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Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft der Verbraucherverbände e.V. zum Entwurf eines 10. Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes (AMG) - Bundestags Drucksache 14/2292

Nach Prüfung des vorliegenden Gesetzentwurfs (Drucksache 14/2292) sind wir unter Berücksichtigung der Stellungnahme des Bundesrates (Drucksache 14/2292) und der Gegenäußerung der Bundesregierung (Drucksache 14/2355) zur Auffassung gelangt, dass der Gesetzentwurf aus verbraucherpolitischer Sicht leider wesentliche Mängel aufweist.
Zwar ist es begrüßenswert, dass die Bundesregierung 22 Jahre nach Inkrafttreten des deutschen Arzneimittelgesetzes (AMG) und fast 18 Monate nach ultimativer Aufforderung seitens der EU-Kommission nunmehr plant, den deutschen Arzneimittelmarkt gesetzlich neu zu regeln - insbesondere bezüglich derjenigen nicht-homöopathischen Alt-Medikamente, deren Hersteller (im Gegensatz zu nach 1978 zugelassenen Medikamenten) niemals pharmakologisch-toxikologische und klinische Studien zu Sicherheit und Wirksamkeit und entsprechende Sachverständigengutachten als Bedingung eines Zulassungsantrags zur staatlichen Bewertung eingereicht haben bzw. auf solche Bezug nehmen.
Der jetzt vorgelegte Entwurf eines 10. Gesetzes zur Änderung des AMG ermöglicht dem Anbieter von Altmedikamenten in der Regel das Einleiten eines gestrafften Nachzulassungsverfahrens. Sofern der Hersteller innerhalb von 6 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes keinen entsprechenden Antrag stellt, muss die Vermarktung beendet werden. Im anderen Fall wird das Nachzulassungsverfahren eingeleitet. Der jeweilige Hersteller wäre somit gesetzlich verpflichtet, entscheidungsreife Anträge innerhalb einer Frist von 6 Monaten einzureichen, sofern die Unterlagen nicht schon vorgelegt worden sind.
Diese enge Fristsetzung ist aus unserer Sicht grundsätzlich zu begrüßen, hatten die Hersteller doch seit nunmehr fast zwei Jahrzehnten Zeit, sich auf die überfällige Anpassung der deutschen Gesetzgebung an europäisches Gemeinschaftsrecht einzustellen.
Auch wird der gesundheitliche Verbraucherschutz durch ein klareres Verfahren der Mängelbeseitigung gestärkt: Sofern die Zulassungsbehörde Mängel bei den eingereichten Unterlagen beanstandet und der Arzneimittelhersteller nicht innerhalb von 6 Monaten diese beseitigt, ist die Zulassung zu versagen. Auf diese Weise wird es den Anbietern erschwert, eine endgültige Entscheidungsfindung dadurch hinauszuzögern, dass ein Antrag erst durch Nachreichen essentieller Unterlagen im Rechtsmittelverfahren zulassungsreif wird. Zudem eine Variation des beantragten medizinischen Anwendungsgebiets, bspw. aus Marketinggründen, wird -außer bei Homöopathika- im Laufe des Verfahrens ausgeschlossen. Dies wird seitens der Verbraucherverbände ebenfalls begrüßt.
Andererseits erscheint es uns fraglich, dass das im aktuellen Gesetzesentwurf ermöglichte Inverkehrbringen von "Altmedikamenten" im Falle der Beantragung einer Nachzulassung europarechtlich vereinbar sein soll. So dürfte sich trotz der im Gesetzentwurf vorgesehenen gestrafften Verfahrensregelungen erneut die Frage stellen, inwieweit die 10. Novelle des AMG tatsächlich europäischen Anforderungen genügt. Unserer Auffassung nach hätte gemäß EU-Recht solch eine Überprüfung dieser sogenannten "Altmedikamente" bereits 1990 abgeschlossen sein müssen.
So forderte die EU-Kommission Deutschland bereits mit Schreiben vom Oktober 1998 sinngemäß auf, Altarzneimittel ohne abgeschlossene Prüfung nicht weiterzuverkaufen. Stattdessen erlaubte die damalige Bundesregierung sogar den "Abverkauf" derjenigen Medikamente bis zum Jahr 2004, auf deren Nachzulassungsverlängerung der betreffende Arzneimittelhersteller verzichtete. Entgegen den damaligen Ausführungen der deutschen Bundesregierung vertrat die EU-Kommission schon vor zwei Jahren die Auffassung, dass bereits 1990 das EG Arzneimittelrecht auch hinsichtlich der Altarzneimittel voll anwendbar war und damit Altmedikamente nicht mehr hätten in Verkehr gebracht werden dürfen. Wahrscheinlich ist aus diesen Gründen auch eine restriktivere Überarbeitung der im aktuellen Gesetzentwurf vorgesehenen Termine (bspw. § 105, Absatz 5c [neu], § 137 [neu]) notwendig und sinnvoll.
Ein weiterer wichtiger Punkt, in dem das AMG nicht mit EU-Recht konform erscheint, ist die Änderung der Indikationen nach § 29 (2a) Nr. 1. Der § 29 (2a) Nr. 1 AMG erlaubt die Einführung neuer Indikationen "innerhalb des bisherigen Anwendungsbereichs" eines Arzneimittels ohne Überprüfung der sonst bei einer Neuzulassung eingeforderten "Beweisdaten" der Wirksamkeit und Sicherheit. So kann ein pharmazeutischer Unternehmer anhand von weichen, unkontrollierten Studienergebnissen (bspw. von Therapieoptimierungsvergleichen) behaupten, sein Medikament, bspw. ein Zytostatikum, sei innerhalb seines Anwendungsbereiches nicht nur bei Brustkrebs, sondern auch bei Lungenkrebs wirksam. Dieser Änderung kann die Zulassungsbehörde nur aufgrund von Daten widersprechen, die sie jedoch nicht hat, da die Daten der Studie und ihre Auswertung nur dem Hersteller vorliegen. Deshalb ist der Behörde ein Widerspruch kaum möglich, und die Zustimmung wird "im Blindflug" erteilt.
