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Der Bielefelder Weg: Pflegende übernehmen einige Ärzteaufgaben

Nach anderthalbjährigen Vorbereitungen ist an den Städtischen Kliniken Bielefeld etwas gelungen, was Pflegeverbände gern vielerorts verwirklicht sehen würden: Die Übernahme gewisser bisher ärztlicher Tätigkeiten durch Pflegende regelt eine Betriebsvereinbarung. Pflegedirektor Dieter Liedtke schildert gegenüber CAREkonkret den Bielefelder Weg zu mehr Professionalisierung der Pflege, der mit einer Entlastung Pflegender von hauswirtschaftlichen und administrativen Tätigkeiten einhergeht.

Bielefeld (ul). „Die Übernahme bestimmter ärztlicher Tätigkeiten durch die Pflege steigert den Wert der Profession Pflege, entlastet den derzeit im Krankenhaus unter Personalmangel leidenden ärztlichen Bereich und ist für den Einrichtungsträger kostengünstiger", steht für den Pflegedirektor außer Frage. Es gehe nicht an, den Pflegedienst immer anspruchsvoller auszubilden, ohne dies in der Praxis zu berücksichtigen, und Pflegende stattdessen auch als Hauswirtschaftskräfte zu nutzen. Liedtke: „Wir verschwenden teuere Ressourcen, das können wir uns nicht leisten." In der Konsequenz bedeutete das für ihn die Übernahme von ärztlichen Tätigkeiten durch die Pflege und die Abgabe von Hauswirtschafts- und Schreibaufgaben.

Nach der Betriebsvereinbarung zählen die Venenpunktion, das Legen peripherer Zugänge im Rahmen der Infusionstherapie sowie der Verbandwechsel künftig zum Aufgabenbereich der Pflege. Insbesondere aus haftungsrechtlichen Gründen bleibt es aber grundsätzlich bei der Anordnungsverantwortung des Arztes und der Durchführungsverantwortung der Pflegekraft.

Da hier ärztliche Tätigkeiten pauschal an eine andere Berufsgruppe delegiert werden, sieht die Betriebsvereinbarung jedoch einen umfassenden Katalog zur haftungsrechtlichen Absicherung des Vorgehens vor. Der wichtigste Punkt: Alle Pflegekräfte müssen nach systematischer Schulung einen drei Jahre gültigen Befähigungsnachweis erwerben, der sie zur Übernahme der bisher ärztlichen Tätigkeiten (Legen peripherer Zugänge, Kurzinfusionen, Blutentnahme etc.) qualifiziert. Die praktische Fähigkeit bezeugt ein Facharzt nach mehrmaliger Kontrolle per Unterschrift. Ansonsten unterzeichnen auch die Schulungskraft und der Pflegedirektor (für die Betriebsleitung) das Dokument, dessen Gültigkeit nach Kontrolle nur durch die Unterschrift eines Facharztes um weitere drei Jahre verlängert werden kann.

Lückenlos und umfassend wird der Umgang mit diesen Befähigungsnachweisen auch im Zuge des hauseigenen Qualitätsmanagements dokumentiert. Lüdtke: „Dieser Aufwand ist juristisch einfach notwendig, da durch die Delegation der ärztlichen Aufgaben an den Pflegedienst eine Umkehr der Beweislast vorliegt."

Haftungsrechtlich sind weitere Punkte klar geregelt:

  • Der Chefarzt legt per Unterschrift sein grundsätzliches Einverständnis zur Verlagerung gewisser ärztlicher Tätigkeiten an den Pflegedienst fest - übrigens auch gleich für seinen Nachfolger.
  • Eine Negativliste nicht an den Pflegedienst delegierbarer Medikamente wird erstellt.
  • Der Umgang mit Zytostatika ist separat geregelt
  • Die Betriebsleitung legt per Unterschrift die grundsätzliche Haftung des Hauses fest und erklärt diese Tätigkeiten zu Dienstaufgaben der Pflege.
  • Eine Dienstanweisung regelt Näheres zu Anordnung, Durchführung, Einwilligung des Patienten und berechtigtem Personenkreis.
  • Die Theorie-Schulung der Pflegenden basiert auf Standards, die Ärzte und Pflege erstellt haben, und wird per Befähigungsnachweis dokumentiert.
  • Selbst die Aufbewahrung der Befähigungsnachweise ist geregelt.

