Pflege - Patientenrecht & Gesundheitswesen
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Juristisches Hintergrundpapier des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen und Verbraucherverbände e.V. zur Änderung des
Arzthaftungsrechts
Forderung:
Die Verbraucherverbände fordern, im Arzthaftungsprozess eine Umkehr der Beweislast im Hinblick auf die Kausalität einzuführen. Dies und eine
Verbesserung des Verfahrens bei der Geltendmachung von Ansprüchen aus Behandlungsfehlern sind zentrale Eckpunkte eines dringend notwendigen
Patientenschutzgesetzes.
Status Quo:
Schon seit Jahrzehnten wird eine Änderung des Arzthaftungsrechts diskutiert (z.B. Dütz, Gefährdungshaftung für Ärzte?, Deutsches Ärzteblatt 1971, S.
828 ff.; 52. Deutscher Juristentag in Wiesbaden (1978), siehe NJW 1978, S. 2193 f.). Momentan ist es noch so, dass der Patient grundsätzlich alle
Anspruchsvoraussetzungen beweisen muss, wenn er Schadensersatz oder Schmerzensgeld begehrt. Der Patient muss also a) den Behandlungsfehler, b) den
Schaden und c) den Kausalzusammenhang zwischen diesem Fehler und dem Schaden beweisen.
Ein Behandlungsfehler wird angenommen, wenn das Verhalten des Arztes nach dem zum Zeitpunkt der Behandlung bestehenden Erkenntnisstand der medizinischen
Wissenschaft unsachgemäß ist (Ehlers, Alexander/Broglie, Maximilian – Broglie, Praxis des Arzthaftungsrechts, 1994, Kapitel 7 A., Rn. 21 f.; RGRK –
Das Bürgerliche Gesetzbuch - Nüßgens, Band II 5, 1989, § 823 Anh. II, Rn. 177). Unsachgemäß ist das Verhalten des Arztes in erster Linie bei
Außerachtlassung der gebotenen Sorgfalt.
Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr werden dem Patienten in folgenden Fällen gewährt:
-
Bei typischen Geschehensabläufen im Hinblick auf den Behandlungsfehler
oder auf die Kausalität wird der Anscheinsbeweis angenommen, das heißt, der
Arzt müsste die Möglichkeit eines anderen Geschehensablaufs darlegen und
beweisen. Ein typischer Geschehensablauf war etwa gegeben, als ein Patient in
das Zimmer eines Scharlachkranken gelegt wurde und dann ebenfalls an Scharlach
erkrankte oder als nach einer intramuskulären Injektion
Lähmungserscheinungen auftraten.
-
Liegt ein grober Behandlungsfehler vor, der geeignet ist, einen Schaden der
tatsächlich eingetretenen Art herbeizuführen, folgt daraus eine Umkehr der
Beweislast hinsichtlich der Kausalität. In diesem Fall müsste also der Arzt
beweisen, dass der Schaden nicht durch diesen Fehler eingetreten ist; ein
grober Behandlungsfehler definiert sich dabei durch den eindeutigen Verstoß
gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen.
Beispielsweise wurde ein grober Behandlungsfehler angenommen, als ein Arzt
eine operativ versorgte Fraktur mit Durchspießungswunde nicht rundum
inspizierte und keine Wundrevision vornahm oder als er aseptische Vorkehrungen
nicht einhielt.
-
Bei voll beherrschbaren Risiken wird das Verschulden des Arztes vermutet,
dieser müsste dann beweisen, dass er nicht schuldhaft gehandelt, im
allgemeinen dass er die gebotene Sorgfalt nicht außer acht gelassen hat.
Solche Fälle waren etwa gegeben, als ein funktionsanfälliges Narkosegerät
bei der Operation eingesetzt wurde und ausfiel, oder beim Zurücklassen eines
Tupfers in der Operationswunde.
