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Entwurf eines Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen

ausgeführt von : Christian Armborst, Hannover
im Auftrage des: Behindertenbeauftragten des Landes Niedersachsen

Gliederung

Teil I: Entwurf des Gesetzes

Artikel I: Änderung der Niedersächsischen Verfassung Nr. 1 Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 Nr. 2 Artikel 62a
Artikel II: Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen

Abschnitt 1: Allgemeine Vorschriften
§ 1 Anspruch auf Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation
§ 2 Behinderte
§ 3 Geltungsbereich

Abschnitt 2: Behindertenbeauftragte und Behindertenbeiräte
§ 4 Behindertenbeauftragte des Landes
§ 5 Aufgaben der/des Behindertenbeauftragten des Landes
§ 6 Beanstandungen durch die/den Behindertenbeauftragten des Landes
§ 7 Landesbeirat für Behinderte
§ 8 Behindertenbeauftragte der Gemeinden und Landkreise
§ 9 Behindertenbeiräte der Gemeinden und Landkreise

Abschnitt 3: Einrichtungen für die Umsetzung der Ansprüche Behinderter
§ 10 Verwaltungsstellen
§ 11 Selbsthilfeeinrichtungen
§ 12 Anspruch auf Assistenz
§ 13 Zuschüsse des Landes
§ 14 Arbeitsbefreiung für ehrenamtlich in der Behindertenhilfe Tätige
§ 15 Erfüllung der Verpflichtung zur Beschäftigung Behinderter
§ 16 Auftragsvergabe und Leistungsgewährung

Abschnitt 4: Verwaltungsverfahren und Rechtsschutz
§ 17 Verwaltungsverfahren
§ 18 Rechtsschutz

Artikel III: Änderung des Kindertagesstättengesetzes
Nr. 1 Änderung § 6 Absatz 1 (Räume und Ausstattung)
Nr. 2 Neufassung des § 12 Absatz 2 (Anspruch auf den Kindergartenplatz)

Artikel IV: Änderung des Schulgesetzes
Nr. 1 Änderung § 4 (Integration) a) Neufassung Satz 1 b) Ergänzung durch neue Sätze 2 und 3
Nr. 2 Neuregelung für Sonderschulen für Gehörlose und Schwerhörige in neuem § 14a
Nr. 3 Ergänzung § 25 Absatz 3 (Zusammenarbeit)
Nr. 4 § 29 (Lehr- und Lernmittel)
Nr. 5 Änderung § 53 persönliche Assistenz durch Betreuungskräfte des Landes (Übrige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter)
Nr. 6 Anpassung § 60 Absatz 1 Nr. 5 (Regelung des Bildungsweges)
Nr. 7 Änderung § 68 (Schulpflicht bei sonderpädagogischem Förderbedarf)

Artikel V: Änderung des Hochschulgesetzes
Nr. 1 Änderung § 5 Absatz 2 (Entwicklung von Studienangeboten)
Nr. 2 Ergänzung § 9 Absatz 1 (Ausgestaltung der Studiengänge)
Nr. 3 Änderung § 10 Absatz 1 Satz 2 (Zentrale Aufgaben)

Artikel VI: Änderung des Graduiertenförderungs-Gesetzes
§ 5 (Art und Umfang der Förderung)

Artikel VII: Änderung der Bauordnung
Nr. 1 § 1 Absatz 2 (Grundsätzliche Anforderungen)
Nr. 2 § 44 Absatz 1 (Wohnungen)
Nr. 3 § 47 (Einstellplätze)
Nr. 4 § 47b (Abstellanlagen)
Nr. 5 § 48 Absatz 1 (Besondere Anforderungen an die Zugänglichkeit und Benutzbarkeit bestimmter baulicher Anlagen
Nr. 6 § 51 Absatz 1 (Bauliche Anlagen und Räume besonderer Art oder Nutzung)
Nr. 7 § 91 Absatz 1 (Ordnungswidrigkeiten)

Artikel VIII: Änderung der Durchführungsverordnung zur Bauordnung
§ 1 (Begriffe)

Artikel IX: Änderung Denkmalschutzgesetz
§ 10 Absatz 3 Satz 2 (Genehmigungspflichtige Maßnahmen)

Artikel X: Änderung Personennahverkehrsgesetz
Nr. 1 § 2 (Grundsätze und Ziele)
Nr. 2 § 6 Absatz 4 (Nahverkehrsplan)

Artikel XI: Änderung des Straßengesetzes
§ 9 Absatz 1 (Straßenbaulast)

Artikel XII: Änderung des Gesetzes für psychisch Kranke
Nr. 1 § 13 Absatz 2 (Untersuchung)
Nr. 2 § 21 Absatz 1 (Ärztliche Behandlung)
Nr. 3 Neuer § 30 a (Patientenvertretung)
Nr. 4 § 31 (Verordnungsermächtigung)

Artikel XIII: Änderung des Gesetzes zur Erwachsenenbildung
Nr. 1 § 1 Absatz 2 (Stellung und Aufgabe der Erwachsenenbildung)
Nr. 2 § 4 Absatz 1 (Voraussetzungen)

Artikel XIV: Änderung des Gesetzes über den Bildungsurlaub
§ 11 Absatz 3 (Anerkennung von Veranstaltungen)

Artikel XV: Rückkehr zum Verordnungsrang

Teil II: Begründung

A. Allgemeiner Teil
1. Die Notwendigkeit zur Durchsetzung der Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen
2. Die aktuelle Situation der Behinderten
3. Der Handlungsbedarf
4. Finanzielle Auswirkungen

B. Besonderer Teil

Entwurf eines Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen

Artikel I

Änderung der Niedersächsischen Verfassung

Änderung der Niedersächsischen Verfassung vom 19. Mai 1993 (Nds.GVBl.S.107) zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. November 1998 (Nds.GVBl.S.480):

1. Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 wird wie folgt neu gefaßt: "Land, Gemeinden und Landkreise gewähren Menschen, die aufgrund ihres Lebensalters oder einer Behinderung beeinträchtigt sind, besonderen Schutz; sie fördern alle Maßnahmen, die geeignet sind, deren Lebensbedingungen zu verbessern, verhindern Benachteiligung und Diskriminierung und beseitigen Hindernisse, die einer tatsächlichen Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation von behinderten und nichtbehinderten Menschen entgegenstehen."

2. Nach Artikel 62 wird folgender Artikel eingefügt:

Artikel 62a Behindertenbeauftragte oder Behindertenbeauftragter des Landes

1) Der Landtag wählt auf Vorschlag der Landesregierung eine Behindertenbeauftragte oder einen Behindertenbeauftragten des Landes.

2) Aufgabe der oder des Behindertenbeauftragten des Landes ist es, darauf hinzuwirken, daß die Verpflichtung zur Schaffung gleichwertiger Lebensbedingungen für Behinderte realisiert und deren Benachteiligung verhindert wird.

3) Die Behindertenbeauftragte oder der Behindertenbeauftragte des Landes ist unabhängig und nur an Recht und Gesetz gebunden. Sie oder er berichtet dem Landtag über ihre oder seine Tätigkeit.

4) Das Nähere regelt ein Gesetz.

Artikel II

Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen

zur Gliederung

Abschnitt 1 Allgemeine Vorschriften

§ 1 Anspruch auf Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation

1) Behinderte Menschen haben einen Anspruch darauf,

1. ihre Lebensbedingungen so zu gestalten, daß sie auch in Anbetracht ihrer Beeinträchtigung ein selbstbestimmtes Leben führen sowie gleichberechtigt am sozialen, kulturellen und Erwerbsleben teilnehmen können,

2. daß Hindernisse und Benachteiligungen, die sie bei der Entfaltung der Persönlichkeit, der gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gesellschaft, der Teilnahme am Erwerbsleben oder der selbstbestimmten Lebensführung beeinträchtigen, beseitigt werden.

Zur Verbesserung der Situation behinderter Frauen ist auf die Überwindung bestehender geschlechtsspezifischer Nachteile besonders hinzuwirken.

2) Bei der Auslegung dieses Gesetzes und der Ausübung von Ermessen ist sicherzustellen, daß diese Rechte verwirklicht werden.

§ 2 Behinderte

Behinderte im Sinne dieses Gesetzes sind Menschen mit einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, seelischen oder geistigen Schädigung oder Funktionsbeeinträchtigung, die von Maßnahmen, Verhältnissen oder Verhaltensweisen betroffen sind, die ihre Lebensmöglichkeiten beschränken oder erschweren (Behinderung). Als nicht nur vorübergehend gilt ein Zeitraum von mehr als sechs Monaten.

§ 3 Geltungsbereich

1) Dieses Gesetz gilt für die Durchsetzung und Beachtung der Rechte Behinderter durch Behörden und sonstige Stellen

1. des Landes

2. der Gemeinden und Landkreise.

3. sonstiger der Aufsicht des Landes unterstehender Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und deren Vereinigungen.

2) Die Aufgaben der kommunalen Körperschaften nach diesem Gesetz gehören zum eigenen Wirkungskreis.

3) Beauftragte und Beiräte für Behinderte unterstützen und beraten bei der Umsetzung dieses Gesetzes. Sie achten darüber hinaus auf die Einhaltung anderer Vorschriften, die die Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen zum Gegenstand haben.

zur Gliederung

Abschnitt 2 Behindertenbeauftragte und Behindertenbeiräte

§ 4 Behindertenbeauftragte des Landes

1) Die oder der Behindertenbeauftragte des Landes muß die Voraussetzungen des § 2 erfüllen und das 35. Lebensjahr vollendet haben. Sie oder er wird nach der Wahl durch den Landtag auf Dauer von 8 Jahren in ein Beamtenverhältnis auf Zeit berufen. Die Wiederwahl ist zulässig. Die Behindertenbeauftragte oder der Behindertenbeauftragte des Landes kann außer auf eigenen Antrag nur entlassen werden, wenn Gründe vorliegen, die bei einem Richterverhältnis auf Lebenszeit die Entlassung aus dem Dienst rechtfertigen.

2) Die oder der Behindertenbeauftragte des Landes ist oberste Dienstbehörde im Sinne des § 96 der Strafprozeßordnung und trifft die Entscheidungen nach den §§ 68 und 69 des Niedersächsischen Beamtengesetzes für sich selbst und die zugeordneten Bediensteten. Im übrigen untersteht sie oder er der Dienstaufsicht der Landesregierung.

3) Die Geschäftsstelle der oder des Behindertenbeauftragten des Landes wird bei dem für Soziales zuständigen Ministerium eingerichtet. Die der oder dem Behindertenbeauftragten des Landes zugeordneten Stellen werden auf ihren oder seinen Vorschlag besetzt. Die Bediensteten können ohne ihre Zustimmung nur im Einvernehmen mit der oder dem Behindertenbeauftragten des Landes versetzt, abgeordnet oder umgesetzt werden.

4) Ist die oder der Behindertenbeauftragte des Landes länger als drei Monate an der Ausübung des Amtes verhindert, so kann die Landesregierung eine Vertreterin oder einen Vertreter mit der Wahrnehmung der Geschäfte beauftragen. Die oder der Behindertenbeauftragte des Landes sowie der Landesbeirat für Behinderte müssen dazu gehört werden. Bei kürzeren Verhinderungen oder bis zur Regelung nach Satz 1 führt die leitende Mitarbeiterin oder der leitende Mitarbeiter der Geschäftsstelle die Geschäfte.

§ 5 Aufgaben der/des Behindertenbeauftragten des Landes

1) Die oder der Behindertenbeauftragte des Landes ist bei allen Gesetzes-, Verordnungs- und sonstigen wichtigen Vorhaben der Landesregierung sowie der in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 3 genannten Stellen und Behörden, die Auswirkungen auf die Lebenssituation Behinderter haben können, frühzeitig zu beteiligen. Sie oder er soll Vorhaben, die die Gleichstellung und Verbesserung der Lebensbedingungen Behinderter zum Ziel haben, anregen. Auf Ersuchen des Landtages, seines zuständigen Ausschusses oder der Landesregierung hat die oder der Behindertenbeauftragte des Landes ferner in Angelegenheiten Stellung zu nehmen, in denen die Lebenssituation Behinderter in besonderer Weise berührt wird.

