"Empfehlen sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens?"
Zusammenfassung des Abteilungsthemas Zivilrecht des 63. Deutschen Juristentages Leipzig vom 26.09. bis 29.09.2000
Persönliche Autonomie auch in der Zeit des Sterbens und verantwortliche
Sterbehilfe durch Dritte sind komplexe Fragen, die seit Jahren nicht nur Juristen und
Mediziner, sondern auch die "Nichtfachwelt" und die Medien beschäftigen. Das
Thema führt bis in Grundfragen unserer Gesellschaft und des Umgangs der Menschen
miteinander hinein.
Auf seiner 56. Sitzung 1986 in Berlin hat sich der Deutsche Juristentag mit den
strafrechtlichen Aspekten dieser Problematik (beispielsweise der Zulässigkeit der aktiven
Sterbehilfe) auseinandergesetzt. Wie sich die Selbstbestimmung der Schwerkranken oder
Sterbenden rechtlich absichern lässt, in welchem Umfang die Selbstbestimmung überhaupt
von der Rechtsordnung akzeptiert werden kann und welche Kontrollmechanismen erforderlich
sein könnten, blieb dabei jedoch offen.
Zur Zeit befassen sich in der Bundesrepublik Deutschland u.a. das Bundesministerium für
Gesundheit und die Gesundheitsminsterkonferenz mit entsprechenden Fragen. In diesen Tagen
haben zudem die Niederlande einen Gesetzentwurf zur Sterbehilfe vorgelegt, der in der
Öffentlichkeit widerstreitende Reaktionen ausgelöst hat. Ferner hat ein Beschluss des
Oberlandesgerichts Frankfurt aus dem Jahr 1998 eine intensive Diskussion zu der Frage
entfacht, in welchem Umfang das Vormundschaftsgericht in die Entscheidung über den
Behandlungsabbruch bei einem Schwerstkranken einzubeziehen ist. In der Fachwelt hat dieser
Beschluss Kommentare von "Schritt in die richtige Richtung" bis hin zu der
Aussage, "der Vormundschaftsrichter werde erstmals zum Richter über Leben und
Tod", ausgelöst.
Vor diesem aktuellen Hintergrund wird sich die Abteilung Zivilrecht erneut mit der
rechtlichen Bewertung der Verhaltensmöglichkeiten von Patienten und Medizinern am
Lebensende beschäftigen. Im Gegensatz zur Themenstellung der 56. Sitzung werden diesmal
jedoch der Patient und seine zivilrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten in Wahrnehmung
seines Selbstbestimmungsrechts im Mittelpunkt der Betrachtung stehen.
Beginnend bei der Frage, ob bzw. inwieweit unsere Rechtsordnung und dabei insbesondere das
Grundgesetz ein Recht auf Leben, ein Recht auf den eigenen Tod und ein Recht auf
menschenwürdiges Sterben einräumen, wird zunächst die Situation des voll
verantwortlichen, also einwilligungsfähigen Patienten behandelt werden. In dieser
rechtlich als "Normalfall" betrachteten Situation geht es um den Patienten, der
mit seinem Arzt die Behandlungsmöglichkeiten und -grenzen besprechen kann und der
auf Grund eigener Willensentschließung in eine Behandlung einwilligen oder sie auch
ablehnen kann. Das Gutachten wird allerdings zeigen, dass auch dieser
"Normalfall" keineswegs frei von Problemen ist, sich nämlich die Frage stellt,
inwieweit ein Patient nach eigenem Gutdünken über sein Leben verfügen bzw. Ärzte und
Krankenpflegepersonal durch seinen Willen rechtlich binden kann.
Einen weiteren Schwerpunkt des Gutachtens wird die problematische Situation der
nichteinwilligungsfähigen Patienten bilden. Neben einem Teil der Minderjährigen gehören
zu diesem Personenkreis Bewusstlose (etwa Unfallopfer oder Patienten nach einem
Schlaganfall), aber auch ältere, geistig verwirrte Menschen. Bezogen auf diesen
Personenkreis werden die rechtlichen Instrumentarien dargestellt, die es dem noch
Einwilligungsfähigen erlauben, "rechtzeitig" für den Fall der
Einwilligungsunfähigkeit Vorsorge zu treffen. Als Möglichkeiten kommen
Vorausverfügungen in Betracht, mit denen der Betroffene für bestimmte, mehr oder weniger
genau bezeichnete Situationen eine eigene Entscheidung trifft (sog. Patientenverfügung,
Patiententestament), aber auch die vorsorgliche Bestellung eines Vertreters oder die
Benennung eines (vom Vormundschaftsgericht später zu bestellenden) Betreuers, die dann in
der konkreten Situation für den Betroffenen und auf der Grundlage seiner tatsächlichen
oder mutmaßlichen Wünsche zu entscheiden haben. Sehr fraglich ist allerdings, wie
verbindlich entsprechende Vorausverfügungen sind. Dabei geht es zum einen um die Frage,
wie konkret die Vorausverfügung inhaltlich sein muss, zum anderen um die Frage, ob es
zeitliche Grenzen der Geltung gibt, und drittens um die Frage, in welchem Umfang
tatsächliche oder mutmaßliche spätere Willensänderungen des Betroffenen zu
berücksichtigen sind.
Klärungsbedürftig ist darüber hinaus auch die Situation derjenigen Betroffenen, die
nicht rechtzeitig vor Eintritt der Einwilligungsfähigkeit eine Entscheidung getroffen
haben oder aber - weil sie nie einwilligungsfähig waren - keine
eigenverantwortliche Entscheidung treffen konnten. Hier stellt sich die Frage, wer
innerhalb welcher Grenzen für diese Personen zu entscheiden hat und inwieweit der
natürliche Wille dieser Personen von Bedeutung ist.
Das Gutachten wird in einem besonderen Teil auch auf die spezifische Situation im Bereich
der Forschung und im Bereich der Transplantationsmedizin eingehen. Zu allen Fragen wird
das Gutachten zudem ausländische Lösungen in die Diskussion einbeziehen. Im Ergebnis
sollen das Gutachten und die Referate sowie die darauf aufbauenden Verhandlungen des
Juristentages Regelungsdefizite des geltenden Rechts aufzeigen, Vorschläge für ihre
Beseitigung unterbreiten und insgesamt für mehr Rechtssicherheit bei allen Beteiligten,
insbesondere bei den unmittelbar Betroffenen, aber auch bei ihren Angehörigen, den
Ärzten und den Angehörigen der Pflegeberufe sorgen.
Abteilung Zivilrecht:
Thema: |
Empfehlen
sich zivilrechtliche Regelungen zur Absicherung der Patientenautonomie am Ende des Lebens? |
Vorsitzende: |
Präsidentin
des BPatG Antje Sedemund-Treiber, München |
Stv.
Vorsitzende: |
Professor
Dr. Dagmar Coester-Waltjen, München |
Gutachter: |
Professor
Dr. Jochen Taupitz, Mannheim |
Referenten: |
Professor
Dr. med. Ruth Mattheis, Berlin (Bereich Medizin)
Vors. Richter am OLG Werner Ruhl, Frankfurt/Main
Dr. med. Bettina Schöne-Seifert, M.A., Frankfurt/Main (Bereich Ethik) |
Schriftführerin: |
Richterin
am BPatG Susanne Werner, München |
Quelle: Deutscher Juristentag, Internet-Adresse http://www.djt.de
Werner Schell (20.8.2000)
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