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Das Bundessozialgericht schuf Klarheit:
Die gesetzlichen Krankenkassen müssen bei medizinischer Begründung die Kosten einer fachgerechten Fußpflege übernehmen

Politische Einschätzungen und Urteile der Sozialgerichte gaben immer wieder Anlass anzunehmen, medizinische Fußpflege gehöre bei entsprechender Begründung in den Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV). Denn nach § 27 Abs. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) V haben die Krankenversicherten Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankenbeschwerden zu lindern. Bedauerlicherweise gingen aber die Krankenkassen in zahlreichen Einzelfällen davon aus, dass gerade die medizinische Fußpflege nicht zur Krankenbehandlung im Sinne von § 27 Abs. 1 SGB V gehöre. Anhaltender Streit war so zwangsläufig. Genau diesen Streit hat das Bundessozialgericht (BSG) mit seinem Urteil vom 16.11.1999 - B 1 KR 9/97 R - zu einem gewissen Abschluss gebracht. Es hat eine grundsätzliche Beurteilung der Rechtslage vorgenommen, die den Krankenkassen Veranlassung geben muss, die Kosten einer medizinischen Fußpflege im erforderlichen Umfange zu übernehmen [1]

Der Fall:
Bei einer an insulinpflichtigem Diabetes mellitus leidenden Patientin befürwortete der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) die Gewährung von medizinischer Fußpflege zur Sanierung von Folgekrankheiten. Dementsprechend sagte die zuständige Krankenkasse mit Bescheid vom 23.03.1994 zu, sich an den Kosten für zwei Behandlungen monatlich in Höhe von je 28 DM abzüglich eines Eigenanteils von 10% zu beteiligen. Mit zwei Schreiben vom 20. und 24.10.1994 wies dann die Krankenkasse die Patientin darauf hin, dass die medizinische Fußpflege nach einem Beschluss des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom Mai 1994 nicht mehr im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung als Heilmittel verordnet werden könne. Der hiergegen erhobene Widerspruch wurde von der Krankenkasse zurückgewiesen. Das danach von der Patientin angerufene Sozialgericht (SG) wies die Klage mit Urteil vom 12.07.1996 zurück. Auch vor dem Landessozialgericht (LSG) war die Patientin erfolglos; die erhobene Berufung wurde mit Urteil vom 31.07.1997 zurückgewiesen. Mit ihrer Revision war dann aber die Patientin vor dem BSG erfolgreich; ihre Revision war im Sinne der Zurückverweisung des Streitfalles an das LSG begründet (Urteil des BSG vom 16.11.1999 - B 1 KR 9/97 R -).

Aus den Entscheidungsgründen:
Ob die beklagte Krankenkasse verpflichtet sei, der Patientin entsprechend dem Bescheid vom 23.03.1994 weiterhin Zuschüsse zu den Kosten für medizinische Fußpflege zu zahlen, könne auf Grund des bisher festgestellten Sachverhalts nicht abschließend entschieden werden. Im Falle der Patientin sei die Gewährung von medizinischer Fußpflege durch den in § 27 Abs. 1 Satz SGB V vorausgesetzten Krankheitsbezug nicht von vornherein ausgeschlossen. Auf den Leistungsausschluss in den Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien könne sich die Krankenkasse jedenfalls nicht berufen, denn für diesen gebe es keine ausreichende Ermächtigungsgrundlage.

Die Patientin begehre eine persönliche Dienstleistung, die den Heilmitteln im Sinne des § 32 Abs. 1 SGB V zuzuordnen sei. Da die Krankenkasse die Dienstleistung weder selbst noch durch zugelassene Therapeuten erbringen könne, sei die Patientin gezwungen gewesen, sie sich selbst zu beschaffen, was im Falle der grundsätzlichen Leistungspflicht der Krankenkasse einen Anspruch auf Erstattung der tatsächlich entstehenden Kosten nach § 13 Abs. 3 SGB V auslöse.

Ob sich der Anspruch auf die Gewährung von medizinischer Fußpflege aus § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V herleiten lasse, könne auf Grund der bisherigen Feststellungen nicht abschließend beurteilt werden. Danach hätten Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig sei, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Diese Voraussetzungen seien zwar nicht unter dem Gesichtspunkt der Heilung gegeben; sie könnten aber unter dem Gesichtspunkt der Verhütung einer Verschlimmerung erfüllt sein.