2) Die oder der Behindertenbeauftragte des Landes legt dem Landtag jeweils für zwei Kalenderjahre einen Tätigkeitsbericht vor. Die Landesregierung nimmt hierzu gegenüber dem Landtag innerhalb von sechs Monaten Stellung.

3) Die Behörden des Landes und sonstigen öffentlichen Stellen sind verpflichtet, die Behindertenbeauftragte oder den Behindertenbeauftragten des Landes bei der Erfüllung der Aufgaben zu unterstützen, insbesondere die erforderlichen Auskünfte zu erteilen und Akteneinsicht zu gewähren. Personalakten darf die oder der Behindertenbeauftragte des Landes nur einsehen, wenn die betroffene Person nach Information im Einzelfall eingewilligt hat.

4) Die obersten Landesbehörden und die auf Landesrecht beruhenden sonstigen Körperschaften, Anstalten und Stiftungen öffentlichen Rechts berichten jährlich der oder dem Behindertenbeauftragten des Landes über ihre Bemühungen, die Pflicht zur Beschäftigung Behinderter gem. § 5 Abs. 1 Schwerbehindertengesetzes und zur Förderung behinderter Bediensteter nach § 10 Abs. 1 dieses Gesetzes zu erfüllen. Eine Stellungnahme der auf oberster Stufe gebildeten Schwerbehindertenvertretung ist beizufügen.

5) Die oder der Behindertenbeauftragte des Landes arbeitet mit dem Landesbeirat für Behinderte zusammen. Sie oder er beachtet die Beschlüsse des Landesbeirates für Behinderte und nimmt auf Anforderung innerhalb von 6 Wochen dazu Stellung.

6) Jeder kann sich an die Behindertenbeauftragte oder den Behindertenbeauftragten des Landes wenden, wenn er der Ansicht ist, daß Rechte von Behinderten verletzt worden sind.

§ 6 Beanstandungen durch die Behindertenbeauftragte oder den Behindertenbeauftragten des Landes

1) Stellt die oder der Behindertenbeauftragte des Landes Verstöße gegen dieses Gesetz oder anderer Vorschriften fest, die die Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation Behinderter zum Ziel haben, fordert er zur Stellungnahme auf und beanstandet dies nötigenfalls

1. bei Verstößen der Landesverwaltung gegenüber der zuständigen obersten Landesbehörde,

2. bei Verstößen sonstiger der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie bei Vereinigungen solcher juristischer Personen gegenüber dem vertretungsberechtigten Organ.

Mit der Beanstandung soll der Vorschlag einer Maßnahme verbunden werden, die geeignet ist, den Mangel zu beseitigen und die Ziele dieses Gesetzes umzusetzen.

§ 7 Landesbeirat für Behinderte

1) Der Landesbeirat für Behinderte berät und unterstützt die Behindertenbeauftragte oder den Behindertenbeauftragten des Landes in allen Fragen, die die Menschen mit Behinderungen berühren.

2) Die zehn stimmberechtigten Mitglieder des Landesbeirates für Behinderte und jeweils eine Stellvertreterin oder ein Stellvertreter werden auf Vorschlag der im Lande tätigen Behindertenverbände und -initiativen für die Dauer der Wahlperiode von der Landesregierung berufen. Sie üben ihre Tätigkeit ehrenamtlich aus und müssen die Voraussetzungen des § 2 erfüllen. Der Landesbeirat für Behinderte gibt sich eine Geschäfts- und Wahlordnung. Er wählt aus seiner Mitte eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden. Die Geschäftsstelle des Landesbeirates für Behinderte wird bei der oder dem Behindertenbeauftragten des Landes gebildet.

3) Als Mitglieder ohne Stimmrecht gehören dem Landesbeirat für Behinderte ferner an,

1. eine Vertreterin oder ein Vertreter der Hauptfürsorgestelle,

2. eine Vertreterin oder ein Vertreter der kommunalen Spitzenverbände,

3. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Landesarbeitsamtes,

4. eine Vertreterin oder ein Vertreter der LAG der freien Wohlfahrtspflege,

5. die Landesärztin oder der Landesarzt nach § 126a BSHG,

6. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Landesjugendamtes,

7. eine Vertreterin oder ein Vertreter der Gewerkschaften,

8. eine Vertreterin oder ein Vertreter des Verbandes der Arbeitgeber.

4) Die oder der Behindertenbeauftragte des Landes ist berechtigt, an den Sitzungen des Landesbeirates für Behinderte teilzunehmen.

§ 8 Behindertenbeauftragte der Gemeinden und Landkreise

1) In den Gemeinden mit mehr als 1.000 Einwohnern wählt der Rat für die jeweilige Wahlperiode auf Vorschlag des Behindertenbeirates die Behindertenbeauftragte oder den Behindertenbeauftragten. Die oder der Behindertenbeauftragte muß die Voraussetzungen des § 2 erfüllen und zu den für die Einwohnervertretung wählbaren Bürgerinnen und Bürgern zählen. Sie oder er übt das Amt der oder des Behindertenbeauftragten ehrenamtlich aus und erhält außer dem Ersatz der Auslagen die vom jeweiligen Rat für die Ratsfrauen und Ratsherren beschlossene Aufwandsentschädigung. § 39 Abs. 2 bis 6 der Niedersächsischen Gemeindeordnung gilt entsprechend. In den kreisfreien Städten soll die oder der Behindertenbeauftragte hauptamtlich tätig sein. Die oder der Behindertenbeauftragte kann vom Rat abberufen werden, wenn der Behindertenbeirat dies einstimmig verlangt. Der Beschluß über den Antrag bedarf einer Mehrheit von drei Vierteln der Ratsmitglieder.

2) Die oder der Behindertenbeauftragte hat das Recht, im Rat Anträge zu stellen, die sich auf die Lebenssituation der Behinderten beziehen, ohne hierzu der Unterstützung durch Ratsmitglieder zu bedürfen. Die oder der Behindertenbeauftragte ist über alle Planungen zu informieren und vor Entscheidungen zu beteiligen, die Fragen der Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen berühren. Der oder dem Behindertenbeauftragten sind von den Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen der Gemeinde die erforderlichen Auskünfte zu erteilen; auf Verlangen ist Akteneinsicht zu gewähren. Einsicht in Personalakten ist nur mit dem Einverständnis der Betroffenen zu geben.

3) Erfüllt die Gemeinde nicht die sie treffende Beschäftigungspflicht nach § 5 Abs.1 Schwerbehindertengesetz oder die Verpflichtung zur Förderung der Beschäftigung behinderter Menschen nach § 15 Abs.1 dieses Gesetzes, kann die oder der Behindertenbeauftragte verlangen, daß ein Plan über die personellen, organisatorischen und fortbildenden Maßnahmen aufgestellt wird, der festschreibt, in welcher Weise und in welchen Zeiträumen Abhilfe geschaffen wird.

4) Stellt die oder der Behindertenbeauftragte einen Verstoß gegen das Gebot der Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen fest, beanstandet er dies gegenüber der Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister.

5) Jede Bürgerin und jeder Bürger kann sich an die Behindertenbeauftragte oder den Behindertenbeauftragten wenden, um geltend zu machen, daß Rechte von Menschen mit Behinderung verletzt worden sind.

6) Die Absätze 1 bis 5 gelten für die Landkreise entsprechend.

§ 9 Behindertenbeiräte der Gemeinden und Landkreise

1) Bei Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern und den Landkreisen werden Behindertenbeiräte gebildet. Diese sind Ausschüsse im Sinne des § 53 der Niedersächsischen Gemeindeordnung beziehungsweise des § 47b der Niedersächsischen Landkreisordnung. Dem Behindertenbeirat gehören als stimmberechtigte Mitglieder an

1. mit zwei Fünfteln des Anteils der Stimmen Mitglieder des Rates bzw. Kreistages oder von diesen gewählte Frauen und Männer, die in Fragen der Integration von Menschen mit Behinderung erfahren sind und

2. mit drei Fünfteln des Anteils der Stimmen Frauen und Männer, die vom Rat bzw. Kreistag auf Vorschlag der rechtsfähigen gemeinnützigen Verbände und Vereinigungen gewählt werden, die als Selbstvertretungsorgane der Menschen mit Behinderungen im Bereich der kommunalen Körperschaft wirken. Die in Satz 3 Nummer 2 genannten Mitglieder müssen die Voraussetzungen des § 2 erfüllen. Die oder der Behindertenbeauftragte gehört dem Behindertenbeirat als nicht stimmberechtigtes Mitglied an.

2) Der Behindertenbeirat befaßt sich mit allen Angelegenheiten, die die Lebenssituation behinderter Menschen betreffen, insbesondere mit

1. der Erörterung aktueller Problemlagen behinderter Menschen und ihrer Familien sowie mit Anregungen und Vorschlägen für die Weiterentwicklung der Gleichstellung und Integration behinderter Menschen,

2. der barrierefreien Planung aller öffentlicher Einrichtungen,

3. der Förderung von Selbsthilfeeinrichtungen behinderter Menschen.

3) Der Behindertenbeirat hat Beschlußrecht in allen Angelegenheiten, die behinderte Menschen betreffen, den in § 11 Absatz 2 Satz 2 genannten, sowie im Rahmen der von der Vertretungskörperschaft bereitgestellten Mittel, der von ihr erlassenen Satzungen und der von ihr gefaßten Beschlüsse. Er soll vor jeder Beschlußfassung der Vertretungskörperschaft, die die Lebenssituation behinderter Menschen betrifft, angehört werden und hat das Recht, an die Vertretungskörperschaft Anträge zu stellen. Er ist auf Antrag von mindestens einem Fünftel der Stimmberechtigten einzuberufen. Seine Sitzungen sind öffentlich, soweit nicht das Wohl der Allgemeinheit oder berechtigte Interessen einzelner Personen oder schutzbedürftiger Gruppen entgegenstehen.

4) Die Beschlüsse des Behindertenbeirates sind der oder dem Behindertenbeauftragten zur Kenntnis zu geben. Der Behindertenbeirat kann zu seinen Beschlüssen eine Stellungnahme der oder des Behindertenbeauftragten innerhalb von sechs Wochen verlangen.

zur Gliederung

Abschnitt 3 Einrichtungen für die Umsetzung der Ansprüche Behinderter

§ 10 Verwaltungsstellen

1) Die kreisfreien Städte und die Landkreise richten eine Stelle ein, in der die Zuständigkeit für die Beratung, Hilfe und Förderung behinderter Menschen zusammengefaßt wird. Es soll sichergestellt werden, daß diese Stellen mit Fachkräften ausgestattet sind, die eine dieser Aufgabe entsprechende Ausbildung oder besondere Erfahrungen in der Arbeit mit behinderten Menschen haben.

2) Die kreisfreien Städte und die Landkreise haben

1. den Bestand an Einrichtungen der Behindertenhilfe festzustellen,

2. den Bedarf unter Berücksichtigung der Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der behinderten Menschen für einen mittelfristigen Zeitraum zu ermitteln,

3. die zur Befriedigung des Bedarfes notwendigen Vorhaben rechtzeitig und ausreichend zu planen.

Einrichtungen und Dienste müssen so geplant werden, daß insbesondere

1. Kontakte in der Familie und im sozialen Umfeld erhalten und gepflegt werden können,

2. ein möglichst wirksames, vielfältiges und aufeinander abgestimmtes Angebot von Hilfen für behinderte Menschen gewährleistet ist,

3. behinderte Mütter und Väter Aufgaben in der Familie wahrnehmen können,

4. behinderte Frauen auf Wunsch persönliche Hilfen nur durch Frauen erhalten können,

5. die Hilfen auch als gemeinnützige oder ehrenamtliche Tätigkeit geleistet werden können.

Hierbei sind die in § 11 Absatz 1 Satz 1 genannten Zusammenschlüsse und Vereinigungen, soweit ihr Tätigkeitsbereich berührt wird, frühzeitig zu beteiligen und vom Behindertenbeirat zu hören.

