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LANDTAG NORDRHEIN-WESTFALEN, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/3217, 11.11.2002 Antrag der Fraktion der CDU Auch das Sterben ist ein Teil des Lebens 1. Der Landtag stellt fest: In Nordrhein-Westfalen existiert eine breite und äußerst engagierte Hospizbewegung, die Anerkennung und Unterstützung verdient. Derzeit gibt es 40 stationäre Hospize, davon zwei, die ausschließlich für Kinder eingerichtet sind. Eine weitere Säule, auf der die Betreuung Sterbender derzeit ruht, ist die große Anzahl an ambulanten Hospizdiensten. In Nordrhein-Westfalen arbeiten rund 250 dieser Einrichtungen. Wir verdanken es der Hospizbewegung mit ihren ehrenamtlichen Helferinnen und Helfern, dass das Sterben mehr als früher als Teil des menschlichen Lebens anerkannt wird. Das deutsche Wort „Sterbebegleitung" ist im internationalen Sprachgebrauch einmalig und beschreibt ein gesamtes und umfassendes Behandlungskonzept für Schwerstkranke und Sterbende. „Hospiz" steht heute für eine Initiative, in der ehrenamtliche Helferinnen und Helfer unter fachlicher Anleitung Sterbenden und ihren Angehörigen darin beizustehen, den letzten Weg gemeinsam zu gehen und diese wertvolle Zeit miteinander - wenn möglich - zu Hause zu erleben. Hospize wenden sich im Unterschied zu vielen anderen Bereichen des Gesundheitswesens nicht nur an die Patienten, sondern auch an die Menschen, die ihnen nahe stehen. Sterbenskranke Menschen sollen auch in ihrer letzten Lebensphase, wenn sie es wünschen, daheim sein können. Getragen wird die Hospizbewegung von dem Gedanken, dem Sterbenden Annahme und Geborgenheit entgegenzubringen und zu ermöglichen, bis zuletzt als wertvolle Mitglieder der Gemeinschaft anerkannt zu sein. Hospizliches Handeln geschieht immer in lebensbejahendem Bewusstsein. Der Weg eines Menschen ins Leben erfährt in unserer Gesellschaft eine besondere Fürsorge. Sein Weg aus dem Leben wird gesellschaftlich eher verdrängt. Der Tod ist in unserer säkularisierten Gesellschaft für viele immer noch ein Tabuthema. Gegenüber Stärke, Leistung, Gesundheit, Erfolg und Jugendlichkeit sind Alter und Krankheit, Leiden und Sterben weitgehend ausgegrenzt. Das eigene Sterben und der Tod von Angehörigen sind nicht zuletzt daher mit vielen Ängsten belastet: mit der Angst, unerträgliche Schmerzen leiden zu müssen, mit der Angst, allein gelassen und seiner Würde beraubt zu werden, mit der Angst, auch gegen den eigenen Willen einen unnötig verlängerten Sterbeprozess ertragen zu müssen, mit der Angst, Angehörigen und der Gesellschaft zur Last zu fallen. Vielleicht ist auch das mit ein Grund dafür, dass in den Niederlanden und Belgien Gesetze in Kraft getreten sind, die Tötung auf Verlangen ermöglichen. Wir lehnen ein solches Gesetz ab. Wir müssen uns dem Thema Tod stellen und in Fällen tödlicher Erkrankungen für eine Lebens-, Sterbe- und Trauerbegleitung der Menschen sorgen. Mit Beginn des Jahres 2002 konnte nach langem Ringen auch für die ambulante Hospizbewegung durch die Neufassung des § 39 a SGB V eine Mitfinanzierung durch die Krankenkassen erreicht werden. Dieses war ein wichtiger Schritt in der Anerkennung der Arbeit ehrenamtlicher wie hauptamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Ein menschenwürdiges Sterben zu ermöglichen, ist aber nicht allein die Aufgabe des Staates. Aus diesem Grund hat sich der Gesetzgeber dazu entschieden, die Finanzierung von stationären und ambulanten Hospizen in § 39 a SGB V nur teilweise durch die Krankenkassen zu sichern. Ein weiterer Teil wird durch Spenden und ehrenamtliches Engagement erbracht. Hierin zeigt sich, dass die ehrenamtliche Hospizbewegung eine verlässliche Säule bei dieser wichtigen gesellschaftlichen Aufgabe ist. Dennoch ist es wichtig, dass Ehrenamt nicht zu überfordern. Durch geeignete