Die Beseitigung (Heilung) konkreter Krankheitserscheinungen an den Füßen sei jedenfalls nach dem Gesamtinhalt des vorinstanzlichen Urteils nicht Streitgegenstand. Der Rechtsstreit betreffe vielmehr ausschließlich die von der Krankenkasse zugesagte regelmäßige medizinische Fußpflege höchstens zweimal im Monat zur Vermeidung von weiteren Krankheitserscheinungen. Das beanspruchte Heilmittel bestehe nach der vom LSG gegebenen und von der Patientin nicht angegriffenen Beschreibung darin, dass Nägel geschnitten sowie Hornhaut und Schwielen zu entfernen seien. Eine heilende oder mildernde Wirkung dieser Maßnahme auf den Diabetes, die Polyneuropathie, die Mikroangiopathie oder die damit möglicherweise zusammenhängenden Hautveränderungen komme nicht in Betracht und werde von der Patientin nicht behauptet.

Die Patientin sei der Auffassung, dass ein verstärktes Hornhautwachstum zu Hautrissen führe und zu häufiger Fußpflege zwinge, bei der (weitere) Verletzungen denkbar seien. Werde die Fußpflege selbst durchgeführt, sei das Risiko unbemerkter Verletzungen besonders hoch. Wenn diese Darstellung zutreffe, sei auch ohne aktuelle Krankheitserscheinungen an den Füßen ein Anspruch aus § 27 SGB V unter dem Gesichtspunkt der Verhütung einer Verschlimmerung nicht von vornherein ausgeschlossen. Ob die (angeblich) zu befürchtenden Komplikationen an den Füßen unmittelbar als Ausformung der diabetischen Grunderkrankung aufzufassen oder auf die ihrerseits als Krankheit anzusehende Mikroangiopathie und Polyneuropathie zu beziehen seien, spiele dabei keine entscheidende Rolle. Es komme auch nicht darauf an, ob das Hornhautwachstum und die Verschwielung mit der Entstehung von Hautrissen an den Füßen als solche so stark von der Norm abweichen, dass von einer eigenständigen Krankheit gesprochen werden könne. Entscheidend sei vielmehr allein, ob auf Grund des vorhandenen Diabetes und seiner Auswirkungen auf den Gesamtgesundheitszustand eine unmittelbare, konkrete Gefahr bestehe, dass ohne regelmäßige medizinische Fußpflege besondere Folgeschäden auftreten, mit denen bei einem gesunden Versicherten nicht zu rechnen sei. Ziehe eine Krankheit in unbehandeltem Zustand zwangsläufig oder mit hoher Wahrscheinlichkeit weitere Erkrankungen nach sich, so seien medizinische Maßnahmen, die dem entgegenwirken und eine Verschlechterung des Gesamtgesundheitszustandes verhüten sollen, als Behandlung der Grundkrankheit und damit als Krankenbehandlung im Sinne des § 27 Abs. 1 SGB V aufzufassen. Mit Rücksicht auf den Vortrag der Patientin erscheine es nicht ausgeschlossen, dass wegen der Art und Schwere ihrer Erkrankung einerseits eine regelmäßige Fußpflege unerlässlich, andererseits deren Durchführung wegen der Verletzungsgefahr mit erheblichen Risiken für die Gesundheit verbunden sei, die deshalb nur zu vermeiden seien, wenn die Fußpflege einer besonders ausgebildeten, mit Krankheitsbild und den Risiken vertrauten Fachkraft übertragen werde. Sollte sich diese mögliche Gesundheitsgefährdung durch die nunmehr anzustellenden Ermittlungen bestätigen, könnte sie die Leistungspflicht der Krankenkasse begründen. Denn durch die medizinische Indikation und die Notwendigkeit der Inanspruchnahme einer medizinischen Fachkraft würde der Gesichtspunkt der Krankenbehandlung gegenüber demjenigen der Körperpflege als Teil der allgemeinen Lebensführung so sehr in den Vordergrund treten, dass der Bezug zum Versicherungsrisiko der Krankenversicherung gegeben wäre.