3) Die in Absatz 1 genannten Stellen haben mit anderen Stellen und Einrichtungen, deren Tätigkeit sich auf die Lebenssituation behinderter Menschen auswirkt, insbesondere mit

1. Schulen und Stellen der Schulverwaltung,

2. Einrichtungen und Stellen der beruflichen Weiterbildung,

3. Einrichtungen und Stellen des öffentlichen Gesundheitsdienstes und sonstigen Einrichtungen des Gesundheitsdienstes,

4. den Stellen der Bundesanstalt für Arbeit,

5. den Trägern von Sozialleistungen,

6. den Selbsthilfeeinrichtungen behinderter Menschen und

7. den rechtsfähigen Vereinigungen, zu deren satzungsgemäßen Aufgaben die Unterstützung der Interessen behinderter Menschen gehört,

zusammenzuarbeiten.

§ 11 Selbsthilfeeinrichtungen

1) Die Tätigkeit von Selbsthilfeeinrichtungen behinderter Menschen und gemeinnütziger rechtsfähiger Vereinigungen, zu deren satzungsgemäßen Aufgaben die Unterstützung der Interessen behinderter Menschen gehört, soll angeregt und gefördert werden. Die Bereitschaft zu ehrenamtlicher Tätigkeit und Nachbarschaftshilfe verdient dabei besonderer Förderung. Für ausreichenden Versicherungsschutz der in diesem Bereich tätig werdenden Personen ist Sorge zu tragen.

2) Über die Art und Höhe der Förderung entscheidet die kreisfreie Stadt oder der Landkreis im Rahmen der verfügbaren Haushaltsmittel nach pflichtgemäßem Ermessen. Bei sonst gleich geeigneten Maßnahmen soll solchen der Vorzug gegeben werden, die stärker an den Interessen der Betroffenen orientiert sind und ihre Einflußnahme auf die Maßnahme gewährleisten.

§ 12 Anspruch auf Assistenz

1) Jede Behinderte und jeder Behinderte hat Anspruch auf Assistenz zur Führung eines selbstbestimmten Lebens. Dieser besteht insbesondere hinsichtlich der sachlichen und persönlichen Hilfen, die erforderlich sind, die durch die Behinderung bedingten Einschränkungen in der freien Entfaltung der Persönlichkeit zu beseitigen oder zu mildern. Sämtliche Hilfen sollen so zusammengefaßt und aufeinander abgestimmt werden, daß sie der oder dem Behinderten als einheitliche Maßnahme bewilligt werden, die von ihr oder ihm möglichst frei und selbstbestimmt ausgestaltet werden kann.

2) Die Assistenz bezieht sich insbesondere auf die Möglichkeit, selbstbestimmt zu leben und auf

1. die Freizeitgestaltung,

2. die Schule,

3. den Arbeitsplatz,

4. den häuslichen Bereich,

5. gemeinsame Wohnformen mit Nichtbehinderten,

6. ein selbstbestimmtes Leben von alten Menschen mit Behinderungen,

7. die Betreuung der Kinder behinderter Eltern und

8. die Betreuung behinderter Kinder.

3) Der Anspruch ist bei der für den Wohnort zuständigen Stelle nach § 10 Abs. 1 geltend zu machen. Diese prüft vorab, ob ein Anspruch auf Sozialleistungen besteht und sorgt für eine umgehende Entscheidung bzw. Weiterleitung an die zur Entscheidung berufene Stelle. Sie bezieht diese Entscheidung ein und entscheidet sodann nach pflichtgemäßem Ermessen im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel und der Beschlüsse des Behindertenbeirates über die Leistung weiterer Hilfen nach Absatz 2.

§ 13 Zuschüsse des Landes

1) Das Land fördert die betriebsnotwendigen Anlagen von Einrichtungen der Behindertenhilfe im Sinne von § 11 einschließlich deren Ausstattung.

2) Das Land gewährt Vereinigungen im Sinne des § 11 Absatz 1 Zuschüsse zu den Kosten der Aus- und Fortbildung der im Rahmen der Behindertenhilfe ehrenamtlich Tätigen.

3) Familien mit beeinträchtigten Kindern erhalten nach Maßgabe des Haushalts Zuschüsse für den Erwerb und Betrieb von Kraftfahrzeugen, wenn aufgrund der Beeinträchtigung und der Situation der Familie die in Anbetracht der Ziele des § 1 Absatz 1 notwendigen Wege zumutbarer Weise nicht mit den Mitteln des örtlichen Personennahverkehrs zurückgelegt werden können.

4) Das Land gewährleistet die Ausbildung von Personen und die Entwicklung von Mitteln, die Kommunikation mit Menschen sicherstellen, die aufgrund ihrer Beeinträchtigung nicht in der Lage sind, Sprache akustisch oder optisch wahrzunehmen oder sie in dieser Weise wahrnehmbar zu artikulieren.

5) Die Landesregierung bestimmt durch Verordnung das Nähere über

1. die Feststellung der Förderungsfähigkeit nach Absatz 1,

2. die Höhe der Förderung,

3. die Voraussetzungen der Förderungsfähigkeit von Maßnahmen nach Absatz 2,

4. die Voraussetzungen und das Verfahren für die Vergabe der Zuschüsse nach Absatz 3,

5. die Ausbildung in der Gebärdensprache,

6. die Aus- und Fortbildung von Personen für die Kommunikation mit Menschen, die in ihrer Kommunikationsfähigkeit beeinträchtigt sind,

7. die Vergabe von Aufträgen zur Entwicklung technischer Kommunikationshilfen.

§ 14 Arbeitsbefreiung für ehrenamtlich in der Behindertenhilfe tätige Personen

1) Den in der Behindertenarbeit ehrenamtlich tätigen Personen, die bei einem privaten oder öffentlichen Arbeitgeber beschäftigt sind, ist für höchstens zwölf Werktage im Jahr und aus bis zu drei Anlässen Arbeitsbefreiung zu bewilligen, wenn kein dringendes betriebliches Interesse entgegensteht. Sie haben für die Dauer der Arbeitsbefreiung keinen Anspruch auf Arbeitsverdienst. Weitergehende Vorschriften des öffentlichen Dienstrechts bleiben unberührt.

2) Der Anspruch auf Arbeitsbefreiung besteht unter der Voraussetzung, daß die in § 11 Absatz 1 genannte Stelle bestätigt, daß es sich um eine ehrenamtliche Tätigkeit im Rahmen des § 13 Absatz 2 handelt.

§ 15 Erfüllung der Verpflichtung zur Beschäftigung Schwerbehinderter

1) Die in § 3 Abs. 1 genannten Behörden und sonstigen Stellen sind verpflichtet, die Beschäftigung und berufliche Entwicklung behinderter Menschen besonders zu fördern. Insbesondere sind alle Möglichkeiten auszunutzen, Arbeitsplätze und Aufgabenbereiche so zu gestalten, daß die Beschäftigung behinderter Menschen erleichtert wird. Bei Einstellungen, Beförderungen und Höhergruppierungen ist auf ihre angemessene Berücksichtigung zu achten.

2) Wird die in § 5 Abs.1 und § 6 SchwbG begründete Verpflichtung zur Beschäftigung Schwerbehinderter nicht erfüllt, ist die Schwerbehindertenvertretung von jeder beabsichtigten Einstellung, Beförderung oder Höhergruppierung schriftlich zu unterrichten. Sie kann der Maßnahme innerhalb von vierzehn Tagen schriftlich widersprechen, wenn nicht erkennbar ist, daß Möglichkeiten, die betreffende Stelle mit einem geeigneten behinderten Menschen zu besetzen, ausgeschöpft worden sind oder die Verpflichtung aus Absatz 1 Satz 2 nicht erfüllt ist. Vor einer Zurückweisung des Widerspruches ist in den Fällen des § 3 Abs.1 Nr. 1 und 3 die oder der Behindertenbeauftragte des Landes in Fällen des § 3 Abs.1 Nr. 2 die oder der zuständige Behindertenbeauftragte zu hören. Der Vollzug der Maßnahme vor Abschluß dieses Verfahrens ist unzulässig.

§ 16 Auftragsvergabe und Leistungsgewährung

Bei der Vergabe von Aufträgen und der Gewährung von Zuschüssen an private Arbeitgeber ist von den in § 3 Absatz 2 genannten Stellen der Gesichtspunkt der Verbesserung der Beschäftigungschancen behinderter Arbeitnehmer besonders zu berücksichtigen.

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Abschnitt 4 Verwaltungsverfahren und Rechtsschutz

§ 17 Verwaltungsverfahren

1) Für die öffentlich-rechtliche Verwaltungstätigkeit der in § 3 Absatz 1 genannten Behörden und sonstigen Stellen nach diesem Gesetz gelten die Vorschriften des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches.

2) Personen, die aufgrund ihrer Behinderung nicht in der Lage sind, mit der Behörde oder Stelle zu kommunizieren, haben Anspruch darauf, daß ihnen kostenfrei die zur Kommunikation erforderlichen Mittel oder Dienste zur Verfügung gestellt werden.

§ 18 Rechtsschutz

1) Werden Maßnahmen durch die in § 3 Abs.1 des Gesetzes genannten Stellen getroffen, die gegen die Ziele des § 1 Absatz 1 verstoßen, oder notwendige Maßnahmen nicht unterlassen, sind anstelle der Adressaten oder Antragsteller und mit ihrem Einverständnis 1. die oder der Behindertenbeauftragte des Landes oder die oder der zuständige Behindertenbeauftragte, 2. die rechtsfähigen gemeinnützigen Vereinigungen im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 dieses Gesetzes zur Klage berechtigt, wenn die Maßnahme geeignet ist, die Lebenssituation behinderter Menschen in ihrem örtlichen Wirkungsbereich zu beeinträchtigen. Sie sind auch berechtigt, gegen eine Maßnahme Klage zu erheben, wenn diese zu keiner unmittelbaren Beeinträchtigung individueller Rechte behinderter Menschen führt.

2) Wird im Streitfall geltend gemacht, die angegriffene Maßnahme verstoße gegen § 15 Absatz 1, trägt die Stelle, die sie getroffen hat, die Darlegungslast dafür, daß eine Entscheidung zugunsten der oder des Behinderten nicht möglich ist.

3) Soweit aus § 1 Absatz 1 Nr. 2 und § 15 Ansprüche hergeleitet werden, obliegt es der oder dem betroffenen Behinderten, die Tatsachen darzulegen, aus denen sich die Behinderung oder Benachteiligung ergibt. Der in § 3 genannten zuständigen Stelle obliegt es, nachzuweisen, daß eine Behinderung oder Benachteiligung nicht schuldhaft herbeigeführt worden ist.

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Artikel III Änderung des Kindertagesstättengesetzes

Änderung des Gesetzes über Tageseinrichtungen für Kinder in der Fassung vom 25. September 1995 (Nds.GVBl.S.303) zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 21. Januar 1999 (Nds.GVBl.S.10):

1. § 6 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

Es wird folgender Satz 2 angefügt: "Den Bedürfnissen behinderter Kinder ist unter anderem durch eine barrierefreie Gestaltung Rechnung zu tragen."

2. § 12 Absatz 2 erhält folgende Fassung:

"Behinderte Kinder haben einen Anspruch auf einen Kindergartenplatz in einer Gruppe, in der sie gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern betreut werden, wenn die Erziehungsberechtigten dies wünschen. Anderenfalls kann der Anspruch auch durch die Gewährung von Eingliederungshilfe nach § 39 des Bundessozialhilfegesetzes in einer teilstationären Einrichtung erfüllt werden."