-
Auch Dokumentationspflichtverletzungen können Beweiserleichterungen bis
hin zur Beweislastumkehr zu Gunsten des Patienten zur Folge haben.
Erörterung:
Trotz dieser von der Rechtsprechung entwickelten Besserstellung des Patienten
im Haftpflichtprozess, scheitern dessen Ansprüche wegen mangelnder
Beweisbarkeit häufig a) am Vorliegen eines Behandlungsfehlers und b) an der
Kausalität zwischen diesem Fehler und dem eingetretenen Schaden. Besonders
schwer ist beispielsweise der Beweis bei Infektionen im Krankenhaus oder in der
Arztpraxis zu führen (vgl. Otto, Jeannette, Schutzzone für Pfuscher, Die Zeit,
11.November 1999), es sei denn, der Patient kann einen groben Behandlungsfehler
etwa durch Nichteinhalten bestimmter aseptischer Vorkehrungen nachweisen. Die
Problematik für den Patienten ist, dass seitens des Beklagten immer wieder
eingewandt werden kann, dass einige Keime in allen Lebensbereichen vorkommen und
Infektionen folglich nicht ausgeschlossen werden können (Otto, Jeannette,
a.a.O.). Sachgerechter im Sinne eines möglichst umfassenden Patientenschutzes
wäre es demnach, die Beweislast nicht nur im Hinblick auf die Kausalität,
sondern auch im Hinblick auf das Vorliegen eines Behandlungsfehlers umzukehren.
Der Arzt hat aufgrund seines Fachwissens die besseren Möglichkeiten, zum
Sachverhalt vorzutragen und seine Behauptungen zu beweisen; auch die
grundsätzliche Dokumentationspflicht hilft dem Patienten nicht in genügendem
Umfang, da – abgesehen von falscher Dokumentation und von Manipulationen im
nachhinein, die aufgrund der neuen elektronischen Medien heute leichter möglich
sind – die Dokumentation nach ärztlichen Gepflogenheiten zu erfolgen hat, was
zur Beweisbarkeit der Anspruchsvoraussetzungen nicht ausreichend ist.
Zwar wären die Patienten durch eine generelle Beweislastumkehr der
Anspruchsvoraussetzungen, insbesondere des Behandlungsfehlers, noch besser
geschützt; der Schritt, die Beweislast im Hinblick auf die Kausalität
unzukehren, wäre ein erster bedeutsamer Schritt in die richtige Richtung.
EU-Richtlinie
Anfang der 90-er Jahre wurde eine EU-Richtlinie über die Haftung bei
Dienstleistungen vorgeschlagen, worunter auch die Haftung für ärztliche
Leistungen fallen würde. Darin wurde geregelt, dass der Dienstleistende sein
Nichtverschulden, der Geschädigte den Schaden und den Kausalzusammenhang zu
beweisen habe. Gegen diesen Vorschlag der Dienstleistungsrichtlinie wurde
eingewandt (Deutsche Gesellschaft für Medizinrecht DGMR e.V., Die Entwicklung
der Arzthaftung, MedR 1996, S 350), dass die Situation des Patienten im
Vergleich zur derzeitigen Situation sogar verschlechtert würde. Diese
Auffassung erscheint nicht ganz nachvollziehbar, da zumindest beim
Behandlungsfehler angesetzt wird und dem Patienten insofern ein Großteil der
Beweislast abgenommen würde, wenn auch der Nachweis der Kausalität beim
Patienten verbliebe; insbesondere wäre zunächst zu klären, ob nicht
Beweiserleichterungen – möglicherweise im Einzelfall sogar eine
Beweislastumkehr – ohne Verstoß gegen die Richtlinie zulässig gewesen
wären. Nach zum Teil vehementen Ablehnungen gegen den EU-Richtlinienentwurf
(vgl. Deutsch, Medizinrecht, 1999, Rn. 219) wurde dieser zurückgezogen.
