Kampagne der Aktion gegen Gewalt in der Pflege: Wir retten unsere Haut!
Kampf gegen Druckgeschwüre - ein Dekubitus ist ein vermeidbares Schicksal
Berlin (AGP), 18. Juli 2002 - "Wir
werden solange kämpfen, bis schmerzhafte und gefährliche Druckgeschwüre der
Vergangenheit angehören. Pflegebedürftige Menschen leiden oft schon genug. Ein
Druckgeschwür (Dekubitus) ist eine zusätzliche Belastung, die bei richtiger
ärztlicher Behandlung und guter Pflege meist vermieden werden kann." Mit
diesen Worten eröffnete Ina Stein vom Sozialverband Deutschland e.V. heute vor
Journalisten in Berlin die AGP-Kampagne "Wir retten unsere Haut - Dekubitus
muss nicht sein". Zur AGP - Aktion gegen Gewalt in der Pflege - haben sich
1997 der Sozialverband Deutschland e.V. (ehemals Reichsbund), das Kuratorium
Deutsche Altershilfe (KDA), der Deutsche Berufsverband für Altenpflege (DBVA),
der Münchner Arbeitskreis gegen Menschenrechtsverletzungen (AgM) und die Bonner
Initiative gegen Gewalt im Alter "Handeln statt Misshandeln" (HsM)
zusammengeschlossen. Ziel des Aktionsbündnisses ist es, auf Missstände in der
Pflege aufmerksam zu machen und gemeinsam dagegen vorzugehen.
Druckgeschwüre (Dekubital-Ulcera) entstehen vor allem bei
älteren, an mehreren Krankheiten leidenden Menschen, die in ihrer Bewegung
eingeschränkt sind. Während Gesunde im Alltag ständig unbewusst so genannte
Mikro-Bewegungen durchführen, wie beispielsweise die Gewichtsverlagerung und
Positionsveränderung beim Sitzen auf einem Stuhl, können
bewegungseingeschränkte Menschen wie Rollstuhlfahrer und Bettlägerige das
nicht und sind dadurch dekubitusgefährdet. Ist die Haut erst einmal derartig
verletzt, dauert es bei einem 60-Jährigen etwa dreimal so lange wie bei einem
20-Jährigen, bis sie wieder geheilt ist.
Druckgeschwüre sind für die Betroffenen immer mit
schrecklichen Schmerzen, der Verschlechterung des Allgemeinzustandes und damit
einem Verlust an Lebensqualität verbunden. Schlimmstenfalls können sie sogar
zum Tode führen. Nach Angaben des Sozialverbandes Deutschland und verschiedenen
Hochrechnungen sterben jährlich etwa 10.000 Menschen an den Folgen derartiger
Wunden. Die Zahlen, wie viele Menschen in Deutschland insgesamt an einem
Dekubitus leiden, schwanken. Einer Expertenschätzung von Pelka aus dem Jahr
1998 zufolge haben in Krankenhäusern fünf bis zehn Prozent der Patienten einen
Dekubitus. Bezogen auf 16 Millionen Krankenhauspatienten im Jahr 1998
(Statistisches Bundesamt 2000) leiden demnach allein in Krankenhäusern etwa 0,8
bis 1,6 Millionen Menschen an einem Dekubitus. Neben dem persönlichen Leid
stellen Dekubital-Ulcera auch einen großen volkswirtschaftlichen Schaden dar.
So geht das Institut für Innovationen im Gesundheitswesen und angewandte
Pflegeforschung davon aus, dass jede Dekubitus-Behandlung zwischen 25.000 und
40.000 Euro kostet.
Für die Mitglieder der AGP stellt diese Problematik einen
unhaltbaren Zustand dar, dem sie nun mit ihrer Kampagne begegnen wollen.
"Wir haben es hier mit einer nationalen Tragödie zu tun, um die sich kaum
jemand kümmert. Wir müssen buchstäblich den Finger in diese Wunde
legen", erklärte dazu Prof. Dr. Dr. Rolf Hirsch von "Handeln statt
Misshandeln". "Man kann die Schuld aber nicht einer Berufsgruppe
alleine zuschreiben. Wir müssen hier an die Medizin und die Pflege appellieren.