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Artikel IV Änderung des Schulgesetzes

Änderung des Niedersächsischen Schulgesetzes in der Fassung vom 27. September 1993 (Nds.GVBl.S.383) zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 5. Juni 1997 (Nds.GVBl.S.244):

1. § 4 wird wie folgt geändert:

a) Satz 1 erhält folgende Fassung: "Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen (§ 14 Abs. 2 Satz 1) sollen an allen Schulen gemeinsam mit anderen Schülerinnen und Schülern erzogen und unterrichtet werden, wenn bei minderjährigen Schülerinnen und Schülern die Erziehungsberechtigten, ab der Vollendung des 18. Lebensjahres diese selbst, es wünschen."

b) Es werden folgende Sätze 2 und 3 angefügt:

"Für die organisatorischen, personellen und sächlichen Voraussetzungen ist Sorge zu tragen. Hierzu zählt auch die Unterrichtung Schwerhöriger und Gehörloser durch lautsprachbegleitende Gebärden und Gebärdensprache."

2. Nach § 14 wird folgender § 14a neu eingefügt:

"An Sonderschulen für Schwerhörige und Gehörlose wird der Unterricht in Laut- und Schriftsprache sowie lautsprachbegleitenden Gebärden und Gebärdensprache erteilt. Hierbei ist die Kommunikationsform vorrangig zu fördern, die in Anbetracht der individuellen Beeinträchtigung den Spracherwerb und die Kommunikationsfähigkeit frühestmöglich begünstigt."

3. § 25 Absatz 3 wird wie folgt ergänzt: nach dem Wort "Jugendhilfe" wird eingefügt " , den Verwaltungsstellen nach § 10 dieses Gesetzes."

4. § 29 wird wie folgt ergänzt:

nach Absatz 4 wird folgender Absatz 5 eingefügt: "Für behinderte Schülerinnen und Schüler werden Schulbücher und Schulmaterialien in einer der Behinderung entsprechenden Gestaltung eingeführt."

5. § 53 wird wie folgt geändert:

a) Nach Satz 1 wird folgender Satz 2 neu eingefügt: "Zu dem Betreuungspersonal gehören auch die bei integrativer Unterrichtung behinderter Schülerinnen und Schüler für die persönliche Assistenz erforderlichen Personen sowie solche Personen, die für eine Kommunikation durch lautsprachbegleitende Gebärden oder Gebärdensprache erforderlich sind."

b) Der bisherige Satz 2 wird Satz 3.

6. § 60 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

a) § 60 Absatz 1 Nummer 5 NSchG wird gestrichen.

b) Die bisherigen Nummern 6 bis 8 werden Nummern 5 bis 7.

7. § 68 wird wie folgt geändert:

a) die Absätze 1 und 2 des § 68 erhalten folgende Fassung:

"1. Schülerinnen und Schüler, die einer sonderpädagogischen Förderung bedürfen, können ihre Schulpflicht durch den Besuch einer für sie geeigneten Sonderschule oder eines für sie geeigneten Sonderunterrichts erfüllen, wenn dies von den Erziehungsberechtigten oder nach Vollendung des 18. Lebensjahres von den Schülerinnen oder Schülern selbst, gewünscht wird.

2. Kommt aufgrund der Beeinträchtigung keine der in Absatz 1 genannten Bildungsmöglichkeiten in Betracht, entscheidet die Schulbehörde gemeinsam mit den Erziehungsberechtigten über die geeignete Möglichkeit, die Schulpflicht zu erfüllen. Sofern hierdurch gesonderte Maßnahmen der Eingliederungshilfe anfallen, hat die Schulbehörde das Einvernehmen des zuständigen Trägers der Jugend- oder Sozialhilfe einzuholen. Sie kann in diesem Fall auch dem zuständigen Sozialleistungsträger mit dessen Zustimmung insoweit die Zuständigkeit zur Entscheidung über die Erfüllung der Schulpflicht übertragen."

b) Der bisherige Absatz 3 entfällt.

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Artikel V Änderung des Hochschulgesetzes

Änderung des Niedersächsischen Hochschulgesetzes in der Fassung vom 21. Januar 1994 (Nds.GVBl.S.13) zuletzt geändert durch Artikel III des Gesetzes vom 20. November 1995 (Nds.GVBl.S.427):

1. § 5 Abs. 2 wird wie folgt geändert:

Nach Nummer 9 wird folgende Nummer 10 angefügt:

"Die Entwicklung von Studienangeboten, Lehrprogrammen und Hochschuleinrichtungen, die die besonderen Bedürfnisse behinderter Studentinnen und Studenten sowie des wissenschaftlichen und des künstlerischen Personals mit Behinderungen berücksichtigen."

2. § 9 Abs.1 wird wie folgt ergänzt:

Nach Nummer 3 wird folgende Nummer 4 angefügt:

"den Beeinträchtigungen behinderter Studentinnen und Studenten in Bezug auf Kommunikation, Mobilität und persönlicher Assistenz Rechnung getragen wird."

3. § 10 Absatz 1 Satz 2 wird wie folgt geändert:

a) In Nummer 1 fällt das Wort "sowie" weg.

b) Eingefügt wird neu: "2. Die Entwicklung der Bedingungen für das Studium behinderter Studentinnen und Studenten sowie der Förderung des behinderten Personals in Forschung und Lehre,"

c) Die bisherige Nr. 2 wird Nr.3.

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Artikel VI Änderung des Graduiertenförderungs-Gesetzes

Änderung des Gesetzes zur Förderung des wissenschaftlichen und künstlerischen Nachwuchses vom 17. November 1984 (Nds.GVBl.S.257) geändert durch Artikel VI des Gesetzes vom 10. April 1989 (Nds.GVBl.S.85)

§ 5 wird wie folgt geändert:

a) Nach Absatz 3 wird folgender neue Absatz 4 eingefügt:

"Für behinderte Stipendiatinnen und Stipendiaten kann je nach der Art der Beeinträchtigung die Höhe des Stipendiums auf bis zu 2.400,- DM und die Dauer der Förderung auf bis zu vier Jahr verlängert werden."

b) Der bisherige Absatz 4 wird Absatz 5.

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Artikel VII Änderung der Bauordnung

Änderung der Niedersächsischen Bauordnung in der Fassung vom 13. Juli 1995 (Nds.GVBl.S.199) zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 6.Oktober 1997 (Nds.GVBl.S.422):

1. § 1 Absatz 2 wird wie folgt ergänzt:

Nach den Worten "Personen mit Kleinkindern" wird eingefügt "insbesondere die Beachtung der Grundsätze barrierefreien Bauens."

2. § 44 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

a) Es wird folgender Satz 2 neu eingefügt:

" Die Wohnungen im untersten Vollgeschoß müssen über den üblichen Haupteingang barrierefrei zugänglich und nutzbar sein." b) Der bisherige Satz 2 wird Satz 3 und erhält folgende Fassung:

" Die Sätze 1 und 2 gelten nicht für Wohngebäude mit nicht mehr als zwei Wohnungen."

3. § 47 wird wie folgt geändert:

a) In Absatz 2 wird folgender Satz 2 neu eingefügt:

"Für eine ausreichende Anzahl von Einstellplätzen für in ihrer Mobilität beeinträchtigte Behinderte ist Sorge zu tragen." b) Der bisherige Satz 2 wird Satz 3.

4. § 47b wird wie folgt geändert:

Es wird nach Absatz 3 folgender neue Absatz 4 angefügt:

"Die Absätze 2 und 3 gelten entsprechend für Anlagen, die einen Zu- und Abgangsverkehr mit Rollstühlen erwarten lassen. Die notwendigen Abstellanlagen für Rollstühle sind in den betreffenden Gebäuden so anzulegen, daß sie barrierefrei erreichbar sind."

5. § 48 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

a) Nach Nummer 4 wird folgende neue Nummer 5 eingefügt:

"Verkaufsstätten, Gaststätten und Beherbergungsbetriebe,"

b) Die bisherigen Nummern 5 bis 11 werden Nummern 6 bis 12.

c) Absatz 3 Satz 1 wird gestrichen. d) Der bisherige Satz 2 erhält folgende Fassung:

"Ausnahmen und Befreiungen von den Vorschriften der Absätze 1 und 2 bedürfen der Zustimmung der oder des Behindertenbeauftragten. Die Zustimmung soll erteilt werden, wenn

1. wegen der Eigenart oder Zweckbestimmung der baulichen Anlage oder des Teils der Anlage nicht damit zu rechnen ist, daß Behinderte sie besuchen oder benutzen werden, 2. wegen schwieriger Geländeverhältnisse oder ungünstiger vorhandener Bebauung die Anforderungen der Absätze 1 und 2 nur mit unverhältnismäßigem Mehraufwand erfüllt werden können.

Wird die Zustimmung nicht innerhalb von 14 Tagen ab Zugang des Antrages bei der oder dem Behindertenbeauftragten gegenüber der Bauaufsichtsbehörde schriftlich verweigert, gilt sie als erteilt."

6. § 51 Abs. 1 wird wie folgt geändert:

a) Nach Nummer 7 wird folgende neue Nummer 8 eingefügt:

"die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit durch Behinderte,"

b) Die bisherigen Nummern 8 bis 17 werden Nummern 9 bis 18.

7. § 91 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

a) in Nummer 14 wird der Punkt durch ein Komma ersetzt und

b) folgende Nummer 15 angefügt:

"den Vorschriften dieses Gesetzes über die barrierefreie und behindertengerechte bauliche Gestaltung in § 44 Absatz 1 Satz 2 und 48 Absatz 3 zuwiderhandelt."

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Artikel VIII Änderung der Durchführungsverordnung zur Bauordnung

Änderung der allgemeinen Durchführungsverordnung zur Niedersächsischen Bauordnung vom 11. März 1987 (Nds.GVBl.S.29) geändert durch § 10 Abs. 2 der Verordnung vom 6. Juni 1996 (Nds.GVBl.S.287):

§ 1 wird wie folgt ergänzt:

Nach Absatz 4 wird folgender neue Absatz 5 angefügt:

"Für den barrierefreien Zugang von baulichen Anlagen und deren Nutzbarkeit für Behinderte gelten die Bestimmungen der DIN 18024 (Teile I und II) und DIN 18025 in ihrer jeweils geltenden Fassung als Mindestvoraussetzung."

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Artikel IX Änderung Denkmalschutzgesetz

Änderung des Niedersächsischen Denkmalschutzgesetzes vom 30. Mai 1978 (Nds.GVBl.S.517) zuletzt geändert durch Artikel 9 des Gesetzes vom 28. Mai 1996 (Nds.GVBl.S.242):

In § 10 Absatz 3 Satz 2 werden nach den Worten, "um die Einhaltung dieses Gesetzes zu sichern" die Worte "oder um die barrierefreie Zugänglichkeit für behinderte Menschen zu erreichen." angefügt.

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Artikel X Änderung Personennahverkehrsgesetz

Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Neuordnung des öffentlichen Personennahverkehrs vom 28. Juni 1995 (Nds.GVBl.S.180):

1. § 2 wird wie folgt ergänzt:

Nach Absatz 4 Nummer 4 wird folgende neue Nummer 5 angefügt:

"Können Personen wegen Art oder Schwere ihrer Behinderung den öffentlichen Personennahverkehr nicht nutzen, da dieser nicht barrierefrei gestaltet ist, ist für ein den Bedürfnissen dieses Benutzerkreises gerecht werdendes Bedienungsangebot Sorge zu tragen."

2. § 6 Absatz 4 wird wie folgt geändert:

In Absatz 4 Satz 3 werden nach den Worten "die Straßenbaulastträger" ein Komma sowie die Worte "die oder der Behindertenbeauftragte" eingefügt.

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Artikel XI Änderung des Straßengesetzes

Änderung des Niedersächsischen Straßengesetzes in der Fassung vom 24. September 1980 (Nds.GVBl.S.359) zuletzt geändert durch Artikel 8 des Gesetzes vom 28. Mai 1996 (Nds.GVBl.S.242):

§ 9 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

Nach Satz 3 wird folgender Satz 4 angefügt:

"Den Bedürfnissen von Personen mit beeinträchtigter Sehfähigkeit ist durch entsprechende Orientierungshilfen, denjenigen mit beeinträchtigter Mobilität durch barrierefreie Gehwegübergänge Rechnung zu tragen."

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Artikel XII Änderung des Gesetzes für psychisch Kranke

Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke vom 16 .Juni 1997 (Nds.GVBl.S.272):

1. § 13 Absatz 2 wird wie folgt geändert:

Nach Satz 3 wird folgender Satz 4 angefügt:

"Die betroffene Person kann die Hinzuziehung einer Vertrauensperson verlangen."

