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Die "Scheinselbständigkeit"
Ein immer wieder diskutiertes und nicht einfaches Thema

Der Begriff der "Scheinselbständigkeit" wird benutzt, wenn Erwerbstätige dem Grunde nach, also nach der Ausgestaltung ihrer Rechtsbeziehungen, zwar wie Selbständige behandelt werden, tatsächlich aber wie abhängig Beschäftigte arbeiten und sich auch hinsichtlich ihrer sozialen Schutzbedürftigkeit nicht von diesen unterscheiden. Dabei wird diese "Scheinselbständigkeit" in der Regel nur für einen Arbeitgeber genutzt, d.h., es besteht lediglich zu diesem einen Auftraggeber ein Abhängigkeitsverhältnis.

Oft handelt es sich bei "Scheinselbständigen" um ehemalige Arbeitnehmer, die aus Gründen von Einsparungen formal vom Arbeitgeber in die Selbständigkeit geschickt werden, tatsächlich aber ihre alte Tätigkeit beibehalten. Denn, der Arbeitgeber spart dadurch immense Lohnnebenkosten: Der Selbständige muß u.a. für seine Renten- und Krankenversicherung selbst sorgen und hat auch keinen Anspruch mehr auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Viele Arbeitnehmer gehen notgedrungen das Risiko der "Scheinselbständigkeit" ein, meist aus Angst vor einer drohenden Arbeitslosigkeit

Dabei beachten viele Arbeitgeber nicht, daß sie dabei selbst ein hohes Risiko eingehen. Denn, wer "Scheinselbständige" beschäftigt, muß gegebenenfalls Nachzahlungen an die Sozialkassen leisten, wenn sich nachträglich herausstellt, daß es sich eigentlich um einen Arbeitnehmer handelt, für den die gesamten Sozialbeiträge hätten entrichtet werden müssen. Dann nämlich hat gegebenenfalls das Unternehmen bzw. der Arbeitgeber für die Dauer der Selbständigkeit die Sozialversicherungsbeiträge nachzuentrichten, was unter Umständen zu erheblichen finanziellen Schwierigkeiten (bis hin zu einem Konkurs) führen kann. Wodurch eine "Scheinselbständigkeit auffliegt", z.B. durch einen Hinweis des Betroffenen oder durch eine Betriebsprüfung des zuständigen Rentenversicherungsträgers, ist hierbei unbeachtlich.

Streitpunkt ist in der Regel immer, ob der Betroffene nun tatsächlich eine selbständige Tätigkeit ausübt oder lediglich Arbeitnehmer im Sinne der Sozialversicherung ist. Es muß also im Einzelfall immer nachgewiesen werden, ob das Rechtsverhältnis tatsächlich als Arbeitsverhältnis zu beurteilen ist. Dabei sind die Grenzen oft fließend und die Kriterien für die Einstufung sowie der Nachweis der ausgeübten Tätigkeit nicht immer einheitlich und einfach zu bestimmen.

Wesentliche Merkmale der nichtselbständigen und der selbständigen Tätigkeit im Überblick:

Nichtselbständige Tätigkeit
(= Arbeitnehmertätigkeit)

Selbständige Tätigkeit

Es wird fremdbestimmte Arbeit geleistet
(= persönliche Abhängigkeit).

Es liegt eine feste Eingliederung in den Betrieb vor; d.h. es wird eine dem Betriebszweck dienende und ihm untergeordnete Tätigkeit ausgeübt.

Es besteht aufgrund des bestehenden Direktionsrechts des Arbeitgebers Weisungsgebundenheit; z.B. hinsichtlich Art, Ort und Zeit der Arbeitsleistung.

Im allgemeinen wird die gesamte Arbeitskraft geschuldet.

Grundlage der Tätigkeit ist eine geregelte Arbeitszeit.

Der Arbeitnehmer schuldet sorgfältige Arbeitsleistung; ein Betriebsrisiko ist ihm nicht auferlegt.
Es besteht Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft.

Es wird eine eigene Betriebsstätte unterhalten (z.B. Dienstleistung am eigenen Personalcomputer).

Die Tätigkeit kann frei gestaltet werden. Ein dem Arbeitnehmerstatus entsprechendes Direktionsrecht (mit Weisungsgebundenheit) besteht nicht.

Tätigkeiten sind auch für andere Auftraggeber weitgehend uneingeschränkt möglich.

Die Arbeitszeit kann weitgehend frei gestaltet werden.

