den ökonomischen Charme der Familie herausarbeitet.
Unsere Gesellschaft braucht mehr Kinder. Die von Prof. Rürup vorgeschlagene
Mischung aus verbesserter Infrastruktur und Zeitpolitik könnte entscheidend
dazu beitragen, dass wir in Zukunft mehr Kinder, weniger Armut in den Familien
und mehr erwerbstätige Frauen in Deutschland haben."
Prof. Bert Rürup und Renate Schmidt sind sich darin einig,
dass insbesondere der Ausbau der Kinderbetreuung entscheidend dazu beitragen
wird. Bundesfamilienministerin Renate Schmidt verweist auf die Initiativen der
Bundesregierung: "Der vom Bund geförderte Ausbau der Kinderbetreuung mit
Milliardeneinsatz ist grundlegende Voraussetzung für eine Zukunft mit mehr
Kindern." Für den Ausbau der Betreuung der unter Dreijährigen stellt die
Bundesregierung ab 2005 aufwachsend jährlich bis zu 1,5 Milliarden Euro bereit.
Der Ausbau der Ganztagsschulen wird mit einem Investitionsprogramm von insgesamt
4 Mrd. Euro gefördert. "Was die Anzahl der Plätze und die Qualität
betrifft, wollen wir bis 2010 den Anschluss an das Niveau in den meisten anderen
OECD-Ländern erreichen." Prof. Rürup fügte hinzu, dass auf mittlere
Sicht, eine verkürzte und besser ausgestattete Elternzeit, wie es sie in
Schweden schon gibt, eine zusätzliche interessante Perspektive für Deutschland
darstellen sollte.
as Gutachten soll nach Ansicht der Bundesfamilienministerin
den Ausgangspunkt eines neuartigen Ansatzes markieren: "Junge Menschen
wollen Kinder. Wir brauchen mehr Kinder. Beides lässt sich vereinbaren.
Familienpolitik kann eine höhere Geburtenrate durch bessere Rahmenbedingungen
ermöglichen. Langfristig werden so höhere Wachstumsraten (BIP) erreicht, die
wiederum die sozialen Sicherungssysteme stabilisieren und dazu beitragen die
Wettbewerbsfähigkeit unseres Standortes zu sichern."
Zentrale Aussagen des von Prof. Bert Rürup im Auftrag des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend erstellten
Gutachtens "Nachhaltige Familienpolitik im Interesse einer aktiven
Bevölkerungsentwicklung"
1. Es gibt nicht zu viele Ältere, sondern zu wenig Junge
Vorschläge zur Bewältigung des demographischen Wandels
betreffen bislang zu einseitig die Alterung unserer Gesellschaft und die daraus
erwachsenden Konsequenzen. Erforderlich ist stattdessen eine strategische
Kombination aus drei Komponenten: Wir brauchen neue, auch betriebliche Konzepte,
welche ältere Menschen und deren Kompetenzen nicht ausgrenzen, sondern gezielt
einsetzen. Eine gesteuerte Zuwanderung sowie eine stärkere Erwerbsbeteiligung
von Frauen können ebenfalls helfen, den Arbeitskräftebedarf und die
Produktivitätsentwicklung auf mittlere Sicht abzusichern. Langfristig sind
diese Maßnahmen kein Ersatz für eine wirksame Familienpolitik. Es ist nötig,
eine Trendumkehr in der Geburtenentwicklung zu versuchen.
2. Unsere Gesellschaft braucht mehr Kinder
Für den Staat bzw. die Gesellschaft sind die sogenannten
externen Effekte von Kindern relevant. Mehr Kinder bedeuten mehr
Wirtschaftswachstum und damit mehr gesellschaftlichen Wohlstand. Das einzelne
Individuum mag keine Kinder "brauchen", die Gesellschaft benötigt sie
aber. Durch das Aufziehen und Erziehen ihrer Kinder bewirken Eltern positive und
verhindern negative externe Effekte. An diesen Leistungen hat sich der Staat
angemessen zu beteiligen. Es führt kein Weg an einer Familienpolitik vorbei,
die auf dem Grundsatz der Chancengleichheit von Frauen und Männern basiert und
die sich an den Lebenswünschen der überwiegenden Mehrheit orientiert, die
Familie und Erwerbsarbeit verbinden möchten.
