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Ärztliche Dokumentationspflicht und ihre Tücken
So können Dokumentationsfehler vermieden werden

Bei der Leserbefragung in der MBZ war das Thema Arzthaftung Favorit bei jenen Themen, die gerne häufiger gelesen würden. Die Redaktion der MBZ hat diese Anregung gerne aufgegriffen. In dieser und weiteren MBZ-Ausgaben wird in loser Reihenfolge eine Serie zum Thema Arzthaftung und den verschiedenen Facetten veröffentlicht. Im folgenden Beitrag beschäftigt sich Rechtsanwalt Roland Wehn, Leiter der Fortbildungsabteilung der DBV-Winterthur, ausführlich mit Fragen zum Thema ärztliche Dokumentationspflicht.

Ausgangspunkt für die Betrachtung der medizinischen Dokumentationspflicht ist der Zweck der Dokumentation. Mittlerweile ist anerkannt, dass grundsätzlich zwei Dokumentationszwecke in Betracht kommen. Einerseits dient die Sicherstellung einer ordnungsgemäßen Behandlung bzw. einer ordnungsgemäßen Behandlungsfortführung (etwa durch Nachbehandler oder Kollegen), andererseits Belange der Beweissicherungssicherung und der Rechenschaftslegung. Die Dokumentationspflicht entspringt letztlich dem Postulat nach Behandlungssicherheit und ist daher primär eine medizinische und nicht juristische Verpflichtung. Sie ergibt sich als Nebenpflicht direkt aus dem ärztlichen Behandlungsvertrag. Die Verletzung dieser Pflicht führt in der Regel nicht direkt zu einem Schadensersatzanspruch des Patienten, allerdings kann eine mangelnde Dokumentation dann indirekt Schadensersatzansprüche auslösen, wenn die Regeln des Arzthaftungsprozesses Beweiserleichterungen für mangelnde Dokumentation vorsehen. Dem Grunde nach ist im Arzthaftungsprozess der Patient für den Behandlungsfehler und den Kausalzusammenhang zum eingetretenen Schaden beweispflichtig. Allerdings können Beweiserleichterungen greifen, wenn Maßnahmen unterblieben sind, die im entsprechenden Stadium hätten vorgenommen werden müssen. Schweigt die ärztliche Dokumentation an solchen Stellen und kann der Beweis einer Maßnahme anders nicht erbracht werden, dann kann zu Gunsten des Patienten davon ausgegangen werden, dass die Maßnahme unterblieben ist. Häufig ist dieser anderweitige Beweis – etwa durch Zeugen – nicht möglich.

Diese einfache erste Regel gilt im positiven wie im negativen Sinne, mit der Folge, dass auch dokumentierte Maßnahmen den indiziellen Beweis in sich tragen, dass der jeweilige Arzt die beschriebenen Umstände auch so vorgefunden hat, wie diese beschrieben wurden.

Hierzu zwei Beispiele:

  • Werden in einem OP-Bericht im Rahmen einer Marknagelung keine Besonderheiten dokumentiert, so ist prima facie davon auszugehen, dass eine später festgestellte Schaftsprengung nicht auf unfallbedingten Schädigungen beruht, sondern auf fehlerhafte OP-Ausführung, denn andernfalls hätte sich zur Schaftverletzung eine Eintragung im OP-Bericht finden müssen.
  • Wird bei einer Entbindenden ein blutdrucksenkendes Präparat appliziert und angeblich ab diesem Zeitpunkt ein Dauer-CTG ohne auffälligen Befund geschrieben, dieses aber nicht dokumentiert, dann gilt – wenn der Befund des CTG anders nicht beweisbar sein sollte – dieses CTG als nicht durchgeführt. In diesem Fall würde sich der Dokumentationsmangel als grober Behandlungsfehler darstellen, denn nach den allgemeinen Regeln der Geburtshilfe wäre in dieser Konstellation eine laufende Kontrolle und Dokumentation erforderlich gewesen.

Welche Maßnahmen sind zu dokumentieren?

