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>> Wer sich nicht um Leitlinien schert, muß gut dokumentieren <<

Im Haftungsprozeß zählt für Richter die Antwort der Sachverständigen auf die Frage: Ist der medizinische Standard eingehalten worden?
Ärzten kann im Haftungsprozeß kein Strick daraus gedreht werden, daß sie bei der Behandlung eines Patienten keiner Leitlinie gefolgt sind. Für den Richter zählt, ob der Arzt nach dem Urteil von Sachverständigen den medizinischen Standard eingehalten hat. Darauf haben Juristen beim XIII. Kölner Symposium der Arbeitsgemeinschaft Rechtsanwälte im Medizinrecht hingewiesen.

Anders als Richtlinien sind Leitlinien, die zum Beispiel von Fachgesellschaften herausgegeben werden, für Mediziner nicht verbindlich. Leitlinien sind lediglich Empfehlungen, die nicht in jedem Fall angemessen sind. "Sie erlauben nicht nur Abweichungen, manchmal sind diese auch geboten", sagte Rechtsanwalt Dr. Karl-Otto Bergmann aus Hamm. Der Arzt muß Abweichungen aber begründen können und sollte dies auch bei der Dokumentation berücksichtigen.

Wer sich an Leitlinien hält, ist auf der sicheren Seite
Haftungsrechtlich sind Mediziner in der Regel auf der sicheren Seite, wenn sie sich an Leitlinien halten. "Dem Arzt kann grundsätzlich kein Behandlungsfehler vorgeworfen werden, wenn er sich an eine Leitlinie hält", erklärte Bergmann. Aber Grundsätze kennen Ausnahmen: Ist die Leitlinie veraltet, schützt sie den Arzt nicht. Er kann das aber nicht immer erkennen. Allein auf den Internet-Seiten der Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen Fachgesellschaften sind mehr als 1120 Leitlinien verzeichnet; viele sind seit Jahren nicht aktualisiert worden. Experten plädieren deshalb dafür, daß Leitlinien nicht länger als zwei Jahre gültig sein sollten.

Leitlinien sind für Richter Orientierungshilfen
Im Haftungsprozeß dienen Leitlinien Richtern als Orientierungshilfe. Maßgeblich sind aber nicht sie, sondern die Aussagen der Sachverständigen. Das galt zum Beispiel auch bei einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm. Ein Internist, der seine Praxis in der Nähe des Bahnhofs hatte, wurde zu einem Reisenden gerufen, der einen Herzinfarkt gehabt hatte. Der Mediziner erklärte den Mann für tot und verließ den Ort des Geschehens. Die kurz nach ihm eintreffende Notärztin stellte bei dem Patienten Herzkammerflimmern fest und reanimierte ihn. Der Mann liegt seitdem im Dauerkoma.
Die Leitlinien für Wiederbelebung und Notfallmedizin sehen eine Basisreanimation vor. Mit Hinweis darauf wurde der Internist auf Schadenersatz verklagt. Die Klagevertreter argumentierten, die schwere Hirnschädigung des Patienten wäre durch eine Reanimation des Arztes vermieden oder entscheidend vermindert worden.
"Der Senat ließ einen Verstoß gegen die Leitlinien allein als Beweis nicht gelten", berichtete Bergmann. Das Gericht verurteilte den Mediziner nicht zu Schadenersatzleistungen, weil er nach Auffassung der Sachverständigen keinen groben Behandlungsfehler begangen hatte. "Das Maß ist die Einhaltung des ärztlichen Standards", sagte Bergmann. Ein Sachverständiger hatte erklärt, daß er sich nicht anders als der Beklagte verhalten hätte. Ein weiterer Gutachter sah das Verhalten des Internisten nicht als medizinisch unverständlich an. Er begründete dies mit niedergelassenen Ärzten bekannten oft ungünstigen Reanimationsergebnissen.
Halten Ärzte eine Leitlinie für falsch und entscheiden sich für eine andere Vorgehensweise, müssen sie sich durch die Aufklärung des Patienten absichern. Die Mediziner der Städtischen Kliniken Dortmund zum Beispiel sind nicht einverstanden mit der Leitlinie zum Blasensprung in der 29. Schwangerschaftswoche. Sie besagt, daß Ärzte zunächst abwarten sollen, falls keine Entzündungszeichen vorhanden sind. Die Einleitung der Entbindung ist danach nur angezeigt, wenn die Patientin nicht hemmbare Wehen hat und Entzündungszeichen auftreten.
"Wir haben für die Richtigkeit dieses Vorgehens keine Literatur gefunden", berichtete Professor Thomas Schwenzer. Die Dortmunder Ärzte favorisieren ein anderes Vorgehen: "Wir bevorzugen die rasche Entbindung nach Eintritt des Blasensprungs, weil die Unreife des Kindes besser beherrschbar ist als die kindliche Infektion."
Die Mediziner erläutern den Schwangeren den Inhalt der Leitlinie und ihre Meinung dazu. "Die Patientinnen können sich dann entscheiden", erklärte Schwenzer.
Er fürchtet, daß viele Mediziner nur deshalb Leitlinien folgen, weil sie ihr Vorgehen dann nicht begründen müssen: "Aber ich wage zu bezweifeln, daß das für die Patienten gut ist."

Quelle: Ärzte Zeitung vom 17.12.2001