Pflege - Patientenrecht & Gesundheitswesen
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Vorbereitung zur 75. Gesundheitsministerkonferenz
Arbeitsgruppe "Würdevolles Sterben"
Beantwortung der 6 Fragen aus Sicht des Deutschen Pflegerates
1. Wie beurteilt der Deutsche Pflegerat den Status Quo und den künftigen Bedarf
bezüglich ärztlicher und pflegerischer Aus-, Weiter- und Fortbildung in den
Bereichen Palliativmedizin und Schmerztherapie?
Aus der Sicht des Deutschen Pflegerates ist das
bisherige Angebot an Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen auf dem Gebiet der
palliativen Medizin und Pflege differenziert zu beurteilen. Im ärztlichen
Bereich gibt es unseres Wissens lediglich Fortbildungen mit einem Umfang von ca.
40 Stunden zu den Themen Palliativmedizin und Schmerztherapie. Für die Pflege
werden von verschiedensten Bildungsträgern Bildungsangebote gemacht, die sich
zwar alle auf das Curriculum der Midred Scheel Stiftung berufen, jedoch
qualitativ recht unterschiedlich ausfallen. Die auf ein bis zwei Jahre angelegte
Bildungsmaßnahme "palliative Care" hat einen Gesamtstundenumfang von
160 Stunden. Zwar gibt es für Bildungsträger die Vorgabe, nur ausgebildete
Trainer für diese Lehrgänge einzusetzen, dennoch wird das erzielte Niveau der
Absolventen unterschiedlich eingeschätzt. Bedingt durch die Stundenzahl von 160
Stunden wird der Lehrgang "palliative Care" nicht als
"Aufstiegs-Weiterbildung" im tarifrechtlichen Sinne anerkannt. Aus
Qualitätsgründen wäre jedoch zu fordern, sie in den Kontext der
Fachweiterbildungen Anästhesie/Intensivpflege zu stellen.
Das Thema Schmerztherapie ist aus unserer Sicht ebenfalls für beide
Berufsgruppen ein sehr wesentlicher, bisher vernachlässigter Bildungsinhalt. Es
sollte allerdings nicht isoliert betrachtet werden, sondern gehört aus unserer
Sicht in den Kontext jeder Weiterbildung in Palliativ- und Intensivmedizin oder
-pflege bzw. es sollte ausgewiesener Bildungsgegenstand in allen
Ausbildungsprogrammen für Ärzte und Pflegende sein.
In der Zusammenarbeit mit niedergelassenen Ärzten wird seitens der Pflegenden,
ambulanter Pflegedienste und stationärer Alteneinrichtungen häufig beklagt,
dass der Verschreibung einer Schmerzmedikation mit dem Ziel einer 24-Stunden
Schmerzfreiheit meist mit sehr großer Zurückhaltung begegnet wird. Allerdings
fehlen auch den meisten Pflegenden ausreichende Kenntnisse, um entsprechende
Verordnungen einzufordern.
2. Hält der Deutsche Pflegerat zur Sicherung von
Qualität und Wirtschaftlichkeit eine noch stärkere interdisziplinäre
Verzahnung von Palliativmedizin und -pflege für geboten, welche Relevanz hätte
ggf. eine solche Ausrichtung konkret für den Bedarf im Sinne von Frage 1 und
sollte ein derartiger interdisziplinärer Ansatz in der
Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer enthalten sein?
Da Palliativmedizin grundsätzlich ein ganzheitliches Verständnis voraussetzt,
das Gesundheit nicht als die Abwesenheit von Störungen definiert, sondern als
die Kraft, mit ihnen zu leben, kann sie nur im Zusammenwirken des Patienten mit
allen beteiligten Berufsgruppen erfolgreich sein. Dementsprechend halten wir
interdisziplinäre, berufsübergreifende Aufbaulehrgänge, in denen die
Berufsgruppen von den gegenseitigen Erfahrungen profitieren können, für
äußerst sinnvoll. Eine Aufnahme in die Musterweiterbildungsordnung der
Bundesärztekammer muss allerdings implizieren, dass das diesbezügliche
Zertifikat der Bundesärztekammer gleichberechtigt für alle beteiligten Berufe
gilt, bzw. ein gemeinsames Zertifikate der Bundesärztekammer und Deutschen
Pflegerates entwickelt wird.
