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Kündigungsschutzprozess: Ist der Arzt Zeuge oder Sachverständiger?
Ein Beitrag von Wagner, Dr. jur. Ralph; Cramer, Dr. jur. Stephan
Wenn Arbeitnehmer als Folge von Krankheiten eine Kündigung erhalten, wird häufig ihr Arzt vor Gericht gehört – und dafür meist
kärglich bezahlt.
Wenn ein Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage beim Arbeitsgericht einreicht und der Arbeitgeber sich im Prozess auf die Krankheit des Arbeitnehmers als Kündigungsgrund
beruft, muss das Gericht prüfen, ob der Arbeitnehmer wirklich erkrankt ist, und, wenn ja, welche Folgen die Erkrankung für das Arbeitsverhältnis hat.
Weil dem Arbeitsrichter in der Regel die Kenntnisse fehlen, um den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers zu beurteilen und dessen künftige
Entwicklung zu prognostizieren, bemüht er den behandelnden Arzt. Dieser wird im Kündigungsschutzprozess regelmäßig als Zeuge herbeizitiert und (kärglich)
entschädigt: Im Gesetz über die Entschädigung für Zeugen und Sachverständige (ZSEG) sind für den Zeugen deutlich geringere Erstattungen vorgesehen als für
den Sachverständigen.
Nach § 2 Abs. 2 ZSEG liegt beim Zeugen die Entschädigung für den Zeitverlust bei höchstens 12,50 Euro je angefangene Stunde. Demgegenüber erhält der
Sachverständige zwischen 25 und 50 Euro (§ 3 Abs. 2 ZSEG) mit der Möglichkeit eines Aufschlags um 50 Prozent. Diese ungleiche Behandlung gilt nach § 4 ZSEG
auch für die Wegezeiten. Sie setzt sich fort, indem dem Sachverständigen die zur Vorbereitung seiner Aussage benötigte Zeit ebenso ersetzt wird wie eine
Pauschale von zwei Euro je Seite bei schriftlichen Gutachten. Unterschiedlich bemessen ist sogar der Ersatz für die Benutzung des eigenen PKW bei der Fahrt
zum Gericht: Während sich der Zeuge mit 0,21 Euro pro Kilometer zufrieden geben muss, erhält der Sachverständige 0,27 Euro. Lediglich Kosten einer Vertretung
werden beim Zeugen und beim Sachverständigen in gleicher Höhe ersetzt (§ 11 Abs. 1 ZSEG).
Zeuge ist, wer dem Gericht eigene Wahrnehmungen berichtet. Demgegenüber liefert der Sachverständige aufgrund seiner Expertise Erfahrungssätze oder
Schlussfolgerungen, die dem Laien nicht zur Verfügung stehen. Wendet man diese Kriterien auf den Arzt im Kündigungsschutzprozess an, ergibt sich Folgendes:
Soweit er darüber berichtet, welche Symptome beim Patienten festzustellen waren, ist er Zeuge. Schon bei der Ableitung einer Diagnose aus diesen Symptomen
handelt der Arzt eindeutig als Sachverständiger. Er wendet sein medizinisches Fachwissen auf einen bestimmten Sachverhalt an und gelangt damit zu bestimmten
Ergebnissen. Noch klarer wird die Sachverständigenrolle, wenn der Arzt eine Prognose erstellt, zum Beispiel über den Krankheitsverlauf.
Konsequenzen bei einer Vorladung
Die Grenzlinie zwischen der Tätigkeit als Zeuge und jener als Sachverständiger lässt sich auch finden, indem man sich fragt, für welche Angaben allein ein
bestimmter Arzt in Betracht kommt (Zeuge) und inwieweit auch jeder andere Arzt hätte Auskunft geben können (Sachverständiger). Über den Befund bei der
Untersuchung des Patienten, also die eigenen Wahrnehmungen, kann nur der behandelnde Arzt berichten. Alle anderen Angaben (Ableiten der Diagnose aus den
Symptomen, Prognosen für die künftige Entwicklung) könnten auch von anderen Ärzten gemacht oder überprüft werden.
