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Aus der Neuen Solidarität Nr. 14 vom 7.4.2001:
Müssen Todkranke in Deutschland verhungern?
Club of Life. Der "Bundesausschuß der Ärzte und
Krankenkassen" hat kürzlich einen Entwurf vorgelegt, der die Verordnung
von Trink- und Sondennahrung an zum Teil zynische und menschenverachtende
Vorbedingungen knüpft und bestimmte Produkte wegen vermeintlicher
"Unwirtschaftlichkeit" gar nicht mehr bezahlen will.
In der modernen Medizin gibt es eine Reihe lebensbedrohlicher Krankheiten,
bei denen eine künstliche Ernährung über eine Magensonde notwendig ist. In
Deutschland müssen etwa 100000 Menschen aufgrund ihrer Erkrankung künstlich
mit Trink- oder Sondennahrung versorgt werden. 50000 von ihnen bedürfen
lebensnotwendig der Ernährung mit der Sonde. Ohne Nahrungszufuhr droht ihnen
die Mangelernährung mit Todesfolge.
Man sollte meinen, daß diese schwerkranken Patienten selbstverständlich
Anspruch auf anstandslose Verordnung und Bezahlung ihrer Sondennahrung durch die
gesetzliche Krankenversicherung haben. Denn schließlich handelt es sich hier
nicht um Wunschverordnungen bei Bagatellerkrankungen.
Doch weit gefehlt. Der "Bundesausschuß der Ärzte und
Krankenkassen" hat kürzlich einen Entwurf vorgelegt, der die Verordnung
von Trink- und Sondennahrung an zum Teil zynische und menschenverachtende
Vorbedingungen knüpft und bestimmte Produkte (z.B. ballaststoffreiche ebenso
wie hypo- und hochkalorische Produkte) aufgrund vermeintlicher
"Unwirtschaftlichkeit" von der erstattungsfähigen Verordnung
ausschließen will. Anlaß genug für eine Reihe von Selbsthilfegruppen, die
"Initiative künstliche Ernährung" zu gründen, die nun für
Lebensqualität und Überlebenschancen der Betroffenen kämpft. Äußerst aktiv
ist auch der Verein zur Förderung der gesunden Ernährung und Diätetik e.V. (VFED),
der schon im Februar in Frankfurt eine Pressekonferenz mit dem Titel
"Sterbehilfe in Deutschland: Todkranke müssen verhungern" einberief.1
Sondennahrung ist standardisierte und bedarfsdeckend zusammengesetzte
flüssige Nahrung, die industriell unter hygienisch einwandfreien Bedingungen
nach bestimmten Diät- und EG-Verordnungen produziert wird. Die Verordnung legt
den erforderlichen Gehalt an lebensnotwendigen Nährstoffen wie Eiweiß, Fett,
Kohlenhydraten, Mineralstoffen und Vitaminen fest. Auch wenn eine solche
Ernährung oft nur für eine begrenzte Zeit bis zum Abklingen eines
lebensbedrohlichen Zustandes stattfindet, ermöglicht die ausgewogene
Zusammensetzung auch eine dauerhafte ausschließliche Ernährung ohne
Mangelerscheinungen.
Sondennahrung wird keineswegs nur stationär verabreicht; immer mehr Menschen
werden auf diese Weise auch ambulant versorgt. Sondennahrung kostet die
Krankenkassen pro Patient 600-900 DM im Monat. Dies ist keine horrende Summe,
und die GKV ist sehr wohl in der Lage, Sondennahrung auch weiterhin zu bezahlen.
Wieso also dann dieser Entwurf und das erneute, geradezu kriminell anmutende
Bemühen, schwerstkranke Menschen ihrer Nahrung zu berauben?
Der Verweis des Bundesausschusses auf einen Beschluß des Kasseler
Bundessozialgerichtes von 1997 ist nur ein allzu durchsichtiger Versuch, die
eigene Unmoral zu verdecken. Tatsächlich deklarierte das BSG damals medizinisch
erforderliche Spezialnahrung als Lebensmittel, für das die Krankenkassen nicht
aufkommen dürfen. Darüber hinaus bestimmte ein Gesundheitsreformgesetz (2. NOG)
von 1997, daß Versicherte keinen Anspruch auf "nichtapothekenpflichtige
Arzneimittel" hätten.