Der Ansatz, die Beweislast im Hinblick auf die Kausalität gänzlich
umzukehren, dürfte effektiver für den Patienten sein, zumal wohl die meisten
Ansprüche derzeit an der Beweisbarkeit der Kausalitäts-Voraussetzung scheitern
(vgl. Ärztezeitung, 21.November 2000, S. 2). Ebenfalls wird von Seiten der
Rechtsanwaltschaft argumentiert, dass oftmals bei Vorliegen eines groben
Behandlungsfehlers, der eine Beweislastumkehr im Hinblick auf die Kausalität
zur Folge hat, der Anspruch dem Patienten zuerkannt wird.
Verfahren
Dringend notwendig ist daneben eine Verbesserung des Verfahrens bei der
Geltendmachung von Ansprüchen aus Behandlungsfehlern, da die Patienten nur
selten angemessen unterstützt werden. Ein Gespräch mit dem Arzt verläuft in
der Regel unbefriedigend, da der Haftpflichtversicherer seine bei ihm
versicherten Ärzte im allgemeinen dazu anhält, Behandlungsfehler nicht
zuzugeben. Die Patienten haben weiterhin große Schwierigkeiten, an ihre
Krankenunterlagen zu kommen; im Krankenhaus werden oftmals die Namen der
Mitpatienten, die als Zeugen gefürchtet werden, nicht herausgegeben. Die
Krankenkassen sind auch manchmal nicht gewillt, ihren Patienten behilflich zu
sein. Die Verfahren vor den Gutachterkommissionen und Schlichtungsstellen der
Ärztekammern vermitteln vielen Patienten den Eindruck mangelnder Objektivität.
Von privaten Gutachtern werden häufig überzogene Kosten für ein medizinisches
Gutachten verlangt, so dass viele Patienten auf das im allgemeinen für sie
kostenlose Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung oder das
im Verfahren vor der Gutachterkommission oder Schlichtungsstelle der
Ärztekammer zurückgreifen bzw. zurückgreifen müssen. Allerdings liegt es
derzeit im Ermessen der Krankenkassen, ob sie Patienten an ihren medizinischen
Dienst überhaupt weitervermitteln.
Verbesserungen hinsichtlich dieser Probleme des Patienten und die genannte
teilweise Umkehr der Beweislast sind dabei zentrale Eckpunkte eines dringend
notwendigen Patientenschutzgesetzes.
Praxisbeispiele ausgesuchter Länder
Schweiz
Die Schweiz hat ein ähnliches Haftungssystem für den Bereich der
Arzthaftpflicht mit allen Beweisschwierigkeiten wie die Bundesrepublik
Deutschland, wobei bezüglich der Beweislast im Hinblick auf die Kausalität und
auf das Verschulden die deutsche Rechtsprechung die schweizerische maßgeblich
beeinflusst hat (Kuhn, Moritz, Die Arzthaftung in der Schweiz, MedR 1999, S.
253). In den letzten Jahren hat sich die Gerichtspraxis in der Schweiz im Sinne
einer Besserstellung des Patienten im Haftpflichtprozess stetig fortentwickelt
(Kuhn, Moritz, a.a.O., S. 254).
Frankreich
In Frankreich gibt es die Möglichkeit, den Schädiger anteilig, also
prozentual, in Anspruch zu nehmen (Prozenthaftung); beispielsweise kann schon
bei Vereitelung einer Heilungschance Schadensersatz, der sich nach der Größe
der Chance bemisst, zugesprochen werden. In Deutschland wird die Chance auf
Heilung oder Rettung nicht als ein eigenständiges Rechtsgut bewertet, so dass
es aus diesem Grund so nicht zu einer Haftung käme.