Das Unternehmerrisiko liegt beim selbständig Tätigen und nicht bei seinen Auftraggebern.

Die konkreten Einzelumstände prägen das Gesamtbild der Tätigkeit!

Für etwas Aufklärung sorgte das Urteil des Landesarbeitsgerichts (LAG) Nürnberg vom 25.2.98 - 4 Sa 670/97 -

In seiner Entscheidung vom 25.2.1998 nahm das LAG Nürnberg zur Frage der Arbeitnehmereigenschaft Stellung. Auch wenn es sich hierbei um eine Einzelfallentscheidung handelt, so können aus diesem Urteil doch einige grundlegende Anhaltspunkte herausgefiltert werden, um die Statusfrage beurteilen zu können.

Im entschiedenen Rechtsfall ging es um eine Frau, deren Rechtsverhältnis als "selbständiger Versicherungsvertreter gem. §§ 84 Abs. 1, 92 HGB" schriftlich niedergelegt war. Sie klagte darauf, daß dieses Rechtsverhältnis als unbefristetes Arbeitsverhältnis zu beurteilen sei. Das Arbeitsgericht (ArbG) Nürnberg hatte diese Klage abgewiesen. Im Berufungsverfahren fällte das LAG Nürnberg nun eine anderslautende Entscheidung: Es wurde festgestellt, daß die Klägerin bei der Beklagten in einem Arbeitsverhältnis steht, auch wenn dieses Arbeitsverhältnis nicht als unbefristet bezeichnet werden kann.

In der Begründung seines Urteils vom 25.2.1998 lehnte sich das LAG an frühere Ausführungen des ArbG Nürnberg in einem Parallelrechtsstreit -2 Ca 4546/95 (4 Sa 860/96) - an; dargestellt in seiner Entscheidung vom 17.12.1997 - 4 Sa 670/97 -:

Arbeitnehmer und freier Mitarbeiter unterscheiden sich nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG) durch den Grad der persönlichen Abhängigkeit, in der sich der zur Dienstleistung Verpflichtete befindet. Eine wirtschaftliche Abhängigkeit ist weder erforderlich noch ausreichend. Arbeitnehmer ist derjenige Mitarbeiter, der seine Dienstleistung im Rahmen einer von Dritten bestimmten Arbeitsorganisation erbringt. Insoweit enthalte § 84 Abs. 1 Satz 2 HGB ein typisches Abgrenzungsmerkmal. Nach dieser Bestimmung sei selbständig, wer im wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Unselbständig und deshalb persönlich abhängig sei dagegen der Mitarbeiter, dem dies nicht möglich ist. Zwar gelte diese Regelung unmittelbar nur für die Abgrenzung des selbständigen Handelsvertreters vom abhängig beschäftigten kaufmännischen Angestellten, über ihren unmittelbaren Anwendungsbereich hinaus enthalte diese Bestimmung jedoch eine allgemeine gesetzliche Wertung, die bei der Abgrenzung des Dienstvertrages vom Arbeitsvertrag zu beachten ist, zumal sie die einzige Norm sei, die Kriterien dafür enthalte.

Die Eingliederung in die fremde Arbeitsorganisation zeige sich insbesondere daran, daß der Beschäftigte einem Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliege, wobei dieses Weisungsrecht Inhalt, Durchführung, Zeit, Dauer und Ort der Tätigkeit betreffen könne, seltener jedoch eine fachliche Weisungsgebundenheit. In erster Linie seien für die Abgrenzung die Umstände von Bedeutung, unter denen die Dienstleistung zu erbringen ist und nicht z.B. die Modalitäten der Bezahlung oder die steuer- und sozialversicherungsrechtliche Behandlung. Die Arbeitnehmereigenschaft könne nicht mit der Begründung verneint werden, es handele sich um eine nebenberufliche Tätigkeit, auf der anderen Seite spreche nicht schon für ein Arbeitsverhältnis, daß es sich um ein auf Dauer angelegtes Rechtsverhältnis handele. Der Grad der persönlichen Abhängigkeit hänge auch von der Eigenart der jeweiligen Tätigkeit ab. Abstrakte, für alle Arbeitsverhältnisse geltende Kriterien lassen sich dabei nicht aufstellen. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses kann also auch aus Art oder Organisation der Tätigkeit folgen.