Flugs entschied bereits damals der Arbeitsausschuß Arzneimittel im
Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen, daß "sowohl das 2. NOG als
auch die BSG-Rechtsprechung... den gesetzlichen Krankenkassen und
Vertragsärzten die gesetzliche und rechtliche Basis für die Verordnungs- und
Erstattungsfähigkeit von Krankenkost und Diätpräparaten einschließlich
Sondennahrung" entziehen. Denn bei Sondennahrung handele es sich
"entweder um die unter die Rechtsprechung des BSG fallenden
Nichtarzneimittel oder, sofern sie Arzneimittel sind, um
nichtapothekenpflichtige Arzneimittel". Sondennahrung müsse also von
jedem, der dauerhaft auf einen bestimmten Zeitraum auf dieses spezielle
Nahrungsmittel angewiesen sei, selbst bezahlt werden.
Mit anderen Worten, für die Betroffenen, u.a. AIDS- und Krebskranke,
Patienten mit schweren Schluckstörungen, fortgeschrittenen dementiellen
Syndromen, Mukoviszidose, MS- oder Schlaganfall- sowie Wachkoma-Patienten,
sollte zu allen bereits bestehenden Belastungen auch noch eine finanzielle
Mehrbelastung von monatlich 500 bis 1500 Mark hinzukommen. Eine Größenordnung,
die fast alle der Betroffenen zu Sozialfällen machte oder, so der VFED schon
damals, "zu einer Unterversorgung kranker Menschen bis hin zum Tode
führen" könne.
Erst aufgrund massiven Drucks vieler Verbände und Kritik aus dem
Bundesgesundheitsministerium lenkte der Ausschuß ein. Krankenkassen wie
Ärzteschaft seien bemüht, gemeinsam mit dem Bundesgesundheitsministerium eine
gesetzliche Basis zu schaffen, die es erlaube, "in ausgewählten
Indikationen Krankenkost und Diätpräparate zu Lasten der Gesetzlichen
Krankenkassen zur Verfügung zu stellen.", hieß es in einem Schreiben des
Bundesausschusses an die Wiesbadener Nachrichtenagentur EIR vom Oktober
1998. Und tatsächlich wurde ab 1. Januar 1999 per Gesetz festgeschrieben, daß
Sondennahrung in "medizinisch notwendigen Fällen" in die Versorgung
mit Arzneimitteln gehöre.
Noch einen Schritt weiter
Es ist kaum vorstellbar, doch der neuerliche Vorstoß, schwerkranken Menschen
die erforderliche Spezialnahrung zu verweigern, geht über die skizzierte
erstmalige Auseinandersetzung über die Verordnung von Spezialnahrung noch
hinaus. Denn laut dem vorliegenden "Entwurf zur Ergänzung der
Arzneimittelrichtlinien zur wirtschaftlichen Verordnungsweise von
Aminosäuremischungen, Eiweißhydrolysaten, Elementardiäten und
Sondennahrung" werden die Bedingungen für die Verordnung von
Spezialnahrung weiter verschärft - und zwar bis zu einem Grad, der an die
Praxis der Nazis gemahnt, sich kranker und unerwünschter Menschen durch
gezielte längerwährende Nahrungsreduktion zu entledigen.
Wie anders ist zu verstehen,
- daß die Voraussetzung für die Verordnung dieser Präparate bei den
verschiedensten Krankheitsgruppen extrem hoch und jenseits vernünftiger
ärztlicher Erwägungen angesetzt sind?
- daß die Verordnung ballaststoffreicher Produkte bei Mehrkosten von nur
DM 7,- täglich als "unwirtschaftlich" eingestellt werden soll,
obwohl lebensbedrohliche Folgeerkrankungen bei Tausenden Schwerst- und
chronisch Kranker drohen?2
- daß der Arzt zunächst den starken und eventuell monatelangen
Gewichtsverlust des Patienten abwarten und dokumentieren soll, bevor er
Verordnungen zur Zusatzernährung ausstellen darf?
- daß z.B. die klinische Voraussetzung für Sondennahrung bei neurologisch
bedingten Schluckstörungen erst dann bejaht wird, wenn "ausreichendes
Füttern auch bei intensivster Zuwendung verbunden mit Schlucktraining nicht
möglich" ist, und "erhebliche Störungen der Schluckmotorik mit
Aspirationsgefahr" bestehen?
Aber auch wenn der Kranke schließlich "ausreichend" abgemagert und
sein Allgemeinzustand entsprechend verschlechtert ist, heißt dies nicht
notwendigerweise, daß er nun die benötigte Spezialnahrung erhält.