USA
In den USA trägt auch grundsätzlich der Patient die Beweislast für die
Anspruchsvoraussetzungen; die Anforderungen dürften jedoch um einiges
patientenfreundlicher sein als in Deutschland. Da Arzthaftungsprozesse meist vor
Geschworenen abgehalten werden, hat der Kläger die Geschworenen und den
vorsitzenden Richter zu überzeugen, wobei aber zum Teil Wahrscheinlichkeiten
von 50 % genügen (vgl. Herzog, Peter E., Einige neuere Entwicklungen in der
Arzthaftpflicht in den Vereinigten Staaten, Festschrift für Erwin Deutsch,
1999, S. 615). Hinsichtlich des Verschuldens werden strengere Anforderungen
gestellt, denen im allgemeinen nur durch Sachverständige genügt werden kann,
es sei denn, schon der gesunde Menschenverstand lässt die Schlussfolgerung zu,
dass ein Verschulden vorliegt, oder es wird das res-ipsa-loquitur-Prinzip („Die
Sache spricht für sich") angewandt, was in manchen Bundesstaaten eine
widerlegbare Rechtsvermutung, in anderen eine Beweislastumkehr zur Folge hat, so
dass ein Sachverständiger unter Umständen nicht mehr nötig ist (vgl. Herzog,
Peter E., a.a.O., S. 615/616). Nach Art des amerikanischen Zivilprozesses werden
die Sachverständigen beider Parteien zunächst vom Anwalt der eigenen Partei
befragt und dann vom Anwalt der Gegenseite in das Kreuzverhör genommen.
Andere Alternativen:
Es gab und gibt Vorschläge, eine Gefährdungshaftung einzuführen, das
Patientenversicherungsmodell der nordischen Länder zu übernehmen oder die
Haftung für Ärzte von einer staatlichen Unfallversicherung übernehmen zu
lassen.
Gefährdungshaftung
Eine Möglichkeit, den Patientenschutz zu verbessern, wäre die Einführung
einer Gefährdungshaftung, das heißt einer vom Verschulden unabhängigen
Haftung, im Falle eines Behandlungsfehlers. Auch diese Alternative wird seit
Jahrzehnten in Erwägung gezogen (vgl. Dütz, a.a.O., S. 828 ff.). Eine
mögliche Gefährdungshaftung im Bereich der Arzthaftung wird häufig im
Zusammenhang mit der Einführung einer Patientenversicherung nach dem Vorbild
der nordischen Länder diskutiert (vgl. Fuchs, M., Grundlagen und Probleme einer
privatrechtlich ausgestalteten Arzthaftung, Arztrecht 1996, S. 325; vgl. Laufs,
Adolf, Arzt und Recht – Fortschritte und Aufgaben, NJW 1998, S. 1755).
Bayerische Landtagsabgeordnete unterschiedlicher Parteien hatten Mitte der 90-er
Jahre darüber nachgedacht, eine verschuldensunabhängige Arzthaftung
einzuführen, unter Umständen durch die Einführung einer Patientenversicherung
(vgl. Landtags-Drucksachen 13/3440 und 13/3805). Anlass dieser Aktivitäten war
möglicherweise der Fall eines bei einer ärztlichen Behandlung sehr schwer
geschädigten Menschen, dessen Prozess sich schon 18 Jahre hingezogen hatte
(vgl. Laufs, Adolf, Reform der Arzthaftung?, NJW 1996, S. 2414; Fuchs, M.,
a.a.O., S. 325).
Man findet in der einschlägigen Literatur keine Diskussionen darüber,
welche Anforderungen im Falle einer verschuldensunabhängigen Haftung an den
Beweis der Kausalität zwischen dem Behandlungsfehler und dem eingetretenen
Schaden zu stellen sind. Vielmehr werden grundsätzliche Bedenken gegen die
Einführung einer Gefährdungshaftung vorgebracht:
Nicht überzeugen kann das Argument, die Gefährdungshaftung knüpfe an die
Risiken technischer Einrichtungen an (Dütz, a.a.O., S. 832), denn auch die
Tierhalterhaftung ist als Gefährdungshaftung ausgestaltet, ebenso inzwischen
die Arzneimittelhaftung. Auch der Einwand, dass der Patient sich freiwillig in
ärztliche Behandlung begibt und die Gefahr damit nicht vom Gefährdenden an das
Opfer herangetragen wird (Deutsch, Medizinrecht, 1999, Rn. 178), dürfte auch
bei der verschuldensunabhängigen Produkthaftung und im Arzneimittelbereich
nicht einschlägig sein. An formalen Argumenten sollte ein wirksamer Schutz des
Patienten nicht scheitern!
