www.wernerschell.de
Pflege - Patientenrecht
& Gesundheitswesen

www.wernerschell.de

Aktuelles

Forum (Beiträge ab 2021)
Archiviertes Forum

Rechtsalmanach

Pflege

Patientenrecht
Sozialmedizin - Telemedizin
Publikationen
Links
Datenschutz
Impressum

Pro Pflege-Selbsthilfenetzwerk

>> Aktivitäten im Überblick! <<

Besuchen Sie uns auf Facebook

Behandlungskosten: Wann haftet der Ehegatte mit?

"Jeder Ehegatte ist berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen. Durch solche Geschäfte werden beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, es sei denn, daß sich aus den Umständen etwas anderes ergibt."
So lautet § 1357 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB).

In der Vergangenheit stellte sich bereits mehrfach die Frage, ob und ggf. inwieweit die aus § 1357 Abs. 1 BGB sich ergebende grundsätzliche Mithaftung des Ehegatten auch für Behandlungskosten gilt. Die Antwort lieferte der Bundesgerichtshof (BGH). In seinem Urteil vom 27. November 1991 - XII ZR 226/90 (Celle) - stellte er klar, daß eine medizinisch indizierte, unaufschiebbare ärztliche Behandlung eines Ehegatten ohne Rücksicht auf die Höhe der mit ihr verbundenen Kosten der angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie im Sinne von § 1357 Abs. 1 BGB dient. Zu den Umständen, die die Mitverpflichtung des anderen Ehegatten aus einem Vertrag über eine ärztliche Behandlung ausschließen können, gehören neben dem Bestehen einer Krankenversicherung die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie in ihrem Bezug zu der voraussichtlichen Höhe der Behandlungskosten.