2. § 21 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

Nach Satz 1 wird folgender neue Satz 2 eingefügt:

"Ihrem Wunsch bezüglich der Art und Gestaltung der Heilbehandlung soll entsprochen werden."

3. Nach § 30 wird folgender neue § 30a eingefügt:

"1)Für jedes Krankenhaus und jede Einrichtung im Sinne des § 30 Absatz 3 wird eine Patientenvertretung gewählt. Ihr gehören mehrheitlich Patientinnen und Patienten an; außer diesen sind auch Personen wählbar, die einer Organisation angehören, deren Ziel die Unterstützung psychisch kranker Menschen ist.

2) Aufgabe der Patientenvertretung ist die Vertretung der Interessen der Patientinnen und Patienten in Bezug auf die Unterbringung, die Ernährung, die Organisation des Tagesablaufes, die Gestaltung der Freizeit und die Ordnung in der Einrichtung.

3) Die Patientenvertretung führt regelmäßig, mindestens vierteljährlich Gespräche mit der Leitung der Einrichtung. Sie ist frühzeitig von allen beabsichtigten Veränderungen zu unterrichten, die ihren Aufgabenbereich betreffen und kann selbst Änderungen anregen oder beantragen.

4) Die Patientenvertretung kann solchen Veränderungen widersprechen, die vermeidbar in das Recht der Untergebrachten zur selbstbestimmten Lebensführung eingreifen. Die Maßnahme darf - ist sie nicht unaufschiebbar - in einem solchen Fall nur dann durchgeführt werden, wenn die nach § 30 Absatz 3 Satz 1 zuständige Besuchskommission dem zustimmt.

5) Jede untergebrachte Person kann sich zur Wahrung ihrer Rechte an die Patientenvertretung wenden und deren Hinzuziehung zu Gesprächen verlangen."

4. § 31 wird wie folgt geändert:

In Nummer 4 wird der Punkt durch ein Komma ersetzt und folgende Nummer 5 angefügt:

"das Verfahren, die Zusammensetzung und die Amtszeit der Patientenvertretung."

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Artikel XIII Änderung des Gesetzes zur Erwachsenenbildung

Änderung des Gesetzes zur Förderung der Erwachsenenbildung vom 12. Dezember 1996 (Nds.GVBl.S.488) geändert durch Artikel 5 des Gesetzes vom 12. November 1997 (Nds.GVBl.S.464):

1. § 1 Absatz 2 wird wie folgt geändert:

Nach den Worten "Bildungsbedürfnisse der Erwachsenen" werden die Worte "und berücksichtigt in besonderem Maße die Bedürfnisse erwachsener Behinderter" eingefügt.

2. § 4 Absatz 1 wird wie folgt geändert:

a) Nach Nummer 9 wird folgende Nummer 10 neu eingefügt:

"die auch Behinderten offenstehen,"

b) die bisherige Nummer 10 wird Nummer 11.

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Artikel XIV Änderung des Gesetzes über den Bildungsurlaub

Änderung des Niedersächsischen Gesetzes über den Bildungsurlaub für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen in der Fassung vom 25. Januar 1991 (Nds.GVBl.S.29) zuletzt geändert durch § 21 des Gesetzes vom 12. Dezember 1996 (Nds.GVBl.S.488):

§ 11 Absatz 3 wird wie folgt geändert.

Nach Nummer 2 wird folgende Nummer 3 neu eingefügt:

"3. der Förderung der Integration Behinderter in das soziale und kulturelle Leben dient"

Artikel XV Rückkehr zum Verordnungsrang

Die auf Artikel VIII beruhende Änderung der Rechtsverordnung kann auf Grund der einschlägigen Ermächtigung weiterhin durch Rechtsverordnung geändert werden.

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Begründung

A. Allgemeiner Teil

1. Die Notwendigkeit zur Durchsetzung der Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen

Der Gesetzentwurf verfolgt das Ziel der Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation von Menschen mit Behinderungen in allen Lebensbereichen.

Die rechtlichen Regelungen der letzten Jahre, die die Lage behinderter Menschen betreffen, haben sich für Menschen mit einer nicht nur vorübergehenden körperlichen, seelischen oder geistigen Schädigung oder Funktionsbeeinträchtigung nur zum Teil günstig ausgewirkt:

- Die Veränderungen des Grundgesetzes und der Niedersächsischen Verfassung durch die Aufnahme des Benachteiligungsverbotes bieten einen Ansatz für eine Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen. Sie begründen ein Abwehrrecht gegen diskriminierende Maßnahmen und lassen Bevorzugungen mit dem Ziel einer Angleichung der Verhältnisse von Nichtbehinderten und Behinderten zu. Sie begründen aber keinen Anspruch auf derartige Maßnahmen und formulieren kein Gebot zu aktivem Handeln im Sinne einer Verbesserung der Lebenssituation Behinderter.

- Das Gesetz zur sozialen Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit hat den Gesichtspunkt der Selbstbestimmung Behinderter unzureichend berücksichtigt und diejenigen Behinderten, die stationäre Maßnahmen der Eingliederungshilfe erhalten, weitgehend von Leistungen ausgeschlossen.

Die soziale Lage Behinderter ist weiterhin in verschiedener Hinsicht unbefriedigend. Das beginnt bereits damit, daß für die Definition der Behinderung weiterhin § 3 Absatz 1 Satz 1 Schwerbehindertengesetz (SchwbG) maßgeblich ist. Dort wird ausgehend von einem medizinisch bestimmten Normalzustand die Behinderung letztlich als Abweichung definiert. Wichtig wäre es aber, die soziale Beeinträchtigung schärfer in den Blick zu nehmen, die sich in der Wechselbeziehung zwischen den gesellschaftlichen Bedingungen und Erwartungen und den Fähigkeiten des einzelnen zeigt. Weiter fehlt es außer in den Spezialgesetzen an Bestimmungen, die die Eingliederung Behinderter zum Gegenstand haben und an Grundlagen, die ein selbstbestimmtes Leben Behinderter und deren gleichberechtigte Teilhabe am sozialen Leben gewährleisten. Es fehlt an Strukturen, mittels derer Behinderte ihre Bedürfnisse und Interessen artikulieren und ihre Rechte auf gleichberechtigte Teilhabe durchsetzen können. Es fehlt schließlich in einer Vielzahl von Bereichen an rechtlichen Regelungen, die den Bedürfnissen behinderter Menschen gerecht werden.

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2. Die aktuelle Situation der Behinderten

Prägend für das Bild von Behinderung ist in der Öffentlichkeit immer noch die Vorstellung einer angeborenen oder durch die Folgen eines Unfalles erworbenen Schädigung. Dabei sind von den 1997 statistisch erfassten 640.000 Schwerbehinderten (Personen mit einem Grad der Behinderung von 50 und mehr, die einen Ausweis erhalten haben) gut 4 v.H. aufgrund angeborener und knapp 3 v.H. aufgrund eines Unfalles beeinträchtigt. Die deutliche Mehrzahl der Behinderten (88 v.H.) ist aber infolge einer allgemeinen Krankheit beeinträchtigt (28 v.H. von diesen leiden an orthopädischen, 27 v.H. an internistischen Beeinträchtigungen). Das Lebensalter liegt bei 52 v.H. dieser Menschen über 65 Jahren und 27 v.H. zwischen 35 und 60 Jahren, 2 v.H. sind im schulpflichtigen und weitere 1,5 v.H. in dem durch Ausbildung geprägten Alter zwischen 18 und 25 Jahren.

Liegt danach statistisch der Problemschwerpunkt deutlich in der zweiten Lebenshälfte der behinderten Menschen, stellt sich die Qualität des Hilfebedarfes insbesondere bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres anders dar. Hier liegt der Schwerpunkt darin, möglichst früh die Entwicklungsfähigkeit der jungen behinderten Menschen zu nutzen. Schlagworte wie Frühförderung, integrative Betreuung im Kindergarten und zielgleiche sowie zieldifferente integrative Unterrichtung weisen die Richtung für die Maßnahmen der Eingliederungshilfe. Gezielte Hilfen zur Eingliederung in das Arbeitsleben und ergänzend Werkstätten für Behinderte sollen helfen, einen geeigneten Arbeitsplatz zu finden. Das wird aber angesichts der allgemein schlechten Lage auf dem ersten Arbeitsmarkt immer schwieriger; die nach dem Schwerbehindertengesetz vorgeschriebene Beschäftigungsquote von 6 v.H. der Arbeitsplätze wird landesweit auch von den öffentlich-rechtlichen Arbeitgebern nur unzureichend erfüllt. So ist die Beschäftigungsquote in Niedersachsen im Landesdienst 1998 erstmals wieder gesunken von 4,41 % (1997) auf 4,28 % (1998). Für alle Arbeitgeber lag sie in Niedersachsen 1997 bei 3,9 % und für den gesamten öffentlichen Dienst bei 5 % (aktuellere Zahlen liegen nicht vor). Während für diese Lebensbereiche ein relativ weit entwickeltes Instrumentarium an Hilfen und Strukturen, diese zu vermitteln, existiert, sind die Möglichkeiten behinderter Menschen im Alltäglichen ein selbstbestimmtes Leben zu führen weiterhin defizitär. Behinderte stoßen überall auf Schranken und Hindernisse, deren Existenz von Nichtbehinderten vielfach gar nicht wahrgenommen wird. Dies sind nicht nur Stufen, die von Rollstuhlfahrern nicht zu überwinden oder Türen in Nahverkehrsmitteln, die von ihnen nicht zu passieren sind, sondern auch Kommunikationsformen, die von Menschen mit Sinnesbeeinträchtigungen nicht wahrgenommen werden können. Im privaten Bereich fehlt es häufig ebenso an Assistenz wie für die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben. Von einer Chance zur freien Entfaltung der Persönlichkeit kann unter solchen Voraussetzungen kaum gesprochen werden.

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3. Der Handlungsbedarf

Ausgangspunkt für eine gesetzliche Regelung, die die Verbesserung der Lebenssituation der Behinderten zum Ziel hat, muß der in der Verfassung verankerte Anspruch auf freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Absatz 1 GG) und ein selbstbestimmtes Leben sein (Art. 1 Abs.1 Satz 1 GG), die der Würde des Menschen entsprechen (vgl.BVerfGE 39, 298). Das Individuum, der behinderte Mensch, ist das Subjekt, dessen Entwicklungs- und Handlungsmöglichkeiten durch einen rechtlichen Rahmen zu gewährleisten sind. Die Vorstellung von behinderten Menschen als unmündigen Objekten staatlicher Fürsorge läßt sich hiermit und dem Menschenbild, das unser Grundgesetz prägt, nicht vereinbaren. Es braucht daher einen Anspruch auf die Hilfen, die erforderlich sind, um die Anbetracht der Beeinträchtigung bestmögliche Entwicklung und die Führung eines selbstbestimmten Lebens zu fördern. Weiter erfordert dies eine Handhabe, die es ermöglicht, Hindernisse, die diesen Zielen entgegenstehen, zu beseitigen. Schließlich setzt dies Strukturen voraus, die es ermöglichen, diese Ziele nicht nur durch das Handeln einzelner Betroffener - die häufig in ihrer Handlungsfähigkeit eingeschränkt sind - sondern auch kollektiv und durch hierzu besonders bestimmte Organe zu verfolgen.