Der behandelnde Arzt tritt in einem Kündigungsschutzprozess also teilweise als sachverständiger Zeuge, überwiegend jedoch als Sachverständiger auf. Wenn
sich die Tätigkeit einer Person nicht zwischen den Bereichen Zeuge und Sachverständiger trennen lässt oder der Schwerpunkt eindeutig im Bereich der
Sachverständigentätigkeit liegt, muss die Entschädigung dem folgen.
Wird der Arzt vom Arbeitsgericht als Zeuge geladen und gewinnt er den Eindruck, dass von ihm überwiegend Sachverständigentätigkeit verlangt wird, gilt
Folgendes:
- Der Arzt ist zur Zeugenaussage verpflichtet. Er muss – auch wenn er meint, zur Sache nichts sagen zu können – bei Gericht erscheinen. Unterlässt er
dies, kann ihm das Gericht sowohl die Kosten des Verhandlungstermins als auch ein Ordnungsgeld von bis zu 500 Euro auferlegen.
- Sinnvoll ist ein Anruf beim Richter (oder der Geschäftsstelle) mit dem Hinweis, dass die abverlangte Tätigkeit ganz überwiegend Sachverständigenarbeit
darzustellen scheint.
- Falls das Gericht auf die Einordnung des Arztes als Zeuge beharrt, hat dies für den Gerichtstermin zunächst keine Konsequenzen: Der Arzt ist zum Erscheinen und
zur Auskunft hinsichtlich des Befundes als „sachverständiger Zeuge“ verpflichtet. Für die Stellungnahme zur Diagnose und Prognoseaussagen ist er
Sachverständiger und auch als solcher zur Arbeit für das Gericht verpflichtet, weil er „die Wissenschaft, . . . deren Kenntnis Voraussetzung der Begutachtung
ist, öffentlich zum Erwerb ausübt“ (§ 407 Abs. 1 ZPO).
- Erst wenn er seine Entschädigung durchsetzen will, kann der Arzt die Bewertung seiner Tätigkeit als Sachverständigenarbeit notfalls mit
Rechtsbehelfen einfordern.
- Die Entschädigung des Zeugen muss innerhalb von drei Monaten nach dem Verhandlungstermin beim Gericht beantragt werden. Demgegenüber gilt für den
Sachverständigen keine gesetzliche Frist zur Benennung seines Anspruchs. Wenn zwischen Gericht und Arzt Meinungsverschiedenheiten bestehen, wie Letzterer zu
behandeln ist, sollte der Arzt vorsorglich die Dreimonatsfrist einhalten und innerhalb dieser Frist einen Entschädigungsantrag stellen, im Antrag jedoch die
Vergütung des Sachverständigen fordern und für den konkreten Fall benennen. Unbedingt sollte beantragt werden, die Vergütung durch gerichtlichen Beschluss
festzusetzen.
- Das Arbeitsgericht muss – wenn der Zeuge oder Sachverständige dies beantragt – durch Gerichtsbeschluss entscheiden. Korrigiert es seine
Auffassung und ordnet den Arzt als Sachverständigen ein, werden die Entschädigungsbeträge festgesetzt und ausgezahlt. Sollte das Gericht auch jetzt noch den Arzt als
Zeugen behandeln wollen, wird es mit Beschluss die beantragte Sachverständigenentschädigung verweigern und stattdessen eine Zeugenentschädigung festsetzen.
- Diese Entscheidung kann der Arzt durch Beschwerde angreifen. Die nicht fristgebundene Beschwerde ist beim Arbeitsgericht einzulegen. Das Gericht prüft
dann nochmals seine Entscheidung und kann sie ändern. Anderenfalls hat das Arbeitsgericht die Sache dem Landesarbeitsgericht vorzulegen, das abschließend
entscheidet.
- Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei und kann vom Arzt ohne Beauftragung eines Anwalts betrieben werden.
Anschrift der Verfasser:
Dr. jur. Ralph Wagner
Dr. jur. Stephan Cramer
Königstraße 9, 01097 Dresden
Quelle: Deutsches Ärzteblatt 99, Heft 40 vom 04.10.02, Seite A-2638
http://www.aerzteblatt.de
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