3. Sinkende Geburtenraten sind kein Schicksal
Die Ursache der Geburtenentwicklung liegt in einer
Geburtenzahl, die seit 30 Jahren unter dem bestandserhaltenden Niveau liegt. Ein
ähnlicher Trend liegt in den meisten Industrieländern vor, das Ausmaß ist
gleichwohl sehr unterschiedlich. In einigen Ländern liegt die Marge wesentlich
näher am bestandserhaltenden Niveau. Politische Maßnahmen beeinflussen immer -
positiv oder negativ - das Reproduktionsverhalten von Menschen. Diese
Einflussnahme kann gewollt oder ungewollt, als Begleiterscheinung anderer
Maßnahmen, erfolgen. Andere OECD-Staaten, skandinavische Länder vor allem,
Frankreich oder die Niederlande, erreichten durch eine konsequent
familienfreundliche Politik über viele Jahre höhere Geburtenzahlen, eine
höhere Frauenerwerbstätigkeit, weniger Familienarmut und einen besseren
Bildungsstand als Deutschland.
4. Nicht kinderfeindlich, aber kinderfern
Was die öffentlichen Ausgaben für Familien angeht, liegt
Deutschland auf einem respektablen Rang im vorderen Drittel der OECD-Länder.
Insofern und auch gemessen am subjektiven Wohlbefinden der Familien und ihrer
unterschiedlichen Angehörigen ist unser Land nicht familienfeindlich. Anders
als in familienpolitisch erfolgreicheren Ländern - mit mehr Kindern, mit
weniger Familienarmut - war die deutsche Familienpolitik bislang ausgesprochen
transferfixiert. Die öffentlichen Aufwendungen für Erziehung, Bildung und
Betreuung unserer Kinder zählen zu den niedrigen im internationalen Vergleich.
In der Folge fehlt unseren Familien der notwendige Rückhalt einer guten
Infrastruktur. Deutschland ist ein kinderfernes Land geworden.
5. Förderung der Infrastruktur statt zusätzliche
Geldleistung
Mit der Schwerpunktsetzung auf direkte finanzielle Transfers
verband sich die Idee, "Einkommensgerechtigkeit" zwischen Familien und
Kinderlosen zu schaffen, damit sie sich Kinder "leisten" können. Der
Vergleich mit anderen OECD-Staaten zeigt unbefriedigende Ergebnisse. In einem
wachsenden Segment erhöhen in Deutschland Kinder das Armutsrisiko von Familien,
weil die Infrastruktur fehlt und die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht
möglich ist. Solange die Balance von Familie und Arbeitswelt in Deutschland
nicht gegeben ist, schieben junge Paare den Kinderwunsch lange heraus bzw.
verzichten ganz auf Kinder.
6. Kinderlosigkeit als eigentliches Problem
Das Ausmaß der Kinderlosigkeit stellt bei uns das eigentliche
demographische Problem dar. Von allen EU-Ländern hat Deutschland die höchste
Kinderlosenquote, insbesondere bei gut- bis hochqualifizierten Frauen. Etwa ein
Drittel aller 1965 geborenen Frauen wird aller Voraussicht nach dauerhaft
kinderlos bleiben. Die Entscheidung zwischen Karriere und Kind stellt sich für
Frauen insbesondere beim ersten Kind. Familien- und Erwerbstätigkeit lassen
sich in Deutschland nur mit großem Kraftaufwand und unter erheblichem Verzicht
vereinbaren. Da Kinderlosigkeit in Deutschland das eigentliche demographische
Problem darstellt, sollte die Familienpolitik versuchen, die Entscheidung für
das erste Kind positiv beeinflussen.