Andererseits ist im Europäischen Arzneimittelrecht eindeutig geregelt, dass für eine neue Indikation innerhalb desselben Anwendungsbereichs dieselben Anforderungen an Wirksamkeit und Sicherheit zu erfüllen sind wie bei einer Neuzulassung. Das muss auch für das AMG gelten. Der Begriff "Anwendungsbereich" ist im AMG nicht definiert und zu weit gefasst, so dass damit auch ohne Zulassung neue Indikationen erschlossen werden können. Ebenfalls sollte eine Änderung der Darreichungsform gemäß § 29 (2a) Nr. 3 aufgrund bloßer Änderungsanzeige seitens des pharmazeutischen Herstellers ausgeschlossen werden.
Um einer weiteren Klagedrohung der EU-Kommission zuvorzukommen und den gesundheitlichen Verbraucherschutz zu stärken, sollte im Rahmen der anstehenden Reform des deutschen AMG oben genannte Lücken korrigiert werden, indem die Formulierung im § 29 (2a) Nr. 1 AMG "die Anwendungsgebiete, soweit sie innerhalb des bisherigen Anwendungsbereichs erfolgt" gestrichen wird.
Fraglich ist zudem, warum im Rahmen der anstehenden Reform des AMG nicht ebenfalls eindeutig klargestellt werden muss, dass die in der Vergangenheit zur Arzneimittelbeurteilung verwandten "Monographien" keine Rechtswirkung, auch nicht für die Nachzulassung, haben. Andernfalls bleibt die Klagedrohung der EU-Kommission unverändert sachlich begründet und realistisch, da der Einwand einer Wettbewerbsverzerrung nach wie vor gültig wäre.
Wenngleich nicht alle alten Mittel unwirksam oder zu risikoreich sind, ist es aus Sicht des gesundheitlichen Verbraucherschutzes unverständlich und unverantwortlich, dass selbst im Falle der jetzt diskutieren 10. Novelle des AMG sich Verbraucher auch in den nächsten Jahren nicht darauf verlassen können, dass der deutsche Arzneimittelmarkt einer einheitlich standardisierten Qualitäts- und Wirksamkeitssicherung unterliegt.
Wenn schon aus offensichtlich industriepolitischen Gründen Bundesländer und Bundesregierung auf stringentere Regelungen verzichten, sollte der Entwurf eines Zehnten Gesetzes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes in der Übergangszeit mindestens für eine umfassende Markttransparenz Sorge tragen: Ein entsprechender Aufdruck auf der Medikamenten-Packung sollte Verbraucher über den besonderen Status einer "vorläufigen Zulassung" informieren. Die von der Bundesregierung vorgelegte Novelle des AMG sieht solch einen Vermerk lediglich im Beipackzettel vor. Dort ist der Hinweis nach Ansicht der AgV aber unzureichend. Schließlich nehmen Patienten die Packungsbeilage erst nach dem Kauf des Präparates in der Apotheke und anschließendem Öffnen der Medikamentenpackung in den eigenen vier Wänden zur Kenntnis. Erforderlich ist aus Gründen des Verbraucherschutzes daher ein ergänzender Aufdruck auf der Medikamentenpackung!
Erst mit solch einem Signal auf der Arzneimittelpackung bestünde die Chance, dass sich Verbraucher bereits in der Apotheke über die genauen Hintergründe des Aufdrucks informieren. Wichtig dabei ist eine eindeutige Formulierung, die ein entsprechend deutliches Signal beim Verbraucher bewirkt. Ein Aufdruck von codierten Hinweisen in Form von Zulassungsnummern bzw. Registrierungsnummern reicht keineswegs aus.
Mit "Stigmatisierung", wie von Teilen der Pharma-Lobby gegenwärtig behauptet, hätte das wahrlich nichts zu tun. Vielmehr könnte auf diese Weise Markttransparenz geschaffen und Wettbewerb um seriöse und sichere Therapieformen sinnvoll gestärkt werden. Durch das intensivierte Patienteninteresse und dessen Gespräch mit Arzt oder Apotheker stiege außerdem die Chance, dass letztere von ihren Patienten bzw. Kunden im Falle von bspw. unerwünschten Arzneimittelwirkungen systematischer als bisher über diese informiert würden. Gerade bei Altmedikamenten, die niemals einer Prüfung nach europäischen Richtlinien unterworfen waren, wäre dies ein sinnvoller Beitrag zur Risikominimierung im Sinne § 62 AMG. Auch die Patientensouveränität würde so gestärkt.
Eine zusätzliche systematische Erfassung der von dem laufenden "Nachzulassungsverfahren" betroffenen Alt-Arzneimittel in einer öffentlich zugänglichen Datenbank ist (lediglich) zur gezielten Information der Fachöffentlichkeit geeignet. Im Übrigen sollten die Unterschiede im Zulassungs- und Prüfstatus ebenfalls seitens der zuständigen deutschen Behörden auf den sog. WHO-Zertifikaten beim Arzneimittelexport deutlich dargestellt sein, da anderenfalls insbesondere Länder der dritten Welt, die häufig über keine eigene umfassende Arzneimittelkontrolle bzw. -zulassung verfügen, keinerlei Möglichkeit haben, sich eine geeignete Markttransparenz zu verschaffen.
Um eine entsprechende Änderung des vorliegenden Gesetzentwurfs möchten wir Sie hiermit eindringlich bitten.

Quelle:agv.de