Arzneimittelmarkt: Warnhinweis für Alt-Arzneimittel gehört
auf die Verpackung
Geplante Novelle des Arzneimittelgesetzes stellt noch keine
Markttransparenz her
Über 21 Jahre nach Inkrafttreten des deutschen Arzneimittelgesetzes sind
immer noch mehr als 20.000 Medikamente in deutschen Apotheken erhältlich, die den
Bestimmungen dieses Gesetzes zur Sicherheit und Wirksamkeit von Medikamenten nicht
entsprechen. Jetzt will die Bundesregierung zwar endlich für die längst überfällige
Bereinigung des deutschen Arzneimittelmarktes sorgen. Doch auch nach Inkrafttreten der
neuen Regelung sollen die Hersteller von so genannten Alt-Arzneimitteln ihre Präparate
während einer Übergangsfrist noch weiter vermarkten dürfen. In dieser Zeit sollen die
Verbraucher nach den jetzigen Plänen lediglich mit einem Hinweis auf dem Beipackzettel
über die fehlende Nachzulassung informiert werden. Die Arbeitsgemeinschaft der
Verbraucherverbände (AgV) kritisiert dies als unzureichend und verlangt einen deutlichen
Aufdruck mit dem Hinweis auf die "vorläufige Zulassung" auf der
Medikamentenpackung.
Wenn schon aus offensichtlich industriepolitischen Gründen Bundesländer und
Bundesregierung auf stringentere Regelungen verzichten, so die deutschen
Verbraucherschützer, sollte der Gesetzgeber in der Übergangszeit mindestens für eine
umfassende Markttransparenz Sorge tragen. Einen Hinweis im Beipackzettel auf den
besonderen Status einer "vorläufigen Zulassung" lesen die Patienten in der
Regel erst in den eigenen vier Wänden. Sie haben dann keine Chance mehr, sich vor
dem Kauf in der Apotheke über die genauen Hintergründe des Aufdrucks informieren zu
lassen. Mit "Stigmatisierung", wie von Pharma-Lobbyisten behauptet wird, hat das
wahrlich nichts zu tun, betont die AgV. Vielmehr könnte auf diese Weise Markttransparenz
geschaffen und Wettbewerb um seriöse und sichere Therapieformen sinnvoll gestärkt
werden.
Ohnehin ist es nach Ansicht der AgV fraglich, ob die geplante Gesetzesänderung den
europäischen Anforderungen genügt. Nach EU-Recht hätte die jetzt vorgesehene
Überprüfung der Alt-Medikamente bereits 1990 abgeschlossen sein müssen. Im Oktober 1998
forderte die EU-Kommission Deutschland auf, Alt-Arzneimittel ohne abgeschlossene Prüfung
nicht weiter zu verkaufen. Trotzdem erlaubte die damalige Bundesregierung sogar den
"Abverkauf" solcher Medikamente bis zum Jahr 2004, sogar wenn der Hersteller gar
keine Nachzulassung beantragt hat. Auch wenn nicht alle alten Mittel unwirksam oder zu
risikoreich sind, ist der Schlendrian in der Arzneimittelkontrolle der vergangenen Jahre
unverantwortlich, so die Verbraucherverbände.
Umso bedauerlicher findet es die Verbraucherlobby, dass sich deutsche Patienten in den
kommenden Jahren noch immer nicht darauf verlassen können, dass alle deutschen
Arzneimittel einheitlich und standardisiert auf Qualität und Wirksamkeit geprüft wurden.
Der jetzt vorgelegte Entwurf (Bundestagsdrucksache 4/2292) ermöglicht dem Anbieter von
Alt-Medikamenten in der Regel das Einleiten eines gestrafften Nachzulassungsverfahrens.
Sofern der Hersteller innerhalb von 6 Monaten nach Inkrafttreten des Gesetzes keinen
entsprechenden Antrag stellt, muss die Vermarktung beendet werden. Im anderen Fall wird
das Nachzulassungsverfahren eingeleitet. Der jeweilige Hersteller wäre somit gesetzlich
verpflichtet, entscheidungsreife Anträge innerhalb einer Frist von 6 Monaten
einzureichen, sofern die Unterlagen nicht schon vorgelegt worden sind.
Zwar begrüßt die AgV diese enge Fristsetzung, hatten die Hersteller doch fast zwei
Jahrzehnte Zeit, sich auf die überfällige Anpassung der deutschen Gesetzgebung an
europäisches Gemeinschaftsrecht einzustellen. Auch wird der gesundheitliche
Verbraucherschutz durch ein klareres Verfahren der Mängelbeseitigung gestärkt: Sofern
die Zulassungsbehörde Mängel bei den eingereichten Unterlagen beanstandet und der
Arzneimittelhersteller nicht innerhalb von 6 Monaten diese beseitigt, ist die Zulassung zu
versagen. Auf diese Weise wird es der Pharma-Lobby erschwert, eine endgültige
Entscheidungsfindung dadurch hinauszuzögern, dass ein Antrag erst durch Nachreichen
essentieller Unterlagen im Rechtsmittelverfahren zulassungsreif wird. Auch eine Variation
des beantragten medizinischen Anwendungsgebietes, bspw. aus Marketinggründen, wird -
außer bei Homöopathika - im Laufe des Verfahrens ausgeschlossen.
Trotzdem dürfen die Alt-Medikamente auch ohne Nachzulassung weiterhin verkauft werden.
Bis alle Anträge vom zuständigen Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte
geprüft werden, können noch weitere Jahre ins Land gehen. Bis dahin sollte der deutsche
Gesetzgeber deshalb wenigstens durch eine klare Vorschrift für einen deutlichen
Packungsaufdruck für Markttransparenz sorgen. Dadurch würde auch die Wahrscheinlichkeit
steigen, dass Apotheker und Ärzte von ihren Patienten bzw. Kunden im Falle von
unerwünschten Arzneimittelwirkungen systematischer als bisher informiert würden. Gerade
bei Alt-Medikamenten, die niemals eine Prüfung nach europäischen Richtlinien durchlaufen
haben, wäre dies ein sinnvoller Beitrag zur Risikominimierung und Qualitätssicherung, so
die AgV. Auch die Patientensouveränität würde so gestärkt. Entsprechende
Änderungsvorschläge werden die Verbraucherverbände in das laufende
Gesetzgebungsverfahren einbringen.
Werner Schell (27.02.2000)
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