Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) entschied in einem
Beschlußverfahren über das Betätigungsfeld von Optikern. Danach gilt: Optiker dürfen
den Augendruck messen
Die 2. Kammer des Ersten Senats des BVerfG hat über eine
Verfassungsbeschwerde (Vb) entschieden, die die Durchführung von Tonometrie und
automatischer Perimetrie durch Optiker betraf. Tonometrie bezeichnet die berührungslose
Augeninnendruckmessung, unter automatischer Perimetrie werden Gesichtsfeldprüfungen
mittels Computermessung verstanden.
1. Die Beschwerdeführerin (Bf), die ein Optikergeschäft betreibt, bietet u.a.
diese Leistungen dort an. Auf Antrag der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs
e.V. hat der Bundesgerichtshof (BGH) in letzter Instanz die Bf verurteilt, dies zukünftig
zu unterlassen. Der BGH sah in der Durchführung dieser Messungen die unerlaubte Ausübung
der Heilkunde im Sinne des § 1 Heilpraktikergesetz. Ausübung der Heilkunde ist danach
auch jede berufs- oder gewerbsmäßig vorgenommene Tätigkeit zur Feststellung von
Krankheiten. Davon würden Tätigkeiten erfasst, die ärztliche Fachkenntnisse
voraussetzen und gesundheitliche Schäden zur Folge haben können. Es genüge eine
mittelbare Gesundheitsgefährdung, etwa dadurch, dass frühzeitiges Erkennen ernster
Leiden verzögert werden könne. Derartige Gefahren lägen bei Tonometrie und
automatischer Perimetrie nahe. Der vom Oberlandesgericht (OLG) für ausreichend gehaltene
Hinweis des Optikers an seine Kunden, dass nur eine Untersuchung durch den Augenarzt
zuverlässig einen krankhaften Befund ausschließen könne, führe zu keiner anderen
Beurteilung. Es sei davon auszugehen, dass viele Betroffene bei einem unauffälligen
Befund doch mit einem Gefühl trügerischer Sicherheit darauf vertrauten, dass schon alles
in Ordnung sei. Damit sei die naheliegende Gefahr verbunden, dass schwere Erkrankungen des
Auges, die bereits im Frühstadium einer Behandlung bedürften, zunächst unerkannt
blieben.
2. Auf die Vb der Bf hat die 2. Kammer des Ersten Senats die Entscheidung des BGH
aufgehoben und das Verfahren zurückverwiesen (Beschluss vom 7. August 2000 - Az. 1 BvR
254/99 -). Zur Begründung führt sie u.a. aus: Die angegriffene Entscheidung verletzt die
Bf in ihrer Berufsausübungsfreiheit (Art. 12 Abs. 1 GG).
Wie das BVerfG mehrfach entschieden hat, sind Eingriffe in die Freiheit der
Berufsausübung nur dann mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie durch hinreichende
Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt werden, wenn die gewählten Mittel zur Erreichung
des verfolgten Zwecks geeignet und erforderlich sind und wenn bei einer Gesamtabwägung
zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die
Grenze der Zumutbarkeit noch gewahrt wird. Wird der Eingriff in die
Berufsausübungsfreiheit in Gestalt eines Tätigkeitsverbots nur mit mittelbaren Gefahren
für die Volksgesundheit begründet, entfernen sich Verbot und Schutzgut so weit
voneinander, dass bei der Abwägung besondere Sorgfalt geboten ist. Die Gefahren müssen
hinlänglich wahrscheinlich und die gewählten Mittel eindeutig erfolgversprechend sein.
Diesen Anforderungen genügt die angegriffene Entscheidung nicht. Der BGH hätte sich
damit auseinandersetzen müssen, inwieweit die in Rede stehenden rein technischen
Messverfahren besser und verantwortungsvoller von den zur Ausübung der Heilkunde
berechtigten Heilpraktikern als von dem spezialisierten Heilhilfsberuf der Optiker
vorgenommen werden. Hierfür gibt es nach den eingeholten Stellungnahmen keine
Anhaltspunkte.
Allein die Möglichkeit, dass ein gebotener Arztbesuch unterbleibt, kann zudem nicht
ausreichen, um eine mittelbare Gesundheitsgefährdung zu begründen. Diese Gefahr besteht
immer, wenn der Patient nicht unter Beschwerden leidet. Die Wahrscheinlichkeit einer
Aufdeckung von vorhandenen oder drohenden Augenerkrankungen nach Durchführung von
Tonometrie und Perimetrie durch Augenoptiker (also der Nutzen) dürfte größer sein als
die Gefahr, dass ein in Wahrheit erkrankter Kunde im Anschluss an eine bei ihm ohne Befund
gebliebene Optikeruntersuchung von einem - sonst beabsichtigten - Besuch beim Augenarzt
absieht. Es ist nach den eingeholten Stellungnahmen eher fernliegend, das Verbot der
Messungen durch den Optiker als einen Beitrag zur Verbesserung der Volksgesundheit zu
werten. Jedenfalls ist das generelle Verbot dieser Untersuchungen durch Optiker sowie das
diesbezügliche Werbeverbot zum Schutz der Gesundheit der Bevölkerung nicht erforderlich.
Der Schutz der Gesundheit der Kunden kann durch die Untersuchung einerseits und durch den
vom OLG in Übereinstimmung mit den vom Bundesinnungsverband der Augenoptiker gesetzten
Standards geforderten aufklärenden Hinweis vor ihrer Durchführung andererseits weit
besser gewährleistet werden. Angesichts des fehlenden Problembewusstseins in der
Öffentlichkeit, auf das auch der Verband der Augenärzte hingewiesen hat, ist eine
Verbesserung der Volksgesundheit nicht zu erwarten, wenn Messungen, die an aufklärende
Hinweise gebunden sind, verboten werden. Die Gefahr, dass schwere Erkrankungen des Auges,
die bereits im Frühstadium einer Behandlung bedürfen, zunächst unerkannt bleiben, ist
ohne die Untersuchung durch den Optiker, der immerhin einen gewissen Anteil richtig
erkennt, noch größer.
Quelle: Pressemitteilung Nr. 107/2000 des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) vom 10. August 2000.
Werner Schell (13.8.2000)
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