Außer einer Verbesserung des Leistungsspektrums ist daher beabsichtigt, dessen Nutzung zu erleichtern. Dabei setzt der Gesetzesentwurf auf die Selbstbestimmung behinderter Menschen. Diese sollen in die Lage versetzt werden, als Arbeitgeber die notwendige Assistenz selbst zu organisieren. Darüber hinaus kann die Vermittlung ehrenamtlicher oder zusätzlicher gemeinnütziger Dienste organisatorisch in der Zusammenfassung der bereits jetzt mit den Hilfen für Behinderte befaßten kommunalen Stellen ergänzend hinzutreten. Die Stärkung von Selbsthilfeeinrichtungen, die Einrichtung eines Behindertenbeirates als kommunaler Ausschuß und die Bestellung kommunaler Behindertenbeauftragter stellen weitere Strukturelemente auf dieser Ebene dar. Auf Landesebene ragt die Funktion der oder des Behindertenbeauftragten des Landes heraus, die als Schnittstelle mit der Legislative wie auch der Exekutive ausgebildet ist und dem Amt ein der Bedeutung der Aufgabe angemessenes Gewicht gibt. Arbeitsmarktpolitisch kommt der Durchsetzung der Beschäftigungsverpflichtung des Schwerbehindertengesetzes besondere Bedeutung zu; aber nicht nur durch die Förderung der Beschäftigung Behinderter, sondern auch durch die Arbeit für Behinderte werden Beschäftigungseffekte erwartet. Schließlich ist angestrebt, im Bereich der Kommunikationstechnik Entwicklungen anzustoßen, die den in der Sinneswahrnehmung und Artikulation beeinträchtigten Menschen neue Möglichkeiten der Kommunikation eröffnen.

Im einzelnen werden außerdem in verschiedenen landesgesetzlich geregelten Bereichen Änderungen vorgeschlagen, die darauf abzielen, Hindernisse für gleichberechtigte Lebensverhältnisse Behinderter abzubauen und deren individuelle Entwicklungsmöglichkeiten zu verbessern. Besonders hervorzuheben sind zum einen die Regelungen, die die schulische Bildung betreffen und zum anderen bauordnungsrechtliche Vorschriften. Während letztere im wesentlichen den barrierefreien Zugang und die Nutzung von Baulichkeiten durch Behinderte verbessern helfen sollen, liegt der Schwerpunkt im schulischen Bereich in der integrativen Unterrichtung als Regelfall. Diese Veränderung erscheint im Hinblick auf die Verbesserung der Chancen schulischer Bildung aber auch wegen des Gewinns sozialer Kompetenz geboten. Durch das Wahlrecht kann aber auch dem Wunsch nach einer segregativen Beschulung Rechnung getragen werden.

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4. Finanzielle Auswirkungen

Die finanziellen Auswirkungen des Gesetzes auf die Verwaltungskosten resultieren zunächst aus den Personal- und Sachkosten für die Behindertenbeauftragte oder den Behindertenbeauftragten des Landes und dessen Geschäftsstelle sowie der entsprechenden Aufwendungen für den Landesbeirat für Behinderte. Bislang werden die Kosten für den Behindertenbeauftragten und das ihm zugeordnete Personal aus dem Haushalt des Ministeriums für Frauen, Arbeit und Soziales getragen. Die nach dem Entwurf ausgeweiteten Aufgaben werden aber sicherlich eine Erhöhung des Personalbedarfs erfordern. Im übrigen werden die Haushaltsansätze für die vorgesehenen Zuschüsse zur institutionellen Förderung sowie für die Entwicklung EDV-gestützter Behindertentechnik in ihrer jeweiligen Höhe als Mehraufwand zu rechnen sein. Schließlich werden durch die Änderung des Schulgesetzes und die konsequente Entscheidung für die integrative Beschulung für eine Übergangszeit Mehrkosten entstehen. Bei deren Kalkulation sind allerdings Einsparungen im Bereich der Sonderschulen und der teilstationären Eingliederungshilfe gegenzurechnen.

Im kommunalen Bereich wirkt sich der Entwurf hauptsächlich in Höhe der Haushaltsansätze für die individuellen Hilfen und die Betriebskostenzuschüsse zu den Selbsthilfeeinrichtungen aus. Mit zusätzlichen Personalkosten wird hier nicht gerechnet, weil die Einrichtung der Stellen für Behindertenhilfe regelmäßig nur eine Umordnung bislang regelmäßig in den Sozial- und Jugendämtern wahrgenommener Aufgaben erfordern wird. Die Aufwendungen für die Behindertenbeauftragten und die -beiräte dürften bescheiden ausfallen, weil hier lediglich eine Aufwandsentschädigung anfällt. Für die Leistungen der persönlichen Assistenz gilt ähnliches. Neben dem Anspruch auf Assistenz, der durch tariflich bezahlte Arbeitsverhältnisse bei den behinderten Menschen realisiert werden soll, können Leistungen von ehrenamtlich tätigen Personen oder von Menschen erbracht werden, die soziale Dienste leisten, wie etwa im freiwilligen sozialen Jahr oder durch Ableistung des Zivildienstes, wenn dies die Assistenznehmer wünschen. Denkbar erscheint es auch in diesem Bereich Personen, die von Sozialhilfe abhängig sind, die Möglichkeit zu geben, eine sinnvolle zusätzliche gemeinnützige Arbeit gegen eine angemessene Entschädigung für Mehraufwendungen zu leisten. Neben diesen Aufwandsentschädigungen werden in jedem Falle Aufwendungen für den notwendigen Versicherungsschutz der so Tätigen anfallen. Im Sachkostenbereich werden hauptsächlich die Aufwendungen für die baulichen Maßnahmen ins Gewicht fallen, die erforderlich sind, um eine barrierefreie Nutzung der entsprechenden Anlagen durch Behinderte sicherzustellen.

Insgesamt sind die durch den Vollzug dieses Gesetzes entstehenden Kosten bescheiden und, da in erheblichem Umfang von Haushaltsvorgaben abhängig, bezüglich des Zeitpunktes ihrer Fälligkeit weitgehend steuerbar. Sie sind aber in jedem Falle im Hinblick auf die damit realisierbaren Fortschritte des Sozialstaates verhältnismäßig. Im Fazit wird aus der Umsetzung des Gesetzes ein Gewinn erwartet, der sich nicht nur aus einer gesellschaftlichen Weiterentwicklung zugunsten der Lebensbedingungen behinderter Menschen ergibt, sondern auch aus dem Beitrag, den behinderte Menschen für diese Gesellschaft erbringen können und wollen.

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B. Besonderer Teil

Zu Artikel I (Änderung der Niedersächsischen Verfassung)

Zu Nr. 1 (Artikel 3 Absatz 3)

Das bislang in Artikel 3 Absatz 3 Satz 2 normierte Benachteiligungsverbot erweist sich aus dem Blickwinkel einer aktiven Behindertenpolitik als unergiebig. Aus dem Benachteiligungsverbot kann außer der Untersagung an die Behinderung anknüpfender Benachteiligungen auch die Zulässigkeit einer Bevorzugung mit dem Ziel einer Angleichung der Verhältnisse von Nichtbehinderten und Behinderten hergeleitet werden (vgl.z.B. BVerfGE 96, 302 f.). Ein solches Vorgehen ist aber nicht ohne weiteres verfassungsrechtlich geboten. Für die Verwirklichung des Sozialstaatsgebotes und die notwendige Verbesserung der Lebensbedingungen behinderter Menschen wird daher eine Regelung vorgesehen, die über die bloße Abwehr von Benachteiligung hinausgeht und ein aktives Handeln zugunsten der Behinderten begünstigt. Eine über das bloße Benachteiligungsverbot hinausgehende Regelung ist im übrigen auch in den Verfassungen der Länder Bayern (Artikel 118a), Berlin (Artikel 11 und 22 ), Bremen (Artikel 2 Absatz 3), Brandenburg (Artikel 12 Absatz 4), Mecklenburg-Vorpommern (Artikel 17 Absatz 2), Sachsen (Artikel 7 Absatz 2), Sachsen-Anhalt (Artikel 38) und Thüringen (Artikel 2 Absatz 4) enthalten. Die Aufnahme einer solchen Regelung in die Landesverfassung wird im Hinblick auf die hohe Bedeutung der staatlichen Aufgabe und die in Anbetracht der gegenwärtigen Situation Behinderter zweifelsfrei erforderlichen Veränderungen als notwendiges richtungsweisendes Bekenntnis zur aktiven Erfüllung dieser Staatsaufgabe angesehen.

Zu Nr. 2 (Artikel 62a)

Die Tätigkeit des derzeitigen Behindertenbeauftragten des Landes wird bislang durch die Bekanntmachung der Staatskanzlei vom 06.12.1990 (Nds.MBl. S.3, Anlage 2) und den Beschluß der Landesregierung vom 29.09.1998 (Nds.MBl. S. 1267) geregelt. Die mit dem Gesetz beabsichtigte Veränderung stellt die Tätigkeit der oder des Behindertenbeauftragten des Landes auf eine qualitativ andere Grundlage. Der Behindertenbeauftragte des Landes ist derzeit ein Teil der Exekutive. Er berät die Staatskanzlei und die Ministerien, die ihn auch bei einschlägigen Projekten zu beteiligen haben. Allerdings wird auch nach dem Beschluß der Landesregierung vom 29.09.1998 (a.a.O. Nr. 1 Satz 2) dem Behindertenbeauftragten des Landes eine Position zugebilligt, die ihn in der Wahrnehmung seines Amtes unabhängig stellt und nur dem Gesetz unterwirft. Diese Regelung ist Ausdruck der Erkenntnis, daß die Aufgabe der oder des Behindertenbeauftragten des Landes es erfordern kann, die Interessen Behinderter unter Umständen auch gegen Vorhaben der Landesregierung zu verteidigen. Die Autonomie des Behindertenbeauftragten des Landes zeugt von einem Verständnis dieser Funktion, die eben nicht nur die Formulierung und den Vollzug der Behindertenpolitik der Landesregierung zum Gegenstand hat, sondern auch die selbstbestimmte Wahrnehmung der Interessen der Behinderten. Die vorgesehene Änderung gibt dem letztgenannten Aufgabenbereich zulasten des erstgenannten den Vorzug.

Die Erfahrungen mit der Funktion des Behindertenbeauftragten des Landes, die sich nunmehr über ca. 10 Jahre erstrecken, zeigen, daß die Wahrnehmung dieser Aufgabe unerläßlich ist und die Stellung der oder des Behindertenbeauftragten des Landes weiter verstärkt werden sollte. Es ist sicherlich das Verdienst des derzeitigen Behindertenbeauftragten des Landes, die zwei Aufgaben der Vertretung der Behindertenpolitik der Landesregierung einerseits und der Interessen Behinderter andererseits in fruchtbarer Weise miteinander verknüpft zu haben. Gleichwohl wird hier eine Trennung beider Aufgaben vorgeschlagen. Zum einen ist die Aufgabe, die Interessen behinderter Menschen zu fördern und zu wahren so umfangreich und gewichtig, daß sie von einer Person wahrgenommen werden sollte, der dieser Aufgabenbereich eindeutig zugeordnet wird. Die Herauslösung des Amtes aus der Landesregierung und die staatsrechtliche Zuordnung parallel zu dem Amt der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz dient der Stärkung und Betonung dieser unabhängigen und überparteilichen Funktion. Zum anderen ist absehbar, daß Konflikte zwischen der Zugehörigkeit zur Landesregierung einerseits und der unabhängigen Wahrnehmung der Interessen Behinderter in einer Person nicht immer nur zugunsten letzterer ausgetragen werden können.

Für die Ausgestaltung der Rechtsstellung der oder des Behindertenbeauftragten des Landes ist im wesentlichen auf Gedanken zurückgegriffen worden, die dem Artikel 62 betreffend die Landesbeauftragte oder den Landesbeauftragten für den Datenschutz zugrunde liegen.

Zu Artikel II (Gesetz zur Durchsetzung der Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen)

Allgemeines

Zweck des Gesetzes zur Durchsetzung der Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation behinderter Menschen ist es, individuelle Rechte Behinderter zu formulieren und Strukturen zu gründen oder vorhandene dazu auszunutzen, deren Umsetzung zu ermöglichen oder zumindest zu begünstigen. Ausgehend von den Bedürfnissen Behinderter werden auf kommunaler Ebene die Grundlagen für eine Vernetzung bereits vorhandener oder noch zu schaffender Einrichtungen geschaffen. Ein Behindertenbeirat steht an der Schnittstelle zwischen dem Rat und den Behinderten sowie deren Organisationen. Er legt die Grundzüge der Planung und der Mittelverteilung fest. Die Ausführung und Verwaltung erfolgt durch eine Stelle, in der gleichzeitig alle Leistungen, die für Behinderte zu erbringen sind, zusammengefaßt werden. Die oder der Behindertenbeauftragte fördert die Umsetzung der Ziele dieses Gesetzes. Ebenso wie die oder der Behindertenbeauftragte des Landes kümmert er sich insbesondere auch um die den Anforderungen des Schwerbehindertengesetzes entsprechende Beschäftigung Behinderter. Die oder der Behindertenbeauftragte des Landes unterstützt Bemühungen um eine Verbesserung der Situation Behinderter auf Landesebene.

