Behandlungskosten: Wann haftet der Ehegatte mit?
"Jeder
Ehegatte ist berechtigt, Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der
Familie mit Wirkung auch für den anderen Ehegatten zu besorgen. Durch solche Geschäfte
werden beide Ehegatten berechtigt und verpflichtet, es sei denn, daß sich aus den Umständen
etwas anderes ergibt."
So lautet § 1357 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB). |
In der Vergangenheit stellte sich bereits mehrfach die Frage, ob und ggf.
inwieweit die aus § 1357 Abs. 1 BGB sich ergebende grundsätzliche Mithaftung des
Ehegatten auch für Behandlungskosten gilt. Die Antwort lieferte der Bundesgerichtshof
(BGH). In seinem Urteil vom 27. November 1991 - XII ZR 226/90 (Celle) - stellte er klar,
daß eine medizinisch indizierte, unaufschiebbare ärztliche Behandlung eines Ehegatten
ohne Rücksicht auf die Höhe der mit ihr verbundenen Kosten der angemessenen Deckung des
Lebensbedarfs der Familie im Sinne von § 1357 Abs. 1 BGB dient. Zu den Umständen, die
die Mitverpflichtung des anderen Ehegatten aus einem Vertrag über eine ärztliche
Behandlung ausschließen können, gehören neben dem Bestehen einer Krankenversicherung
die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie in ihrem Bezug zu der voraussichtlichen
Höhe der Behandlungskosten.
In der Entscheidung ging es um folgenden Sachverhalt:
Ein Krankenhaus verlangte von der Ehefrau (Beklagte) eines verstorbenen ehemaligen
Patienten über 30.000 DM Kosten für stationäre, insbesondere chemotherapeutische
Behandlungen. Zu einer Regulierung kam es nicht, weil sich die Ehefrau außerstande sah,
die Kosten zu übersehen. Die wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie waren schon zu
Lebzeiten des Mannes, der seit geraumer Zeit nur noch geringe Einkünfte erzielte, sehr
angespannt. Die zuständige Krankenkasse hatte eine bei ihr bestehende Krankenversicherung
gekündigt, weil der Ehemann die Beiträge nicht mehr aufbringen konnte. Nach seinem Tode
erhielt die Ehefrau eine geringe Witwenrente. Ungeachtet dieser Verhältnisse hielt das
Krankenhaus an seiner Forderung auf Zahlung der Behandlungskosten fest; die erhobene Klage
wurde aber in allen Instanzen zurückgewiesen. Im konkreten Fall wurde eine Mithaftung des
Ehegatten für die chemotherapeutischen Behandlungskosten klar verneint.
Für die Beurteilung des Falles sind die Entscheidungsgründe des BGH von
Interesse. Sie werden wie folgt auszugsweise vorgestellt werden:
Ärztliche Behandlungen sind, wie der Senat in dem Urteil vom 13. Februar 1985 (NJW
1985, 1394) in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung im Schrifttum entschieden
hat, zum Lebensbedarf der Familie im Sinne von § 1357 BGB zu rechnen, da sie
der Gesundheit als dem "primären und ursprünglichen Lebensbedarf" dienen.