Im vorliegenden Fall, zur Frage des selbständigen bzw. angestellten Versicherungsvertreters hätte das BAG bereits entschieden, daß der in § 84 Abs. 1 HGB enthaltenen Hervorhebung der im wesentlichen freien Bestimmung der Arbeitszeit für Versicherungsvertreter im Außendienst nichts Entscheidendes entnommen werden könne, da ohnehin hierbei typischerweise feste Dienstzeiten nicht vorlägen, deshalb müsse auf die übrige Weisungsfreiheit abgestellt werden, die den Selbständigen vom Arbeitnehmer unterscheide. Relevante Kriterien seien dabei die Freiheit im Einsatz der Arbeitskraft, das eigene Unternehmen und das eigene Unternehmerrisiko. Handele der Betreffende in eigener Person ohne Mitarbeiter und im wesentlichen ohne eigenes Kapital und ohne eigene Organisation, spreche dies für eine Arbeitnehmereigenschaft. Demgegenüber stehe der Selbständige, der mit eigenem Kapitaleinsatz einen eigenen Apparat gegebenenfalls unter Einsatz von eigenen Mitarbeitern aufbaut und bei dem dem Risiko der nur erfolgsbezogenen Vergütung auch eine entsprechende unternehmerische Chance gegenüberstehe. Damit lehne man sich an die Terminologie des Bundessozialgerichts (BSG) an, wonach die Zuweisung von Risiken an den Arbeitenden nur dann für Selbständigkeit spricht, wenn damit größere Freiheiten und größere Verdienstmöglichkeiten verbunden sind, die nicht bereits in der Sache angelegt sind. Für die Einstufung als "Selbständige" müsse dem vollen Risiko der ausschließlich erfolgsbezogenen Vergütung ohne Einkommenssicherung für Krankheits- oder Urlaubsfälle eine entsprechende unternehmerische Freiheit - die Möglichkeit der Errichtung eines eigenen Unternehmens mit einem eigenen unternehmerischen Ziel, d.h., eine unternehmerische Chance - gegenüberstehen.

Ein weiterer Anhaltspunkt, die das Vorliegen einer Arbeitnehmereigenschaft nahelegen könnte, wäre, ob der "Selbständigen" eine Qualifizierung durch den "Arbeitgeber" nahegelegt wurde und ob diese Qualifizierung auch finanziell unterstützt wurde. Es sei ein typisches Phänomen der Arbeitswelt, daß der Arbeitgeber seine Mitarbeiter nach seinen Vorstellungen und seinen Nutzungsmöglichkeiten zur Qualifizierung anhalte.

In den Urteilsgründen wird im übrigen zur Abgrenzung des Selbständigen vom Arbeitnehmer auch auf ein Urteil des BAG vom 21.1.66 verwiesen. In diesem Urteil wurde folgendes festgestellt: "Eine besondere Rolle spielt der Inhalt des Vertrages. Dabei kommt allerdings im Grundsatz der Benennung des Vermittlers, der Bezeichnung des Vertragsverhältnisses und dem reinen Wortlaut des Vertrages keine entscheidende Bedeutung zu, weil der wirkliche Gehalt der Tätigkeit maßgebend und deshalb in der Regel vor allem auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung des Vertrages abzustellen ist".

Das LAG stellte in dem am 25.2.1998 entschiedenen Einzelfall heraus, daß wesentlich für die Arbeitnehmereigenschaft ist, daß keine unternehmerische Freiheit, sondern nur die Tragung unternehmerischen Risikos vorliegt. Verschiedene Umstände - wie berufsbegleitende Qualifizierung, das faktische Tätigwerden nur in eigener Person ohne Kapital und Organisation und ohne unternehmerische Chance eine gewinnträchtige Erwerbstätigkeit zu entfalten -, veranlaßten das Gericht, die Klägerin als Arbeitnehmerin anzusehen. Dabei machte das Gericht aber keine Aussagen über die Folgen der Feststellung der Arbeitnehmereigenschaft (z.B. Sozialversicherung, Urlaub, Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall). Dies hätte sicherlich zur weiteren Klärung beitragen können.

Aber trotzdem läßt sich feststellen: "Scheinselbständigkeit" ist nicht nur ein Betrug an der Solidargemeinschaft, sondern beinhaltet auch diverse Risiken, die der einzelne nicht immer von vorneherein abzuschätzen vermag. Man darf gespannt sein, ob und gegebenenfalls inwieweit demnächst höchstrichterliche Entscheidungen des BAG für weitergehendere Klarheit sorgen und damit die Betroffenen unzweideutig vor Problemen bewahren.

Werner Schell