In der Entscheidung ging es um folgenden Sachverhalt:
Ein Krankenhaus verlangte von der Ehefrau (Beklagte) eines verstorbenen ehemaligen Patienten über 30.000 DM Kosten für stationäre, insbesondere chemotherapeutische Behandlungen. Zu einer Regulierung kam es nicht, weil sich die Ehefrau außerstande sah, die Kosten zu übersehen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie waren schon zu Lebzeiten des Mannes, der seit geraumer Zeit nur noch geringe Einkünfte erzielte, sehr angespannt. Die zuständige Krankenkasse hatte eine bei ihr bestehende Krankenversicherung gekündigt, weil der Ehemann die Beiträge nicht mehr aufbringen konnte. Nach seinem Tode erhielt die Ehefrau eine geringe Witwenrente. Ungeachtet dieser Verhältnisse hielt das Krankenhaus an seiner Forderung auf Zahlung der Behandlungskosten fest; die erhobene Klage wurde aber in allen Instanzen zurückgewiesen. Im konkreten Fall wurde eine Mithaftung des Ehegatten für die chemotherapeutischen Behandlungskosten klar verneint.
Für die Beurteilung des Falles sind die Entscheidungsgründe des BGH von Interesse. Sie werden wie folgt auszugsweise vorgestellt werden:
Ärztliche Behandlungen sind, wie der Senat in dem Urteil vom 13. Februar 1985 (NJW 1985, 1394) in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung im Schrifttum entschieden hat, zum Lebensbedarf der Familie im Sinne von § 1357 BGB zu rechnen, da sie der Gesundheit als dem "primären und ursprünglichen Lebensbedarf" dienen. Bei der Beurteilung der Frage, ob eine ärztliche Behandlung zur "angemessenen" Deckung des Lebensbedarfs der Familie bestimmt ist, hat sich der Senat in dem genannten Urteil mit der im Gesetzgebungsverfahren zu § 1357 Abs. 1 BGB (neue Fassung -n.F.-) geäußerten Vorstellung auseinandergesetzt, Geschäfte größeren Umfangs, die ohne Schwierigkeiten zurückgestellt werden könnten, sollten nicht unter § 1357 BGB fallen; auf diese Weise solle der an dem Rechtsgeschäft nicht beteiligte Ehegatte vor einer überraschenden Inanspruchnahme aus Alleingeschäften größeren Umfangs geschützt werden, die der andere Ehegatte ohne vorherige Abstimmung mit ihm eingegangen sei. Der Senat hat diese in erster Linie auf größere Anschaffungen und Investitionen zugeschnittenen Kriterien in dem damals zur Entscheidung stehenden Fall auch angewandt auf den Abschluß eines Behandlungsvertrages über kostspielige Wahlleistungen bei privater Behandlung der Ehefrau durch den Chefarzt. Dies steht im Einklang mit der auch im Schrifttum vertretenen Auffassung, daß eine besonders teure, aber in sachlicher oder zeitlicher Hinsicht nicht gebotene ärztliche Behandlung -zum Beispiel spezieller Zahnersatz, privatärztliche Behandlung, Zusatzleistungen eines Krankenhauses - in der Regel nur dann unter § 1357 BGB fällt, wenn sich die Ehegatten hierüber ausdrücklich abgestimmt haben. Nur unter dieser Voraussetzung dient die Inanspruchnahme derartiger besonders kostspieliger, medizinisch nicht indizierter Sonderleistungen der - nach den individuellen Verhältnissen der Eheleute zu beurteilenden - "angemessenen" Deckung des Lebensbedarfs.
So liegt der Fall hier jedoch nicht. Der verstorbene Ehemann hat keine ärztlichen Sonderleistungen in Anspruch genommen; auch war die Behandlung, der er sich unterzog, unaufschiebbar, medizinisch notwendig und bot ohne Alternative die einzige Heilungschance. Bei dieser Sachlage diente die Behandlung trotz der mit ihr verbundenen erheblichen Kosten, die die finanziellen Möglichkeiten der Eheleute sichtlich überstiegen, der angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie. Darauf, ob der Ehemann zuvor mit der Beklagten die Aufnahme der Behandlung abgestimmt und die Aufbringung der Behandlungskosten erörtert hatte, kommt es hierbei nicht an. Die Kriterien, nach denen sich beurteilt, ob eine größere Anschaffung, deren Vornahme und Kosten die Eheleute beeinflussen können, zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs ihrer Familie dient, lassen sich nicht auf eine ärztlich gebotene Behandlung übertragen, auf deren Kosten der Patient keinen Einfluß nehmen kann. Handelt es sich, wie hier, um eine Behandlung, die nicht nur unaufschiebbar, sondern unausweichlich ist, dann ist sie aus diesem Grund einer Abstimmung unter den Eheleuten entzogen; die Frage, ob die Behandlung durchgeführt werden soll oder nicht, stellt sich dann nicht. Im Hinblick auf eine solche Situation hat der Senat bereits in dem Urteil vom 13. Februar 1985 hervorgehoben, die dort genannten einschränkenden Formeln, Aufschiebbarkeit des Rechtsgeschäfts und vorherige Absprache mit dem anderen Ehegatten, seien nicht geeignet, das Tatbestandsmerkmal der angemessenen Deckung (des Lebensbedarfs der Familie) in dem Fall sachgerecht zu umschreiben. Eine medizinisch gebotene ärztliche Behandlung ohne Inanspruchnahme von Sonderleistungen ist vielmehr - unabhängig von sonstigen bei der Anwendung des § 1357 BGB zu beachtenden einschränkenden Kriterien - grundsätzlich eine Maßnahme zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie. Dies gilt daher auch für die Krebsbehandlung des verstorbenen Ehemannes der Beklagten.
