Pflege - Patientenrecht & Gesundheitswesen
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Straßburg, den 21. Mai 1999
Dokument 8421
Europarat
Parlamentarische Versammlung
Ausschuß für Sozialordnung, Gesundheit und Familie
Entwurf einer Empfehlung
betr. den Schutz der Menschenrechte und der
Berichterstatterin: Frau Edeltraud Gatterer (Österreich)
- Die Aufgabe des Europarates ist es, die Würde aller Menschen und die
sich daraus ableitenden Rechte zu schützen.
- Die Fortschritte in der Medizin, die es heute ermöglichen, zahlreiche
vormals unheilbare bzw. tödliche Krankheiten zu heilen, die Verbesserungen in der
Medizintechnik und die Entwicklungen im Bereich der Wiederbelebungstechniken, die es
möglich machen, das Überleben eines Menschen zu verlängern, schieben den Zeitpunkt des
Todes hinaus. Das führt dazu, daß die Lebensqualität der Sterbenden oftmals ignoriert
wird, wie auch ihre Einsamkeit, ihr Leid und das ihrer Familien und der Personen, die für
sie sorgen.
- Im Jahr 1976 erklärte die Versammlung in ihrer Entschließung 613, sie
sei "überzeugt, daß das, was sterbende Patienten am meisten wünschen, ist, in
Frieden und Würde zu sterben, falls möglich mit der Fürsorge und der Unterstützung
ihrer Familien und Freunde" und sie fügte in ihrer Empfehlung 779 hinzu, daß
"die Verlängerung des Lebens nicht in sich selbst ein ausschließliches Ziel der
medizinischen Praxis sein sollte, die sich gleichermaßen damit befassen sollte, Leiden zu
lindern".
- Seitdem hat die Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte
und der Menschenwürde im Hinblick auf die Anwendung von Biologie und Medizin wichtige
Grundsätze geschaffen und Wege geebnet, ohne sich ausdrücklich auf die besonderen
Bedürfnisse todkranker bzw. sterbender Menschen zu beziehen.
- Die Verpflichtung, die Würde einer todkranken bzw. sterbenden Personen
zu achten und zu schützen, leitet sich ab von der Unverletzbarkeit der Menschenwürde in
allen Lebensphasen. Diese Achtung und dieser Schutz finden ihren Ausdruck in der
Bereitstellung einer angemessenen Umgebung, die es einem Menschen ermöglicht, in Würde
zu sterben.
- Diese Aufgabe muß vor allem zugunsten der verletzlichsten Mitglieder
der Gesellschaft erfüllt werden, was sich anhand der zahlreichen Leidenserfahrungen in
der Vergangenheit und der Gegenwart zeigt. Der Mensch, der zu Beginn seines Lebens schwach
und abhängig ist, braucht auch im Sterben Schutz und Unterstützung.
- Die Grundrechte, die sich aus der Würde einer todkranken bzw.
sterbenden Person herleiten, werden heutzutage von zahlreichen Faktoren bedroht, d.h. von:
I. unzureichendem Zugang zu palliativer Pflege und guter
Schmerzbehandlung;
II. oftmals mangelhafter Behandlung körperlichen Leidens und der
psychologischen, sozialen und geistlichen Bedürfnisse;
III. der künstlichen Verlängerung des Sterbeprozesses entweder durch
unverhältnismäßige medizinische Maßnahmen oder durch das Fortführen der Behandlung
ohne die Einwilligung des Patienten;
IV. einem Mangel an Weiterbildung und psychologischer Unterstützung für
das Personal in der Gesundheitsfürsorge, das in der palliativen Medizin tätig ist;
V. unzureichender Fürsorge und Unterstützung für die Angehörigen und
Freunde todkranker bzw. sterbender Patienten, die ansonsten das menschliche Leid in seinen
vielen Formen lindern könnten;
VI. der Furcht der Patienten, die Kontrolle über sich zu verlieren und
eine Last für Angehörige oder Institutionen und von diesen völlig abhängig zu werden;
VII. dem Fehlen oder der Unzulänglichkeit des sozialen und
institutionellen Umfelds, in dem eine Person sich von ihren Angehörigen und Freunden in
Frieden verabschieden kann;
VIII. der unzureichenden Zuteilung von Mitteln und Ressourcen für die
Fürsorge und Unterstützung todkranker bzw. sterbender Menschen;
IX. der gesellschaftlichen Diskriminierung der Phänomene Schwäche,
Sterben und Tod.
- Die Versammlung fordert die Mitgliedstaaten auf, in ihren
innerstaatlichen Gesetzen den erforderlichen rechtlichen und sozialen Schutz vor diesen
besonderen Gefahren und Ängsten vorzusehen, mit denen eine todkranke bzw. sterbende
Person in bezug auf innerstaatliche Gesetze konfrontiert sein könnte, insbesondere
I. dem Sterben unter unerträglichen Leiden (z.B. Schmerzen, Ersticken);
II. der Verlängerung des Sterbeprozesses einer todkranken bzw.
sterbenden Person gegen ihren Willen;
III. dem Sterben in sozialer Isolation und Verlassenheit;
IV. dem Sterben mit der Angst, eine soziale Belastung zu sein;
V. der Begrenzung der Behandlung zur Lebenserhaltung aus wirtschaftlichen
Gründen;
VI. der unzureichenden Bereitstellung von Mitteln und Ressourcen für
eine angemessene unterstützende Fürsorge für Todkranke bzw. Sterbende.
