![]() Pflege - Patientenrecht & Gesundheitswesen www.wernerschell.de
Forum (Beiträge ab 2021)
Patientenrecht Pro Pflege-Selbsthilfenetzwerk >> Aktivitäten im Überblick! << ![]() |
»Freiheitsentziehende Maßnahmen im Pflegeheim« >> Unsere Lebenserwartung steigt ständig – Demenz und andere altersbedingte Erkrankungen gewinnen an Bedeutung. Wir überlegen, wie wir alt werden wollen, wie unsere Pflege aussehen könnte. Freiheitsentziehende Maßnahmen in der Pflege kommen als Thema auf uns alle zu. - BerufsbetreuerInnen werden mit diesem Thema in der täglichen Arbeit konfrontiert. Freiheit als Rechtsgut „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ - (Artikel 1 des Grundgesetz). „Nur aufgrund einer sorgfältigen Abwägung sämtlicher Umstände des jeweiligen Einzelfalls kann entschieden werden, welchen konkreten Inhalt die Verpflichtung hat, einerseits die Menschenwürde und das Freiheitsrecht eines alten und kranken Menschen zu achten und andererseits sein Leben und seine körperliche Unversehrtheit zu schützen.“ (Aus dem Urteil des Bundesgerichtshofes vom 28.04.2005, AZ.: III ZR 399/04) „Freiheitsentziehende Maßnahmen stellen einen erheblichen Eingriff in die Selbstbestimmung und Selbständigkeit
eines Pflegebedürftigen dar. Sie sind deshalb auf das unbedingt notwendige Maß zu beschränken. Sie dienen dem Schutz des Pflegebedürftigen; ein Einsatz zur
Erleichterung der Pflege ist nicht zulässig. Freiheitsentziehende Maßnahmen werden sich, weil sie dem Schutz der Pflegebedürftigen dienen, zwar nicht gänzlich
vermeiden lassen. Sie können jedoch entscheidend reduziert werden, wenn bei allen Beteiligten das Bewusstsein für den schwerwiegenden Eingriff in die persönliche
Freiheit des Einzelnen geschärft und alternative Handlungsweisen diskutiert werden.
werden individuelle Lösungen möglich und die Würde des Pflegebedürftigen gewahrt.“ (Verantwortungsvoller Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Pflege – Leitfaden des Bayerischen Landespflegeausschusses, November 2006, Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen). Freiheitsentziehende Maßnahmen (Synonyma: Unterbringungsähnliche Maßnahmen, Bewegungseinschränkende Maßnahmen (BEM), Fixierungen)
(Studie ReduFix – Reduktion von körpernahen Fixierungen bei demenzerkrankten Heimbewohnern/innen (2006), Robert Bosch Gesellschaft für medizinische Forschung mbH & Kontaktstelle für praxisorientierte Forschung an der Evangelischen Fachhochschule Freiburg). Gründe für freiheitsentziehende Maßnahmen Häufigste Gründe für bewegungseinschränkende Maßnahmen:
(Bredthauer, Doris (2002) Bewegungseinschränkende Maßnahmen bei dementen alten Menschen in der Psychiatrie; Eine Dissertation an der Universität Ulm zum Thema: Gewalt gegen alte Menschen, Erlangen) „Risikogruppe für BEM: Heimbewohner mit
(Joanna Briggs Institut, 2002) Stand des Wissens zu freiheitsentziehenden Maßnahmen Beobachtungsstudien geben Hinweise:
(Joanna Briggs Institut, 2002) “Negativspirale Fixierung: Sturzbedingte Verletzungsgefahr und fordernde Verhaltensweisen führen zu Fixierung, Fixierung führt zu Autonomieverlust durch Freiheitsentziehung, psychischem Stress, Gegenwehr führt zu direkten Verletzungen, die Mobilität sinkt, Verhaltensauffälligkeiten steigen, Psychopharmaka werden gegeben bzw. erhöht, die Sturzgefährdung steigt, Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sinken, es ergeben sich medizinische Komplikationen wie Kontrakturen, Dekubita, Pneumonie, der Allgemeinzustand verschlechtert sich, die Lebensqualität sinkt, die Arbeitszufriedenheit des Personals sinkt, Angehörige und Personal entwickeln Schuldgefühle.“ (ReduFix, 2006) Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen Bei Sturzgefahr:
Bei starker Unruhe:
Allgemein:
(aus Vortrag: Lebensweltliche Dienstleistungsgestaltung – Organisation und Dokumentation als Teil der Prophylaxe von freiheitsentziehenden Maßnahmen, Angelika Knodel, Karla Kämmer (KK) Training Beratung Weiterbildung, Essen, Tagung Alternativen zu freiheitsentziehenden Maßnahmen im Pflegeheim, 28.01.2008). „Gegenüber enger gefassten Trainingsprogrammen oder Techniken versteht sich Basale Stimulation als Förderansatz, der auf die individuellen Möglichkeiten eines Menschen setzt, sich unter günstigen Umständen zu stabilisieren oder auch weiterzuentwickeln. Es geht also um die positiven Möglichkeiten in einem Menschen, nicht um seine Defekte, Defizite und Ausfälle. Insofern