Hospiz Stiftung stellt "Patientenverfügungen" auf den Prüfstand:
12-Punkte-Check schafft Sicherheit
Einen "12-Punkte-Check" für Vorsorgedokumente stellte die
Deutsche Hospiz Stiftung am 14.09.2000 in Berlin vor. "Anlass für den
Kriterienkatalog war die Verunsicherung in der Bevölkerung über kursierende unseriöse
Dokumente", erklärte Monika Schweihoff, Ärztin und Referentin im Grundsatzreferat
der Deutschen Hospiz Stiftung, vor der Bundespressekonferenz.
83% der Deutschen möchten laut einer repräsentativen Erhebung im Auftrag der Stiftung
eine vorsorgende Willenserklärung verfassen - aber nur 8% haben es bisher getan. Rechte
einfordern statt auf Therapien zu verzichten. "Das ist gesellschaftlicher
Sprengstoff", so Schweihoff. Gehe es doch um so heikle Fragen wie den Patientenschutz
vor Willkür und Kostendruck und um Palliativmedizin und Hospizarbeit als Alternativen zu
Behandlungsabbruch und Maximaltherapie. Weil sich Laien hier vielfach überfordert
fühlen, ist mittlerweile ein regelrechter "Markt" für Patientenverfügungen
entstanden. Unseriöse Anbieter versuchen mit einfachen Vordrucken Geschäfte zu machen
oder - gerade alten Menschen - mit ideologischer Absicht widerrechtliche Auffassungen
überzustülpen. Schweihoff denkt dabei an die "Sterbehelfer, die mit der
extremistischen Einforderung aktiver Sterbehilfe zum Rechtsbruch auffordern."
Ergebnis: Ungültige Dokumente wiegen nur scheinbar in Sicherheit! Doch auch vermeintlich
kompetente oder seriöse Stellen scheitern an den ethischen oder juristischen
Fallstricken. Unterschiedliche Gerichtssurteile führen zu großer Verunsicherung. In die
Kritik gerieten die "Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung" der
Bundesärztekammer ebenso wie der Versuch einer "Christlichen
Patientenverfügung" der beiden Volkskirchen. Beweis für die Aktualität des Themas:
der Deutsche Juristentag befasst sich im September mit der Frage zivilrechtlicher
Regelungen für Patientenautonomie. "Dass in einem Begleittext für diesen
Themenbereich von ,verantwortlicher Sterbehilfe durch Dritte' statt von menschenwürdiger
Sterbebegleitung die Rede ist zeugt von einer - zumindest sprachlichen - Nachlässigkeit,
wie sie gerade hier nicht zu erwarten gewesen wäre," kritisiert Prof. Friedhelm
Farthmann, Vorsitzender des Stiftungsrats der Deutschen Hospiz Stiftung.
"Validität und Praktikabilität" - Ansprüche stellen, Hilfen
geben
All dies sind laut Farthmann Gründe für die Aufstellung des Kriterienkatalogs, mit dem
die Deutsche Hospiz Stiftung genau ein Jahr nach der Gründung des Bundeszentralregisters
Willenserklärung in Dortmund ihr Dienstleistungsangebot zu diesen Themen erweitert. Der
12-Punkte-Check soll daher ein doppeltes leisten: Helfen, dass der selbstverfasste,
individuelle Text aussagekräftig und verbindlich wird und bestimmten formalen Ansprüchen
gerecht wird ("Validität"). Und die Modelle und Unterlagen der verschiedenen
Anbieter prüfen, ob sie diese "Aufgabe" - etwa für alte oder kranke Menschen -
lösbar machen und Hilfestellungen und Formulierungshilfen geben, die es wirklich jedem
erlauben, ein Mindestmaß an Vorsorge zu treffen ("Praktikabilität").
Rechtliche Grundlage ist ein umfassendes Gutachten, das die Deutsche Hospiz Stiftung bei
dem renommierten Verfassungsrechtler Prof. Wolfram Höfling, Köln, in Auftrag gegeben
hat. Höfling hat denn auch den "12-Punkte-Check" geprüft und gutgeheißen.