- Die Versammlung empfiehlt daher dem Ministerkomitee, die Mitgliedstaaten
des Europarates aufzufordern, die Würde todkranker bzw. sterbender Menschen in jeglicher
Hinsicht zu beachten und zu schützen,
a. indem sie das Recht einer todkranken bzw. sterbenden Person auf
umfassende palliative Pflege anerkennen und gleichzeitig die erforderlichen Maßnahmen
ergreifen,
I. um sicherzustellen, daß die palliative Pflege als Rechtsanspruch
einer Person in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird;
II. um den gleichberechtigten Zugang zu angemessener palliativer Pflege
für alle todkranken bzw. sterbenden Personen bereitzustellen;
III. um sicherzustellen, daß Angehörige und Freunde ermutigt werden,
den Todkranken oder Sterbenden zu begleiten und bei diesen Bemühungen professioneller
Unterstützung erhalten. Sollten sich Familien und/oder private Netzwerke als entweder
nicht ausreichend oder überfordert erweisen, müssen andere bzw. ergänzende Formen der
professionellen medizinischen Fürsorge bereitgestellt werden;
IV. um ambulante Hospizteams und -netzwerke zur Verfügung zu stellen mit
dem Ziel, sicherzustellen, daß palliative Pflege immer dann zu Hause geleistet werden
kann, wo ein Todkranker bzw. Sterbender ambulant betreut werden kann;
V. um die Zusammenarbeit aller an der Pflege der todkranken bzw.
sterbenden Person Beteiligten sicherzustellen;
VI. um die Entwicklung und Durchsetzung von Qualitätsstandards für die
Pflege Todkranker bzw. Sterbender sicherzustellen;
VII. um sicherzustellen, daß eine todkranke bzw. sterbende Person eine
angemessene Linderung ihrer Schmerzen (es sei denn, sie entscheidet sich dagegen) und
palliative Pflege erfährt, auch wenn als Nebenwirkung dieser Behandlung mit einer
Verkürzung des Lebens dieser Person zu rechnen ist;
VII. um sicherzustellen, daß das medizinische Personal dahingehend
ausgebildet und angeleitet wird, daß es medizinische pflegerische und psychologische
Fürsorge bei todkranken bzw. sterbenden Personen in abgestimmter Zusammenarbeit im Team
und unter Erfüllung höchstmöglicher Standards leistet;
VIII. um Forschungs-, Lehr- und Ausbildungszentren im Bereich der
palliativen Medizin und Pflege sowie in interdisziplinärer Thanatologie auf- und
auszubauen;
IX. um sicherzustellen, daß zumindest in größeren Kliniken
Fachabteilungen für palliative Pflege sowie Hospize eingerichtet werden, aus denen sich
die palliative Medizin und Pflege als wesentlicher Bestandteil jeder medizinischen
Behandlung entwickeln kann;
b. indem sie das Recht einer todkranken bzw. sterbenden Person auf
Selbstbestimmung schützen und gleichzeitig die erforderlichen Maßnahmen ergreifen,
I. um das Recht einer todkranken bzw. sterbenden Person auf ehrliche und
umfassende, aber mitfühlend überbrachte Information über ihren Gesundheitszustand
umzusetzen und gleichzeitig den Wunsch einer Person, nicht informiert zu werden, zu
achten;
II. um es einer todkranken bzw. sterbenden Person zu ermöglichen, neben
ihrem regulären Arzt weitere Ärzte zu konsultieren;
III. um sicherzustellen, daß eine todkranke bzw. sterbende Person nicht
gegen ihren Willen behandelt wird und gleichzeitig sicherzustellen, daß die Person von
einer anderen Person weder beeinflußt noch unter wirtschaftlichen Druck gesetzt wird;
IV. um sicherzustellen, daß die Patientenverfügung oder das
Lebenstestament einer zur Zeit nicht geschäftsfähigen todkranken bzw. sterbenden Person,
mit der diese bestimmte medizinische Behandlungen ablehnt, beachtet wird. Darüber hinaus
muß sichergestellt werden, daß die Gültigkeitskriterien in bezug auf die Tragweite
solcher Patientenverfügungen sowie die Benennung von Bevollmächtigten und der Umfang
ihrer Befugnisse festgelegt werden;
V. um sicherzustellen, daß - trotz der letztendlich beim Arzt liegenden
therapeutischen Verantwortung - den ausdrücklichen Wünschen einer todkranken bzw.
sterbenden Person in bezug auf bestimmte Behandlungsformen Rechnung getragen wird,
vorausgesetzt, daß diese nicht die Würde des Menschen verletzen;
VI. um sicherzustellen, daß in Situationen, in denen keine
Patientenverfügung oder kein Lebenstestament existiert, nicht gegen das Recht des
Patienten auf Leben verstoßen wird. Ein Katalog von Behandlungen, die unter keinen
Umständen vorenthalten bzw. abgebrochen werden dürfen, muß festgelegt werden;
c. indem sie das Verbot der absichtlichen Tötung todkranker bzw.
sterbender Personen aufrechterhalten und gleichzeitig die erforderlichen Maßnahmen
ergreifen,
I. um sicherzustellen, daß das Recht auf Leben, insbesondere in bezug
auf todkranke bzw. sterbende Personen, in den Mitgliedstaaten gewährleistet ist, in
Übereinstimmung mit Artikel 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention, in der es
heißt, daß "[...] keine absichtliche Tötung vorgenommen [darf]";
II. um sicherzustellen, daß der Sterbewunsch einer todkranken bzw.
sterbenden Person in keinem Fall ein Recht darauf beinhaltet, durch die Hand einer anderen
Person zu sterben;
III. um sicherzustellen, daß der Sterbewunsch einer todkranken bzw.
sterbenden Person in keinem Fall eine Rechtfertigung beinhaltet, Handlungen zu verüben,
mit denen die Herbeiführung des Todes beabsichtigt ist.
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