Beide Berufsgruppen dürfen sich nicht aus der Verantwortung stehlen und müssen
endlich vor diesem Problem mehr die Augen aufmachen", so der Mediziner.
Doch das sei schon insofern schwierig, als dass viele gar nicht wüssten, wie
ein Dekubitus entstehe. Denn nach wie vor glaubten viele Ärzte und
Pflegekräfte, dass - solange sie außen an der Haut nichts sähen - auch keine
Gefahr bestünde. Dies aber ist ein Trugschluss mit unter Unständen
schwerwiegenden Folgen. "Ein Dekubitus und damit das spätere Absterben von
Gewebe beginnt in der Regel in der Tiefe, nämlich unmittelbar am Widerlager des
Knochens", erklärte Hirsch.
Um solche und andere wichtige Informationen zur
Dekubitus-Prävention und -Behandlung weiter bekannt zu machen, hat die AGP
anlässlich ihrer Kampagne zwei "Flugblätter" entwickelt, die sich
sowohl an Betroffene und ihre Angehörigen, als auch an professionell Pflegende
richten. "Darin machen wir beispielsweise auf weitere Dekubitus-Risiken wie
das Ess- und Trinkverhalten sowie Inkontinenz aufmerksam", erläuterte
Christine Sowinski, Pflegeexpertin des Kuratoriums Deutsche Altershilfe.
"Wichtig ist auch, dass der Betroffene und seine Angehörigen die Ursachen
der Gefährdung sowie die geplanten Gegenmaßnahmen kennen. Nur dann können sie
sich nämlich im Rahmen ihrer Möglichkeiten an deren Umsetzung
beteiligen." Ein Aspekt, der laut Sowinski nicht zu unterschätzen ist,
gerade, was die Mikrobewegungen angeht. "Hier können Angehörige anleitend
und unterstützend tätig werden und damit ganz erheblich zur Verhinderung eines
Druckgeschwürs beitragen", so Sowinski weiter.
Neben zahlreichen weiteren Informationen zur Dekubitusprävention enthalten die
AGP-"Flugblätter" auch viele Adressen von Institutionen und Stellen,
an die sich Betroffene und Pflegende wenden können und Informationen erhalten.
"Mit unserer Kampagne wollen wir nicht nur die
Fachöffentlichkeit aufrütteln, sondern auch die breite Öffentlichkeit für
die Dekubitus-Problematik sensibilisieren", so der KDA-Geschäftsführer
Klaus Großjohann. "Denn bis jetzt ist es oft nur dann ein Thema, wenn
beispielsweise ein Prominenter wie Harald Juhnke davon betroffen sein
soll." Sein Schicksal in einem Altenpflegeheim war jüngst das Thema der
Boulevardpresse. "Es gibt zahlreiche, zum Teil sogar recht einfache
Methoden, das Entstehen eines Druckgeschwürs zu verhindern. Man muss sie nur
kennen und von ihrer Effizienz überzeugt sein. So können viele Menschen vor
einem Druckgeschwür ‚gerettet' werden - deshalb haben wir für unsere
Kampagne als Symbol auch den Rettungsring gewählt. Dieser ist aber gleichzeitig
auch ein Symbol dafür, dass Pflegefachpersonen - spätestens nach der
Veröffentlichung des ‚Nationalen Expertenstandards Dekubitusprophylaxe' im
Sommer 2000 - sich aus haftungsrechtlicher Sicht Gedanken darüber machen
müssen, wie sie ihre Haut retten, wenn unter ihrer Pflege ein Dekubitus
auftritt." Denn die Kenntnis dieses Standards werde vorausgesetzt und komme
juristisch einem vorweggenommenen Sachverständigengutachten gleich.
Quelle: Pressemitteilung des Kuratoriums Deutsche Altershilfe (KDA) - Wilhelmine Lübke Stiftung e. V., 18.07.2002
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