Diese Frage ist nicht einfach zu beantworten, denn auch hier hängt es – wie so oft – vom Einzelfall ab. Grob könnte man sagen, alles was für die Behandlung im Sinne der Behandlungssicherheit notwendig ist. Ein anderer Arzt gleicher Fachrichtung müsste nach Übernahme und Studium der Dokumentation unmittelbar in der Lage sein, die Behandlung nahtlos fortzusetzen. Die Dokumentation erstreckt sich deshalb sicher auf die Anamnese, die primären Beschwerden, erste Arbeitsdiagnosen, Funktionsbefunde, Röntgen- und sonstige Bild- oder Schallbefunde, die Art und Dosierung einer Medikation, Abweichung von Standardbehandlungen, Anweisungen zur Pflege und Lagerung, Hinweise im Rahmen der Aufklärung sowie Hinweise zur Inanspruchnahme eines Spezialisten. Sehr wichtig ist die Dokumentation von ärztlichen Anordnungen hinsichtlich spezieller Pflegemaßnahmen (z. B. Monitoring) sowie der Fälle, in denen der Patient das Krankenhaus auf eigene Verantwortung verlassen will. In OP-Berichten sind alle wesentlichen Schritte der OP, unerwartete Zwischenfälle, Wechsel in der Person des Operateurs (hier im Rahmen der Anfänger-OP auch, wer den Operateur überwachte) sowie die Lagerung des Patienten während der OP zu dokumentieren. Ergänzt wird dieses Protokoll durch das Anästhesieprotokoll, aus dem sich die wesentlichen Parameter für die Narkose ergeben müssen. Im Einzelfall kann der Arzt sich ganz simpel folgende Kontrollfrage stellen: Wäre einem anderen Arzt die nahtlose Übernahme der Behandlung möglich? Wird dies bejaht, dann ist die Dokumentation an dieser Stelle weder in medizinischer noch in juristischer Sicht zu beanstanden!

Routinemaßnahmen

Routinemaßnahmen sind im Rahmen eines Behandlungsverlaufs nicht im Einzelnen zu dokumentieren, wenn diese sich aus ärztlicher Sicht als selbstverständlich darstellen oder ein wesentlicher Bestandteil einer etablierten klinischen Behandlungsmethode darstellen.

Aber auch hier verlaufen die Grenzen fließend, denn eine befundlose Routinekontrolle kann in dem einen Fall aus medizinischer Sicht dokumentationsunwürdig, im anderen Fall von erheblicher Bedeutung sein. Als Beispiel wäre hier der klinische Lymphstatus zu nennen, der für einige Krankheitsbilder aus dem pädiatrischen Bereich massive Bedeutung entfaltet, für den internen Bereich aber häufig nur ein Befundbild unter vielen darstellt. Es hängt deshalb auch für die Routinefälle stark davon ab, in welchem Bereich sich der Arzt bewegt. Genügt im Rahmen einer Routineuntersuchung bei der Feststellung z. B. eines Blutdruckwerts auch die befundlose Nichtdokumentation, so stellt dies bei einem Hochdruckpatienten oder einer Gebärenden u. U. einen groben Dokumentationsmangel dar (z.B. zum Ausschluss von Präklampsien). Die Fragestellung, was im Einzelfall als Routine zu werten ist, ergibt sich aus den jeweiligen Regeln der fachärztlichen Disziplin.

Besonderheit bei Anfängereingriff

Soweit eine OP von einem Berufsanfänger durchgeführt wird, sind – entgegen der Rechtsprechung zum sonstigen Routineeingriff – auch Routineeingriffe bis ins Detail zu dokumentieren, denn der Dokumentation kommt in diesem Kontext ein erheblicher Beweiswert auch für die Frage der Zulässigkeit dieser OP durch einen Anfänger zu. In diesen Fällen ist auch mitzudokumentieren, wer den Anfänger in der OP-Technik überwachte und wann eine Übernahme der OP durch den aufsichtsführenden Arzt (z. B. nach einer Komplikation) stattfand.

Zeitpunkt der ärztlichen Dokumentation

Die ärztliche Dokumentation ist zeitnah zu erstellen, d.h. in unmittelbarem Zusammenhang zu der konkreten Behandlung. Hierbei ist zu unterscheiden. Handelt es sich hierbei um einen Eingriff – wie z. B. eine OP –, so ist zeitnah auch das Erstellen innerhalb der üblichen Zeitspannen (z. B. Diktat der OP-Berichte am Abend oder nächsten Morgen für alle betreffenden OPs eines Operateurs). Soweit es sich bei dem Eingriff allerdings um eine komplizierte OP gehandelt hat, so wird man hier als zeitnah ebenfalls nur unmittelbar verstehen können. Im Stationsdienst dagegen ist „zeitnah" immer unmittelbar, denn hier kommt es für die medizinische Ablaufsicherheit darauf an, auch in arbeitsteiligen Prozessen den Verlauf und Fortgang klar und für jeden Nach- und Mitbehandler zu beschreiben.