Wirklich problematisch ist dagegen die Abgrenzung der Risiken, für die noch
gehaftet werden soll, von denen, die sich schicksalsbedingt im Krankheitsverlauf
verwirklichen (vgl. Laufs, Adolf, a.a.O., S. 1755; vgl. Deutsch, Medizinrecht,
1999, Rn. 216), was im Rahmen der Kausalität geprüft werden müsste. Es
würden weitaus mehr Patienten als heute Ansprüche auf Schadensersatz geltend
machen können, es sei denn, man grenzte die Risiken ganz restriktiv ein, was
jedoch - auch in der politischen Durchsetzung - problematisch sein dürfte. Die
Schwierigkeit der praktischen Abgrenzung bliebe jedoch in jedem Fall bestehen.
Weiterhin stellt sich die Frage, ob allen Patienten, die Schadensersatz
erhalten, auch ein Anspruch auf Schmerzensgeld zugebilligt werden sollte. Der
formale Einwand, dass aus einer Gefährdungshaftung wegen der fehlenden
Genugtuungsfunktion kein Schmerzensgeld resultieren sollte, ist auszuräumen, da
dem Schmerzensgeld weiterhin eine Ausgleichsfunktion zukommt und etwa bei der
Tierhalterhaftung, einer in den Vorschriften zur unerlaubten Handlung geregelten
verschuldensunabhängigen Haftung, auch ein Schmerzensgeld zugesprochen werden
kann.
Ein einschlägiges Argument ist jedoch die Finanzierbarkeit dieses Systems
(vgl. Laufs, Adolf, a.a.O., S. 1755), was wohl zumindest indirekt durch die
Allgemeinheit erfolgen müsste. Wenn aus der verschuldensunabhängigen
Arzthaftung sogar Ansprüche auf Schmerzensgeld resultieren sollen, dann dürfte
kein Versicherer bereit sein, die Risiken zu versichern. Selbst ohne die
Gewährung von Schmerzensgeld bei der Gefährdungshaftung ist es wohl nicht
machbar, die Risiken allein durch die finanzielle Belastung der Ärzteschaft
abzusichern; eine Belastung der Allgemeinheit – etwa durch eine spürbare
Erhöhung der Krankenversicherungsbeiträge – wäre höchstwahrscheinlich
unumgänglich. Ob die Mentalität der Deutschen im Gegensatz zur Mentalität
etwa der Schweden geeignet ist, eine solch individuell betreffende solidarische
Einstandspflicht für die Geschädigten zu bejahen, mag bezweifelt werden (vgl.
Hart, Dieter, Zur Gestaltung einer Fondshaftung für Arzneimittelschäden als
Alternative oder Ergänzung zur arzneimittelgesetzlichen Individualhaftung,
1996, S. 68). Andererseits wäre ein entsprechender politischer Akt wegweisend
beim Ausbau des Patientenschutzes in Deutschland.
Zuletzt wird gegen die Einführung einer verschuldensunabhängigen Haftung
vorgebracht, dass sie sich negativ auf die Prävention auswirken würde (Fuchs,
M., a.a.O., S. 326/327; Laufs, Adolf, a.a.O., S. 1755), dass also – da sowieso
unabhängig von der einzuhaltenden Sorgfalt gehaftet wird – weniger Maßnahmen
zur Schadensvermeidung getroffen würden. Dagegensteuern könnte eine Regelung
über einen möglichen Rückgriff gegen den Schädiger bei festgestelltem
Verschulden oder eine Hochstufung bei den Haftpflichtversicherungsprämien.
