»Die Aktiv-spezifische Immuntherapie (ASI) ist vorerst keine Leistung der
Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV)«
Dies entschied das Bundessozialgericht (BSG) in verschiedenen
Streitsachen am 28.03.2000, in denen es um die Leistungspflicht der GKV bei Anwendung der
ASI als Krebstherapie ging.
Nach Auffassung des BSG können Ärzte zur Zeit keine Krebsbehandlung mit der ASI zu
Lasten der GKV verordnen. Das BSG bekräftigte damit seine Auffassung, wonach neue
Untersuchungs- und Behandlungsmethoden in der Regel erst dann verordnet werden dürfen,
wenn der Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen sie bestätigt hat.
Nachfolgend wird die Pressemitteilung Nr. 19/2000 des BSG zu den
Verfahren vorgestellt:
Der 1. Senat des BSG berichtet über seine Sitzung vom 28. März 2000:
1) Die Revision der Klägerin wurde zurückgewiesen. Der geltend gemachte
Freistellungsanspruch steht ihr nicht zu.
Der Senat hat offen gelassen, ob der Klägerin durch die Herstellung der umstrittenen
Tumorvakzine überhaupt erstattungsfähige Kosten im Sinne des § 13 Abs 3 SGB V
entstanden sind. Die zwischen ihrem Ehemann, dem behandelnden Arzt und der Firma
macropharm hinsichtlich der Kostentragung getroffenen Absprachen lassen dies zweifelhaft
erscheinen; doch reichen die vom LSG getroffenen Feststellungen insoweit für eine
abschließende rechtliche Bewertung nicht aus.
Eine Kostenübernahme durch die Beklagte scheitert indessen daran, daß die
aktiv-spezifische Immuntherapie (ASI) nicht zu den von der gesetzlichen
Krankenversicherung geschuldeten Leistungen gehört. Als neue Behandlungsmethode darf sie
nach § 135 Abs 1 SGB V nur dann zu Lasten der Krankenkassen angewandt werden, wenn der
Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen sie in den sog NUB-Richtlinien als wirksam
und therapeutisch zweckmäßig anerkannt hat, was bisher nicht geschehen ist. Daß es sich
bei den für die Therapie verwendeten autologen Tumorvakzinen um Arzneimittel handelt,
schließt die Anwendung des § 135 Abs 1 SGB V entgegen der Ansicht der Revision nicht
aus, wie der Senat bereits entschieden hat. Auch mit dem Argument, bei der Behandlung mit
Arzneimitteln verpflichte allein die ärztliche Verordnung die Krankenkasse zur
Kostenübernahme, kann die Klägerin nicht durchdringen, da dies allenfalls bei einer
Verordnung auf Kassenrezept gelten würde, die hier nicht vorliegt.
Ob darin, daß der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen trotz vorliegender
Anträge bisher keine Entscheidung zur aktiv-spezifischen Immuntherapie getroffen hat, ein
Mangel des gesetzlichen Leistungssystems zu sehen ist, konnte unentschieden bleiben. Auch
wenn dies unterstellt wird, begründet das keine Leistungspflicht der Beklagten; denn die
in diesem Fall anzustellende gerichtliche Prüfung führt zu dem Ergebnis, daß die
Behandlungsmethode nicht dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse
entspricht. Der Senat hat grundsätzlich auch für Fälle eines
"Systemversagens" daran festgehalten, daß die Wirksamkeit der neuen
Untersuchungs- oder Behandlungsmethode in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden
Zahl von Behandlungsfällen aufgrund wissenschaftlich einwandfrei geführter Statistiken
belegt werden muß. Nur ausnahmsweise, wenn ein Wirksamkeitsnachweis wegen der Art oder
des Verlaufs der Erkrankung oder wegen unzureichender wissenschaftlicher Erkenntnisse auf
erhebliche Schwierigkeiten stößt, darf darauf abgestellt werden, ob sich die Methode in
der medizinischen Praxis durchgesetzt hat.
Ein Fall, in dem das Gericht auf die Prüfung der Wirksamkeit verzichten könnte, liegt
hier nicht vor. Entstehung und Verlauf von Krebserkrankungen sind zwar in vielerlei
Hinsicht ungeklärt; doch schließt dies den Nachweis der Wirksamkeit einer neuen
Behandlungsmethode anhand von wissenschaftlichen Studien nicht aus, wie sich daran zeigt,
daß seit 1998 eine multizentrische Phase-III-Studie mit 586 Patienten zu den autologen
Tumorvakzinen der Firma macropharm durchgeführt wird. Ein danach grundsätzlich
möglicher und deshalb zu fordernder Nachweis der Wirksamkeit der aktiv-spezifischen
Immuntherapie beim Nierenzellkarzinom war jedenfalls im Zeitpunkt der Behandlung Anfang
1995 nicht erbracht.