Rahmenbedingungen kann die ehrenamtliche Arbeit begleitet und stabilisiert werden. Die gesetzlichen Regelungen, die für den Hospizbereich gelten, wurden in den letzten Jahren weiterentwickelt. Nach § 1 Abs. 1 der Rahmenvereinbarung sind stationäre Hospize Einrichtungen mit eigenständigem Versorgungsauftrag, die als baulich, organisatorisch und wirtschaftlich selbständige Institutionen geführt werden. Diese Vorschrift wird von Krankenkassen teilweise zum Anlass genommen, nur diejenigen Kosten zu übernehmen, die in Hospizen als eigenständigen und selbständigen Einrichtungen entstehen. Damit wird eine integrative Anbindung eines stationären Hospizes an ein Krankenhaus oder Pflegeheim erschwert. Seit 2002 fallen auch die stationären Hospize unter das Heimgesetz. Das neue Pflegequalitätssicherungsgesetz wird spätestens 2004 den bestehenden Hospizen weitere Vorschriften bringen. Eine übermäßige gesetzliche Regelung birgt die Gefahr, die Individualität dieser Einrichtungen zu beschränken und macht es schwierig, andere oder auch ungewöhnliche Wege in der Betreuung zu gehen. Durch die rasanten Fortschritte der letzten Jahrzehnte in Medizin und Technik hat sich die Situation Kranker und Sterbender maßgeblich verändert. Früher waren die Menschen vertrauter mit dem Sterben und dem Tod. Wenn ein Familienmitglied starb, so geschah das in der Regel zu Hause und im Beisein Angehöriger. Heute sterben die Menschen überwiegend in Krankenhäusern oder Pflegeheimen. Die medizinischen und medizin-technischen Entwicklungen, die auch am Ende des Lebens zum Einsatz kommen können, verlangen eine kritische Anwendung. Der Einsatz technologischer Möglichkeiten ist, je nach Lebenserfahrung, positiv oder negativ besetzt. Wenn unter intensivem Einsatz der Technik Leben gerettet wird, erfährt die Apparatemedizin (???) Anerkennung. Wenn die künstliche Verlängerung des Lebens zum Selbstzweck wird, wird dieser technische Fortschritt abgelehnt. Wir brauchen eine Medizin nach Maß im Zeitalter der Hochtechnisierung. Wir stehen vor einer umfassenden Reform im Krankenhauswesen. Das für das Jahr 2003 vorgesehene diagnoseorientierte Fallpauschalensystem zur Vergütung von Krankenhausleistungen wird die Krankenhauslandschaft verändern. Die für die Einführung Verantwortlichen versprechen sich davon mehr Transparenz und mehr Wirtschaftlichkeit, auch durch eine kürzere Verweildauer von Patienten in Hospitälern. Bei allen Entwicklungen zu einer hochtechnisierten Medizin und einem fallbezogenen Abrechnungsverfahren dürfen wir das Sterben als Teil des Lebens nicht vergessen. Zur Annahme des Lebens selbst gehört es, auch dem Sterben Zeit und Raum einzuräumen. Die Betreuung eines todkranken Patienten darf nicht unter ein ökonomisches Diktat geraten. Sie erfordert in jedem Fall ausreichende Zeit für Zuwendung. Die Einbeziehung der Angehörigen ist unerlässlich und die medizinische Versorgung und Betreuung kann nur durch Fachpersonal gewährleistet werden. Das Sterben eines einzelnen Menschen lässt sich nicht in eine Pauschale fassen. Wir müssen daher bereits jetzt die notwendigen Maßnahmen treffen, um nicht eine Lücke in der Versorgung der Sterbenden entstehen zu lassen. Fast jeder Mensch hat den Wunsch, zu Hause zu sterben und die letzten Tage seines Lebens schmerzfrei und menschenwürdig im Familienkreis oder auch im Kreis enger Freunde zu verbringen. Aber nur zwei von zehn Menschen wird dies durch ambulante Versorgung ermöglicht. Häufig veranlassen Familien, die sich mit der Pflege und Betreuung eines sterbenden Familienmitgliedes überfordert und allein gelassen fühlen, die Überweisung in ein Krankenhaus oder Pflegeheim. Diese Diskrepanz zwischen dem Wunsch der Patienten und der Realität muss uns veranlassen, Lösungen für die noch nicht ausreichende Versorgung zu finden. Demographische Prognosen zeigen, dass unsere