Ausdrücklich wird z.B. Krebskranken empfohlen, sich eigenständig diätetische
Nahrung aus normalen Lebensmitteln herzustellen. Sondenkost kann man indes nicht
so einfach mit dem Küchengerät herstellen. Sie darf nicht klumpen, muß von
geschmeidiger Konsistenz sein, um überhaupt durch den Schlauch in den Magen zu
gelangen. Die Nahrung muß weiterhin alle Nährstoffe in einer ausgewogenen
Mischung erhalten und der Krankheit angepaßt sein. Aus gutem Grund ist die
selbständige Herstellung von Sondennahrung in der Gemeinschaftsverpflegung,
also z.B. in Pflegeheimen, nach der deutschen Diätverordnung ausdrücklich
verboten, da weder die hygienischen Voraussetzungen gegeben sind, noch
Zusammensetzung und Konsistenz optimal und dauerhaft bedarfsdeckend sein
können.
Und was anders als die Absicht, Patienten zu schädigen, soll sich hinter dem
Ausschluß sogenannter "krankheitsadaptierter Produkte" verbergen? Die
Begründung, diese seien "unwirtschaftlich", ist nicht stichhaltig,
denn die gesundheitlichen Folgeschäden sind durch den Ausschluß dieser
Spezialprodukte in jedem Falle größer als bei Weiterverordnung der Produkte.
Nur ein Beispiel sei hierfür genannt:
Bei chronischer Niereninsuffizienz reichern sich aufgrund der
eingeschränkten Nierenfunktion Phosphate, Kalium und Eiweiße im Blut an. Diese
Kranken brauchen demnach eine eiweiß-, phosphat- und kaliumarme Diät. Ist die
Krankheit soweit fortgeschritten, daß der Patient an die Dialyse muß,
benötigt er dagegen Produkte mit einem hohen Eiweißanteil, die gleichzeitig
aber wenig Kalium und Phosphat haben. Solche Spezialnahrungen sollen in Zukunft
nicht mehr verordnet werden können; statt dessen soll es eine
"Einheitsdiät" geben, vom Ausschuß "Elementardiät"
genannt. Die enthält für Dialysepatienten zuviel Kalium und Phosphat, die
anderen erhalten damit zuviel Eiweiß - beides mit bedenklichen gesundheitlichen
Folgen.
Der Bundesausschuß weiß sehr wohl, daß es durch diese und all die anderen
vorgesehenen Ausgrenzungen zu gesundheitlichen Folgeschäden, vermehrten
Krankenhauseinweisungen und somit erheblichen Mehrkosten in der GKV kommen wird.
Dies widerspricht nur vordergründig dem vom Ausschuß erklärten Ziel einer
"wirtschaftlicheren" Verordnung. Unter dem Strich wird eine
Kostensenkung nämlich dadurch erreicht, daß die Gesamtlebenszeit der
Mehrzahl der betroffenen Patienten entscheidend verkürzt wird. Mit anderen
Worten, es geht hier nicht um die Finanzierung der Sondennahrung, sondern um die
Kosten, die durch die Gesamtbehandlung dieser durchweg "teuren"
Patienten entstehen. Die Einsparungen, die sich aus der Lebensverkürzung eines
solchen Patienten um nur einen Monat ergeben, übersteigen bei weitem die Kosten
für Sondennahrung oder die kurzfristigen Mehrkosten durch gesundheitliche
Komplikationen, die sich aus einer Verzögerung, einem Abbruch oder einer
Nichtaufnahme ihres Einsatzes ergeben.
Eindeutige Absichten hinter schwammigen Formulierungen
Nur naive Gemüter werden dies für einen an den Haaren herbeigezogenen
Verdacht halten. Es gibt über nahezu jede Krankheit Studien, was deren Dauer
und Kosten betrifft - besonders beliebt sind dabei Studien über das
vermeintlich letzte "teure" Lebensjahr, deren Kosten es angeblich zu
senken gelte. (Die Absicht dahinter wird klar, wenn man bedenkt, daß man
Aussagen über den Beginn dieses "letzten" Jahres in der Regel gar
nicht anstellen kann.)
