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Palliativmedizin: Wenn das Leben eines Patienten nicht mehr zu retten ist ...
Rechtsanwälte erläutern die derzeitige Rechtslage zur indirekten, aktiven und passiven Sterbehilfe
Von RA Dr. jur. Alexander Peters* und RA Roland Wehn**

In den Niederlanden und in Belgien dürfen Ärzte Todkranke mit der Spritze von ihren Leiden erlösen. Ein Modell auch für Deutschland? Das Für und Wider der Sterbehilfe wird kontrovers diskutiert. Im Deutschen Bundestag fand nun eine Diskussion zum Thema Patientenverfügung statt. Der Marburger Bund hat sich dazu bereits bei seiner Hauptversammlung im November klar geäußert. Das heutige Strafrecht schützt jeden Menschen vor Fremdtötungshandlungen. Nur an der Grenze zum Tod ist das Tötungsverbot durch von der Rechtsprechung entwickelte Regeln der Sterbehilfe gelockert. Die Selbsttötung ist – auch im Versuch – nicht unter Strafe gestellt.

Was ist Sterbehilfe?
Der Begriff „Euthanasie" stammt aus dem Griechischen und bedeutet „sanfter" oder „schöner Tod". Unter dem Regime der Nationalsozialisten erhielt der Begriff allerdings eine neue Bedeutung. Dort wurde zwischen „vollwertigem" und „unwertem" Leben unterschieden. Aus diesem Grund hat der Begriff heute zwangsläufig einen schlechten Beigeschmack.

Der Begriff Sterbehilfe ist ein Oberbegriff. Er umfasst zum einen die „Hilfe im Sterben", d. h. „Sterbebeistand" oder „Sterbebegleitung". Sterbehilfe in diesem Sinne besteht in der Unterstützung Sterbender durch Pflege, schmerzlindernde Behandlung sowie menschliche Zuwendung und ist als dringendes Erfordernis im Umgang mit Sterbenden unumstritten.

Zum anderen bezeichnet Sterbehilfe die „Hilfe zum Sterben". Dies ist das Töten oder Sterbenlassen eines Sterbenden, schwer kranken oder leidenden Menschen aufgrund seines eigenen, ausdrücklichen oder mutmaßlichen Verlangens. Ärzte und Juristen unterscheiden daher

  • aktive Sterbehilfe,
  • Beihilfe zur Selbsttötung,
  • indirekte Sterbehilfe
  • passive Sterbehilfe

Erlösung durch Spritze?
Die aktive Sterbehilfe ist die bewusste Lebensverkürzung. Hier macht der Arzt mehr als „lediglich" die Behandlung des Patienten abzubrechen. Aktive Sterbehilfe ist ein Tötungsdelikt. Je nach Fallgestaltung hat der so handelnde Arzt eine Bestrafung wegen Mordes, Totschlages oder sog. Mitleidstötung zu erwarten. Die Bundesärztekammer führt in ihrer Stellungnahme dazu aus:

„Aktive Sterbehilfe ist unzulässig und mit Strafe bedroht, auch dann, wenn sie auf Verlangen des Patienten geschieht. Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos und kann strafbar sein." (Grundsätze der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung; 2004)

Diese strafbare Tötung auf Verlangen ist von der straflosen Beihilfe zur Selbsttötung abzugrenzen. Dem Juristen kommt es bei der Unterscheidung darauf an, wer das zum Tode führende Geschehen tatsächlich beherrscht hat: Hat der Getötete bis zuletzt die freie Entscheidung über sein Schicksal in der Hand behalten, dann tötete er sich selbst (auf die Verpflichtung des Arztes nach Eintritt der Bewusstlosigkeit des Patienten wird später eingegangen).

Unabhängig von der Frage der Beherrschbarkeit gibt es Extremfälle, in denen zum Beispiel der Schmerz des Sterbenden für diesen nicht zu ertragen ist und die Abkürzung eines qualvollen Sterbens entschuldigt oder sogar rechtfertigt.

In der strafrechtlichen Literatur ist eine erhebliche Verunsicherung zu erkennen und so wird in gewissen Grenzen ein „ärztlicher Freiraum" anerkannt, der nicht justiziabel ist. Die aktive Sterbehilfe, z.B. in Form einer „Todesspritze", ist in Deutschland jedoch in aller Regel ein strafbares Tötungsdelikt.

