Statement von Anne-Lore Köhne, Geschäftsführerin der AgV
(Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände), anläßlich der AgV-Jahrespressekonferenz
am 29. Juni 1999
Aufbau eines bundesweiten Netzwerks zur unabhängigen
Patientenunterstützung
Versicherte und Patienten sind Zentrum und Ziel des Gesundheitswesens -
für sie wird es organisiert, von ihnen wird es finanziert. Der einzelne Patient und
Verbraucher fühlt sich jedoch häufig überfordert, das komplexe System zu durchschauen
und seine Interessen angemessen zum Ausdruck zu bringen. Bundesgesundheitsministerin
Andrea Fischer hat deshalb zu Recht als Ziel der kommenden Gesundheitsreform die Stärkung
der Stellung von Patienten und Versicherten avisiert und den Ausbau der Patientenberatung
angekündigt. Als Dachverband deutscher Verbraucherorganisationen hat die AgV eine
Untersuchung zur Verbraucherberatung im Bereich Gesundheitsdienstleistungen vornehmen
lassen und ein Konzept für die bundesweite Vernetzung der Patientenberatung erarbeitet -
letzteres gemeinsam mit anderen Organisationen wie der Notgemeinschaft der
Medizingeschädigten sowie Zusammenschlüssen von Geburtshilfegeschädigten und
sogenannten Gesundheitsläden, die wie einige Verbraucher-Zentralen bereits seit längerem
unabhängige Patientenberatung anbieten.
Zunächst zu der Untersuchung: Sie basiert auf zwei repräsentativen
Umfragen, die das emnid-Institut, Bielefeld, zuerst 1994 und dann noch einmal im Mai 1999,
also im Abstand von fünf Jahren, durchgeführt hat. Das Institut für angewandte
Verbraucherforschung, Köln, hat die Umfrageresultate miteinander verglichen. Die
Ergebnisse sind aus unserer Sicht erfreulich. Es wurde bereits erwähnt, daß die
Verbraucherverbände in Sachen Glaubwürdigkeit an erster Stelle lagen. Ich möchte
hinzufügen, daß wir nach der Glaubwürdigkeit verschiedener Informationsquellen zu
"Gesundheitsfragen und Kosten medizinischer Leistungen" gefragt haben. Wir haben
also keineswegs die Absicht, den Ärzten auf dem Feld ärztlicher Beratung Konkurrenz zu
machen - auch wenn Teile der Ärzteschaft sich anscheinend davor bereits fürchten. Aber
wir müssen feststellen, daß die Glaubwürdigkeit der Ärzteschaft bei den von uns
abgefragten nicht-medizinischen Fragestellungen in den letzten fünf Jahren stark gesunken
ist. 1994 lag die Ärzteschaft nämlich auch in diesem Bereich noch knapp vor den
Verbraucherverbänden. Dies hat sich inzwischen geändert. Die Verbraucherverbände liegen
jetzt knapp vorne (Durchschnittsnote: 2,3 auf einer Skala von 1 = völlig glaubwürdig bis
6 = völlig unglaubwürdig), vor Ärzten (2,4), Apothekern (2,5), Selbsthilfegruppen (2,5)
und Krankenkassen (2,6). Weit abgeschlagen folgen Zeitschriften und Fernsehsendungen
(3,3), und an letzter Stelle liegt die Werbung (4,1).
Noch zwei weitere wichtige Ergebnisse unserer Untersuchung möchte ich
hier erwähnen: Deutlich wichtiger als vor fünf Jahren ist den Verbrauchern heute die
Unabhängigkeit von Information und Beratung im Gesundheitswesen. Und: Verbraucher denken
bei konkreten Problemen auf dem Gesundheitsmarkt, zum Beispiel bei Ärger mit der
Krankenkasse oder beim Verdacht auf Behandlungsfehler, deutlich häufiger als früher an
die Verbraucherverbände als Ansprechpartner als noch vor fünf Jahren.
Die Ergebnisse der Untersuchung bestätigen damit unsere Auffassung, daß
ein bundesweites Netz zur Patientenunterstützung, wie es von der Politik derzeit geplant
ist, bei den Verbraucherverbänden in Zusammenarbeit mit den genannten
Betroffenenorganisationen gut aufgehoben ist. Dabei haben wir keineswegs die Absicht,
alles allein machen zu wollen. Wir suchen die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen
wie Selbsthilfegruppen, dem öffentlichen Gesundheitsdienst oder Krankenkassen.
Ein wichtiges Tätigkeitsfeld des Netzwerks wird die Schaffung von
Markttransparenz sein. Der Gesundheitsmarkt muß übersichtlicher werden. Die
unterschiedlichen Angebote zur Prävention, die Krankenkassenleistungen sowie ambulante
und stationäre Angebote zur Rehabilitation und Pflege müssen überschaubar bewertet
werden. Besonders wichtig sind Informationen über Qualität, über Wirtschaftlichkeit
sowie über Schwerpunkte von Ärzten und Zahnärzten bzw. von Krankenhäusern.
Unterstützung bei Behandlungsfehlern und die Rechtsberatung, die von den
Verbraucherverbänden bereits heute in allen ihren Beratungsbereichen durchgeführt wird,
sind ein weiteres wichtiges Arbeitsfeld. Darüber hinaus soll das Netzwerk dazu dienen,
die Stellung von Patienten und Versicherten im Gesundheitssystem strukturell zu
verbessern. Dazu gehört die Beteiligung an Qualitätssicherungsvorhaben und die Mitarbeit
an einer patientenorientierten Fortentwicklung des Sozialversicherungsrechts. Aufgabe der
AgV als Dachverband könnte es sein, die Arbeit des Netzwerks zu koordinieren und
insbesondere die Qualitätssicherung in der Beratungsarbeit gemeinsam mit allen
Beteiligten kontinuierlich fortzuentwickeln.
Zur Ausstattung eines flächendeckendes Netzwerks halten wir mittelfristig
den Ausbau von rund 80 Beratungsstellen bundesweit sowie einen Beraterschlüssel von zwei
Fachkräften (plus eine Sachbearbeitung) pro eine Million Einwohner für notwendig, die
den Verbrauchern vor Ort für Informationen und zur grundlegenden Beratung zur Verfügung
stehen. Diese Fachkräfte, die vor allem über Beratungskompetenz und über Kenntnisse des
Sozialversicherungsrechts verfügen, können auf weiteren medizinischen, pflegerischen und
rechtlichen Sachverstand in den auf Landesebene einzurichtenden Kompetenzzentren
zurückgreifen. Für die Verwirklichung dieser Pläne sind im ersten Jahr rund 25
Millionen DM notwendig, das sind knapp 30 Pfennig pro Mitglied der gesetzlichen
Krankenkassen. Die langfristige Aufrechterhaltung eines flächendeckenden Beratungsnetzes
würde sich nach unserem Konzept mit weniger als einer D-Mark pro Versichertem und Jahr
verwirklichen lassen. Die Bundesregierung muß dafür den geeigneten Rahmen schaffen. Dazu
gehört vor allem die Sicherstellung der Finanzierung über einen entsprechenden
Pflichtauftrag an die gesetzlichen Krankenkassen im Sozialgesetzbuch.
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