Wohin die Reise geht, wird spätestens bei den Empfehlungen für AIDS-Kranke
deutlich. Voraussetzung für die Verordnung von Sondennahrung oder einer
sogenannten Elementardiät ist bei diesen Kranken u.a. nicht nur ein
gravierender dokumentierter Gewichtsverlust, das Scheitern einer
"Ernährungsberatung" und "Analyse des Eßverhaltens",
"psychotherapeutische Verfahren" sowie "eigenverantwortlicher
Nahrungsanreicherung". Weiterhin solle "ein angemessenes körperliches
Training zur Erhöhung von Gewicht bzw. Muskelmasse nicht möglich oder ohne
Erfolg sein". Dies ist so zynisch, daß es einem die Sprache verschlägt.
Wie sollten AIDS-Kranke es schaffen, durch körperliches Training eine
wesentliche Gewichtszunahme zu erreichen? Dies geht schon bei gesunden Menschen
nur über ein ständiges intensives Krafttraining, das bei AIDS-Kranken
weder angezeigt noch möglich ist.
Die weiteren "klinischen Hinweise" zum Thema AIDS sind ebenso
zynisch. Es sei überhaupt nicht "hinreichend untersucht und belegt, daß
eine Intervention zur Erhöhung der Körperzellmasse generell den
Krankheitsverlauf (Immunsystem, Depression, kognitive Fähigkeiten), die
Lebensqualität und die Lebenserwartung verbessert", so die Anmerkung. Wenn
es eines Beweises für die Inkompetenz des Ausschusses bedurft hätte, dann ist
er hier zu finden. Es ist ABC-Wissen der Medizin, daß Unterernährung ein
zentrales Hindernis für den Körper darstellt, sich zu regenerieren oder
Infektionen Paroli zu bieten.
Was dann folgt, gehört ganz sicher nicht in eine Anlage zu
Arzneimittelrichtlinien, sondern ist unseres Erachtens nichts weiter als
Propagierung von Euthanasie. Bei "präfinalen"
AIDS-Krankheitsstadien" solle man evtl. Patientenverfügungen beachten, so
der Entwurf. "Oft haben andere palliative Maßnahmen Priorität, alleinige
Flüssigkeitszufuhr kann angemessen sein".
Hierzu sind zwei Anmerkungen nötig, und zwar zu dem Begriff "präfinal"
und zu dem im Text erweckten Eindruck der Verbindlichkeit von
Patientenverfügungen.
1. Es gibt in Deutschland keine rechtsgültigen Patientenverfügungen. Und ob
ein hierin ausgedrücktes Verlangen auf den Verzicht künstlicher Ernährung
tatsächlich unter das Selbstbestimmungsrecht des Patienten fällt, ist
ebenfalls in Ärzteschaft und juristischen Kreisen umstritten.3 Denn
schließlich handelt es sich bei konsequentem Nahrungsentzug nicht nur um eine
Maßnahme mit Todesfolge. Überdies ist die (wie auch immer geartete)
Verabreichung einer dem Patienten und dessen Erkrankung angemessenen
Kalorienmenge eine Maßnahme der ärztlichen und pflegerischen Basisversorgung.
Und noch ist es überwiegender ärztlicher Konsens, daß auch bei einer
"austherapierten" Krankheit und einer entsprechenden Änderung der
Therapie in Richtung palliativmedizinischer Maßnahmen die Basisversorgung nicht
aufgegeben werden sollte.4
2. Der Begriff "präfinal" taucht in letzter Zeit überall dort
auf, wo eine Zwischengruppe zwischen Sterbenden und Nichtsterbenden geschaffen
werden soll. Ein Sterbender ist ein Mensch, mit dessen Ableben binnen Stunden
oder weniger Tage definitiv und unabänderlich zu rechnen ist. Alle anderen sind
erst einmal als Nichtsterbende anzusehen, auch wenn ihre Krankheit eine
ungünstige Prognose aufweist.
Denn zum einen ist selbst bei schwerkranken Patienten kaum vorhersagbar, wie
sich der weitere Verlauf der Krankheit tatsächlich entwickelt. Jeder
Intensivmediziner weiß, daß selbst todgeweihte Menschen oftmals länger leben
als erwartet. Zum anderen werden Krankheitszustände immer häufiger einfach als
"bald zum Tode führend" deklariert, selbst wenn dies faktisch falsch
ist und als Pseudogrund nur aus dem Grunde angeführt führt, um "teure
Patientengruppen" von einer adäquaten Versorgung ausschließen zu können.5
Doch zurück zu dem Ausschuß-Entwurf mit seiner allgemein und schwammig mit
"präfinalen Krankheitsstadien" überschriebenen Kategorie.