Straflosigkeit überdosierter Analgetika
Es gibt aber auch Verhaltensweisen, die als so genannte indirekte Sterbehilfe außerhalb des Unrechts der Tötungsdelikte stehen. Voraussetzung dafür ist, dass es sich bei dem Betroffenen um einen Sterbenden gehandelt hat, d. h. um einen Kranken oder Verletzten mit unumkehrbarem Versagen einer oder mehrerer vitaler Funktionen, bei dem der Eintritt des Todes in kurzer Zeit zu erwarten ist (Bundesärztekammer). Erlaubt sind in dieser Phase:

Schmerzlinderung mit der unbeabsichtigten und unvermeidbaren Nebenfolge einer Beschleunigung des Todeseintritts, wie sie z. B. als Nebenwirkung stärkster – überdosierter – Analgetika auftreten (kann). Die höchstrichterliche Rechtsprechung rechtfertigt in solchen Fällen das Handeln des Arztes; denn Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen sei ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht, unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen. Diese Rechtsprechung hat sich auch in den Richtlinien der Bundesärztekammer niedergeschlagen. Dort wird darauf hingewiesen, dass bei Sterbenden die Linderung des Leidens so im Vordergrund stehen kann, dass eine möglicherweise unvermeidbare Lebensverkürzung hingenommen werden darf.

Straflosigkeit unterlassener Behandlung und von Behandlungsabbruch
Der Verzicht auf den Beginn oder die Fortsetzung von Maßnahmen, die das Sterben verzögern, wird passive Sterbehilfe genannt. Für die Zulässigkeit, von der Rechtsprechung – zumindest in Grundzügen – schon lange anerkannt, gesetzlich indes nicht geregelt, hat sich auch der Marburger Bund in seiner Hauptversammlung Ende 2004 ausgesprochen.

Der Behandlungsverzicht muss auf dem geäußerten oder mutmaßlichen Willen des Betroffenen beruhen, damit das Selbstbestimmungsrecht des Sterbenden zum tragenden Gesichtspunkt für den Ausschluss von Tötungsunrecht wird. Da ein urteilsfähiger Patient selbst bestimmen kann, ob er ärztliche Behandlung wünscht oder nicht, hat der Arzt das Behandlungsverbot erst recht zu respektieren, wenn die ärztliche Behandlung überhaupt nicht mehr auf Heilung oder Schmerzlinderung gerichtet ist, sondern lediglich dazu dient, den Todeskampf zu verlängern. Zur Behandlungseinstellung ist jeder legitimiert, der Adressat der Patientenerklärung war.

Ärzte und Schwestern verzichten bei der passiven Sterbehilfe auf lebensverlängernde Maßnahmen und brechen bereits eingeleitete Maßnahmen lebensverlängernder Art (wie zum Beispiel künstliche Nahrungszufuhr, Sauerstoffzufuhr, künstliche Beatmung, Medikation, Bluttransfusion, Dialyse oder Unterstützung der Vitalfunktionen durch technische Geräte) ab. Dann muss bei einem terminal Krebskranken eine Lungenentzündung nicht mehr mit Antibiotika behandelt werden. Auch weiterführende Diagnostik wäre kontraindiziert und gegebenenfalls sogar strafbar.

Sterben durch Verhungern
Ob zu den lebenserhaltenden Maßnahmen, auf die verzichtet werden kann, auch die künstliche Wasser- und Nahrungszufuhr gehört, ist umstritten. Der Bundesgerichtshof hat 1994 entschieden, passive Sterbehilfe durch Abbruch der künstlichen Ernährung sei zulässig, wenn bei einer 72-jährigen Patientin der eigentliche Sterbevorgang noch nicht eingesetzte, diese sich aber mit einem apallischen Syndrom in einem Pflegeheim befindet.

Palliativmedizin
Bei Patienten mit infauster Prognose, die sich noch nicht im Sterben befinden, kommt eine Änderung des Behandlungszieles in Betracht, wenn die Krankheit weit fortgeschritten ist und eine lebenserhaltende Behandlung nur Leiden verlängert. Die Änderung des Therapieziels muss dem Willen des Patienten entsprechen. In den Grundsätzen der Bundesärztekammer heißt es dazu:

„Der Arzt ist verpflichtet, Sterbenden so zu helfen, dass sie in Würde zu sterben vermögen. Die Hilfe besteht neben palliativer Behandlung in Beistand und Sorge für Basisbetreuung. In die Ermittlung des mutmaßlichen Willens sollen auch Angehörige oder nahe stehende Personen als Auskunftspersonen einbezogen werden, wenn angenommen werden kann, dass dies dem Willen des Patienten entspricht."