3. Wie beurteilt der Deutsche Pflegerat die
Erfahrungen mit Patientenverfügungen und Vorsorgevollmachten in der Praxis,
insbesondere auch unter dem Aspekt des hierauf bezogenen ärztlichen Handelns?
Welche Erkenntnisse wurden bei der Umsetzung der Grundsätze der
Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung erlangt?
Die Erfahrungen mit Patientenverfügungen und
Vorsorgevollmachten sind in der Praxis sehr unterschiedlich. Das liegt zum einen
an der Qualität der Patientenverfügungen, die zum Teil sehr allgemein gehalten
sind, so dass sie einen hohen Interprätationsspielraum lassen. (Gilt das Legen
einer Ernährungssonde z.B. als ein lebensverlängernder Eingriff oder als eine
Maßnahme, die "Würdevolles Sterben" ermöglicht?) Gelegentlich
scheinen Ärzte und Pflegende sich aber auch nicht ausreichend mit ihrer
juristischen Bedeutung auseinander zu setzen.
Die in den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung
beschriebenen Situationen, die das Einstellen curativer Maßnahmen erlauben,
erweisen sich zuweilen als zu wenig konkret, um dem Arzt eine eindeutige
Entscheidungshilfe zu geben. Die Empfehlung, den Patienten, seine Bezugspersonen
und andere beteiligte Berufsgruppen in die Entscheidung einzubeziehen, wird in
der Praxis zu wenig beachtet. Selbst Prof. Beleites, der federführend an ihrer
Erstellung beteiligt war, stellt fest, "dass bei Angehörigen und
Pflegenden der Inhalt der Grundsätze zum Teil bekannter sei als bei den Ärzten
selbst". (Beleites, Ev. Akademie Loccum, Februar 2002).
4. Halten Sie eine institutionelle Stärkung bei
der Bewältigung ethischer Problemstellungen in der Sterbebegleitung für
geboten, wie sollte die betreffende Struktur ggf. angelegt sein
(einrichtungsbezogene Ethik-Konsile, Kommissionen, etc.) und welche Art von
Direktiven über bereits bestehende Richtlinien und Empfehlungen hinaus wären
erforderlich?
Die bereits geforderte Weiterbildung, darf sich
nicht auf die Vermittlung fachlicher Kompetenzen beschränken, sondern muss auch
Erfahrungselemente enthalten, die das persönliche Reflexionsvermögen stärken,
um zu einem ausgewogenen Verhältnis von Nähe und Distanz zu führen. Außerdem
sollten seitens der Institutionen kontinuierliche berufsüber-greifende
Teambesprechnungen bzw. Gesprächskreise mit Falldiskussionen (ggf.
supervisorisch begleitet) initiiert werden.
Darüber hinaus können für exemplarische Entscheidungen übergeordnete
Ethik-Kommitees sinnvoll sein, die berufs- und teamübergreifend besetzt und
durch außenstehende Experten (Theologen, Ethiker) unterstützt werden sollten.
5. Wie beurteilt der Deutsche Pflegerat die
planerischen und finanziellen Bedarfe
a) in der ambulanten Versorgung sterbender Patienten in Bezug auf
- die Weiterentwicklung der Profile bei spezialisierten Hospizdiensten
- die Weiterentwicklung der häuslichen Krankenpflege (allgemeine Dienste)
- die Rahmenbedingungen vertragsärztlicher Vergütung (EBM-Entwicklung),
b) in der stationären Versorgung sterbender Patienten in Bezug auf
- die zielgruppen (un-) spezifische Ausgestaltung stationärer Hospizangebote,
- die Weiterentwicklung der stationären Regelversorgung unter dem Aspekt der
Inanspruch-- nahme durch sterbende Patienten?
a) Die Beispiele spezialisierter Hospizdienste in
der ambulanten Versorgung (siehe Projekte wie "Support") beurteilt der
Deutsche Pflegerat sehr positiv. Sie sind, auch wegen ihres
berufsübergreifenden Ansatzes, weiter zu entwickeln und zu fördern. Jedoch
werden Projekte dieser Art durch ihren Modellcharakter nur befristet finanziert
und sind als Insellösungen weit entfernt davon, eine flächendeckende
Versorgung zu gewährleisten.
