Keine Legalisierung der aktiven Sterbehilfe!
Statement von Frau Christa Nickels, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Gesundheit,
anlässlich der Pressekonferenz der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin gemeinsam
mit der BAG Hospiz am 15. August 2000
Das Bundesministerium für Gesundheit ist schon immer Forderungen nach
aktiver Sterbehilfe entgegengetreten. Der Ruf nach einer Legalisierung aktiver Sterbehilfe
ist häufig auf die Angst vor einem menschenunwürdigen Sterben zurückzuführen.
Befürchtungen, am Lebensende einem langwierigen, schmerzhaften Sterbeprozesses bei
schlechter medizinischer Versorgung etwa aus Kostengründen ausgesetzt zu sein, sind
jedoch wegen des umfassenden, verfassungsrechtlich verankerten Lebensschutzes unserer
Rechtsordnung und der individuellen Sterbebegleitung, zu der Palliativmedizin einerseits
und Hospizdienste andererseits einen entscheidenden Beitrag leisten, unbegründet. Die
Erhaltung und Verbesserung der Rahmenbedingungen für ein Sterben in Würde ist ein
Anliegen der Gesundheitspolitik der Bundesregierung.
Die in unserem Grundgesetz verankerte Unantastbarkeit und Unverfügbarkeit des Lebens
jedes Menschen gilt uneingeschränkt auch für die letzte Lebensphase. Das
verfassungsrechtlich verbürgte Lebensschutzgebot und das Gebot der Achtung der Würde des
Menschen bedeutet, dass der Staat eine aktive Tötung auch nicht kurz vor dem Eintritt des
Todes hinnehmen darf. Davon darf es keine Ausnahme geben. Niemand, auch nicht ein
Schwerstkranker, kann einem anderen die Befugnis zu seiner Tötung geben. Das
schwerwiegende Problem der Tötung auf Verlangen darf nach unserer Grundrechtsauffassung
und unserer Werteordnung nicht vom Einzelschicksal her allein gesehen werden. Würde die
Tötung Schwerstkranker auf deren Verlangen im Einzelfall zugelassen, bestünde die
Gefahr, dass sich ein solcher Patient moralisch verpflichtet fühlen könnte, den Tod zu
erbitten, um anderen nicht länger zur Last zu fallen. Eine auch nur teilweise Zulassung
der aktiven Sterbehilfe könnte letztlich zu dem Fehlschluss führen, der Gesetzgeber und
der Einzelne dürfe über menschliches Leben verfügen. Ließe man die aktive Tötung auf
Verlangen zu, könnte der nächste Schritt sein, eine solche Tötung auch dort zu
tolerieren, wo Patienten aufgrund ihrer Krankheit ein derartiges Verlangen nicht äußern
können; allein der - oft schwer zu ermittelnde - mutmaßliche Wille eines Patienten
könnte hierfür dann maßgebend werden.
Von dieser (aktiven) Sterbehilfe ist die Sterbebegleitung, also die Begleitung eines
Lebenden in der Sterbephase bis zu seinem Tod, zu unterscheiden. Sie muss darauf
ausgerichtet sein, vor allem durch lebensunterstützende Maßnahmen und die Linderung von
Schmerzen und anderen Krankheitsbeschwerden, den Patienten so viel Lebensqualität wie
möglich zu erhalten, um ihnen auf diese Weise auch ein menschenwürdiges Sterben zu
ermöglichen. Gerade schwerstkranken Menschen muss nicht nur die bestmögliche
medizinische Hilfe, sondern auch die bestmögliche psychologische bzw.