Verordnungsfähig sind danach Elementardiäten bei "Patienten mit
konsumierenden (stark auszehrenden, J.D.) Erkrankungen" und
medizinisch indizierte Sondennahrung u.a. bei folgenden Voraussetzungen:
Bei der Unmöglichkeit der Heilung oder Verbesserung der Erkrankung sowie
einer Lebenserwartung von "wenigen Tagen bis Wochen". Ferner müßten
die "Sicherstellung ausreichender Flüssigkeitszufuhr und lokaler
pflegerische Maßnahmen der Mundpflege" nicht ausreichend sein und der
ausdrückliche "Wunsch zur Nahrungsaufnahme" bestehen, sofern damit
eine "Verbesserung der Lebensqualität" möglich sei.
Hier gilt ebenso: Das, was bei sterbenden Menschen angezeigt sein
kann, der Verzicht auf eine Ernährungstherapie, hat bei Menschen, die noch
"Wochen" leben können, nichts zu suchen. Dennoch wird hier
suggeriert, daß all diese Patienten zunächst einmal mit "ausreichender
Flüssigkeitszufuhr" und "Mundpflege" gut und ausreichend
versorgt seien. Dagegen wird die Nahrungsaufnahme nur "auf Wunsch"
thematisiert. Die Bedeutung dieser Art der Formulierung ist zentral. Sie
impliziert, daß die Aufnahme einer Ernährungstherapie bereits des
ausdrücklichen Willens des Patienten bedürfe - gerade so, als sei sie eben
nicht mehr selbstverständlicher Bestandteil einer normalen medizinischen
Basisversorgung.
Die Entscheidung zur Verordnung von Elementardiäten und Sondennahrung solle
"bei Beachtung ethischer und berufsrechtlicher Grundsätze unter Einbindung
des Patienten, der Angehörigen und ggf. des Pflegepersonals getroffen werden
und bei Veränderungen der Situation überprüft werden." Und unter der
Rubrik "klinische Hinweise" heißt es abermals, "Erwartungen der
Angehörigen" sollten beachtet werden, da deren Einverständnis und
Kooperation für die Realisierbarkeit häuslicher Pflege mitentscheidend sei.
Dies zwingt uns nochmals zu einer kurzen Zwischenüberlegung. Wohlgemerkt,
die Rede ist hier nicht von weitreichenden, den Patienten belastenden
Eingriffen, Forschungsvorhaben oder Operationen, die bei nichtansprechbaren
Patienten ausgiebige Evaluierungen auch im Umfeld des Patienten rechtfertigen
könnten, sondern von einer normalen pflegerischen und ärztlichen
Grundleistung: der Sicherstellung der Ernährung in einer dem Zustand des
Patienten angemessenen Art und Weise, wenn dieser aufgrund seiner Krankheit
nicht mehr zu einer selbständigen Nahrungsaufnahme in der Lage ist. Daß dabei
nach dem Willen des Bundesausschusses nicht nur der Patient, sondern sogar das
Pflegepersonal Mitspracherecht über die Aufnahme oder Fortführung dieser
Basisbehandlung haben soll, ist dabei eine deutliche Einschränkung des
vielgepriesenen Selbstbestimmungsrechts des Patienten, das andererseits beim
Thema Abbruch oder Nichtaufnahme einer Behandlung immer als absolut
gesetzt wird.
Was aber ist, wenn die genannten Personen gegen eine Fortführung oder
Aufnahme der Ernährungszuführung votieren und/oder die häusliche Pflege
angeblich "nicht zu realisieren" ist? Gibt es dann per se keine
Sondennahrung? Und wer alles zählt denn zu den Angehörigen? Bedeutet dies,
daß z.B. auch der Großneffe der reichen Erbtante die Spezialnahrung verweigern
darf, wie nicht nur der VFED warnend fragt?
Munter geht es in dem Entwurf in diesem Tone weiter. Die Kritik an einzelnen
Punkten ließe sich seitenweise fortsetzen. Doch das bislang Gesagte reicht
sicherlich aus, um auch dem medizinischen Laien einen Eindruck davon zu
vermitteln, wie völlig inkompetent der Bundesausschuß vorgeht.7
Wichtig ist aber folgende grundsätzliche Feststellung: Es ist weder der
erklärte noch der mutmaßliche Wille eines Patienten, zu verhungern! Dies ist
keine Form einer kompetenten medizinischen Versorgung, sondern ein Akt brutaler
und menschenverachtender Willkür. Damals wie heute dient diese Praxis dazu,
sich "teurer" und unerwünschter "Ballastexistenzen" auf
vermeintlich "indirektem Wege" zu entledigen. Daß die
Schuldhaftigkeit und Kausalität bei einem verordneten Verhungernlassen
natürlich ebenso gegeben ist wie bei einer aktiven Tötungshandlung, wird am
berühmten "grünen Tisch" leicht verdrängt.