ist Basale Stimulation in der Pflege keine "Behandlung" des kranken Menschen, sondern vielmehr der qualifizierte Versuch, sich seiner Lebenssituation anzupassen und ihm für diese individuelle und aktuelle Lebenssituation geeignete Wahrnehmungs-, Bewegungs- und Kommunikationsangebote zu machen. Durch die Übernahme des Konzeptes der Basalen Stimulation in die Pflege, speziell in die Intensivpflege und durch notwendige Modifikationen wird nun ergänzend versucht, Patienten in ihrer schwierigen subjektiven Situation, die durch Stress, hohe emotionale Belastung, Angst, Unsicherheit und Gefühle der Hilflosigkeit gekennzeichnet sind, eine Orientierung über den eigenen Körper und seine vorhandenen Möglichkeiten zu geben.“ (Andreas Fröhlich, Dr. paed., Prof. für Allgemeine Sonderpädagogik, Universität Landau/Pfalz, http://www.basale-stimulation.de/seiten/BA05.HTM Rechtliche Aspekte
Die Durchführung freiheitsentziehender Maßnahmen fällt in den Aufgabenkreis Aufenthaltsbestimmung. Das OLG Hamm stellte anlässlich einer Schadensersatzforderung gegen einen Betreuer fest, dass der Aufgabenkreis Gesundheitssorge für eine Unterbringung nicht ausreichend ist (OLG Hamm FamRZ 2001, 861 m. Anm. Beck in BtPrax 2001, 195). (http://www.horstdeinert.de/lexika.htm#top) In Fällen von Gefährdung Dritter kommt immer nur die Anwendung des PsychKG in Frage. Wenn der gesetzliche Betreuer/die gesetzliche Betreuerin in Absprache mit allen Beteiligten zu der Meinung kommt, dass eine freiheitsentziehende Maßnahme zum Schutz des Klienten/der Klientin nötig ist, ordnet er/sie diese, möglichst im Konsens mit dem Heim, detailliert nach Art und Dauer gegenüber dem Heim an. Zeitgleich mit der Anordnung gegenüber dem Heim beantragt der gesetzliche Betreuer/die gesetzliche Betreuerin begründet die Genehmigung seiner Anordnung durch das Vormundschaftsgericht. Dem Antrag an das Vormundschaftsgericht wird neben der ausführlichen Begründung ein ärztliches Attest sowie der Text der Anordnung gegenüber dem Heim beigefügt. Der gesetzliche Betreuer/die gesetzliche Betreuerin achtet darauf, dass der Beschluss des Amtsgerichts in den Details dem Antrag der Betreuerin entspricht. Der Beschluss des Amtsgerichts ist auch dem Heim zu übersenden. Wenn das Heim der Meinung ist, dass die Anordnung des gesetzlichen Betreuers/der gesetzlichen Betreuerin 100 % falsch ist, kann das Heim auf die Durchführung verzichten. Das Heim sollte darüber den Betreuer/die Betreuerin und das Vormundschaftsgericht informieren. Die Haftung für eine Fehleinschätzung des Heims und evtl. Folgen für den Klienten/die Klientin liegt dann alleine beim Heim. Wenn das Heim der Meinung ist, dass die Anordnung des gesetzlichen Betreuers/der gesetzlichen Betreuerin eventuell falsch ist, sollte das Heim der Anordnung Folge leisten und gleichzeitig das Gespräch mit dem gesetzlichen Betreuer/der gesetzlichen Betreuerin suchen. Wenn kein Konsens zu erzielen ist, sollte das Heim der Anordnung Folge leisten und gleichzeitig das Vormundschaftsgericht über seine Zweifel informieren. Ablaufplanungshilfe für BerufsbetreuerInnen Problem: BewohnerIn ist sturzgefährdet, unruhig und gefährdet sich selbst. a) Einbeziehung der Beteiligten:
b) Sind die Ursachen für das Problem behebbar?
Wenn die Antwort nein ist, dann weiter mit c) c) Können die mit dem Problem verbundenen Risiken ausreichend vermindert werden? Weitere Alternativen prüfen:
Wenn die Antwort nein ist, dann weiter mit d) d) Ist der Nutzen der freiheitsentziehenden Maßnahmen größer als der Schaden?
Wenn die Antwort ja ist, dann weiter mit e) e) Planung der freiheitsentziehenden Maßnahme
f) Legalisierung der freiheitsentziehenden Maßnahme
g) Durchführung der freiheitsentziehenden Maßnahme Sach- und fachgerechte Durchführung
h) Überprüfung der freiheitsentziehenden Maßnahme Ist die freiheitsentziehende Maßnahme noch notwendig?
(stark angelehnt an: Verantwortungsvoller Umgang mit freiheitsentziehenden Maßnahmen in der Pflege – Leitfaden des Bayerischen Landespflegeausschusses, November 2006, Bayerisches Staatsministerium für Arbeit und Sozialordnung, Familie und Frauen) Diese Handlungshilfe für BerufsbetreuerInnen wurde erstellt von Frau Sommer und Frau König-Paschke (Betreuungsstelle für Erwachsene der Stadt Recklinghausen) und Herrn Dirk (Berufsbetreuer), Mai 2008 Der Beitrag wurde von Herrn Dirk zur Vorstellung im Internet zur Verfügung gestellt. Danke! - Werner Schell – |