Forderung: Krankenkassen sollen ärztliche Beratung honorieren
Bereits im Vorfeld beim Abfassen des Dokuments kommt dem Arzt eine wichtige Rolle zu. Er
sollte einbezogen werden, aufklären und Informationen geben, so dass konkrete und
wohlüberlegte Anweisungen verfügt werden können. Denn nicht erst im Fall der
Schwersterkrankung ist der Arzt gefordert. "Sondern ein aufgeklärtes,
selbstbewusstes und partnerschaftliches Arzt-Patienten-Verhältnis beginnt früher",
betont Prof. Wolfram Höfling. Es kann den Patientenschutz stärken, ohne zu Lasten des
Arztes zu gehen, und kann so auch Auswüchsen des Gesundheitswesens in der letzten
Lebensphase vorbeugen, etwa wenn durch den kompetenten Rat des Arztes Hospizarbeit und
Palliativmedizin statt Maximaltherapie eingefordert werden. Daher stellt die Deutsche
Hospiz Stiftung die Forderung auf, dass Hausärzte die Beratung für eine Medizinische
Patientenanwaltschaft einmal jährlich durch die gesetzlichen Krankenkassen vergütet
bekommen sollen.
Der "12-Punkte-Check":
Für Validität und Praktikabilität -
"Patientenverfügungen"
auf dem Prüfstand
"Welche Wünsche und Bedürfnisse sind mir für den Fall einer
schweren Erkrankung und für meine letzte Lebensphase wichtig? Wie kann ich meine
Vorstellungen für andere verbindlich im voraus festlegen?" - Diese Fragen
beschäftigen immer mehr Menschen. Als Lösungsvorschlag werden von vielen Anbietern
Formulare für Patientenverfügungen angeboten - oftmals ohne die rechtlichen
Notwendigkeiten für ein valides Dokument zu erfüllen oder die praktischen Gegebenheiten
beim Verfassen eines individuellen Textes zu berücksichtigen.
Aus zahlreichen Beratungsgesprächen wird deutlich, dass sich hier viele Menschen
überfordert fühlen. Die folgenden zwölf Fragen sollen eine Hilfestellung beim Abfassen
eines eigenen Textes sein. Gleichzeitig können so die Formulierungsvorschläge und
Begleittexte der verschiedenen Anbieter überprüft werden. Die Fragen und Kriterien haben
Eingang gefunden in die Medizinische Patientenanwaltschaft - das weiterentwickelte Modell
einer Patientenverfügung, das die Deutsche Hospiz Stiftung anbietet.
1. Wird die individuelle Motivation deutlich? Aus dem eigenen Text muss
deutlich werden, dass ihm nicht nur die unbestimmte Angst vor einem würdelosen Sterben
als Motivation zugrunde liegt. Der Verfasser sollte vielmehr darstellen, dass er sich mit
den existenziellen Fragen intensiv und fortdauernd unter Einbeziehung ärztlicher
Ratschläge auseinandergesetzt hat. Abzulehnen sind folgende Aussagen:
"... im Fernsehen habe ich gesehen ..."
"... die Menschen in Deutschland sterben unwürdig, deshalb..."
Im Begleittext der angebotenen "Patientenverfügungen" sollte daher auf die
gesellschaftlichen, ethischen und medizinischen Dimensionen eingegangen werden. Zudem ist
ein Glossar sinnvoll, das seltene Fachbegriffe und spezielle Inhalte
allgemeinverständlich erklärt.
2. Ist der Text praxistauglich? Die Formulierungen im eigenen Dokument müssen
individuell, aussagekräftig und rechtsverbindlich sein. Der Verfasser hat klarzustellen,
dass er sie verbindlich und bindend meint. Dort, wo konkrete Verfügungen nicht möglich
sind, sollte vom Recht auf Bevollmächtigung einer Vertrauensperson Gebrauch gemacht
werden.
Der Begleittext hat durch Zitieren oder Verweisen auf das geltende Recht Aufklärung zu
leisten. Die Herausgeber sollten bestenfalls durch externe Prüfungen oder Gutachten die
Seriosität ihrer Vorschläge nachweisen.
3. Wird zwischen verschiedenen Verfügungsbereichen unterschieden? Die Vorsorgevollmacht
zu medizinischen Behandlungsfragen (Rechtsgrundlage BGB §§ 1896 II, 1904 II) benennt
einen oder mehrere Bevollmächtigte, definiert den Vollmachteintritt, bezeugt die
Geschäftsfähigkeit zum Zeitpunkt der Unterschrift, enthält die Unterschriften des
Vollmachtgebers und des Bevollmächtigten und ist handschriftlich abgefasst oder notariell
beglaubigt.