Zentralere Argumente gegen eine Gefährdungshaftung dürften die
Schwierigkeit der Abgrenzung der Risiken sein, für die es einen finanziellen
Ausgleich gebe, und die Finanzierbarkeit des Systems.
Private Patientenversicherung
Hinsichtlich der Ausgestaltung eines Systems einer verschuldensunabhängigen
Haftung wird vielfach eine private Patientenversicherung nach dem Vorbild der
nordischen Länder vorgeschlagen (vgl. Landtags-Drucksache 13/3805; vgl. Laufs,
Adolf, a.a.O., S. 1755). Vorteilhaft wäre sicherlich das Verfahren, mit dem die
Geschädigten über die Versicherung möglichst schnell zu einem Ausgleich
kommen sollen, ohne sich zwingend mit dem Schädiger auseinandersetzen zu
müssen. Aber selbst wenn das Verschulden nicht mehr nachgewiesen werden
müsste, könnte es an anderer Stelle – insbesondere bei der Frage, ob sich
ein Risiko nicht schicksalsbedingt im Krankheitsverlauf verwirklicht hat - zu
Beweisproblemen und Konflikten kommen, gerade wenn der Schädiger einen
Rückgriff gegen sich befürchten müsste. Anders natürlich, wenn bloße
Wahrscheinlichkeiten zunächst für die Inanspruchnahme der
Patientenversicherung reichten.
Staatliche Unfallversicherung
Die Einführung einer staatlichen Unfallversicherung statt einer privaten
Patientenversicherung ist wohl vom Grundprinzip her nicht zu rechtfertigen; das
wäre nur dann der Fall, wenn eine besondere Versorgungsaufgabe für den Staat
bestünde, wenn etwa Probleme bei der Behandlung von Patienten
Massenerscheinungen wären (vgl. Deutsch, Medizinrecht, 1999, Rn. 215).
Andererseits kann argumentiert werden, dass die staatlich vorgegebenen
Rahmenbedingungen des Gesundheitswesens (Selbstverwaltung, solidarische
Wettbewerbsordnung) gerade einen staatlich garantierten umfassenden
Patientenschutz erfordern!
Praxisbeispiele ausgesuchter Länder
USA
Auch in den USA wird die Frage eines verschuldensunabhängigen
Haftungssystems von akademischer Seite diskutiert (Herzog, Peter E., a.a.O., S.
618), und zwar unter der Prämisse, Ansprüche auf Schmerzensgeld weithin
auszuschalten. In den Bundesstaaten Florida und Virginia hat man einen
Haftungsfonds für bestimmte bei der Geburt entstandene neurologische Schäden
eingeführt, dessen Inanspruchnahme einen Prozess gegen den Arzt ersetzt. Anlass
für diese Regelung war die Tatsache, dass die Gynäkologen wegen der immens
hohen Versicherungsprämien aus den genannten Staaten wegzogen.
