Handreichungen für Ärzte zum Umgang mit Patientenverfügungen
Inhaltsübersicht
Präambel
1. Möglichkeiten der Willensbekundung
1.1 Patientenverfügungen
1.2 Vorsorgevollmachten
1.3 Betreuungsverfügungen
2. Vertrauensperson, Bevollmächtigter, Betreuer
3. Inhalt
3.1 Situationen
3.2 Ärztliche Maßnahmen
3.3 Ergänzende persönliche Angaben
3.4 Ärztliche Beratung
3.5 Schweigepflicht
3.6 Aktive Sterbehilfe
4. Form
5. Einwilligungsfähigkeit
6. Verbindlichkeit
7. Aufbewahrungsempfehlung
Präambel
Jeder Patient hat ein Recht auf Selbstbestimmung. Das gilt auch für
Situationen, in denen der Patient nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen zu äußern.
Für diesen Fall gibt es vorsorgliche Willensbekundungen, die den Arzt darüber
informieren, in welchem Umfang bei fehlender Einwilligungsfähigkeit eine medizinische
Behandlung gewünscht wird.
Die umfangreichen Möglichkeiten der modernen Medizin lassen es sinnvoll erscheinen, daß
Patienten sich vorsorglich für den Fall des Verlustes ihrer Einwilligungsfähigkeit zu
der von ihnen dann gewünschten Behandlung erklären. Besonders ältere Personen und
Patienten mit prognostisch ungünstigen Leiden sollen ermutigt werden, die künftige
medizinische Versorgung mit dem Arzt ihres Vertrauens zu besprechen und ihren Willen
hierzu zum Ausdruck zu bringen. In den von der Bundesärztekammer beschlossenen
Grundsätzen zur ärztlichen Sterbebegleitung (Dt. Ärzteblatt 1998; 95: A-2365-2367) wird
auf die Bedeutung solcher Erklärungen am Ende des Lebens hingewiesen.
Da nach wie vor Unsicherheit darüber besteht, wie solche Erklärungen formal und
inhaltlich zu gestalten sind und wann bzw. inwieweit sie Gültigkeit haben, wurden die
nachstehenden Hinweise von der Bundesärztekammer erarbeitet. Sie dienen als Handreichung
für Ärzte, die um Rat bei der Aufstellung von Patientenverfügungen gefragt werden oder
denen eine Patientenverfügung vorgelegt wird.
1. Möglichkeiten der Willensbekundung
Möglichkeiten der vorsorglichen Willensbekundung zur Sicherung der Selbstbestimmung sind
Patientenverfügungen, Vorsorgevollmachten und Betreuungsverfügungen. Sie können
jederzeit vom Patienten geändert oder widerrufen werden.
1.1 Patientenverfügungen
Eine Patientenverfügung (bisweilen Patiententestament genannt) ist eine schriftliche oder
mündliche Willensäußerung eines entscheidungsfähigen Patienten zur zukünftigen
Behandlung für den Fall der Äußerungsunfähigkeit. Mit ihr kann der Patient u.a.
bestimmen, ob und in welchem Umfang bei ihm in bestimmten, näher umrissenen
Krankheitssituationen medizinische Maßnahmen eingesetzt werden sollen.
In einer Patientenverfügung kann der Patient auch eine Vertrauensperson benennen, mit der
der Arzt die erforderlichen medizinischen Maßnahmen besprechen soll und die dem Arzt
dann, wenn der Patient nicht mehr in der Lage ist, seinen Willen selbst zu äußern, bei
der ihm obliegenden Ermittlung des mutmaßlichen Willens unterstützend zur Verfügung
steht.
Es empfiehlt sich, den Arzt gegenüber dieser Person von seiner Schweigepflicht zu
entbinden.
1.2 Vorsorgevollmachten
Mit einer Vorsorgevollmacht kann der Patient für den Fall, daß er nicht mehr in der Lage
ist, seinen Willen zu äußern, eine oder mehrere Personen bevollmächtigen,
Entscheidungen mit bindender Wirkung für ihn, u.a. in seinen Gesundheitsangelegenheiten,
zu treffen (§ 1904 Abs. 2 BGB).