Form der ärztlichen Dokumentation

Grundsätzlich sind nach den jeweiligen Berufsordnungen für Ärzte (vgl. z. B. § 10 BayBOÄ) ärztliche Aufzeichnungen schriftlich anzufertigen. EDV-Dokumentationen sind nach überwiegender Auffassung ebenfalls zulässig, allerdings nur dann, wenn diese Systeme ausreichend gegen nachträgliche Veränderung und Manipulation gesichert sind (vgl. z. B. § 10 V BayBOÄ). Man wird deshalb darauf bestehen müssen, dass Dokumentationssysteme dann, wenn sie auch im Sinne des Beweisrechts anerkannt werden sollen, den Zeitpunkt der Dokumentation exakt und unveränderbar mitprotokollieren.

Grundsätzlich hat der Patient – ohne Nachweis eines rechtlichen Interesses – ein direktes Einsichtsrecht in die Patientendokumentation. Das Einsichtsrecht beschränkt sich allerdings auf die naturwissenschaftlich konkretisierbaren Befunde, Aufzeichnungen über Behandlungsmaßnahmen, den Verlauf und schließlich den Fortgang der Behandlung. Nicht vom Einsichtsrecht erfasst sind subjektive Wertungen, die die Wiedergabe von persönlichen Eindrücken über den Patienten und dessen Umfeld darstellen. Hierzu gehören auch vorläufige Verdachtsdiagnosen sowie emotionale Bemerkungen des Arztes, etwa über das querulatorische Verhalten des Patienten. Ein Problem besteht allerdings darin, dass solche Aufzeichnungen häufig physikalisch mit der objektivierbaren Dokumentation verbunden sein werden. Ist dies der Fall, so dürfen diese Passagen im Fall der Einsicht zwar abgedeckt werden, aber dies bedingt in der Praxis immer den Verdacht, maßgebliche Aufzeichnungen unterdrücken zu wollen. Der Bundesgerichtshof favorisiert deshalb die so genannte duale Aufzeichnung in einer Art doppelten Buchhaltung. Der persönlich emotionale Teil der Aufzeichnung wäre in diesem Fall nicht von dem Einsichtsanspruch erfasst.

Der Einsichtsanspruch ist grundsätzlich auch für den Patienten in Vollmacht (etwa durch einen Rechtsanwalt) durchsetzbar, allerdings muss in diesen Fällen über die eigentliche Vollmacht hinaus auch eine Schweigepflichtsentbindung ergänzend vorgelegt werden. Der Anspruch richtet sich primär auf Akteneinsicht in der Klinik oder in der Praxis des Arztes sowie auf kurzfristige Überlassung der Unterlagen zur Anfertigung von Kopien (strittig), wobei dies aus beweistechnischer Sicht als untunlich erscheint. Die herrschende Meinung bejaht deshalb einen Herausgabeanspruch von Fotokopien der ärztlichen Dokumentation jedenfalls dann, wenn angemessene Kostenerstattung für das Anfertigen der Kopien zugesagt wurde. Bei Röntgenbildern kann die Übersendung zur Einsichtnahme verlangt werden. Allerdings ist darauf zu achten, dass vorher geklärt wird, wann diese Aufnahmen wieder zurückgesandt werden. Aus Gründen der Beweissicherung sollte der Versand exakt dokumentiert werden und mittels eines sicheren Verfahrens protokolliert und in der Akte dokumentiert werden. Ergänzend ergibt sich zur Dokumentation für den Patienten auch der Anspruch auf die Benennung der Person des behandelnden Arztes, soweit dies von Relevanz ist.

www.aerzte.dbv-winterthur.de

Quelle: Marburger Bund Zeitung vom 26.03.2004

http://www.marburger-bund.de

Der vorstehende Artikel wird mit freundlicher Genehmigung von Herrn Wehn vorgestellt!