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Unterrichtsreihe zum Thema "Sterbehilfe" Ethik der Zweidrittelgesellschaft aus: K. Dörner, a.a.O., S. 37 -38
Das Recht auf den eigenen Tod ist die Krönung des Rechts auf das eigene
Leben und auf die Unabhängigkeit von allem, wovon ich abhängig
sein könnte. Aber kann man - außer in einem abstrakt
positivistischen Denkakt - die Handlung, durch die ich mich töte, je
vollständig von der Handlung, durch die ich einen anderen töte,
trennen? Die Frage scheint auch in manchen europäischen Parlamenten und
Regierungen offen geblieben zu sein; denn während das Recht auf die
Selbsttötung den Bürgern in allen Ländern mehr oder weniger
weitgehend zugestanden wurde, blieb die Beihilfe zur Selbsttötung in
etlichen Ländern strafbar, ein Unterschied, der uns noch zu schaffen
machen wird. Eine Festschrift dieser Bewegung für den Tod war das Buch
von A. Jost "Das Recht auf den Tod" von 1895. In dieser Schrift wird auch
freimütig der zukunftsweisende Zusammenhang begründet.
Während die religiöse Absolutsetzung des Lebens überholt,
unwissenschaftlich, unmenschlich und unsozial sei, habe die Forderung nach
dem Recht auf den eigenen Tod den Charakter einer "sozialen Reform",
entspreche geradezu einer humanitären Pflicht zum Mitleid insbesondere
mit alten, schwachen und - mit heutigen Worten - behinderten Menschen. Hier
wird eine Logik und eine Ethik geboren, die, wenn man nur ihre
Voraussetzungen akzeptiert, unwiderlegbar ist und die uns bis heute in Atem
hält: wenn man nämlich eine Gesellschaft aus immer besseren,
sozialeren, gesunderen und glücklicheren Menschen will, dann muß
man einmal demjenigen Menschen das Recht auf den Tod zubilligen, der sich
vorübergehend nicht so fühlt, dann muß man aber auch zum
anderen denjenigen Menschen, die dauerhaft schlechter, unsozialer,
kränker und unglücklicher sind, einmal das Recht auf den Tod
zubilligen, zum anderen aber auch ihnen eine gewisse Pflicht hierzu
auferlegen, da sie sonst die so definierte Weltordnung stören
würden. Man muß ihren Tod erwarten dürfen. Und wenn es
sich dabei um dauerhaft Minderwertige, Asoziale, Behinderte, geistig ohnehin
Tote, Alte und Sterbende handelt, dann muß man in dem Fall, daß
sie nicht für sich selbst sprechen und entscheiden können,
für sie fürsorglich sprechen und entscheiden dürfen, um sie
von ihrem unwerten, unmenschlichen, sicher auch qualvollen Vegetieren zu
erlösen; denn würden sie für sich sprechen und entscheiden
können, würden sie nach dieser Logik und Ethik naturnotwendig und
wissenschaftlich bewiesen sich selbst den Tod wünschen. Die
entscheidende Voraussetzung für diese Logik und Ethik, in eine Formel
zusammengefaßt, lautet: es gibt Menschen, die sind Menschen, und es
gibt Menschen, die sind Dinge. Wer von uns industriellen oder vor allem
sozialen Täter-Bürgern völlig frei im Denken von dieser Logik
und völlig unverführbar im Handeln von dieser Ethik ist, den
möchte ich kennenlernen. |