Bei der Beurteilung der Frage, ob eine ärztliche Behandlung zur "angemessenen"
Deckung des Lebensbedarfs der Familie bestimmt ist, hat sich der Senat in dem genannten
Urteil mit der im Gesetzgebungsverfahren zu § 1357 Abs. 1 BGB (neue Fassung -n.F.-)
geäußerten Vorstellung auseinandergesetzt, Geschäfte größeren Umfangs, die ohne
Schwierigkeiten zurückgestellt werden könnten, sollten nicht unter § 1357 BGB fallen;
auf diese Weise solle der an dem Rechtsgeschäft nicht beteiligte Ehegatte vor einer
überraschenden Inanspruchnahme aus Alleingeschäften größeren Umfangs geschützt
werden, die der andere Ehegatte ohne vorherige Abstimmung mit ihm eingegangen sei. Der
Senat hat diese in erster Linie auf größere Anschaffungen und Investitionen
zugeschnittenen Kriterien in dem damals zur Entscheidung stehenden Fall auch angewandt auf
den Abschluß eines Behandlungsvertrages über kostspielige Wahlleistungen bei privater
Behandlung der Ehefrau durch den Chefarzt. Dies steht im Einklang mit der auch im
Schrifttum vertretenen Auffassung, daß eine besonders teure, aber in sachlicher oder
zeitlicher Hinsicht nicht gebotene ärztliche Behandlung -zum Beispiel spezieller
Zahnersatz, privatärztliche Behandlung, Zusatzleistungen eines Krankenhauses - in der
Regel nur dann unter § 1357 BGB fällt, wenn sich die Ehegatten hierüber ausdrücklich
abgestimmt haben. Nur unter dieser Voraussetzung dient die Inanspruchnahme derartiger
besonders kostspieliger, medizinisch nicht indizierter Sonderleistungen der - nach den
individuellen Verhältnissen der Eheleute zu beurteilenden - "angemessenen"
Deckung des Lebensbedarfs.
So liegt der Fall hier jedoch nicht. Der verstorbene Ehemann hat keine ärztlichen
Sonderleistungen in Anspruch genommen; auch war die Behandlung, der er sich unterzog,
unaufschiebbar, medizinisch notwendig und bot ohne Alternative die einzige Heilungschance.
Bei dieser Sachlage diente die Behandlung trotz der mit ihr verbundenen erheblichen
Kosten, die die finanziellen Möglichkeiten der Eheleute sichtlich überstiegen, der
angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie. Darauf, ob der Ehemann zuvor mit der
Beklagten die Aufnahme der Behandlung abgestimmt und die Aufbringung der Behandlungskosten
erörtert hatte, kommt es hierbei nicht an. Die Kriterien, nach denen sich beurteilt, ob
eine größere Anschaffung, deren Vornahme und Kosten die Eheleute beeinflussen können,
zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs ihrer Familie dient, lassen sich nicht auf eine
ärztlich gebotene Behandlung übertragen, auf deren Kosten der Patient keinen Einfluß
nehmen kann. Handelt es sich, wie hier, um eine Behandlung, die nicht nur unaufschiebbar,
sondern unausweichlich ist, dann ist sie aus diesem Grund einer Abstimmung unter den
Eheleuten entzogen; die Frage, ob die Behandlung durchgeführt werden soll oder nicht,
stellt sich dann nicht. Im Hinblick auf eine solche Situation hat der Senat bereits in dem
Urteil vom 13. Februar 1985 hervorgehoben, die dort genannten einschränkenden Formeln,
Aufschiebbarkeit des Rechtsgeschäfts und vorherige Absprache mit dem anderen Ehegatten,
seien nicht geeignet, das Tatbestandsmerkmal der angemessenen Deckung (des Lebensbedarfs
der Familie) in dem Fall sachgerecht zu umschreiben. Eine medizinisch gebotene ärztliche
Behandlung ohne Inanspruchnahme von Sonderleistungen ist vielmehr - unabhängig von
sonstigen bei der Anwendung des § 1357 BGB zu beachtenden einschränkenden Kriterien -
grundsätzlich eine Maßnahme zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie. Dies
gilt daher auch für die Krebsbehandlung des verstorbenen Ehemannes der Beklagten.
Wie der Senat in dem Urteil vom 13. Februar 1985 bereits allgemein ausgeführt hat,
begründet das allein noch nicht die Mitverpflichtung des Ehegatten für die
Behandlungskosten. Vielmehr ist die Einbindung des § 1357 BGB n.F. in das Unterhaltsrecht
zu beachten, speziell in die unterhaltsrechtlichen Regelungen für das Verhältnis
zwischen zusammenlebenden Ehegatten. Die Höhe der Verpflichtung, die aus einer
ärztlichen Behandlung resultiert, kann den Rahmen des unterhaltsrechtlich nach §§ 1360,
1360 a BGB Geschuldeten, auf dem die Mitverpflichtung nach § 1357 BGB beruht, und damit
auch den Umfang dieser Mitverpflichtung selbst übersteigen.
