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Unterrichtsreihe zum Thema "Sterbehilfe"


Kommentar zu Julius Moses

Der Arzt Dr. Julius Moses, 1868 in Posen geboren, 1942 in Theresienstadt ermordet, gehört zu der großen Zahl deutscher Juden, deren Leben und Handeln die meisten Deutschen nach dem Holocaust aus ihrem Gedächtnis getilgt haben. Neben der Erinnerung an sein berufliches und politisches Wirken, ist zu erwähnen, daß er sich auch als Vertreter der jüdischen Emanzipationsbewegung hervorgetan hat. Nachdem er zunächst Mitglied der USPD gewesen war, gehörte er von 1920 bis 1932 der sozialdemokratischen Reichstagsfraktion an, in der er als der führende Gesundheitspolitiker wirkte. Seit 1922 war er Mitglied des SPD-Parteivorstandes. Moses arbeitete als praktischer Arzt in Berlin, war Vorsitzender des "Vereins Berliner Kassenärzte" und gab die Zeitschrift "Der Kassenarzt" heraus, der der obige Text entnommen ist.

Im Jahre 1913 löste er die "Gebärstreik-Debatte" innerhalb der deutschen Sozialdemokratie aus, bei der Klara Zetkin und Rosa Luxemburg als seine entschiedenen Gegnerinnen auftraten. Er forderte das Proletariat wegen dessen ökonomischer und sozialer Notlage zur Geburtenbeschränkung auf. Klara Zetkin wandte dagegen ein, ein solches Vorgehen entzöge nicht nur dem Militarismus Soldaten, sondern diese auch der Armee der Klassenkämpfer.

Für unser Thema bedeutsamer ist das Handeln Julius Moses' in einem anderen Bereich der Gesundheits- und Sozialpolitik. In den harten Auseinandersetzungen um den º 218 kämpfte er mit um dessen Abschaffung. Er formulierte auch Positionen innerhalb der Tradition der Sozialhygiene und wandte sich dagegen, daß sie der Eugenik dienstbar gemacht werde. Er kritisierte hellsichtig das vorgehen der Eugeniker, das wir auch in der heutigen Auseinandersetzung finden. Der Historiker Daniel S. Nadav zitiert Moses mit einer Äußerung aus dem Jahr 1928: "Die Vertreter der Eugenik sind heute hauptsächlich Männer, die politisch reaktionär eingestellt sind. Das muß in Bezug auf die ganze Propaganda für die Eugenik stutzig machen. Es scheint, daß gewisse Eugeniker die Sterilisation benutzen wollen, um eine biologische Abbiegung der sozialen Verhältnisse zu erreichen." (Nadav, 150)

Ein weiterer ebenfalls aus dem 1928 stammender Gedanke Moses' sei hier zitiert, der verdeutlicht, daß im Forderungs- und Begründungskatalog der Eugenik Traditionen enthalten sind, die gerade heute unsere Wachsamkeit verlangen. An ihnen wird vor allen Dingen deutlich, daß es nicht erst der nationalsozialistischen Radikalisierung durch Worte und Taten, also durch Propaganda und Ermordung, bedurfte, um sich der Gefährlichkeit dieser Denkweisen bewußtzuwerden. In den zwanziger Jahren war im US-Bundesstaat Virginia ein Gesetz zur Unfruchtbarmachung geistig Kranker verabschiedet worden. Moses wendet sich auch gegen vergleichbare Initiativen in Deutschland, "denn weit unsicherer noch als der medizinische Begriff der Unheilbarkeit ist der ethische der Unverbesserlichkeit. Die menschliche Psyche untersteht nicht den Gesetzen verstandeseingeengter Logik." Sie sei auch ein "Produkt ihres Milieus im schlechten wie im guten Sinne" und könne auch "durch Verpflanzung in geregelte Lebensverhältnisse wieder auf den rechten Weg geleitet werden". (Nadav, 151)

Literatur zu Julius Moses:

  • Antje Dertinger, Lysistrata im Klassenkampf, Vorwärts, Heft 8, August 1993, S. 16
  • Susanne Hahn, Revolution der Heilkunst - Ausweg aus der Krise?
  • Julius Moses (1868-1942) zur Rolle der Medizin in der Gesundheitspolitik der Weimarer Republik, in: Der Wert des Menschen. Medizin in Deutschland 1933-1945, hrsg. von der Arztekammer Berlin in Zusammenarbeit mit der Bundesärztekammer, Redaktion: Christian Pross/Götz Aly, Berlin 1989, S. 71-85.
  • Daniel Nadav, Julius Moses und Alfred Grotjahn. Das Verhalten zweier sozialdemokratischer Ärzte zu Fragen der Eugenik und Bevölkerungspolitik, in: Der Wert des Menschen, S. 143-152.
  • Kurt Nemitz, Julius Moses und die Gebärstreik-Debatte 1913, in: Jahrbuch des Instituts für Deutsche Geschichte, herausgegeben und eingeleitet von Walter Grab, Bd. 2, 1973, Tel Aviv 1973, S. 321-335.

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