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Beihilfe zur Selbsttötung straffrei
Eine Meldung vom 7.3.03 dieses NEWSLETTERS erhitzt weiterhin die Gemüter, wie wir durch Rückmeldungen zahlreicher
schwerstkranker Menschen erfahren haben, die ggf. die Möglichkeit eines Freitodes mit Hilfe ihres Arztes für sich beanspruchen.
Wir berichteten, dass Prof. Dr. Jutta L I M B A C H , Bundesverfassungsgerichtspräsidentin a.D., eine strafrechtliche Missbilligung
des ärztlich assistierten Freitodes bejaht und ausdrücklich begrüßt hat. Sie tat dies mit Hinweis auf die "Schutzbedürftigkeit der Schwachen, Kranken
und Alten" in einer Festrede auf dem jüngsten Kongress für Palliativmedizin in München. Dort hatte sie ferner im Zusammenhang mit dem Fall
der Britin Dianne Pretty vorgetragen: "Die Rechtslage in Großbritannien, die in dem Suicide-Act (Selbstmord-Gesetz) ausdrücklich geregelt ist,
entspricht weitgehend der deutschen. Zwar ist der Freitod in England seit dem Jahre 1961 kein Verbrechen mehr. Gleichwohl ist die Mithilfe eines anderen bei
der Selbsttötung verboten ..."
Wir zitieren im folgenden gegenteilige Auffassungen und Bewertungen namhafter
Juristen, die als Experten für ärztliche Sterbebegleitung, Medizinethik und
-recht gelten:
Der Strafrechtsexperte und Bundesrichter a.D. Klaus K U T Z E R
bekräftigt auf unsere Anfrage noch einmal seine Position, die er bereits im
vorigen Jahr auf dem 8. Vormundschaftsgerichtstag in Erkner und auf Anfrage der
Bundestagsabgeordneten Rolf Stöckel und Irmingard Schewe-Gerigk im Berliner
Reichstag vorgetragen hatte. Wir zitieren zunächst aus seinem Antwortschreiben
vom 7.3.03):
"Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofes hat, wie Frau Limbach richtig
zitiert, in der Tat gesagt (BGHSt 46, 279, 286): `Dies [gemeint ist: die
Regelung des § 216 StGB] zeigt an, dass die Rechtsordnung die Mitwirkung eines
anderen am Freitod eines Menschen grundsätzlich missbilligt.´ Daraus hat der
5. Strafsenat des BGH aber nicht den Schluss gezogen, dass bei uns Beihilfe zum
Suizid wie in England strafbar sei. Die - vor Verlust der Tatherrschaft des
Suizidenten - geleistete Beihilfe zum Suizid ist nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs nur strafbar, wenn der Suizident nicht entscheidungsfähig
ist oder wenn das Suizidgeschehen für einen anwesenden Dritten einen
Unglücksfall nach § 323 c StGB darstellt und die weiteren in § 323 c StGB
genannten Voraussetzungen vorliegen (vgl. BGHSt 32, 367, 375). Um die
Strafbarkeit nach § 323c StGB einzuschränken und in bestimmten Fällen
auszuschließen, habe ich ja in Berlin bei der Info-Veranstaltung am 27.06.02 im
Deutschen Bundestag angeregt, diese Rechtsprechung durch den Gesetzgeber
(`jedenfalls im Falle eines offensichtlich freiverantwortlich begangenen
Suizids´) zu überprüfen. Inzwischen habe ich mehrfach, z.B. auf dem 8.
Vormundschaftsgerichtstag in Erkner, vorgeschlagen, dem § 323c StGB folgenden
Satz anzufügen: Hilfe ist nicht erforderlich, wenn ein Suizid nach ernsthafter
Überlegung zur Beendigung schweren Leidens begangen wird." (Klaus Kutzer,
Antwort vom 7.3.)
Das von Kutzer angegesprochene Zitat seines Beitrages im Berliner Reichtstag vom
27.6.02 lautet:
"Die Rechtsprechung, dass jeder Suizid als zur Hilfeleistung
verpflichtender Unglücksfall anzusehen ist (z. B. BGHSt 32, 367, 373) bedarf
meines Erachtens der Überprüfung. Jedenfalls im Falle eines offensichtlich
freiverantwortlichen Suizids, insbesondere um einem langwierigen tödlichen
Siechtum zu entgehen, verstößt eine strafbewehrte, also mit den Mitteln des
Strafrechtes erzwungene `Hilfs`-Pflicht gegen die Achtung des
Persönlichkeitsrechts des Suizidenten. Wegen fehlender Prognostizierbarkeit
einer Rechtsprechungsänderung könnte der Gesetzgeber eine Klarstellung in den
§§ 13 und 323c StGB erreichen - wenn er dieses Ziel teilt." (Aus:
Dokumentation der Veranstaltung vom Juni 2002 im Berliner Reichstag,
Wortprotokoll)
Ähnlich hatte sich bereits im Oktober vorigen Jahres Prof. Hans-Ludwig
SCHREIBER geäußert. Eine gesetzliche Regelung könnte, so der Göttinger
Jurist, für den ärztlich assistierten Suizid eine Alternative zur Tötung auf
Verlangen sein. Beim assistierten Suizid bleibe der Kranke Handelnder, der Arzt
unterstütze ihn nur bei der Auswahl des Giftes. Bei der aktiven Sterbehilfe
hingegen werde der Arzt, selbst wenn der Patient einwilligt, zum Handelnden. Mit
seinem Vorschlag wolle er dem "Treiben von Sterbehelfe
rn" entgegentreten. Der Einsatz dieser Helfer sei ein Beleg für die
"unbefriedigende Situation" hierzulande, so Schreiber weiter: Der
Arzt, muss - will er strafrechtliche Konsequenzen vermeiden - einen sterbenden
Patienten, dem er eigentlich beistehen will, alleine lassen, eine
Sterbebegleitung bis zum Tod wird unmöglich gemacht. Schreibers
Schlußfolgerung: Wenn sich ein Patient in einer hoffnungslosen Situation
befindet, in der er sich nichts mehr als den Tod wünscht, dann sollte ihm dabei
ein Arzt und nicht ein selbsternannter Sterbehelfer beistehen können.
(Schreiber auf der Tagung der Evangelischen Akademie Tutzing, Oktober 02)
FAZIT: Nur die Tötung auf Verlangen ist in Deutschland eindeutig verboten. Die
Hilfe zur Selbsttötung eines Freiwillensfähigen ist in Deutschland - anders
als z. B. in England - straffrei, jedoch von "Mißbilligung"
begleitet. Für hoffnungslose Situationen, in denen sich der Patient nichts mehr
als den Tod wünscht, sollte es nach Auffassung namhafter Experten eine
gesetzliche Regelung geben, die den ärztlich assistierten Suizid und vor allem
die Unterlassung anschließender Hilfspflichten ermöglicht.
Quelle: PATIENTENVERFUEGUNG NEWSLETTER vom 16.3.2003
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