Sterbehilfe zwischen Selbstbestimmung und Integritätsschutz
Patientenverfügung oder Patientenanwalt sorgt für Klarheit
Mit einer gültigen Patientenverfügung oder der Bestellung eines
medizinischen Patientenanwaltes kann der Problematik der ethischen und
rechtlichen Grenzziehung zwischen "würdigem" Sterben und
"unwürdigem" Am-Leben-Erhalten begegnet werden. Befindet sich eine
Person aufgrund einer Krankheit oder eines Unfalls in einem Zustand, in dem sie
ihre Vorstellungen und Wünsche selbst nicht mehr äußern kann, so können sich
Angehörige und Ärzte am zuvor artikulierten Patientenwillen orientieren. Die
Wirksamkeit einer solchen Patientenverfügung setzt allerdings ein hinreichendes
Maß an Ernsthaftigkeit, Konkretheit und Informiertheit voraus. Zu diesem
Schluss kommt Professor Dr. Wolfram Höfling, Direktor des Instituts für
Staatsrecht der Universität zu Köln und Leiter der Forschungsstelle für das
Recht des Gesundheitswesens.
Der Rückgriff auf die mutmaßliche Einwilligung des Patienten führt dagegen
in ein Labyrinth ungelöster Probleme und kann möglicherweise dazu beitragen,
dass die Hemmschwelle für menschliche Tötungswünsche herabgesetzt wird. Der
Kölner Rechtswissenschaftler fordert deshalb verfassungsrechtliche Bemühungen,
um den Übergang von passiver Sterbehilfe (beispielsweise das Abschalten einer
Beatmungsmaschine) zu aktiver Sterbehilfe (z.B. das Setzen einer Giftspritze) zu
erschweren und Entwicklungen in Richtung auf ein Modell der Euthanasie in
Deutschland entgegenzusteuern.
Durch den raschen medizinischen Fortschritt ändern sich die ethischen
Wertungskriterien und gesellschaftlichen Anschauungen. Elementare soziale
Grundkategorien wie Leben, Sterben und Tod werden entnaturalisiert und
entwickeln sich zu einem nahezu beliebig manipulierbaren Prozess. Die Grenzen
zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe verschwimmen. Professor Höfling
spezifiziert deshalb die Kriterien ihrer ethischen Differenzierung: Ein
wichtiger Unterschied zwischen aktivem Eingreifen und Geschehenlassen liegt im
verschieden hohen Risiko von Fehl-einschätzungen. Während aktive Sterbehilfe
unumkehrbar ist und dem Patienten jegliche Chance nimmt, möglicherweise noch
eine Besserung seines Zustandes zu erleben, wird ihm diese Chance bei lediglich
passiver Sterbehilfe gelassen. Das Blatt kann sich in diesem Fall nach dem
Abbruch der Behandlung noch einmal wenden. Desweiteren ist die Gefahr eines
"Dammbruchs" im Falle der weitgehenden Liberalisierung aktiver
Sterbehilfe ungleich größer als bei passiver Sterbehilfe. Es besteht die
Befürchtung, dass die Hemmschwelle gegen so genannte
"Mitleidstötungen" sinken könnte und sich in der Folge
ernstzunehmende menschliche Tötungswünsche den Weg bahnen. Zudem ist die
Zielrichtung des ärztlichen Handelns unterschiedlich: Sterbenlassen heißt,
einem bereits begonnenen Desintegrationsprozess eines Organismus seinen Lauf zu
lassen, ohne gegebenenfalls die zentralen Lebensfunktionen zu stützen oder zu
ersetzen. Im Falle aktiver Sterbehilfe dagegen ist das ärztliche Handeln vom
Krankheitsprozess abgekoppelt und bedeutet eine Wendung gegen den Organismus als
ganzen.
Die zunehmende Technisierung und damit die Erweiterung der
Handlungsmöglichkeiten stellt den Arzt in der Sterbebegleitung jedoch auch
schon diesseits der aktiven Sterbehilfe vor Probleme. Das Grundgesetz
gewährleistet jedem Menschen Freiheitsschutz im Bereich seiner
leiblich-seelischen Integrität. Die Wahrung der menschlichen Würde hat demnach
Vorrang vor der Umsetzung des medizinisch Machbaren. Grundsätzlich gilt aber
auch, dass eine intensivmedizinische Lebenserhaltung das Recht auf einen
menschenwürdigen Tod nicht beeinträchtigt. Erst wenn der sterbenskranke Mensch
zum erniedrigten Objekt medizinischer Behandlung wird, ist die Garantie der
Menschenwürde tangiert. Der menschenfreundliche Umgang mit Kranken und
Sterbenden - so Professor Höfling - wahrt ihre Würde in der Regel besser als
die schnelle Beendigung ihres Lebens. Große Bedeutung kommt dabei vor allem
einer ausreichenden Schmerztherapie zu.
In ein moralisches Dilemma geraten Ärzte und Angehörige, wenn sich der
Zustand beispielsweise eines Wachkoma-Patienten unter der ärztlichen Behandlung
weder verbessert noch verschlechtert und insgesamt hoffnungslos ist. Erhält der
Arzt den Patienten weiter am Leben oder gibt er diese Bemühungen auf: So oder
so kann die Entscheidung falsch sein. Der Arzt könnte sich des Totschlags im
einen, der Körperverletzung im anderen Fall strafbar machen. Eine verlässliche
Lösung bietet hier - trotz aller Einwände, die im wesentlichen Zweifel an der
Antizipierbarkeit von Lagen betreffen - eine möglichst aktuelle
Patientenverfügung oder die Vertretung der Patienteninteressen durch einen so
genannten Patientenanwalt. Dieser kennt die Lebenseinstellung und die
Wertmaßstäbe der betroffenen Person bezüglich Krankheit und Sterben aus
regelmäßig wiederholten persönlichen Gesprächen. Für den Fall, dass der
Patient nicht mehr selbst für seine Interessen eintreten kann, wird der
Patientenanwalt zur Vornahme behandlungsbezogener Anordnungen ermächtigt.
Dieser Ansatz wird beispielsweise von der Deutschen Hospiz Stiftung favorisiert.
Quelle: Presseinformation der Universität Köln 219/2000 vom 18.12.2000
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