psychotherapeutische sowie theologische Unterstützung zuteil werden. Eine medizinische
Betreuung, die die Lebensqualität in der Sterbephase erhalten will, verpflichtet den
behandelnden Arzt nicht dazu, Sterbende und unheilbar Kranke um jeden Preis, insbesondere
durch einen im Einzelfall aussichtslosen Einsatz intensivmedizinischer Maßnahmen,
künstlich am Leben zu erhalten. In Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs zur sogenannten indirekten Sterbehilfe dürfen Maßnahmen zur
Verlängerung des Lebens abgebrochen werden, wenn eine Verzögerung des Todeseintritts
für den Sterbenden eine nicht zumutbare Verlängerung seines Leidens bedeutet, das mit
seinem irreversiblen Verlauf nicht mehr beeinflusst werden kann. Zudem dürfen dem Kranken
in der letzten Phase seines Lebens schmerzstillende Mittel selbst dann verabreicht werden,
wenn diese sich im Einzelfall lebensverkürzend auswirken. Einer diesem Ziel dienenden
medizinischen Betreuung Sterbender und unheilbar Kranker, die dem Patienten aufgrund
seines erklärten oder mutmaßlichen Willens aussichtslose Behandlungsmaßnahmen erspart,
steht das verfassungsrechtliche Lebensschutzgebot nicht entgegen. Unvereinbar mit diesem
Ziel und mit dem verfassungsrechtlichen Lebensschutzgebot wäre jedoch eine aus
ökonomischen Gründen erfolgende Behandlungsbegrenzung. Entsprechenden Vorschlägen ist
daher eine klare Absage zu erteilen.
Vor diesem medizinischen und rechtlichen Hintergrund hat sich das Bundesministerium für
Gesundheit insbesondere mit seinen Fördermaßnahmen dafür eingesetzt, die
Sterbebegleitung im Rahmen der palliativmedizinischer Betreuung Sterbender und unheilbar
Kranker zu unterstützen. Mit den Fördermaßnahmen wurden nach dem Aufbau von
Tumorzentren und Onkologischen Schwerpunkten gezielt Defizite in der Versorgungskette
aufgegriffen. Dabei wurde der optimalen Versorgung von unter erheblichen Schmerzzuständen
leidenden Krebskranken im finalen Stadium im Modellprogramm eine hoher Stellenwert
beigemessen.
In den Jahren 1991 bis 1996 wurden im gesamten Bundesgebiet Palliativeinheiten an 18
Standorten eingerichtet. Zum Aufgabenspektrum der Palliativeinheiten gehören nicht nur
die effektive Behandlung der Schmerzsyndrome sondern auch die psychosoziale Unterstützung
von unheilbar Krebskranken, deren Zustand eine stationäre Aufnahme erforderlich macht.
Bewährt hat sich dabei eine enge Kooperation mit anderen stationären Einrichtungen,
niedergelassenen Ärzten, ambulanten Diensten sowie mit den Angehörigen zur Vorbereitung
der Rückkehr der Patienten in ihre gewohnte Umgebung.
Seit 1996 fördert das Bundesministerium für Gesundheit einen Modellverbund mit vier
regional angelegten Modellvorhaben in Erlangen, Köln, Göttingen und Greifswald. Ziel der
Vorhaben ist die praktische Erprobung und Umsetzung von Therapieempfehlungen, d.h. bei
Tumorschmerzen soll insbesondere eine Verbesserung des Wissensstandes der Ärzte über den
Umgang mit Betäubungsmitteln erreicht werden.
In den Modellregionen werden Kooperations- und Organisationsstrukturen aufgebaut, die zu
einer Vernetzung der ambulanten und stationären Versorgungssektoren führen.
Dementsprechend sind an diesen Netzwerken niedergelassene Haus- und Fachärzte,
Schmerzambulanzen an Kliniken sowie die jeweiligen klinischen Fachabteilungen und die
biometrischen Institute beteiligt. Auch die zuständigen Ärztekammern, Kassenärztlichen
Vereinigungen und die Kassen sind eingebunden. Diese Netzwerkstruktur bildet die Basis
für eine Reihe von Interventionen zur Verbesserung der Qualität in der
Schmerzbehandlung, wobei der interdisziplinären Organisation der Schmerzbehandlung und
der Einführung qualitätssichernder Routinen in der täglichen Praxis besondere Bedeutung
zukommt.