Wie der Senat in dem Urteil vom 13. Februar 1985 bereits allgemein ausgeführt hat, begründet das allein noch nicht die Mitverpflichtung des Ehegatten für die Behandlungskosten. Vielmehr ist die Einbindung des § 1357 BGB n.F. in das Unterhaltsrecht zu beachten, speziell in die unterhaltsrechtlichen Regelungen für das Verhältnis zwischen zusammenlebenden Ehegatten. Die Höhe der Verpflichtung, die aus einer ärztlichen Behandlung resultiert, kann den Rahmen des unterhaltsrechtlich nach §§ 1360, 1360 a BGB Geschuldeten, auf dem die Mitverpflichtung nach § 1357 BGB beruht, und damit auch den Umfang dieser Mitverpflichtung selbst übersteigen.
Die hiernach gebotene Einschränkung folgt aus § 1357 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach durch Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet werden, "es sei denn, daß sich aus den Umständen etwas anderes ergibt." Zu den danach maßgeblichen Umständen gehören insbesondere die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie in ihrem Bezug zu der voraussichtlichen Höhe der Kosten für die ärztliche Behandlung; die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrerseits werden entscheidend davon beeinflußt, ob eine (gesetzliche oder private) Krankenversicherung besteht und in welchem Umfang sie gegebenenfalls Versicherungsschutz gewährleistet.
Ärztliche Behandlungskosten in einer Höhe, wie sie hier entstanden sind, stellen unterhaltsrechtlich Sonderbedarf dar. Die Verpflichtung zu dessen Deckung setzt (soweit die Kosten nicht durch eine Krankenversicherung abgedeckt sind) grundsätzlich Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Ehegatten, bei nicht getrennt lebenden Eheleuten also die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Familie im Rahmen der §§ 1360, 1360 a BGB, voraus. Ist diese nicht gegeben, überschreiten die Kosten einer - auch medizinisch indizierten, unaufschiebbaren - ärztlichen Behandlung eines Ehegatten vielmehr eindeutig die wirtschaftlichen Verhältnisse und finanziellen Möglichkeiten der (nicht krankenversicherten) Familie, dann scheidet eine Mitverpflichtung des anderen Ehegatten gemäß § 1357 Abs. 1 BGB "nach den Umständen" von vornherein aus.
Übersteigen die Kosten einer aufwendigen ärztlichen Behandlung die wirtschaftlichen Verhältnisse einer Familie in der geschilderten Weise, dann tritt keine Mitverpflichtung des anderen Ehegatten aus dem Behandlungsvertrag nach § 1357 BGB ein, und zwar unabhängig davon, ob, wie hier, der alleinverdienende Ehemann (Ehepartner) den Behandlungsvertrag für sich selbst abschließt oder die nicht erwerbstätige und nicht über eigenes Einkommen verfügende, den Haushalt führende Ehefrau, für deren Unterhalt im Rahmen des § 1360 BGB ihr erwerbstätiger Ehemann aufkommt. Will das Krankenhaus auch den anderen Ehegatten verpflichten, dann muß es darauf bestehen, daß er den Behandlungsvertrag mit unterschreibt. Schließt ein Ehegatte den Behandlungsvertrag, wie hier, als Selbstzahler ab und verursacht die vorzunehmende Behandlung voraussichtlich erhebliche Kosten, ohne daß eine private Krankenversicherung besteht, dann kann das Krankenhaus, je nach Lage der Dinge, den Patienten rechtzeitig auf die Möglichkeit einer Inanspruchnahme von Krankenhilfe nach § 37 Bundessozialhilfegesetz hinweisen. Der verstorbene Ehemann der Beklagten hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.
Da die mit seinem Behandlungsvertrag eingegangen Verpflichtungen - bei Kosten von mehr als 30.000 DM - den Lebenszuschnitt und die finanziellen Möglichkeiten seiner Familie mit zwei minderjährigen Kindern erkennbar weit überstiegen und außerhalb jedes angemessenen Verhältnisses zu seinen geringen Einkünften standen, ist die Beklagte "nach den Umständen" durch den Behandlungsvertrag ihres Ehemannes nicht mitberechtigt und verpflichtet worden. Sie hat daher nicht aus eigener Verbindlichkeit gemäß § 1357 BGB für die Zahlung der Behandlungskosten einzustehen.

Werner Schell (5/99)