Die Vorausverfügung enthält als Mindestbestandteil die Einforderung einer
modernen Schmerztherapie mit Symptomkontrolle (Palliativmedizin) und bezieht sich auf
genaue und konkrete Krankheitssituationen, ohne schwammige und unklare Begriffe zu
benutzen.
Die Betreuungsverfügung (Rechtsgrundlage BGB §§ 1897 IV, 1901 II 2, 1901 a)
benennt dem Amtsgericht für eine gesetzliche Betreuung einen oder mehrere
Bevollmächtigte, definiert den Vollmachteintritt, beschreibt einzelne Vollmachtsbereiche
(z.B. finanzielle Belange, Regelung der Wohnungsfrage, Vertretung gegenüber Ämtern),
bezeugt die Geschäftsfähigkeit zum Zeitpunkt der Unterschrift und enthält die
Unterschriften des Vollmachtgebers und des Bevollmächtigten.
Im Begleittext ist auf die Möglichkeit der getrennten Verfügungen und
Bevollmächtigungen hinzuweisen. Dort sollte zudem die Vorsorgevollmacht als praktikabler
und hinreichender Schutz für denjenigen dargestellt werden, der sich zur mühevollen
Erarbeitung einer wirklich validen Vorausverfügung außerstande sieht. Gleichzeitig
sollte auf die Hinterlegungsmöglichkeit der Betreuungsverfügung beim Amtsgericht
hingewiesen werden.
4. Wurden Fachleute und Vertrauenspersonen einbezogen? Es ist dringend angeraten,
kompetente Fachleute und nahestehende Vertrauenspersonen durch Gespräche in die
Vorüberlegungen und individuelle Meinungsfindung einzubeziehen. Dazu gehören
insbesondere der Hausarzt oder der behandelnde Arzt, Seelsorger, Freunde und
Familienmitglieder, vor allem aber die im Dokument aufgeführten Bevollmächtigten.
Im Begleittext sollte auf diese Möglichkeit hingewiesen werden. Es sollte zu einem
selbstbewussten, aufgeklärten und partnerschaftlichen Arzt-Patientenverhältnis geraten
werden.
5. Werden schwammige Formulierungen und unbestimmte Begriffe vermieden? Ausgangspunkt für
eigene Überlegungen sind häufig sehr unbestimmte Wendungen, die unbedingt zu vermeiden
sind, weil sie nur scheinbar eine Festlegung vornehmen ("Behandlungsplacebos").
Beispiele:
"... will ich nicht an Schläuchen hängen."
"... möchte ich nicht mit Maßnahmen der Apparatemedizin behandelt werden."
"... soll man mich in Ruhe sterben lassen ..."
Der Begleittext soll Hilfestellung für das Abfassen eines individuellen und genauen
eigenen Textes geben und vor schwammigen Formulierungen warnen. Dabei ist ebenso darauf zu
achten, dass die Formulierungshilfen nicht folgende oder ähnlichen Textvorschläge
enthalten:
"...ich nicht in der Lage sein sollte, meine Angelegenheiten selbst zu regeln
..."
"... keine Aussicht mehr auf Besserung im Sinne eines für mich erträglichen Lebens
besteht ..."
6. Keine voreiligen generellen Festlegungen oder Verzichtserklärungen! Aus Unkenntnis
abgelehnte diagnostische Maßnahmen oder Therapien könnten im Ernstfall lebensrettend
oder aber leidensmindernd sein. Dem Aushöhlen des Lebens- und Patientenschutzes zugunsten
von Willkür und Kostendruck im Gesundheitswesen sollte daher nicht ungewollt Vorschub
geleistet werden. Vorsicht vor solchen oder ähnlichen Formulierungen:
"... ich schließe grundsätzlich künstliche Beatmung aus ..."
"... ich schließe grundsätzlich künstliche Ernährung aus ..."
Sie könnten im Ernstfall einen Behandlungsabbruch aus Kostengründen legitimieren.
Im Begleittext soll vor einem solchen Ausschluss gewarnt werden. Außerdem sollte darauf
hingewiesen werden, dass die eigenen Wünsche und Wertvorstellungen für Extremsituationen
wie eine tödliche Erkrankung schwer vorhersehbar sind und dass es erfahrungsgemäß oft
zu Meinungsänderungen während einer Erkrankung kommt.