Nordische Staaten
Beispielhaft haben die nordischen Staaten – zuerst Schweden, später
Finnland und Dänemark – im Hinblick auf die Arzthaftung ein privates
Versicherungssystem eingeführt. Insofern schließen die Provinzen für jeden
vom Arzt behandelten oder in ein Krankenhaus aufgenommenen Patienten eine
private Versicherung gegen einen Behandlungsunfall ab. Ein solcher liegt bei
einem eigentlichen Behandlungsschaden, bei einem Schaden durch diagnostische
Eingriffe, bei einem Diagnoseschaden, einem Infektionsschaden und einem
Unfallschaden vor (§ 2 der Erstattungsbestimmungen); er wird nur ersetzt, wenn
er von einer gewissen Erheblichkeit ist. Auch hier ist es teilweise durchaus
problematisch, einen Behandlungsunfall von dem schicksalhaften Verlauf einer
Krankheit zu unterscheiden (vgl. Deutsch, Medizinrecht, 1999, Rn. 216). In jeder
Hinsicht positiv herauszustellen ist, dass es im Verfahren für den Patienten
keine Beweislast gibt, sondern das Versicherungskonsortium eine allgemeine
Ermittlungspflicht trifft. In der Praxis soll nach Auskunft von Vertretern des
Versicherungskonsortiums ein kleines Übergewicht der Wahrscheinlichkeit
genügen, um eine Erstattung zuzusprechen (Radau, Hans J., Ersetzung der
Arzthaftung durch Versicherungsschutz, 1994, S. 186). Unbenommen bleibt es dem
Patienten bis zur Akzeptanz des Erstattungsangebots, Schadensersatz nach
allgemeinem Haftungsrecht vor den ordentlichen Gerichten zu erstreiten, was ihm
aufgrund der strengen Beweisregeln schwerer fällt.
Ehemalige DDR
In der ehemaligen DDR gab es die Regelung nach dem ZGB-DDR, dass
Schadensersatzansprüche bei einer ärztlichen Sorgfaltsverletzung gewährt
wurden, wobei der Patient grundsätzlich die Beweislast trug, die
Gesundheitseinrichtung jedoch nachzuweisen hatte, dass sie den Schadenseintritt
nicht abwenden konnte. Daneben gab es seit 1987 die Anordnung über eine
erweiterte materielle Unterstützung für Bürger bei Gesundheitsschäden
infolge medizinischer Maßnahmen. Hier wurde ein Ausgleich gewährt, wenn trotz
ordnungsgemäßen Handelns eine Gesundheitsbeschädigung auftrat, die im krassen
Missverhältnis zu dem Risiko stand, von dem vorher ausgegangen werden konnte.
Durch das Unterstützungsabschlussgesetz von 1994 hatten die Bürger der
ehemaligen DDR ein Jahr Zeit, um Anträge auf Gewährung von Leistungen nach der
genannten Anordnung zu stellen. Im vereinigten Deutschland wurde diese
verschuldensunabhängige Haftung für Gesundheitsschäden nicht fortgeführt.
(vgl. Kern, Bernd-Rüdiger/Schaefer, Thomas, Verschuldensunabhängige Haftung
bei Gesundheitsschäden infolge medizinischer Maßnahmen in den neuen
Bundesländern, MedR 1996, S. 452 f.). Die verschuldensunabhängige Haftung
aufgrund der Anordnung kann als eine staatliche Unfallversicherung bezeichnet
werden (vgl. Deutsch, Medizinrecht, 1999, Rn. 218).
Neuseeland
Das Haftungsmodell in Neuseeland basiert ebenso auf einer staatlichen
Unfallversicherung. Dort wird zwischen einem medizinischen Irrtum und einem
medizinischen Unglück unterschieden. Ein medizinischer Irrtum liegt vor bei
Nichteinsetzen der Sorgfalt und Fähigkeiten, die vernünftigerweise zu erwarten
waren; die Voraussetzungen für die Haftung sind jedoch nicht ganz mit der
Fahrlässigkeitshaftung in Deutschland zu vergleichen, die Hürde in Neuseeland
liegt höher. Ein medizinisches Unglück ist gegeben, wenn die nachteilige Folge
einer Behandlung schwer und die Wahrscheinlichkeit einer solchen Folge weniger
als 1/100 beträgt. Es gibt jedoch Ausnahmen eines medizinischen Irrtums und
eines medizinischen Unglücks, die beispielsweise vorliegen, wenn der Patient
abnorm reagiert, oder bei unterlassener Behandlung (vgl. Deutsch, Erwin, Die
Wiederkehr der Fahrlässigkeit, VersR 1994, S. 381 ff.).
BVZV/AM Berlin, 28.03.01
Werner Schell (01.04.2001)
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