Kasse setzt Frist zum Sterben - Deutsche Hospiz Stiftung erwägt
Musterprozess
Kurz vor ihrem Tod soll eine 68-jährige Krebskranke aus dem Hospiz
abgeschoben werden. Grund: Gegen geltendes Recht verweigert ihre Krankenkasse, die AOK
Recklinghausen, plötzlich die Kostenübernahme. "Kostendruck statt
Menschenwürde", kritisiert die Deutsche Hospiz Stiftung in Dortmund den
"Skandal".
Zunächst hatte die AOK den notwendigen Hospizaufenthalt von Irene Wüller bezahlt. Denn
die eindeutige Diagnose der Ärzte lautet: Hirntumor, keine Chance auf Heilung, baldiger
Tod. Doch die Kasse hatte der Krebskranken zum schnellen Sterben eine Frist gesetzt: zwei
Monate. Danach sollte Irene Wüller dann in ein Pflegeheim abgeschoben werden. Die kühlen
Kostenrechner der Krankenkasse wollen so den Sinn der Gesetze umgehen und sparen, um jeden
Preis. Aber weder das Hospiz noch die Angehörigen können die finanziellen Belastungen
tragen. Eugen Brysch, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied der Deutschen Hospiz
Stiftung: "Wir stehen an der Seite der Sterbenden und ihrer Angehörigen, notfalls
bis hin zum Musterprozess." Denn ein aktuelles Gutachten bestätigt eindeutig die
Notwendigkeit des Hospizaufenthaltes.
Noch wird Irene Wüller im Hospiz "Zum Heiligen Franziskus" in Recklinghausen
menschenwürdig betreut. Mit professioneller Schmerztherapie, Pflege, menschlicher
Zuwendung und in der Nähe von Ehemann und Sohn, die sie so oft es nur geht besuchen.
Zurück nach Hause kann sie keinesfalls. Ihr Ehemann und ihr einziger Sohn hatten sie
bereits über Jahre hinweg gepflegt, so lange es nur irgendwie ging. Ihr Sohn, der
32-jährige Polizist Franz-Josef Wüller, war deswegen extra umgezogen und hatte sich in
die Nähe seiner Eltern versetzen lassen. Doch nach einem schweren Dienstunfall konnte er
ein Jahr lang nicht arbeiten. Kurz danach wurde auch noch der 73-jährige Vater schwer
krank und musste operiert werden. Ärzte attestieren ihm, dass er seine Frau nicht mehr
pflegen kann. Seither verbringt die Krebskranke ihre letzte Lebensphase stationär im
Hospiz.
Ein tragischer Fall, an dem die AOK nun ein Exempel statuieren will. Plötzlich
präsentiert sie ein Gutachten, das die Abschiebung in ein Pflegeheim rechtfertigen soll.
Doch solche Einrichtungen können die qualifizierte Hospizarbeit und Schmerztherapie gar
nicht leisten. Deswegen ist im Sozialgesetzbuch eine solche Abschiebung auch nicht
vorgesehen (Quelle: Pressemitteilung der Deutschen Hospiz Stiftung Nr. 7/2000 vom
11. April 2000
Werner Schell (14.4.2000)
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