Bevölkerung immer älter wird. Die Lebenserwartung der Menschen hat sich deutlich verlängert, die Anzahl der Älteren im Vergleich zu den jüngeren Menschen ist stark angestiegen. Immer mehr ältere Menschen werden an ihrem Lebensende auf die Pflege und Betreuung von immer weniger jungen Menschen angewiesen sein. Es werden sich daher in Zukunft höhere Anforderungen an die Begleitung Sterbender ergeben Wir müssen für einen würdevollen Abschied vom Leben die Bedingungen schaffen. Dies gilt umso mehr infolge der soziokulturellen Entwicklung in Deutschland mit über 50% Single-Haushalten in Großstädten. Angesichts dieser Tatsache wird es immer unwahrscheinlicher, dass die Menschen in Zukunft im Kreise ihrer Familie sterben werden. Auch dieser Herausforderung müssen wir uns stellen. Eine der wichtigsten medizinischen Aufgaben bei sterbenden Menschen ist die palliative Versorgung. In der Definition der Weltgesundheitsorganisation WHO werden deren wesentliche Ziele und Inhalte beschrieben: „Das Ziel der Palliativmedizin ist die Erreichung der bestmöglichen Lebensqualität für die Patienten und ihre Angehörigen. Palliativmedizin ist die aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer progredienten, weit fortgeschrittenen Erkrankung und einer begrenzten Lebenserwartung zu der Zeit, in der die Erkrankung nicht mehr auf kurative Behandlung anspricht und die Beherrschung der Schmerzen, anderer Krankheitsbeschwerden, psychologischer, sozialer und spiritueller Probleme höchste Priorität besitzt." In den Grundsätzen der Bundesärztekammer zur ärztlichen Sterbebegleitung von 1998 wird die Aufgabenstellung des Arztes neu definiert. Seine Aufgabe ist es, unter Beachtung des Selbstbestimmungsrechtes des Patienten Leben zu erhalten, Gesundheit zu schützen und wiederherzustellen sowie Leiden zu lindern und Sterbenden bis zum Tod beizustehen. Die Palliativmedizin legt das Hauptgewicht auf Lebensqualität und nicht auf Lebensverlängerung um jeden Preis. Bei unheilbar erkrankten Patienten ermöglichen eine angemessene Schmerztherapie und ein ausreichendes Begleitangebot eine annehmende Haltung dem Sterben gegenüber. Dies gilt für den Sterbenden ebenso wie für seine Angehörigen. Die palliative Versorgung von Patienten ist in Deutschland im Vergleich zu anderen europäischen Ländern schwächer ausgeprägt. Hier kommen auf eine Million Einwohner sieben Betten der Palliativmedizin, in Großbritannien sind es fünfzig. In NRW wird die Palliativmedizin bereits gefördert. Es gibt zur Zeit 15 Palliativstationen in Krankenhäusern oder diesen angegliedert. Ein erster Lehrstuhl für Palliativmedizin im deutschsprachigen Raum wurde in Bonn eingerichtet, ein weiterer an der ROTH in Aachen. Die Umsetzung der verstärkten Ausbildung im Bereich der Palliativmedizin während des Medizinstudiums ist nach der endlich erreichten Verabschiedung der Approbationsordnung für Ärzte jetzt Aufgabe aller medizinischen Fakultäten. Dadurch hat sich die Palliativmedizin in den vergangenen Jahren weiterentwickelt. Doch immer noch gibt es sterbende Menschen, die nicht die schmerzstillende Medikation, die nach heutigem Stand möglich ist, erhalten. Noch immer findet im Medizinstudium an den Universitäten kaum Ausbildung im Bereich der Palliativmedizin statt. In Deutschland besteht in diesem Bereich noch großer Nachholbedarf. Hausbesuche von Ärzten werden nicht ausreichend bezahlt. Eine angemessene Vergütung für die erbrachte Leistung wird nicht gewährt. Hierin zeigt sich der Stellenwert, den der fürsorgliche Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden im Gesundheitssystem einnimmt. Wir stehen aus diesen Gründen noch immer am Anfang des Prozesses, unserem Leben einen würdiges Ende zu ermöglichen. Hieraus ergeben sich für die Politik vielfältige Aufgaben. 