Pressekonferenz »Bündnis Gesundheit 2000« am 24. Mai 2000 in Berlin:
Statement Gertrud Stöcker, Präsidentin des Deutschen Pflegerates
Das Bündnis Gesundheit 2000 vertritt die 4,2 Millionen direkt und
indirekt Beschäftigten im Gesundheitswesen. Die meisten dieser Menschen haben sich
bewußt für eine Tätigkeit in diesem Bereich entschieden, weil sie Menschen helfen
wollen. Die seit Mitte der 70er Jahre einsetzende Kostendämpfungspolitik hat aber
inzwischen dazu geführt, dass viele dieser Beschäftigten ihre Berufswahl heute wohl
überdenken würden. In der Pflege sowie bei der Betreuung der Patienten in den ambulanten
Praxen stellt sich die Situation inzwischen so dar, dass für Gespräche mit dem Patienten
kaum noch Zeit bleibt. Auch hierin macht sich Rationierung bemerkbar: Wenn wegen fehlender
finanzieller Mittel nicht ausreichend Personal eingestellt wird, um die Patienten zu
betreuen, bleibt auch wenig Zeit für echte menschliche Zuwendung. Dabei gehen schon jetzt
die Zahl der unbezahlten Arbeitsstunden, wie z.B. in der Pflege und bei den Arzt- und
Zahnarzthelferinnen, in die Millionen. Darüber aber legt die Politik gerne den Mantel des
Schweigens. Statt dessen werden immer wieder millionenschwere Wirtschaftlichkeitsreserven
vermutet, die noch zu heben seien. Solche Behauptungen werden auch durch ständiges
Wiederholen nicht wahr. Wie in allen großen öffentlichen Versorgungsbereichen gibt es
auch im Gesundheitswesen Defizite, die mehr oder weniger hausgemacht sind. Auch ist die
Kooperation zwischen ambulantem und stationärem Bereich sicher verbesserungsbedürftig.
Daraus aber schließen zu wollen, dass die vorhandenen Mittel ausreichen und nur besser
verteilt werden müssen, geht an der Realität völlig vorbei.
Das hohe Niveau der medizinischen und pflegerischen Versorgung ist dem Einsatz und oftmals
unentgeltlichen Engagement der Beschäftigten im Gesundheitswesen zu danken. Durch die
Budgetierung hat sich die Situation aber weiter verschärft. Stellen fallen weg oder
werden nicht wieder besetzt. Die ohnehin schon hohe Arbeitsverdichtung nimmt weiter zu.
Auch werden zunehmend geringer Qualifizierte im stationären und ambulanten Bereich
eingesetzt. Das wiederum beeinträchtigt die Qualität der Leistungen.
Die im Bündnis Gesundheit 2000 organisierten unterschiedlichen Berufsgruppen sehen sich
gemeinsam in der Pflicht und der Verantwortung, die hohe Qualität des deutschen
Gesundheitswesens auch weiterhin zu sichern.
Dabei darf Qualitätssicherung nicht als Instrument zur Kostendämpfung verstanden werden.
Wenn die gewohnte Qualität erhalten werden soll, darf auch der finanzielle Druck auf das
Gesundheitswesen bzw. einzelne Berufe nicht weiter verstärkt werden.
Politik und Krankenkassen fallen dennoch in verfehlte Versorgungsmuster zurück: z.B.
Pflege durch Angehörige oder Pflege durch Hilfskräfte beim gleichzeitigen Abbau
professionell Pflegender. Die derzeitige Qualitätsdebatte erfordert aber das Gegenteil.
Qualifikation ist das wirksamste Mittel für eine erfolgreiche Behandlung, Betreuung und
Pflege. Leider werden die dazu erforderlichen Ausbildungsmöglichkeiten politisch
verwaltet und nicht zur Qualitäts- und Effizienzsteigerung genutzt. Wir fordern deshalb,
dass die Ausbildungen dem Qualitätsgrundsatz entsprechend aktuell und umfassend angepasst
werden. Wenn die Politik Qualitätssicherung und Qualitätsmanagement propagiert, muss sie
auch dafür sorgen, dass ein breiter Konsens mit den Gesundheitsberufen zur Definition von
Qualität und deren Finanzierung gefunden wird. Information und Aufklärung, aber auch die
organisatorischen und verwaltenden Abläufe in Klinik, Apotheke, Praxis und Labor und
nicht zuletzt Zeit für menschliche Zuwendung müssen ausreichend finanziert werden.
Unser System krankt auch daran, dass Gesundheitsziele im deutschen Gesundheitswesen
bislang zu wenig Beachtung gefunden haben. Im Mittelpunkt der Diskussion steht zu sehr die
Frage, was Leistungen kosten und nicht welchen Zielen sie dienen sollen. Vor allem die
Prävention sogenannter Volkskrankheiten wie Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen hat
im öffentlichen Bewußtsein noch nicht den Stellenwert, den es eigentlich haben müßte.
Viele Erkrankungen könnten vermieden oder frühzeitig erkannt werden, wenn die
Bereitschaft zur Eigenverantwortung, Prävention und Individualvorsorge noch größer
wäre. Die Gesundheitsberufe appellieren deshalb an Politik und Krankenkassen,
wissenschaftlich nachprüfbare und qualitätsgesicherte Maßnahmen zur Prävention
stärker zu fördern.
Die Ausrichtung solcher Gesundheitsziele hängt maßgeblich von den Patienten ab. Denn der
Patient ist unser Kooperationspartner. Viele Patienten setzen sich intensiv mit ihrer
Erkrankung und den Möglichkeiten der Heilung und Linderung auseinander. Dazu nutzen immer
mehr Patienten die vielfältigen Möglichkeiten der Information und entwickeln dadurch
eine bestimmte Erwartungshaltung an das Gesundheitswesen. Wir sehen in dieser Entwicklung
eine Chance, Prävention und Gesundheitsförderung stärker ins Bewußtsein zu rücken.
Quelle: Internet Bundesärztekammer
Textvorstellung Werner Schell (7.7.2000)
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