Die hiernach gebotene Einschränkung folgt aus § 1357 Abs. 1 Satz 2 BGB, wonach durch
Geschäfte zur angemessenen Deckung des Lebensbedarfs der Familie beide Ehegatten
berechtigt und verpflichtet werden, "es sei denn, daß sich aus den Umständen etwas
anderes ergibt." Zu den danach maßgeblichen Umständen gehören insbesondere die
wirtschaftlichen Verhältnisse der Familie in ihrem Bezug zu der voraussichtlichen Höhe
der Kosten für die ärztliche Behandlung; die wirtschaftlichen Verhältnisse ihrerseits
werden entscheidend davon beeinflußt, ob eine (gesetzliche oder private)
Krankenversicherung besteht und in welchem Umfang sie gegebenenfalls Versicherungsschutz
gewährleistet.
Ärztliche Behandlungskosten in einer Höhe, wie sie hier entstanden sind, stellen
unterhaltsrechtlich Sonderbedarf dar. Die Verpflichtung zu dessen Deckung setzt (soweit
die Kosten nicht durch eine Krankenversicherung abgedeckt sind) grundsätzlich
Leistungsfähigkeit des in Anspruch genommenen Ehegatten, bei nicht getrennt lebenden
Eheleuten also die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Familie im Rahmen der §§
1360, 1360 a BGB, voraus. Ist diese nicht gegeben, überschreiten die Kosten einer - auch
medizinisch indizierten, unaufschiebbaren - ärztlichen Behandlung eines Ehegatten
vielmehr eindeutig die wirtschaftlichen Verhältnisse und finanziellen Möglichkeiten der
(nicht krankenversicherten) Familie, dann scheidet eine Mitverpflichtung des anderen
Ehegatten gemäß § 1357 Abs. 1 BGB "nach den Umständen" von vornherein aus.
Übersteigen die Kosten einer aufwendigen ärztlichen Behandlung die wirtschaftlichen
Verhältnisse einer Familie in der geschilderten Weise, dann tritt keine Mitverpflichtung
des anderen Ehegatten aus dem Behandlungsvertrag nach § 1357 BGB ein, und zwar
unabhängig davon, ob, wie hier, der alleinverdienende Ehemann (Ehepartner) den
Behandlungsvertrag für sich selbst abschließt oder die nicht erwerbstätige und nicht
über eigenes Einkommen verfügende, den Haushalt führende Ehefrau, für deren Unterhalt
im Rahmen des § 1360 BGB ihr erwerbstätiger Ehemann aufkommt. Will das Krankenhaus
auch den anderen Ehegatten verpflichten, dann muß es darauf bestehen, daß er den
Behandlungsvertrag mit unterschreibt. Schließt ein Ehegatte den Behandlungsvertrag,
wie hier, als Selbstzahler ab und verursacht die vorzunehmende Behandlung voraussichtlich
erhebliche Kosten, ohne daß eine private Krankenversicherung besteht, dann kann das
Krankenhaus, je nach Lage der Dinge, den Patienten rechtzeitig auf die Möglichkeit einer
Inanspruchnahme von Krankenhilfe nach § 37 Bundessozialhilfegesetz hinweisen. Der
verstorbene Ehemann der Beklagten hat von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch gemacht.
Da die mit seinem Behandlungsvertrag eingegangen Verpflichtungen - bei Kosten von mehr als
30.000 DM - den Lebenszuschnitt und die finanziellen Möglichkeiten seiner Familie mit
zwei minderjährigen Kindern erkennbar weit überstiegen und außerhalb jedes angemessenen
Verhältnisses zu seinen geringen Einkünften standen, ist die Beklagte "nach den
Umständen" durch den Behandlungsvertrag ihres Ehemannes nicht mitberechtigt und
verpflichtet worden. Sie hat daher nicht aus eigener Verbindlichkeit gemäß § 1357 BGB
für die Zahlung der Behandlungskosten einzustehen.
Werner Schell (5/99)
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