»Chancengleichheit behinderter Menschen in Europa«
Die Europäische Kommission in Brüssel hat 1996 das Strategiepapier "Chancengleichheit
für behinderte Menschen" angenommen, das einen neuen richtungsweisenden Kurs
für die Behindertenpolitik der Europäischen Union (EU) aufzeigt. Explizit spricht sich
die Kommission darin gegen jede Ausgrenzung und Diskriminierung behinderter Menschen aus
und fordert für diese vielmehr eine uneingeschränkte Chancengleichheit sowie ihre volle
Teilhabe in sämtlichen Lebensbereichen (Bundesrats-Drucksache 669/96 vom 10.9.1996).
Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland:
"Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden." |
Maßnahmen
Durch entsprechende Maßnahmen, sowohl auf nationaler als auch auf Gemeinschaftsebene
sollen behinderten Menschen die gleichen Rechte und Möglichkeiten eingeräumt werden wie
der Mehrheit der Bevölkerung. Der Ministerrat wird aufgefordert, eine Entschließung
anzunehmen, in der er den Willen zum Ausdruck bringt, die Prinzipien der Chancengleichheit
und Antidiskriminierung auch durch einzelstaatliche Maßnahmen umzusetzen.
Als Handlungskatalog für die Mitgliedsstaaten sollen die zur Annahme stehenden Leitlinien
des Rahmenkonzepts der Chancengleichheit für behinderte Menschen dienen.
Defizite
Schätzungsweise ein Zehntel der Gesamtbevölkerung der EU - ca. 37 Millionen Menschen -
sind unmittelbar von einer Behinderung betroffen und sehen sich in vielen Lebensbereichen
einer großen Anzahl von Hindernissen gegenüber, die eine umfassende schulische,
berufliche und soziale Integration beeinträchtigen. Defizite der Teilhabe behinderter
Menschen bestehen insbesondere in den Bereichen: Bildungswesen, Arbeitsleben, Mobilität
und Zugang, Wohnraum und Fürsorgesystem.
Ausgrenzung behinderter Kinder
Die EU-Kommission wendet sich gegen die Ausgrenzung behinderter Kinder aus dem
Bildungswesen und fordert eine gemeinsame und gleichberechtigte Erziehung, Bildung und
Ausbildung behinderter und nichtbehinderter Kinder und Jugendlicher.
Einstellungshindernisse
Nach amtlichen Schätzungen werden Behinderte mit mindestens zwei bis drei mal höherer
Wahrscheinlichkeit arbeitslos als andere Erwerbspersonen. Die Kommission fordert,
Einstellungshindernisse für behinderte Menschen zu beseitigen und hält die Eingliederung
Behinderter auf dem regulären Arbeitsmarkt gegenüber geschützten Beschäftigungsformen
für sinnvoll. Zur Beschäftigungsförderung sollen neben den bestehenden
Förderprogrammen - wie z.B. Europäischer Sozialfonds, Gemeinschaftsinitiative HORIZON -
noch andere Projekte und Initiativen durch die Kommission aufgelegt werden.
Zugänglichkeit
Zahlreiche Transportmittel und öffentliche Gebäude sind schwer oder gar nicht für
behinderte Menschen zugänglich. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Chancengleichheit
und des Rechts auf Teilhabe Behinderter spricht sich die Kommission dafür aus, die
bestehenden baulichen, kommunikations- und verkehrstechnischen Schranken schrittweise
abzubauen und detaillierte und durchsetzbare Leitlinien für die Zugänglichkeit zu
entwickeln.
Unterstützungsangebote
Die Fürsorgesysteme in den einzelnen Mitgliedsstaaten tragen im allgemeinen Sorge für
eine Mindestunterstützung, die aber häufig das Ziel der gesellschaftlichen Teilhabe nur
unzureichend ermöglicht. Behinderte Menschen sollten alle notwendigen
Unterstützungsangebote erhalten, um eine möglichst uneingeschränkte Teilhabe am
gesellschaftlichen Leben zu realisieren. Allgemeine Gesundheits-, Rehabilitations- und
Präventionsstrategien sollten enger an dem Ziel der Herstellung der Chancengleichheit
ausgerichtet werden. Der positive Trend hin zur wohnortnahen Rehabilitation sollte aktiv
gefördert und vorangetrieben werden.
Verankerung des Gleichstellungsanspruchs
Die EU-Kommission wertet die strukturelle Ausgrenzung und Diskriminierung behinderter
Menschen als konkrete Verstöße gegen verschiedene universelle Menschenrechte und
erachtet daher die Verankerung des Gleichbehandlungsanspruchs Behinderter in den
Verfassungen verschiedener Unionsländer als positiv.
Zusammenarbeit
Die EU-Kommission schlägt die Bildung einer Gruppe hochrangiger, für Behindertenfragen
zuständiger Vertreter der Mitgliedsstaaten vor. Dieses Gremium soll ständig die neuesten
staatlichen Maßnahmen und die Schwerpunkte der Behindertenpolitik im Auge behalten, einen
gemeinsamen Fundus von Informationen und Erfahrungen schaffen und Ratschläge zu Methoden
der künftigen Berichterstattung über die europaweite Situation der Behinderten erteilen.
Daneben ist eine weitere intensive Zusammenarbeit mit dem Europäischen Behindertenforum
vorgesehen.
Die Mitteilung der Europäischen Kommission zur Chancengleichheit
behinderter Menschen ist im vollen Wortlaut in den Europamaterialen der
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation (BAR), Walter-Kolb-Straße 9-11, 60594
Frankfurt am Main, enthalten (Quelle: Reha-Info der BAR, Nr. 5/1996).
Werner Schell (17.6.1997)
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