Im Jahr 2000 werden durch das BMG noch die beiden Vorhaben in Göttingen und Greifswald
gefördert. In den Regionen Göttingen und Greifswald werden innerhalb der bestehenden
Regionalen Netzwerke folgende Maßnahmen zur Umsetzung der Behandlungsleitlinien und zur
Organisation der Kooperation in der Schmerzbehandlung durchgeführt:
- Zur Qualifizierung der Versorgungsträger werden regionale Qualitätszirkel mit den Kooperations-Praxen und -kliniken zum Thema
"Schmerz-Management" durchgeführt. Darüber hinaus werden Qualitätszirkel für niedergelassene Ärzte und Pflegende angeboten.
- Die an den Universitäten bestehenden Palliative-Care-Teams stehen 24 Stunden täglich für Kriseninterventionen zum Schließen der Lücken im Übergangsbereich
zwischen stationärer und ambulanter Versorgung bereit. Im Rahmen des Qualitätsmanagements erfolgt eine sorgfältige Leistungsdokumentation der Arbeit des
Palliative-Care-Teams. Die Analyse der Dokumentation soll Aussagen zur Versorgungssituation von Tumorschmerzpatienten in der Region ermöglichen. Daraus sollen
entsprechende Schlussfolgerungen für therapeutische Strategien abgeleitet werden, die dann unmittelbar ihren Niederschlag in den Fortbildungs- und Qualitätszirkeln finden.
- Durch das Projekt Krebsinitiative Mecklenburg-Vorpommern wird darüber hinaus eine gesundheitspolitische Analyse zur Durchführung der Tumorschmerztherapie
erstellt. Diese Analyse soll belegen, dass durch den Einsatz der Palliative-Care-Teams eine Verbesserung der Versorgung von Tumorschmerzpatienten erreicht wird, ohne dass
dadurch ein höherer Kostenaufwand entsteht.
Die bisherigen Erfahrungen der Vorhaben zeigen eine sehr gute Resonanz bei
den niedergelassenen Ärzten mit einer großen Bereitschaft zur Teilnahme an den
angebotenen Qualitätszirkeln. Aber auch Patienten und deren Angehörige nehmen die Hilfe
der Palliative-Care-Teams dankbar an.
An dieser Stelle möchte ich es deshalb nicht versäumen, den vielen engagierten Ärzten,
Pflegekräften und ehrenamtlichen Helfern für ihre aufopferungsvolle Arbeit meinen Dank
auszusprechen und ihnen für ihre weitere Tätigkeit viel Kraft und Freude zu wünschen.
Ich bin mit Ihnen der Ansicht, dass im Zusammenhang mit der Ermöglichung eines
menschenwürdigen Sterbens neben der Stärkung der Palliativmedizin auch die
Weiterentwicklung der Hospizbewegung eine uneingeschränkt wichtige Aufgabe darstellt.
Deshalb bin ich der Überzeugung, dass die am Hospizwesen Beteiligten diese
Weiterentwicklung auch künftig unvermindert vorantreiben werden.
Dieser Zielrichtung folgen auch die seit einem Jahr stattfindenden Erörterungen zur Frage
der Förderung der ambulanten Hospiztätigkeit. Kontroverse Diskussionen mit allen
Beteiligten - das sind neben den Hospizorganisationen die Wohlfahrtsverbände, die
Spitzenverbände der Kranken- und Pflegekassen sowie die Sozialhilfeträger - haben
gezeigt, dass eine gemeinsame Lösung, die Versorgung und Begleitung sterbender Menschen
in ihrer Häuslichkeit sicherzustellen, zwar schwierig, aber keineswegs unmöglich ist.
Ich bin zuversichtlich, dass es auch hier - vor allem durch die Initiative der
Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz - bald zu Lösungen kommen wird. Ich werde mich
jedenfalls weiterhin engagiert dafür einsetzen.
Quelle: Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums Nr. 66 vom 15. August 2000
Werner Schell (2.9.2000)
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