Daher wäre es, vor allem vor dem Hintergrund kontinuierlich abnehmender
Krankenhausverweildauer, dringend erforderlich, vermehrt allgemeine
Pflegedienste zu befähigen, eine umfassende Sterbebegleitung durchzuführen.
Dazu sollte als Minimalforderung wenigstens eine Pflegefachkraft pro
Pflegedienst eine entsprechende Weiterbildung absolviert haben.
Durch Praxisverbünde ließe sich aus der Sicht des DPR die ärztliche Betreuung
Sterbender im ambulanten Bereich lösen. Der im Gebiet der Palliativmedizin
weitergebildete Arzt könnte für die Kollegen beratend tätig werden und für
die häusliche Pflege einen ausgewiesenen Pflegedienst (ggf. unterstützt durch
einen Hospizdienst) einbeziehen.
b) Stationäre Hospize erweisen sich als Einrichtungen, in denen fachlich
kompetente Pflegepersönlichkeiten mit hoher Berufs- und Lebenserfahrung eine
optimale Sterbebegleitung ermöglichen. Sie werden unterstützt durch engagierte
ehrenamtliche Betreuer und Betreuerinnen. Für die stationären Hospize gilt
ähnliches wie für ambulante Hospizdienste (zumal beide Einrichtungen häufig
mit einander verknüpft sind). Sie reichen keineswegs aus, um eine
flächendeckende Versorgung zu gewährleisten. In der Praxis werden die
Pflegeexpertinnen und -experten der Hospize häufig von ambulanten
Pflegediensten und stationären Alteneinrichtungen zur Beratung herangezogen.
Das zeigt, dass eine Vernetzung verschiedener Einrichtungen, in denen Menschen
ihre letzten Lebensphase verbringen, dringend geboten wäre.
In diesem Zusammenhang ist auch der Ausbau der Palliativmedizin in
Krankenhäusern zu fordern. Krankenhäuser, die eine Palliativstation vorhalten,
sind bisher ausgesprochen selten. Daher wäre eine sektorenübergreifende enge
Verzahnung zwischen Palliativstation, allgemeiner Station, hausärztlicher
Betreuung, ambulantem Pflegedienst, Hospiz und Altenheim im Sinne eines
palliativen Netzwerkes wünschenswert. Die Erfahrung zeigt, dass eine
lückenlose palliative Versorgungskette den Wunsch der Sterbenden nach aktiver
Sterbehilfe in den überwiegenden Fällen erübrigt.
5. Welche prognostischen Aussagen können aus
Sicht des Deutschen Pflegerates in Bezug auf strukturelle Veränderungen in der
stationären palliativmedizinischen Versorgung nach Einführung
diagnose-bezogener Fallpauschalen getroffen werden?
Da es, wie bereits ausgeführt, bisher zu wenig ausgewiesene Palliativstationen
in den Krankenhäusern gibt, werden Patienten mit onkologischen Erkrankungen,
die es in nahezu allen medizinischen Fachdisziplinen gibt, im Endstadium ihrer
Erkrankung aus dem Krankenhaus entlassen. In Ermangelung ausreichender
häuslicher Versorgung oder Hospizplätzen müssen Sterbende häufig in
Altenheime übersiedeln, um überhaupt ausreichend versorgt zu werden. Dieses
nicht zu verantwortende Phänomen wird nach unserer Einschätzung durch die
Einführung diagnose-bezogener Fallpauschalen noch zunehmen, wenn kein
Diagnoseschlüssel für "palliative Medizin und Pflege" vorgesehen
wird. Da der Sterbeprozess für jedes Individuum ein einzigartiger Vorgang ist,
lassen sich diagnoseunabhängige Prozeduren, die durch Medizin und Pflege zu
erbringen sind, kaum standardisieren. Die aufgezeigten Probleme machen die
Notwendigkeit des beschriebenen sektorenübergreifenden Netzwerkes, für das ein
spezifisches, kostenträgerübergreifendes Entgeltsystem zu entwickeln wäre,
deutlich.
Berlin/Wiesbaden, April 2002, Präsidium des Deutschen Pflegerates, Deutscher Pflegerat
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