Schon haben fast drei Viertel der rund 500 Pflegekräfte an den beiden Standorten Mitte und Rosenhöhe der Städtischen Kliniken Bielefeld ihre Schulungen zum Befähigungsnachweis absolviert. Liedke: „Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ziehen da mit." Anfang April wären alle Pflegekräfte geschult.

Vorausgegangen war der Delegationsregelung eine systematische Vorbereitung: Eine interdisziplinäre Arbeitsgruppe bildete das Kernteam. Abfragen des Pflegedienstes zur Bereitschaft, ärztliche Tätigkeiten zu übernehmen, folgten ebenso wie die Abstimmung mit dem ärztlichen Dienst über die Chefarztkonferenz. Zum Schluss wurden Entlastungszeiten für die Ärzte und Mehrbelastungszeiten für die Pflege im Zuge der Aufgabenverlagerung gemessen und analysiert.

Eine Tür für die Übernahme gewisser ärztlicher Tätigkeiten durch die Pflege eröffnet auch das novellierte Krankenpflegegesetz in § 3 Absatz 2: Im Rahmen der Mitwirkung soll die Ausbildung zur eigenständigen Durchführung ärztlich veranlasster Maßnahmen (a.) bzw. für Maßnahmen der medizinischen Diagnostik, Therapie oder Rehabilitation (b.) befähigen, heißt es dort.

Im Gegenzug zur Übernahme neuer Aufgaben wurden Pflegende in Bielefeld auch von pflegefremden Tätigkeiten entlastet. Hauswirtschaftliche Arbeiten in Patientenzimmern, Spülräumen, Bädern, Dienstzimmern, bei der Speisenversorgung und in der Materialwirtschaft erledigen künftig Stationsassistenten der neuen Dienstleistungs-GmbH der Städtischen Kliniken. In diese wurden bisherige BAT-bezahlte Servicekräfte des Hauses ausgelagert. Bei Neueinstellungen müssen sich etwa Küchenkräfte zum Leidwesen der Gewerkschaft ver.di mit den niedrigen Tarifen der Gewerkschaft Nahrungsmittel, Genuss, Gaststätten (NGG) begnügen.

Was, wie oft, wie lange und wie von den Stationsassistenten gemacht werden soll, legte zuvor eine Arbeitsgruppe fest. Examinierte Pflegekräfte sind gegenüber den Stationshilfen weisungsbefugt im Rahmen des Leistungsverzeichnisses. Für alles Weitere muss die Dienstleistungsgesellschaft sorgen.

„Durch den niedrigeren Tarif der Stationshilfen erreichen wir einen Stundengewinn von etwa elf Stunden Wochenarbeitszeit, bei Zurverfügungstellung von einer halben Stelle (19,25 Stunden/Woche) von Seiten des Pflegedienstes", rechnet Liedtke vor. Diese elf Stunden können für die Übernahme bisher ärztlicher Tätigkeiten genutzt werden. Der Pflegedirektor nennt weitere Vorteile: „Um diese Zeit wird der ärztliche Dienst auf den Allgemeinstationen entlastet." Und: Patienten erhielten zum Beispiel Kurzinfusionen in den angegebenen Zeiten von Pflegenden und bräuchten nicht mehr lange auf einen Arzt zu warten.

Um Ärzte und Pflegende von Schreibarbeiten, Aktenverwaltung etc. zu entlasten, werden in Bielefeld zudem schrittweise BAT-vergütete Stations-

sekretärinnen mit Fünf-Tage-Woche eingeführt.

Liedtkes Fazit: „Insgesamt führt der Einsatz von Stationssekretärinnen und Stationshilfen dazu, dass die Pflege wieder mehr am Bett tätig ist." Mit der Weg weisenden Betriebsvereinbarung werde im Übrigen der derzeitige juristische Leitsatz, die Pflege sei nur ein „ärztlicher Assistenz- oder Hilfsberuf", praktisch widerlegt, freut sich der Pflegedirektor.

Quelle: http://www.vincentz.net

Die Vorstellung des Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung von Uwe Lötzerich (übermittelt am 17.02.2005)