Abschalten von Geräten, die Patienten künstlich leben lassen
Als passive Sterbehilfe gilt auch der Behandlungsabbruch bei einem irreversibel bewusstlosen Patienten durch Abschalten des Beatmungsgerätes entsprechend seinem Willen. Der technische Behandlungsabbruch muss daher ebenso wie der medikamentös-therapeutische Behandlungsabbruch zulässig sein.

Auch der Behandlungsabbruch bei einem bewusstseinsklaren Patienten durch Abschalten des Beatmungsgeräts ist mit dessen Einwilligung in extremen Grenzlagen (unerträgliche Schmerzen, unabwendbarer, baldiger Todeseintritt, ausdrücklicher ernsthafter Todeswunsch des Patienten) straffrei.

Patientenrecht auf Schmerzmedikation
Die Sterbehilfe als Leidminderung und die Sterbebegleitung ist eine ärztliche Rechtspflicht. Bei einer schuldhaften Verletzung dieser Pflicht liegt eine strafbare Körperverletzung vor. Jeder Patient hat einen Anspruch auf Grundpflege und Leidensminderung. Der Arzt ist verpflichtet, Schmerz, Atemnot, Angst und Verwirrung entgegenzuwirken. Er hat alle palliativ-medizinischen Techniken anzuwenden, selbst wenn sie im Einzelfall mit dem Risiko einer Lebensverkürzung verbunden sind. So rechtfertigt die Gefahr einer Atemlähmung nicht die Unterlassung einer ausreichenden Schmerzmedikation.

Den Arzt trifft die Pflicht, den Patientenwillen festzustellen und zu beachten. Liegt eine Patientenverfügung vor, so hat der Arzt den Patientenwillen dem Patiententestament zu entnehmen. Liegt kein Patiententestament vor und ist der Patient bewusstlos, so hat der Arzt den mutmaßlichen Willen zu ermitteln. Grundlegend sind hier zunächst die „medizinischen Kriterien", d. h. Diagnose und Prognose. Zusätzlich sind Angehörige und sonst nahe stehende Personen zu hören, die aber ohne ausdrückliche, schriftliche Vollmacht kein Recht haben, für den Bewusstlosen zu entscheiden.

Hat der Patient in einer Vorsorgevollmacht einen oder mehrere Dritte zur Ausübung des Selbstbestimmungsrechts im Fall der Bewusstlosigkeit bevollmächtigt, so ist die Entscheidung des Vertreters für den Arzt verbindlich. Allein bei Verdacht auf Missbrauch oder offensichtlicher Fehlentscheidung sollte sich der Arzt an das Vormundschaftsgericht wenden. Sonst haben Staat und Gerichte im Rahmen der Entscheidung über einen Behandlungs- oder Ernährungsabbruch keine Entscheidungsbefugnis.

Wichtig ist, dass der dokumentierte Wille des Patienten absoluten Vorrang vor einer gerichtlichen Bevormundung hat.

Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass zu den Kriterien der objektiven Behandlungsqualität eines Krankenhauses auch ein Konzept für den Behandlungsverzicht gehört. Bei der Erstellung eines solchen Konzeptes sollte ein kundiger Jurist mitwirken.

* RA Dr. jur. Alexander Peters ist Fachanwalt für Strafrecht, Koblenz, Dr. Peters & Neumann, Rechtsanwaltssozietät im Arzt- und Medizinrecht, Strafrecht, Friedrich-Ebert-Ring 39, 56068 Koblenz http://www.RechtOk.de

** RA Roland Wehn arbeitet in der Fortbildungsabteilung der DBV-Winterthur-Direktion, Leopoldstraße 204, 80804 München. http://www.aerzte.dbv-winterthur.de

Quelle: Marburger Bund Zeitung, Ausgabe vom 24. März 2005 http://www.marburger-bund.de

Der Beitrag wird mit Genehmigung der Autoren vom 30.3.2005 vorgestellt.