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Unterrichtsreihe zum Thema "Sterbehilfe"


Ist Euthanasie zu rechtfertigen? Aus einem Interview mit Hans Jonas

Kurzinfo zu Hans Jonas

aus: Hans Jonas, Dem bösen Ende näher, Frankfurt 1993, S. 65ff.

MERKEL Ich möchte eine Frage zum Kernproblem stellen. Für den Bereich der Euthanasie wird üblicherweise unterschieden zwischen der sogenannten Moribunden-Euthanasie, also der Sterbehilfe für schwerstleidende, kranke Alte, und der sogenannten Neugeborenen-Euthanasie. Gibt es für Sie eine denkbare, legitimierbare, moralisch ausweisbare Möglichkeit für Euthanasie in einem dieser Bereiche?

JONAS Sie meinen jetzt aktive Euthanasie?

MERKEL Ja, aktive Tötung.

JONAS Sie ist eine in extremen Fällen möglicherweise zu rechtfertigende Form, von der ich aber dringend abraten würde. Denn das, worauf man sich dann einläßt, kann zu einer Mißachtung gewisser Grundgesetze verleiten, die unbedingt geschützt werden sollten. Aber das muß ich ausführen. Wollen wir erst einmal, weil die Frage einfacher ist, bei den Todkranken bleiben. Ich habe darüber in meinem Buch "Technik, Medizin und Ethik" einen Aufsatz geschrieben, der betitelt ist "Das Recht zu sterben" (ausführlicher: "Techniken des Todesaufschubs und das Recht zu sterben"). Der Artikel beginnt zunächst mit der Feststellung des Befremdlichen, daß man von einem Recht zu sterben überhaupt sprechen soll; denn alle bisherigen Diskussionen über Rechte und alle ethischen und juristischen Bemühungen um Rechtsbegriffe gingen zunächst immer von einem Recht zum Leben aus, einem Recht auf Glück oder ähnlichem, jedenfalls von einem Recht auf etwas Positives. Daß man überhaupt von einem Rtcht zu sterben sprechen kann, gehört auch zu den neuen Dingen, die durch die Entwicklung der ärztlichen Technik, also im Vollzuge der Erweiterung unserer Macht durch technische Apparate, erst möglich geworden sind. Moribunde werden am Leben erhalten, über ihre eigene Entscheidung hinweg und oft auch gegen den Willen ihrer nächsten Angehörigen. Die Gründe dafür sind zum Teil vielleicht sehr ehienwerter Art, zum Teil aber beruhen sie auch auf der Furcht vor gerichtlichen Folgen oder beruflichen Schäden. Die Verantwortung, den Stecker herauszuziehen, der den Koma-Patienten an der Atmungsmaschine hält - dieser Akt könnte ausgelegt werden als aktive Tötung. Ich versuche diesem schrecklichen Dilemma zu entgehen, indem ich, und andere haben das auch getan, zwischen aktiver Tötung und Zulassen des Sterbens unterscheide. Es gibt klar definierte medizinische Fälle des irreversiblen Komas, des Bewußt seinsverlustes, in denen das Sterbenlassen die einzig wirklich humane Handlung ist und die Unterbrechung einer Behandlung das Gebotene. Das führt aber zu den Grenzfällen, in denen schwer zu unterscheiden ist, ob man nur etwas unterläßt oder ob man in Wirklichkeit etwas tut. Da liegt die Grenze, wo es kritisch wird.

Peter Singers sehr frisch-fröhlicher Gedankengang ist folgender: Wenn man schon so weit geht, zu sagen, daß hier das Sehen besser für den Patienten selber ist als das Weiterleben unter diesen Umständen, ist es dann nicht konsequent, daß der Arzt die Sache in die Hand nimmt und mit einer Spritze den Prozeß beendet? Meine Antwort ist: ein unbedingtes Nein. Die Rolle des Tötens darf dem Arzt nie zufallen, jedenfalls soll das Recht es ihm nie anerkennen, denn es würde die Rolle des Arztes in der Gesellschaft gefährden, vielleicht vernichten. Das aktive Töten darf nicht zu den Berufsaufgaben des Arztes gehören, es darf ihm nicht in Erweiterung seiner bisherigen Rolle als Heiler und Milderer von Leid zufallen. Nie darf ein Patient argwöhnen müssen, daß sein Arzt sein Henker wird. Der Arzt darf nicht töten; darf es jemand anders?

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