Eine Erweiterung der Leistungspflicht der Krankenkassen auf Behandlungsmethoden, die sich
erst im Stadium der Forschung oder Erprobung befinden und (noch) nicht dem allgemein
anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen, läßt das SGB V auch bei
schweren Krankheiten grundsätzlich nicht zu, so daß dem Einwand, in solchen Fällen
müsse ein individueller Heilversuch zu Lasten der Krankenversicherung auch mit noch nicht
ausreichend gesicherten Therapieverfahren möglich sein, nicht Rechnung getragen werden
kann. Ob hiervon aus verfassungsrechtlichen Gründen Ausnahmen zu machen wären, wenn
bereits vor Abschluß der Erprobung einer neuen Methode Ergebnisse vorliegen, die
eindeutig auf einen therapeutischen Nutzen der Therapie hinweisen, bedurfte keiner
Entscheidung, weil ein solcher Fall nicht vorliegt.
SG Halle - S 2 Kr 26/95 -
LSG Sachsen-Anhalt - L 4 KR 11/97 - - B 1 KR 11/98 R -
2) Auch hier hatte die Revision der Klägerin aus den unter 1) genannten
Gründen keinen Erfolg.
SG Halle - S 4 Kr 1/96 -
LSG Sachsen-Anhalt - L 4 KR 61/97 - - B 1 KR 18/98 R -
3) Der Senat hat die Revision zurückgewiesen.
Anders als in den beiden ersten Fällen steht in dieser Sache fest, daß dem Kläger durch
die Behandlung mit den autologen Vakzinen keine Kosten entstanden sind, so daß der
Anspruch schon hieran scheitert. Das LSG hat hier den behandelnden Arzt als Zeugen
vernommen. Nach dessen Aussage ist ihm von einem Bediensteten der Firma macropharm im
Auftrag der Geschäftsleitung eidesstattlich versichert worden, daß weder er selbst noch
der Patient zu irgendwelchen Kosten herangezogen würden. Dies hat er seinerseits dem
Kläger mitgeteilt.
Abgesehen davon ist eine Bestellung des Impfstoffs durch den Kläger oder ein Auftrag des
Klägers zu seiner Herstellung durch die Firma macropharm aufgrund der Feststellungen des
LSG sicher auszuschließen. Entgegen der Auffassung der Revision spricht schon der
Wortlaut des von der Firma macropharm vorformulierten "Kostenübernahmeantrags"
gegen eine Zahlungsverpflichtung. Denn danach sollte der Kläger nicht selbst Kosten
tragen, sondern die Firma macropharm ermächtigen, den Anspruch auf Kostenübernahme
geltend zu machen und eventuelle Zahlungen der Krankenkasse für ihn entgegenzunehmen. Die
Beschaffung eines Medikaments durch den Patienten unmittelbar beim Hersteller entspricht
im übrigen nicht dem regelmäßigen, gesetzlich vorgezeichneten Weg der
Arzneimittelversorgung. Arzneimittel werden entweder vom Arzt zur Beschaffung in der
Apotheke verordnet oder von ihm selbst abgegeben. Die auch für Tumorvakzine
grundsätzlich geltende Apothekenpflicht verbietet es dem Arzneimittelhersteller, seine
Produkte unmittelbar beim Patienten zu vertreiben. Für eine denkbare vertragliche
Gestaltung, bei der der Arzt das Arzneimittel bestellt und der Patient sich unmittelbar
gegenüber dem Hersteller zur Zahlung verpflichtet, geben die vorgelegten Unterlagen
nichts her. Da somit weder gegenüber dem behandelnden Arzt oder Krankenhaus noch
gegenüber der Herstellerfirma eine Zahlungsverpflichtung des Versicherten begründet
worden ist, fehlt dem Kostenerstattungsbegehren die Grundlage.
SG Dresden - S 16 Kr 137/96 -
Sächsisches LSG - L 1 KR 2/98 - - B 1 KR 21/99 R -
Quelle: Pressemitteilung des Bundessozialgerichts
(http://www.bundessozialgericht.de)
Werner Schell (9.4.2000)
|