Die Gewährung der Fußpflege als Leistung der Krankenversicherung wäre in diesem Fall auch nicht durch die Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien ausgeschlossen. Zwar sähen diese Richtlinien ausdrücklich vor, dass die medizinische Fußpflege im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung nicht zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden dürfe. Zu einem dahingehenden Leistungsausschluss sei der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen indessen nach geltendem Recht nicht befugt gewesen. Damit sei nicht gesagt, dass ihm der Gesetzgeber eine derartige Aufgabe nicht übertragen könne. Denn eine Delegation von Normsetzungsbefugnissen an die Bundesausschüsse für Ärzte und Krankenkassen zur Verwirklichung der in § 92 Abs. 1 Satz 1 SGB V genannten Ziele sei verfassungsrechtlich zulässig. Allerdings sei mit Rücksicht auf die Verordnungsermächtigung des § 34 SGB V für den Bundesminister für Gesundheit, Leistungsausschlüsse zu bestimmen, insoweit eine konkrete Regelungskompetenz des Bundesausschusses für Ärzte und Krankenkassen nicht gegeben. Mit diesem Ergebnis sei es unvereinbar, den Bundesausschuss als ermächtigt anzusehen, dasselbe Heilmittel in den Heil- und Hilfsmittel-Richtlinien von der vertragsärztlichen Versorgung auszuschließen. Aus dem gesamten Regelungszusammenhang müsse deshalb geschlossen werden, dass der Gesetzgeber, von dem Sonderfall des § 138 SGB V abgesehen, in § 34 Abs. 4 und 5 SGB V die Voraussetzungen für einen Ausschluss von Heilmitteln durch untergesetzliche Rechtsvorschriften abschließend normiert und die Berechtigung dazu dem Bundesminister für Gesundheit als Verordnungsgeber vorbehalten habe. Da § 34 SGB V für die Anordnung von Leistungsverboten bei Heilmitteln eine abschließende Regelung treffe, verblieben für die Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V nur Bestimmungen, welche die Art und Weise der Leistungserbringung beträfen. Dazu könne die konkret erforderliche Qualifikation des Therapeuten ebenso gehören wie die Vorgabe bestimmter zeitlicher Abstände oder die Obergrenze für die Zahlung von Sitzungen einer Behandlungsserie. Soweit sich das Leistungsverbot nicht bereits aus dem Gesetz ergebe, sodass dem Ausschluss in den Richtlinien lediglich deklaratorische Bedeutung zukomme, sei dagegen der generelle Ausschluss einer bestimmten Maßnahmeart wie hier der medizinischen Fußpflege durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen vom Gesetz nicht gedeckt.

Im Ergebnis werde das LSG den Sachverhalt weiter aufzuklären haben, um insbesondere feststellen zu können, ob bei der Patientin ein im Vergleich zum Nicht-Diabetiker wesentlich höheres Risiko bestehe, bei nicht fachgerecht durchgeführter Fußpflege an den Füßen zu erkranken. Da dies nur anhand des konkreten Gesundheitszustandes der Patientin beurteilt werden könne, werde die Untersuchung der Patientin durch einen ärztlichen Sachverständigen unerlässlich sein. Auch die Frage, ob die Fußpflege wegen der besonderen gesundheitlichen Risiken einer ausgebildeten medizinischen Fachkraft vorbehalten bleiben müsse, könne kaum ohne Sachverständigengutachten beantwortet werden; dabei sollten sich die Kenntnisse und Erfahrungen des Sachverständigen auch auf die Qualifikation beziehen, die eine Berufsausübung in der medizinischen Fußpflege voraussetze.

Sollten die weiteren Ermittlungen des LSG ergeben, dass der Gesundheitszustand der Patientin Fußpflege als Verhütungsmaßnahme rechtfertige, weil bei Schwere und Art der Grunderkrankung eine deutlich höhere Gefahr von Gesundheitsstörungen an den Füßen als bei einem gesunden Versicherten bestehe, wäre die Weigerung der Krankenkasse demnach vom Gesetz nicht gedeckt und somit rechtswidrig.

Werner Schell
http://www.wernerschell.de


[1] Vgl. Schell, W. „Ein Ärgernis weniger: Medizinische Fußpflege darf nicht von der Leistungspflicht der Gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen werden“; Zeitschrift „Podologie“, 3/2000, S. 30ff.