Zu § 1 (Anspruch auf Gleichstellung und Verbesserung der Lebenssituation)

Zu Absatz 1

Absatz 1 dient der näheren Konkretisierung der in Artikel 1 Nr. 1 genannten Ziele der Verfassung. Hierzu formuliert Nr. 1 einen Gleichstellungsanspruch und Nr. 2 ein Benachteiligungsverbot. Besonders erwähnt wird in diesem Zusammenhang der Umstand, daß Frauen häufig zusätzlich zu ihrer Behinderung aus geschlechtsspezifischen Gründen benachteiligt werden und von daher bei der Durchsetzung ihrer Rechte besonderer Unterstützung bedürfen.

Zu Absatz 2

Der notwendige Abstraktionsgrad von Gesetzen läßt sich nur durch die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, die verwaltungspraktische Anwendung auf den realen Lebenssachverhalt nur durch die Einräumung eines Ermessensspielraumes erreichen. Die Auslegung dieser Rechtsbegriffe und ebenso die Ausübung des Ermessens werden stark durch die Interessen und Vorstellungen der Anwender geprägt. Eine gewisse Bandbreite an Interpretationsmöglickeiten ist von daher zwangsläufig. Um sicherzustellen, daß der Zweck des Gesetzes erreicht wird, wäre es denkbar, die Vorschriften des Gesetzes detaillierter zu fassen, um die Gesetzesanwendung in dem hier gewollten Sinne zu gewährleisten. Von einer solchen Regelungsdichte wird hier aber abgesehen. Vielmehr wird dem Gesetz nach dem Vorbild des § 2 Absatz 2 SGB I gewissermaßen eine Interpretationshilfe beigegeben.

Zu § 2 ( Definition des Behindertenbegriffes)

In Anlehnung an die dreistufige Interpretation der Behinderung durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird der Zusammenhang zwischen "Schädigung", daraus folgender Funktionsbeeinträchtigung und der sozialen Beeinträchtigung hergestellt. Behinderung ist dabei auch in dem Sinne zu verstehen, daß Menschen mit Beeinträchtigungen durch Maßnahmen, Strukturen und Verhaltensweisen der Gesellschaft Lebensmöglichkeiten genommen, eingeschränkt oder erschwert werden. Auf eine Einschränkung des Anwendungsbereiches des Gesetzes auf einen bestimmten Schweregrad der Behinderung wurde ebenso wie in § 3 Abs. 1 Satz 1 Schwerbehindertengesetz verzichtet. Eine Übernahme der weiteren Klassifikationen nach dem Schwerbehindertengesetz erfolgt nicht, weil der dort prägende Gesichtspunkt der Arbeitsfähigkeit für den hier verfolgten Anwendungsbereich zu kurz griffe.

Zu § 3 (Geltungsbereich)

Mit der Beschreibung des Anwendungsbereichs wird klargestellt, daß es sich um ein Gesetz handelt, das direkt nur die öffentliche Verwaltung bindet. Für eine weitergehende Verpflichtung auch Privater kann eine ausreichende Rechtsgrundlage nicht gesehen werden. Zwar wäre die Sozialpflichtigkeit des Eigentums möglicherweise ein Ansatzpunkt für in dieser Richtung weitergehende Überlegungen; es fehlt aber insoweit zumindest noch an einem gesellschaftlichen Konsens, der ausreichen würde, um derartige Regelungen zu tragen.

Zu § 4 (Behindertenbeauftragte des Landes)

Die Umsetzung der Ziele dieses Gesetzes machen Organe erforderlich, die in diesem Sinne handeln können. Die Besonderheit der Interessen und Bedürfnisse Behinderter, die häufig nur als Randgruppe gesehen oder dorthin abgedrängt werden, lassen es geboten erscheinen, eine unabhängige Instanz einzurichten, die allein den Zielen dieses Gesetzes verpflichtet ist. Die Funktion der oder des Behindertenbeauftragten des Landes ist nach dem Bilde der Landesbeauftragten für den Datenschutz konzipiert.

Zu Absatz 1

Als Eignungsvoraussetzung ist vorgesehen, daß die oder der Behindertenbeauftragte des Landes selbst behindert ist und aus eigener Wahrnehmung die Probleme Behinderter kennt. Eine juristische Ausbildung wird hingegen für entbehrlich gehalten, nicht hingegen eine Lebenserfahrung, die mit der Vollendung des 35. Lebensjahres vermutet werden kann.

Zu Absatz 2 bis 4

Die Unabhängigkeit der oder des Behindertenbeauftragten des Landes erfordert auch eine ausreichende Ausstattung mit Personal und Sachmitteln, die überhaupt erst die effektive Wahrnehmung des Amtes ermöglichen. Wegen der Bedeutung des Amtes ist für den Fall einer Verhinderung eine Vertretungsregelung erforderlich.

Zu § 5 (Aufgaben der oder des Behindertenbeauftragten des Landes)

Zu Absatz 1

Die oder der Behindertenbeauftragte des Landes müssen in die Abläufe der öffentlichen Verwaltung einbezogen werden. Das setzt zunächst voraus, daß durch Informationspflichten sichergestellt ist, daß sie oder er überhaupt Kenntnis von relevanten Vorgängen erhält. Ferner ist die oder der Behindertenbauftragte des Landes besonderer Weise berufen, gegenüber den Organen der Legislative wie der Exekutive in einschlägigen Fragen sachkundig Stellung zu nehmen.

Zu Absatz 2

Durch regelmäßige Berichte an den Landtag wird sichergestellt, daß den Abgeordneten des Landtages die Entwicklungen in Behindertenfragen zur Kenntnis gebracht werden.

Zu Absatz 3

Um zu gewährleisten, daß die oder der Behindertenbeauftragte des Landes gemeinsam mit den Behörden und sonstigen öffentlichen Stellen Erkenntnisse gewinnen und Lösungen entwickeln kann, wird explizit eine Verpflichtung zur Unterstützung formuliert. Es wird klargestellt, daß auch die Berechtigung zur Einsichtnahme in Akten besteht, die allerdings bei Personalakten eingeschränkt ist.

Zu Absatz 4

Eine besondere Berichtspflicht trifft die öffentlichen Arbeitgeber im Hinblick auf die Erfüllung ihrer Beschäftigungspflicht nach dem Schwerbehindertengesetz und nach § 15 Absatz 1.

Zu Absatz 5

Die oder der Behinderbeauftragte des Landes arbeitet eng mit dem Landesbeirat für Behinderte zusammen, dem sie oder er ohne Stimmrecht angehört. Sie oder er ist an Beschlüsse des Landesbeirates für Behinderte nicht förmlich gebunden, hat diese aber zu beachten. Eine strenge Bindung an die Beschlüsse des Landesbeirates für Behinderte wird wegen der hier prägenden Unabhängigkeit der oder des Behindertenbeauftragten des Landes, die auch in dieser Hinsicht bestehen soll, nicht vorgeschlagen.

Zu Absatz 6

Die oder der Behindertenbeauftragte des Landes soll auch in direkter Weise wahrnehmen, wo und auf welche Weise Behinderte in ihren Rechten beeinträchtigt werden. Sie oder er soll auch zu Eingaben, die im Zusammenhang mit dem Petitionsrecht stehen, Stellung nehmen können.

Zu § 6 (Beanstandungen)

Mit dem hier vorgesehenen Verfahren wird aus dem Kanon der Mittel des Aufsichtsrechts lediglich auf die Instrumente der Aufforderung zur Stellungnahme sowie der Beanstandung zurückgegriffen. Weitergehende Mittel sind nicht vorgesehen, weil die Aufgabe der oder des Behindehindertenbeauftragten des Landes hauptsächlich darin gesehen wird, das Bewußtsein für die notwendigen Maßnahmen und Veränderungen zu schaffen und entsprechende Prozesse anzustoßen. Diese müssen dann aus der entsprechenden Behörde oder Stelle heraus entwickelt werden. Ein Eingriff durch die Behindertenbeauftragte oder den Behindertenbeauftragten des Landes wäre insoweit nicht sachdienlich. Hingegen wird ausdrücklich eine Beratungspflicht im Sinne eines Vorschlages einer positiven Maßnahme im Falle eines Verstoßes begründet.

Zu § 7 (Landesbeirat für Behinderte)

Zu Absatz 1

Der Landesbeirat für Behinderte ist eine Interessenvertretung, die die Funktion der oder des Behindertenbeauftragten des Landes ergänzt und unterstützt.

Zu Absatz 2

In dem Landesbeirat für Behinderte werden auf Landesebene die Vertretungen der Selbsthilfevereinigungen und anderer Selbstvertretungsorgane der Behinderten repräsentiert. Hier ist die Schnittstelle für die Zusammenfassung und Artikulation der Interessen und Bedürfnisse der Behinderten gegenüber der Legislative und der Exekutive sowie umgekehrt für die Wahrnehmung der Vorhaben, die Behinderte auf Landesebene betreffen, und die Weiterleitung der entsprechenden Informationen an die Behinderten. Als Eignungsvoraussetzung gilt auch hier die eigene Erfahrung mit der Behinderung und deren Auswirkung. Die Regelungen hinsichtlich der Struktur des Landesbeirates für Behinderte sind auf das Wesentlichste beschränkt. Es wird nur festgelegt, daß eine Vorsitzende oder ein Vorsitzender zu wählen ist und eine Geschäftsstelle bei der oder dem Behindertenbeauftragten des Landes angegliedert wird.

Zu Absatz 3

Außer den stimmberechtigten Interessenvertreterinnen und -vertretern gehören dem Landesbeirat für Behinderte Repräsentanten der Organisationen an, die für die Arbeit für und mit Behinderten besonders wichtig sind und die über besondere Sachkunde verfügen. Durch deren frühzeitige Beteiligung sollen der Diskurs, die Erkenntnis und die praktische Umsetzbarkeit von Planungen gefördert werden.

Zu Absatz 4

Die oder der Behindertenbeauftragte des Landes ist dem Landesbeirat für Behinderte assoziiert, ohne allerdings dort ein Stimmrecht zu haben. Zwar wäre es denkbar, die Behindertenbeauftragte oder den Behindertenbeauftragten des Landes als Vollmitglied mit einem Stimmrecht auszustatten; dagegen spricht aber, daß eine solche Verknüpfung zwangsläufig die unabhängige Stellung einschränken und zu einer stärkeren Einbindung der oder des Behindertenbeauftragten des Landes in die Verbandspolitik führen würde.

Zu § 8 (Kommunale Behindertenbeauftragte)

Mindestens ebenso wichtig wie auf Landesebene sind kommunale Behindertenbeauftragte, die auf der unteren Verwaltungsebene, an der Schnittstelle zu den behinderten Bürgern für die Umsetzung der Ziele dieses Gesetzes sorgen.

Zu Absatz 1

Aus der Erkenntnis, daß der Aufwand für die Bestellung einer oder eines Behindertenbeauftragten erst ab einer bestimmten Größe einer Gemeinde verhältnismäßig ist, wird eine Untergrenze bei 1.000 Einwohnern gezogen. Bei Gemeinden von dieser Größe an, wird ein solcher Bedarf vermutet. Kleinere Gemeinden können bei Bedarf Behindertenbeauftragte wählen. Das Amt ist ein Ehrenamt, für das außer dem passiven Wahlrecht zur Gemeindevertretung eine aus dem Erlebnis der eigenen Behinderung resultierende Sachkunde vorausgesetzt wird. Die Rechtsstellung der oder des Behindertenbeauftragten ist derjenigen der ordentlichen Ratsmitglieder angenähert. Die Unabhängigkeit der oder des Behindertenbeauftragten wird dadurch gewährleistet, daß eine Abwahl nur auf den einstimmigen Beschluß des Behindertenbeirates erfolgen kann und einer qualifizierten Mehrheit bedarf.