Vorsorgevollmachten sollten schriftlich abgefaßt sein und die von ihnen umfaßten
ärztlichen Maßnahmen möglichst benennen. Eine Vorsorgevollmacht muß schriftlich
niedergelegt werden, wenn sie sich auf Maßnahmen erstreckt, bei denen die begründete
Gefahr besteht, daß der Patient stirbt oder einen schweren und länger dauernden
gesundheitlichen Schaden erleidet. Die Einwilligung des Bevollmächtigten bedarf in diesen
Fällen (§ 1904 BGB) der Zustimmung des Vormundschaftsgerichtes, es sei denn, daß mit
dem Aufschub Gefahr verbunden ist.
Ob die Einschaltung des Vormundschaftsgerichts auch bei der Beendigung lebenserhaltender
Maßnahmen im Vorfeld der Sterbephase erforderlich ist, ist z. Z. strittig. Zur
rechtlichen Absicherung kann es sich empfehlen, das Vormundschaftsgericht anzurufen. Die
Beendigung lebenserhaltender Maßnahmen während des Sterbeprozesses verpflichtet nicht
zur Anrufung des Vormundschaftsgerichtes.
1.3 Betreuungsverfügungen
Eine Betreuungsverfügung ist eine für das Vormundschaftsgericht bestimmte
Willensäußerung für den Fall der Anordnung einer Betreuung. In ihr können Vorschläge
zur Person eines Betreuers und Wünsche zur Wahrnehmung seiner Aufgaben fixiert sein. Eine
Betreuung kann vom Gericht für bestimmte Bereiche angeordnet werden, wenn der Patient
nicht mehr in der Lage ist, seine Angelegenheiten selbst zu besorgen und eine
Vorsorgevollmacht hierfür nicht vorliegt oder nicht ausreicht. Der Betreuer entscheidet
im Rahmen seines Aufgabenkreises für den Betreuten. Auch dann dürfen Maßnahmen nicht
gegen den erkennbaren Willen des Patienten durchgeführt werden.
2. Vertrauensperson, Bevollmächtigter, Betreuer
In der Regel werden nahestehende Personen benannt werden. Bei der Benennung ist zu
bedenken, daß Nahestehende in kritischen Situationen besonders schweren Belastungen und
Konflikten ausgesetzt sein können. Es sollte niemand bestimmt werden, ohne daß mit ihm
rechtzeitig und ausführlich über die anstehenden Aufgaben gesprochen wurde. Die benannte
Person sollte die getroffenen Regelungen - insbesondere eine Patientenverfügung - kennen.
Wer zu einer Einrichtung, in welcher der Betreute untergebracht ist oder wohnt, in einer
engen Beziehung steht, darf nicht zum Betreuer bestellt werden (§ 1897 Abs. 3 BGB).
3. Inhalt
3.1 Situationen
Willensbekundungen im Sinne der Ziffer 1 sollen Aussagen zu den Situationen enthalten, für die sie gelten sollen, z. B.:
- Sterbephase
- nicht aufhaltbare schwere Leiden
- dauernder Verlust der Kommunikationsfähigkeit
- Notwendigkeit andauernder schwerwiegender Eingriffe, (z.B. Beatmung, Dialyse, künstliche Ernährung, Organersatz)
3.2 Ärztliche Maßnahmen
Für die genannten Situationen können Patientenverfügungen auch Aussagen zur Einleitung,
zum Umfang und zur Beendigung ärztlicher Maßnahmen enthalten, etwa
- künstliche Ernährung, Beatmung oder Dialyse
- Verabreichung von Medikamenten wie z. B. Antibiotika, Psychopharmaka oder Zytostatika
- Schmerzbehandlung
- Art der Unterbringung und Pflege
- Hinzuziehung eines oder mehrerer weiterer Ärzte
3.3 Ergänzende persönliche Angaben
Um in Situationen, die in der Verfügung nicht erfaßt sind, den mutmaßlichen Willen
besser ermitteln zu können, empfiehlt es sich auch, Lebenseinstellungen, religiöse
Überzeugung sowie die Bewertung von Schmerzen und schweren Schäden in der verbleibenden
Lebenszeit mitzuteilen.