2. Der Landtag beschließt: - Der Landtag Nordrhein Westfalen lehnt ein Gesetz für aktive Sterbehilfe als Tötung auf Verlangen ab. Die Menschenwürde und der Schutz des Lebens müssen die Grundlage allen gesetzgeberischen Handelns sein. Einzelfälle dürfen nicht zu Gesetzen führen, die diese Grundwerte des menschlichen Zusammenlebens gefährden. - Der Gesetzgeber stellt sicher, dass Hospize und die dort ehrenamtlich Tätigen mit der anteilsmäßigen Eigenfinanzierung nicht überfordert werden. Die Verpflichtung der Hospize und Hospizdienste, gemäß § 39 a SGB V einen Anteil der Finanzierung selbst aufzubringen, muss regelmäßig auf Zumutbarkeit überprüft werden. - Wo immer möglich, soll dem Grundsatz "ambulant vor stationär" auch in der Hospizarbeit gefolgt werden. Dabei muss Wert gelegt werden auf eine enge Zusammenarbeit mit palliativ-medizinisch erfahrenen Pflegediensten und Ärztinnen und Ärzten. Auf Landesebene sollen mit den zu Beteiligenden Vereinbarungen über weitere Maßnahmen zur Förderung besprochen und verwirklicht werden. - Eine Anbindung der stationären Hospize an Krankenhäuser und Pflegeheime wird zugelassen. Dabei soll ein integrativer Ansatz gewählt werden, der jedoch den besonderen Anforderungen an Hospize gerecht wird. Es sollen geeignete Bereiche vorhanden sein, in denen Schwerstkranke, deren Pflege zu Hause nicht mehr geleistet werden kann, angemessenen Raum finden, ihren letzten Weg zu gehen. Patienten, die in den hospizlichen Bereich überwiesen werde, dürfen nicht als „Todgeweihte" stigmatisiert werden. - Die Einrichtung weiterer Lehrstühle für Palliativmedizin ist notwendig, damit verpflichtend Lehrveranstaltungen für die Studierenden an den medizinischen Fakultäten angeboten werden können. - Die Möglichkeit zur Fortbildung für Ärzte in den Bereichen Palliativmedizin, Schmerztherapie und Sterbebegleitung soll intensiv gefördert werden. Auch in die Ausbildung der Pflegeberufe muss Palliativmedizin und Sterbebegleitung integriert werden. Nicht nur Angehörige, sondern auch Ärzte und Pflegepersonal sind in Krankenhäusern häufig die Menschen, die den Sterbenden in seinen letzten Stunden begleiten. Es fehlt nicht an der Bereitschaft, es fehlt an Ausbildung, Vorbereitung und auch Zeit, diese Aufgabe zu übernehmen. - Seit 2002 fallen auch die stationären Hospize unter das Heimgesetz. Das neue Pflegequalitätssicherungsgesetz wird spätestens 2004 für die bestehenden Hospize weitere Vorschriften bringen. Die Arbeit im hospizlichen Bereich darf dabei aber durch eine sachwidrige Regelung und Normenvorgabe nicht behindert werden. - Bei der Einführung des diagnose-orientierten Fallpauschalsystems ist zu gewährleisten, dass personale Sterbebegleitung nur durch Schwestern, Pfleger und Ärzte sichergestellt wird, die für diese Aufgabe qualifiziert sind und auch Zeit haben. Der damit verbundene Aufwand muss legitimer Bestandteil der Fallpauschalen werden oder auf andere Weise vergütet werden. - Hausärzte, die ihre Patienten schon viele Jahre begleiten, sollen auch dann die Behandlung einbezogen bleiben, wenn Schwerstkranke und sterbende Patienten in Krankenhäusern oder in stationären Hospizen aufgenommen werden und dies wünschen. Wo die Vernetzung von ambulanter und stationärer Versorgung bereits erfolgreich modellhaft erprobt wird, muss sie in die Regelversorgung übernommen werden. - Die Bedingungen für Hausbesuche bei Schwerstkranken und Sterbenden durch betreuende Ärzte müssen mit einer ausreichenden finanziellen Vergütung ausgestattet werden. - In Nordrhein-Westfalen wird das Thema „Sterbebegleitung" in die verschiedenen Institutionen wie Landesgesundheitskonferenz und regionale Gesundheitskonferenzen eingebunden. Sterbebegleitung muss in vielen Institutionen und Organisationen mehr als bisher zum Thema gemacht werden. Dr. Jürgen Rüttgers Quelle: Internetangebot des Landtages von Nordrhein-Westfalen, http://www.landtag.nrw.de |