Rechte privat Krankenversicherter gestärkt - Beschluss des Bundesverfassungsgerichts für effektiven Rechtsschutz
Privat Krankenversicherte haben einen grundsätzlichen Anspruch darauf,
Prämienerhöhungen ihres Unternehmens gerichtlich überprüfen zu lassen. Auf einen
entsprechenden Beschluss des Bundesverfassungsgerichts weist die Arbeitsgemeinschaft der
Verbraucherverbände (AgV) hin. Nach Einschätzung der Verbraucherschützer haben die
Karlsruher Richter damit die Rechte von privat Krankenversicherten entscheidend gestärkt
(Beschluss vom 28.12.1999 - 1 BvR 2203/98 -).
Ein Versicherter hatte gegen Prämienerhöhungen seiner privaten Krankenversicherung
(Inter Versicherungen, Mannheim) geklagt. Die Erhöhungen seien unwirksam, denn sie lägen
weit über den Kostensteigerungen im Gesundheitswesen und seien viel höher als bei
anderen Versicherungsgesellschaften. Zudem müssten sich nach einer Vertragsdauer von 30
Jahren die angesammelten Altersrückstellungen günstiger auswirken. Die
Krankenversicherung wandte dagegen ein, dass die vom Gesetzgeber vorgeschriebene
Zustimmung eines Treuhänders eine gerichtliche Überprüfung der Prämienerhöhungen
ausschließe. Sie sei daher nicht verpflichtet, ihre Berechnungsgrundlagen zu offenbaren.
Amts- und Landgericht Saarbrücken gaben der Versicherung Recht: Ein Versicherungsnehmer
müsse darauf vertrauen, dass die Aufsichtsbehörde bzw. der Treuhänder die Berechnung
ordnungsgemäß geprüft hätten. Die Berechnungsgrundlagen seien ein Geschäftsgeheimnis,
das der Krankenversicherer nicht zu offenbaren brauche.
Das Bundesverfassungsgericht (BVG) hob dagegen das Rechtsstaatsprinzip hervor, aus dem die
Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes folgt. Durch die Einschaltung eines Treuhänders
werde eine gerichtliche Überprüfung von Prämienerhöhungen nicht entbehrlich, zumal der
Treuhänder zwar formal unabhängig sein müsse, aber allein durch das
Versicherungsunternehmen bestellt und der Aufsichtsbehörde weder auskunfts- noch
beweispflichtig sei. Der Treuhänder habe im Übrigen die Belange aller Versicherten zu
wahren, die mit den individuellen Interessen einzelner Versicherungsnehmer nicht unbedingt
übereinstimmten. Eine umfassende tatsächliche und rechtliche Überprüfung der den
Prämienerhöhungen zugrunde gelegten Berechnungen dürfe daher nicht durch das
Geheimhaltungsinteresse des Versicherers unterlaufen werden.
Der Beschluss ist zwar kein Urteil, auf das sich jeder Versicherte stützen kann, so die
AgV. Das BVG hat den Rechtsstreit an das Landgericht Saarbrücken zurückverwiesen. Aber
die geäußerten Grundsätze sind eindeutig und von jedem Gericht in Deutschland zu
beachten.
Eine glaubhafte Klage eines Versicherten gegen Prämienerhöhungen kann nun nicht mehr mit
dem Hinweis abgelehnt werden, dass der Treuhänder ja der Erhöhung zugestimmt habe,
stellt die AgV fest.
Die Erfolgsaussichten einer Klage steigen nach Meinung der Verbraucherverbände
insbesondere in den Fällen, in denen
- die Erhöhungen weit über den jährlichen Steigerungen der Kosten im
Gesundheitswesen liegen,
- die Erhöhungen überproportional im Vergleich zu anderen Versicherern
ausgefallen sind,
- die Schreiben zur Beitragserhöhung keine aussagekräftige Begründung
für die Notwendigkeit der Erhöhung liefern.
Nach Einschätzung der AgV kann die BVG-Entscheidung bedeuten, dass
künftig Versicherungsunternehmen in vielen Fällen verpflichtet sein werden, dem Gericht
interne Berechnungsgrundlagen zur Verfügung zu stellen. Um das Geheimhaltungsinteresse
des Versicherers zu wahren, kann der Richter dann die Öffentlichkeit ausschließen und
die Prozessbeteiligten zur Geheimhaltung verpflichten. Auf die Prüfung dieser
prozessualen Möglichkeit weist das BVG das Landgericht ausdrücklich hin.
Dieser Beschluss des BVG muss sich auch auf die Informationspolitik der Krankenversicherer
auswirken, fordert die AgV. Die Schreiben, mit denen Prämienerhöhungen mitgeteilt
werden, müssen konkreter als bisher ausfallen - ansonsten gehen die Versicherer ein
großes Prozessrisiko ein.
Versicherte, die Zweifel an der Wirksamkeit einer Erhöhung ihrer
Krankenversicherungsprämie haben, sollten ihren Versicherer anschreiben und ihn zur
Übersendung aussagekräftiger Berechnungsgrundlagen auffordern, rät die AgV. Die
Verbesserung der Kundenrechte dürfte auch rückwirkend gelten, denn die Verjährungsfrist
für Rückforderungen beträgt wenigstens zwei Jahre. Dem neuerlichen Urteil des
Landgerichts Saarbrücken, das den Fall nun neu aufrollen muss, wird man nähere
Einzelheiten entnehmen können (Quelle: Verbraucherpolitische Korrespondenz der AGV vom
01.02.2000).
|