3.4 Ärztliche Beratung
Vor Abfassung einer Patientenverfügung kann es hilfreich sein, ein ärztliches Gespräch
über deren Inhalt und Umfang und Tragweite zu führen. Ein Vermerk darüber, daß eine
ärztliche Beratung stattgefunden hat, kann zusätzlich belegen, daß der Patient sich
auch mit dem medizinischen Für und Wider seiner Entscheidung auseinandergesetzt hat; dies
kann die Ernsthaftigkeit unterstreichen und die Verbindlichkeit erhöhen.
3.5 Schweigepflicht
Gegenüber dem Bevollmächtigten und dem Betreuer ist der Arzt zur Auskunft verpflichtet,
da Vollmacht und Gesetz den Arzt von der Schweigepflicht freistellen. In der
Patientenverfügung können weitere Personen benannt werden, gegenüber denen der Arzt von
der Schweigepflicht entbunden wird und denen Auskunft erteilt werden soll.
3.6 Aktive Sterbehilfe
Aktive Sterbehilfe darf, auch wenn sie in einer Patientenverfügung verlangt wird, nicht
geleistet werden, da sie gesetzwidrig ist.
4. Form
Patientenverfügungen bedürfen keiner besonderen Form. Aus Beweisgründen sollten sie
jedoch schriftlich abgefaßt sein. Eine eigenhändige Niederschrift der
Patientenverfügung ist nicht notwendig. Die Benutzung eines Formulars ist möglich. Eine
Patientenverfügung soll möglichst persönlich unterschrieben und mit Datum versehen
sein. Rechtlich ist es weder erforderlich, die Unterschrift durch Zeugen bestätigen zu
lassen, noch eine notarielle Beglaubigung der Unterschrift herbeizuführen.
Um Zweifeln zu begegnen, kann sich jedoch eine Unterschrift vor Zeugen empfehlen, die
ihrerseits schriftlich die Echtheit der Unterschrift sowie das Vorliegen der
Einwilligungsfähigkeit des Verfassers bestätigen.
5. Einwilligungsfähigkeit
Patientenverfügungen sind nur wirksam, wenn der Patient z. Z. der Abfassung
einwilligungsfähig war. Sofern keine gegenteiligen Anhaltspunkte vorliegen, kann der Arzt
von der Einwilligungsfähigkeit des volljährigen Patienten ausgehen. Die
Einwilligungsfähigkeit liegt vor, wenn der Patient Bedeutung, Umfang und Tragweite der
Verfügung zu beurteilen vermag. Das gilt auch für Minderjährige. Die Umsetzung ihres
Willens kann grundsätzlich jedoch nicht gegen den Willen der Sorgeberechtigten erfolgen.
6. Verbindlichkeit
Grundsätzlich gilt der in der Patientenverfügung geäußerte Wille des Patienten, es sei
denn, es liegen konkrete Anhaltspunkte vor, die auf eine Veränderung seines Willens
schließen lassen. Da Patientenverfügungen jederzeit formlos widerruflich sind, muß vom
behandelnden Arzt geprüft werden, ob Anhaltspunkte für eine Willensänderung vorliegen.
Um Zweifel an der Verbindlichkeit älterer Verfügungen zu beseitigen, empfiehlt es sich,
diese in regelmäßigen Abständen zu bestätigen oder zu ergänzen.
7. Aufbewahrungsempfehlung
Um sicherzugehen, daß die behandelnden Ärzte Patientenverfügungen zur Kenntnis nehmen
können, sollten diese gemeinsam mit den persönlichen Papieren bei sich geführt werden.
Auch ein einfacher Hinweis, daß solche Verfügungen verfaßt wurden und wo sie zu finden
sind, kann förderlich sein.
Hilfreich ist es weiterhin, wenn z. B. die Angehörigen oder der Arzt des Vertrauens über
das Vorliegen informiert werden.
Für den Arzt, der gemäß einer Patientenverfügung behandelt, empfiehlt es sich, eine
Kopie der Patientenverfügung zu den Krankenunterlagen zu nehmen und Äußerungen
benannter Personen zu dokumentieren.
Werner Schell
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