7. Werden als "Mindestbestandteil" die modernen Formen der Sterbebegleitung
eingefordert? Moderne Formen der Sterbebegleitung und Therapien wie Palliativmedizin,
Schmerztherapie und Hospizarbeit sollen ausdrücklich eingefordert werden.
Im Begleittext muss auf die therapeutischen Möglichkeiten und die Mindeststandards
hingewiesen werden. Die Begriffe Palliativmedizin, Schmerztherapie und Hospizarbeit sind
zu erklären. Es sollte ein Hinweis auf entsprechende regionale Dienste geführt werden.
8. Ist der Verfasser über die Risiken und das Verbot aktiver Sterbehilfe informiert?
Aktive Sterbehilfe ist in Deutschland verboten. Ein Text, der sie voraussetzt oder gar
für sich wünscht, ist ohne rechtliche Grundlage. Vorsicht daher vor einer Formulierung,
die aktive Sterbehilfe einfordert.
Im Begleittext ist auf die Grenzen einer Patientenverfügung hinzuweisen - beispielsweise
auf diese Unmöglichkeit, aktive Sterbehilfe einzufordern. Gleichzeitig sind die
Fragwürdigkeiten und Risiken darzustellen, die aktive Sterbehilfe mit sich bringt.
9. Bezieht sich der Text auf einen konkreten Krankheitszustand und wird deutlich, dass er
nach ausreichender Information wohlüberlegt verfasst wurde? Die eigene Vorausverfügung
soll sich auf konkrete Krankheitszustände oder Symptome beziehen. Eine wichtige Hilfe ist
hier die Beratung durch den Hausarzt oder die Hospizhelfer.
Als Beispiel sei die Erkrankung ALS (Amyotrophe Lateralsklerose) angeführt. Mit
zunehmender Muskelschwäche führt sie zum Versagen der Atmungsfunktion.
Hier kann vom Betroffenen konkret überlegt werden, ob im Spätstadium eine
"künstliche Beatmung" in Frage kommt oder ob diese Behandlung abgelehnt wird.
Der Begleittext sollte Beispiele nennen, zum Beratungsgespräch auffordern und daher
eindeutig vor vorgefertigten Textformularen, Ankreuzverfahren und Standardformulierungen
warnen.
10. Ist das Dokument formal richtig erstellt und damit valide? Die Willenserklärung
sollte handschriftlich als Ausdruck persönlicher Zuordnung und persönlicher
Auseinandersetzung mit dem Inhalt abgefasst und - möglichst durch den Hausarzt oder einen
Notar - bestätigt werden. Unterschriften indizieren Verbindlichkeit und
Geschäftsfähigkeit. Die regelmäßige Aktualisierung und Dokumentation mittels
Unterschrift drückt eine erneute Bekräftigung der Verbindlichkeit des Inhalts aus.
Im Begleittext haben die Herausgeber eindeutig herauszustellen, dass Bindewirkung und
Auseinandersetzung mit dem Thema dokumentiert werden sollen. Das heißt, es sollen die
konkreten Lebensumstände einbezogen werden.
11. Wird die Möglichkeit genutzt, den Text überprüfen und registrieren zu lassen? Eine
geprüfte Willenserklärung, die im Bundeszentralregister Willenserklärung und beim Arzt
oder in der Krankenakte hinterlegt ist, garantiert einen sicheren und schnellen Zugriff
auf die Unterlagen. Zudem wird durch das Bundeszentralregister jährlich an die
Aktualisierung erinnert.
Auf diese Möglichkeiten hat der Begleittext hinzuweisen.
12. Wird eine individuelle Beratung angeboten? Neben den Gesprächen mit
Vertrauenspersonen kann auch eine überörtliche Beratung in Anspruch genommen werden.
Sinnvoll und verantwortlich ist es, wenn die Herausgeber von Patientenverfügungen ihre
Unterlagen durch das Angebot einer frei zugänglichen individuellen Beratung ergänzen -
im persönlichen Gespräch, durch telefonische Beratung ("Hotline"), durch
schriftliche Korrespondenz oder durch ein Informationsangebot via Internet.
Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Hospitz-Stiftung vom 14.09.2000 www.hospize.de abrufen.
Werner Schell (16.9.2000)
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