7. Senkung der Opportunitätskosten
Die Fokussierung auf ökonomische Aspekte rückt die
Determinanten in den Mittelpunkt, die politisch beeinflussbar sind. Wer Kinder
bekommt und aufzieht, kann andere Tätigkeiten und den damit verbundenen Nutzen
nicht wahrnehmen und hat regelmäßig beträchtliche Einkommensverluste. Eine
Verringerung dieser Opportunitätskosten im Zusammenhang mit eine Realisation
des Kinderwunsches kann insbesondere durch eine relativ gut bezahlte (kürzere)
Elternzeit in Kombination mit einer gut ausgebauten Kinderbetreuung erfolgen.
Der zum Beispiel in Schweden praktizierte Weg kann mittelfristig auch für
Deutschland attraktiv sein. Opportunitätskosten fallen vor allem an, wenn mit
der Geburt eines Kindes ein komplettes Einkommen wegfällt. Diese Kosten gilt es
zu verringern. Folglich sollten familienpolitische Maßnahmen insbesondere auf
die Senkung der Opportunitätskosten durch eine unterstützende Infrastruktur
und eine familienfreundliche Arbeitswelt abzielen.
8. Mehr Kinder und hohe Frauenerwerbstätigkeit sind vereinbar
Von unseren Nachbarländern kann man lernen, dass ein hohe
Erwerbsbeteiligung von Frauen nicht mit einer geringen Geburtenrate einher gehen
muss. Hohe Geburtenzahlen und hohe Erwerbsquoten können sogar als Komplemente
aufgefasst werden. Auch wenn man familienpolitische Maßnahmen, die in anderen
Ländern als erfolgreich eingestuft wurden, nur bedingt und mit Vorsicht auf
Deutschland übertragen kann, verdeutlichen diese Erfahrungen, dass es ein
realistisches Ziel ist, eine hohe Frauenerwerbstätigkeit mit einer höheren
Geburtenrate zu vereinbaren. An diesen Ländern sollte sich die künftige
Ressourcenverteilung auch in Deutschland orientieren.
9. Gute Betreuung und mehr Zeit für Kinder
Ein gutes Angebot an Kindertagesbetreuung erleichtert die
Balance zwischen Familien- und Erwerbsarbeit und senkt die Opportunitätskosten
für die Eltern. Ein Arbeitsangebot, welches den zeitlichen Präferenzen von
Eltern entgegen kommt, hilft, flexible Lösungen zwischen Tätigkeiten am
Arbeitsplatz und Tätigkeiten zu Hause zu entwickeln. Die Nachfrage nach solchen
Arbeitsplätzen ist eindeutig höher als das Angebot. Möglichkeiten für
Teilzeitbeschäftigung zu schaffen, sowohl für Niedrigqualifizierte und
Hochqualifizierte, ist daher dringend geboten. Über die "normale"
Teilzeitbeschäftigung (halbtags oder Drei-Tage-Woche) lässt sich die
Arbeitszeit noch weiter flexibilisieren. Allerdings muss nicht nur die
Arbeitszeit flexibilisiert werden, genauso wichtig ist, dass auch die
Öffnungszeiten der Einrichtungen flexibler gestaltet werden.
10. Familienfreundlichkeit bringt Gewinn
Nachhaltige Familienpolitik umschließt das Erreichen zweier
Ziele: Erstens eine steigende Kinderzahl und zweitens die Erhöhung der
Erwerbsquote der Frauen. Beide Ziele korrespondieren in hohem Maße mit den
Wünschen der überwiegenden Mehrheit, Männer wie Frauen. Eine nachhaltige
Veränderung braucht einen Zeithorizont, der deutlich über die Agenda 2010
hinausweist sowie einen breiten gesellschaftlichen Konsens über Ziele,
Maßnahmen und gemeinsame Verantwortung. Trotz ermutigender neuer Beweglichkeit
sind die Tarifpartner noch immer zu zurückhaltend, was arbeitsteilige
Absprachen über familienfreundliche Arbeitszeiten, Organisation,
Personalentwicklung angeht. Von einer nachhaltigen Familienpolitik profitieren
alle: Familien, Unternehmen, Staat und Gesellschaft.
Quelle: http://www.bmfsfj.de
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