In der Praxis sieht dies allerdings anders aus. Einen Patienten abmagern oder
gar verhungern zu lassen, ist kein romantisch verklärtes und "würdiges
Sterben", sondern ein langes und sehr unwürdiges Leiden. Führende
Euthanasiepropagandisten hoffen deshalb (und haben dieses Kalkül auch
öffentlich bekannt), daß genau dies dann irgendwann ihrer Grundsatzforderung
nach der "erlösenden Spritze" und dem vermeintlichen Recht auf eine
"humanere" und schnelle Tötung durch den Arzt Vorschub leisten wird.
Jutta Dinkermann, für den Bundesvorstand des Club of Life e.V.
Dr. med. Wolfgang Lillge, für den medizinischen Beirat
Anmerkungen
1. Der VFED e.V. ist ein Fachverband für alle im Bereich der Ernährung und
Diätetik Arbeitenden und Interessierten und ist die größte, nicht staatlich
geförderte Ernährungs- und Diätetik-Fachorganisation in Deutschland mit Sitz
in Aachen (Tel. 0241-507300)
Die "Initiative künstliche Ernährung" ist beim Verband
"Schädel-Hirn-Patienten in Not e.V." in Amberg angesiedelt (Tel.
09621/6 36 63).
2. Armin Nentwig, Sprecher der "Initiative künstliche Ernährung",
weist darauf hin, daß durch die als "unwirtschaftlich" bezeichnete
Verordnung von ballaststoffhaltiger Nahrung, Spezialnahrung und hypokalorischer
Nahrung anerkannte medizinische Standards mißachtet werden. Sinnvolle
ernährungstherapeutische Konzepte aus der Klinik könnten dann absurderweise
nach der Entlassung aus der Klinik nicht mehr verordnet werden. Werden dann alle
Patienten auf balaststoffreie Standardernährung umgestellt, habe dies
schwerwiegende Folgen für die Betroffenen. Es seien insbesondere chronisch und
Schwerstkranke, die aufgrund eines Schädel-Hirn-Traumas, eines Schlaganfalls
oder eines dementiellen Syndroms über eine Magensonde ernährt werden müssen,
betroffen. Stelle man deren Ernährung von ballaststoffhaltiger Spezialnahrung
auf ballaststoffreie Standardnahrung um, seien Folgeerkrankungen wie Dekubitus,
Wundheilungsstörungen, Infekte und massive Verdauungsstörungen sehr viel
wahrscheinlicher.
3. Dieser Themenkomplex läßt sich hier nicht abschließend behandeln. Der
Club of Life hat hierzu jedoch eine Fülle von Analysen und Stellungnahmen
erarbeitet, die im Internet unter der Adresse www.club-of-life.de direkt
eingesehen werden oder beim Club of Life e.V., Postfach 19 13, 65009 Wiesbaden
(Tel. 0611-42 80 915 ) bestellt werden können.
4. Daß bei Menschen, die sich im Sterbeprozeß befinden, die also
definitiv nur noch wenige Tage oder Stunden zu leben haben, auf die
Zufuhr von Ernährung verzichtet werden kann, wenn sich diese für den Patienten
quälend oder belastend auswirkt, ist und meint etwas anderes.
5. Zu beobachten war diese Tendenz über die letzten Jahre insbesondere bei
der Gruppe der Wachkoma-Patienten, die bei einer sehr behandlungsintensiven
Pflege und Betreuung bewiesenermaßen sehr gute Heilungs- und
Besserungsprognosen aufweisen.
6. Zum Themenkomplex "mutmaßlicher Patientenwille" siehe Anmerkung
3.
7. Schon des öfteren sind in der Vergangenheit Zweifel an der Kompetenz des
Ausschusses laut geworden. Ebenso haben sich schon mehrere Gerichte mit
Kompetenzüberschreitungen des Ausschusses befaßt (vgl. OLG München Az. U (K)
4428/99 vom 20.1.2000 und Hanseatisches OLG AZ: 3 U 200/99 vom 19.10.2000).
Die Textvorstellung erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Club of Life,
von Frau Jutta Dinkermann am 3.4.2001 übermittelt!
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