Zu Absatz 2

Von besonderer Bedeutung ist das Antragsrecht der oder des Behindertenbeauftragten, wodurch es möglich wird, den Gemeinderat mit Anliegen zu befassen, die behinderte Bürgerinnen und Bürger betreffen. Eine Auskunfts- und Unterstützungspflicht stellt sicher, daß die oder der Behinderbeauftragte die Aufgaben sachgerecht wahrnehmen kann.

Zu Absatz 3

Um die Erfüllung der Verpflichtung zur Beschäftigung Behinderter abzusichern, wird der oder dem Behindertenbeauftragten die Befugnis eingeräumt, die Aufstellung einer verbindlichen Planung zu verlangen, die nachprüfbare Schritte zur Verbesserung der Beschäftigungssituation Behinderter enthält.

Zu Absatz 4

Wie auch auf Landesebene hat die oder der Behindertenbeauftragte bei Verstößen keine Eingriffsrechte sondern ist beschränkt darauf, erforderlichenfalls eine Beanstandung gegenüber der Bürgermeisterin oder dem Bürgermeister zu äußern, deren Aufgabe es dann ist, für Abhilfe zu sorgen.

Zu Absatz 5

Für den örtlichen Bereich ist die oder der Behindertenbeauftragte auch die zuständige Stelle, um Eingaben Behinderter entgegenzunehmen.

Zu Absatz 6

Für die Landkreise ist die entsprechende Anwendung der vorstehenden Absätze vorgesehen.

Zu § 9 ( kommunale Behindertenbeiräte)

Zu Absatz 1

Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit wird ein Behindertenbeirat erst für Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohnern vorgeschrieben. Die Behindertenbeiräte haben ähnlich wie die Jugendhilfeausschüsse nach § 71 des Achten Buches des Sozialgesetzbuches die Rechtsstellung von Ausschüssen, für die sich das weitere aus § 53 der Niedersächsischen Gemeindeordnung beziehungsweise aus § 47b der Niedersächsischen Landkreisordnung ergibt. Ähnlich wie der Jugendhilfeausschuß setzt sich der Behindertenbeirat aus Mitgliedern der Kommunalvertretung oder von dieser gewählten Männern und Frauen einerseits sowie andererseits aus betroffenen Personen zusammen, die auf Vorschlag der örtlichen Selbsthilfevereinigungen oder anderer in der Arbeit behinderter Menschen tätigen gemeinnützigen Vereinigungen gewählt werden. Auch auf der örtlichen Ebene sind Behindertenbeauftragte und Behindertenbeirat zwar komplementär, aber in der Weise getrennt, daß die oder der Behindertenbeauftragte dem Behindertenbeirat ohne Stimmrecht zugehört.

Zu Absatz 2

Der Aufgabenbereich, für den der Behindertenbeirat zuständig ist, konzentriert sich auf die Planung und Festlegung der Förderung für den örtlichen Bereich.

Zu Absatz 3

Ähnlich wie der Jugendhilfeausschuß hat der Behindertenbeirat in dem ihm von der kommunalen Vertretungskörperschaft eingeräumten Rahmen das Recht, über die Grundzüge der zu vergebenden Mittel zu bestimmen. Darüber hinaus hat er das Recht, den Rat oder Kreistag mit Angelegenheiten zu befassen, die Behinderte betreffen. Für die wünschenswerte Transparenz und Bürgernähe sorgt die Öffentlichkeit der Behindertenbeiratssitzungen.

Zu Absatz 4

Die Verzahnung von Behindertenbeirat und Behindertenbeauftragter oder Behindertenbeauftragtem wird abgesehen von der in Absatz 1 geregelten Mitgliedschaft der oder des Behindertenbeauftragten im Behindertenbeirat durch eine Informationspflicht und die Befugnis des Behindertenbeirates bewirkt, von ihr oder ihm eine Stellungnahme zu den Beschlüssen des Behindertenbeirates einzufordern.

Zu § 10 (Verwaltungsstellen)

Zu Absatz 1

Für die Umsetzung der Aufgaben und Ziele nach diesem Gesetz erweist es sich als notwendig, verwaltungsorganisatorische Maßnahmen zu ergreifen, die sicherstellen, daß Verwaltungsentscheidungen, die die Lebensbedingungen Behinderter betreffen, als Querschnittsaufgabe verstanden werden. Dies betrifft vor allem den Bereich der Leistungsverwaltung, wo nebeneinander Jugendhilfe und Sozialhilfe verwaltet werden sowie innerhalb der Sozialämter die Aufgliederung in Hilfe zum Lebensunterhalt, Krankenhilfe, Eingliederungshilfe und Hilfe zur Pflege. Letzteres kann ohne weiteres dazu führen, daß für eine behinderte Person innerhalb eines Sozialamtes vier Akten geführt und vier verschiedene Stellen zuständig sind. Demgegenüber wird hier für die effektive Wahrnehmung der Belange der Behinderten das Gesamtfallprinzip vertreten. Da hier lediglich eine Änderung der Organisation vorgesehen ist, dürfte sich eine solche Änderung weitgehend kostenneutral umsetzen lassen.

Zu Absatz 2

Aufgabe dieser Verwaltungsstellen ist über die Verwaltung der Sozialleistungen nach diesem Gesetz und anderen Vorschriften hinaus die Planung der Daseinsvorsorge für Behinderte in verschiedenen Bereichen insbesondere im häuslichen aber auch im weiteren sozialen Bereich.

Zu Absatz 3

Im Rahmen ihrer Planungszuständigkeit haben die Stellen auch die Aufgabe, mit anderen Behörden, Selbsthilfevereinigungen und anderen Vereinigungen zusammenzuwirken, um durch eine abgestimmte Planung möglichst effektiv die Lebenssituation behinderter Menschen zu verbessern.

Zu § 11 (Selbsthilfeeinrichtungen)

Zu Absatz 1

Für die Verbesserung der Lebenssituation Behinderter ist es erforderlich, soziale Zusammenhänge im Sinne einer Vernetzung herzustellen, die als Systeme der gegenseitigen Hilfeleistungen in Selbsthilfeeinrichtungen einen hohen Grad an Selbstbestimmung ermöglichen. Neben diesen Einrichtungen soll die Tätigkeit gemeinnütziger Vereinigungen gefördert werden, die Selbsthilfe oder Unterstützung behinderter Menschen als Zweck verfolgen. Hierbei wird der Schwerpunkt auf eine ehrenamtliche Tätigkeit gelegt, die die bislang brachliegende Bereitschaft und Fähigkeit der Bürgerinnen und Bürger zu sozialem Engagement nutzbar macht. Die Organisation und Verwaltung von Nachbarschafts- und anderen Hilfsdiensten ermöglicht es auch, zusätzliche gemeinnützige Tätigkeiten für Personen anzubieten, die Sozialhilfe beziehen und gerne zu einer sinnfüllenden Tätigkeit bereit sind, die ihnen soziale Anerkennung vermittelt und ihr Selbstwertgefühl steigert. Es versteht sich von selbst, daß bei Dienstleistungen auf einer solchen Basis neben einer Aufwandsentschädigung ein ausreichender Versicherungsschutz für die so tätig werdenden Personen gewährleistet sein muß.

Zu Absatz 2

Die Förderung für die vorgenannten Organisationen kann auf die unterschiedlichste Weise erfolgen. Neben Betriebskostenzuschüssen kommen auch Sachleistungen wie die Nutzung von Räumlichkeiten oder Einrichtungen in Betracht. In jedem Falle soll bei der Förderung der Schwerpunkt auf der selbstbestimmten Lebensführung der Behinderten liegen.

Zu § 12 (Anspruch auf Assistenz)

Zu Absatz 1

Ausgehend von der oder dem Behinderten werden hier zwei Ansprüche begründet, nämlich einmal der Anspruch auf Sachleistungen und zum anderen der Anspruch auf eine einheitliche Entscheidung aus einer Stelle. Während der erstgenannte Anspruch, soweit er nicht auf gesetzliche Sozialleistungen gerichtet ist, nach Maßgabe der vom Rat oder Kreistag bereitgestellten Mittel und der vom Behindertenbeirat aufgestellten Vergaberichtlinien zu bescheiden ist, stellt der zweitgenannte sicher, daß sozusagen aus einer Hand eine Entscheidung unter Einbeziehung des Gesamtbedarfes und aller in Betracht kommenden Anspruchsgrundlagen erfolgt.

Zu Absatz 2

Die Assistenzleistungen in diesem Bereich betreffen vor allem den Bereich der selbstbestimmten Lebensführung. Soziale Kontakte, die ein System der gegenseitigen Hilfeleistungen fördern, sollen unterstützt werden, ebenso das Leben von Familien mit behinderten Kindern oder behinderten Eltern, die besonderer Förderung bedürfen.

Zu Absatz 3

Das Verhältnis des Anspruches nach Absatz 1 zu anderen Sozialleistungen wird so vorausgesetzt, daß es sich bei ersteren um freiwillige Leistungen handelt, die ergänzend zu den Pflichtleistungen nach anderen Vorschriften hinzutritt. Durch die Regelung der Zuständigkeit und des Verfahrensablaufes soll sichergestellt werden, daß die oder der Behinderte sich an die örtlich zuständige Stelle wenden und von dort eine Entscheidung unter Einbeziehung aller einschlägigen Leistungsvorschriften erhalten kann und - anders als dies zum Teil bisher gehandhabt wird - nicht von einem Amt zu einem anderen geschickt wird, weil dieses zuständig sei oder dort ein vorrangiger Anspruch geltend gemacht werden müsse.

Zu § 13 (Zuschüsse des Landes)

Zu Absatz 1

An der institutionellen Förderung der Selbsthilfeeinrichtungen beteiligt sich das Land bei den Investitionskosten, während die kommunale Förderung die Betriebskosten betrifft.

Zu Absatz 2

Die Aus- und Fortbildung der ehrenamtlich tätigen Personen stellt eine überörtliche Aufgabe dar, die in die Zuständigkeit des Landes fällt.

Zu Absatz 3

Die Behinderung von Kindern stellt Familien - meistens dort die Mütter - vor gravierende Probleme bei der Organisation von Transporten. Diese müssen zeitlich mit den häuslichen Abläufen koordiniert werden und überfordern häufig das an Wartezeiten und Wegstrecken Zumutbare. Selbst bei der Organisation von Fahrdiensten sind teilweise tägliche Fahr- und Wartezeiten von mehr als drei Stunden zu ertragen, was für die Kinder unzumutbar ist. Aber auch der teilweise sehr hohe Zeit- und Betreuungsaufwand im häuslichen Bereich engt die Zeit, die für notwendige Wegstrecken zur Verfügung steht, außerordentlich ein. Da zudem andere Sozialleistungen zur Deckung dieses Bedarfes regelmäßig nicht zur Verfügung stehen (diese werden hauptsächlich zum Erreichen des Arbeitsplatzes zur Verfügung gestellt), wird für bestimmte Fälle eine solche Beihilfe für erforderlich angesehen.

Zu Absatz 4

Die Entwicklung der EDV-gestützten Technologie zur Unterstützung Behinderter bietet in verschiedener Hinsicht neue Chancen. Zum einen erlaubt sie den Behinderten eine weitaus bessere Ausnutzung ihrer Fähigkeiten, so z. B. wenn Blinde mit einem PC mit Sprachsteuerung, Scanner und Brailletastatur in die Lage versetzt werden, gedruckte Literatur auch ohne Vorlesekraft auszuwerten und selbst Texte in Normalschrift zu entwerfen. Zum anderen bietet diese Technologie bisher noch kaum genutzte Wachstumschancen mit entsprechenden Arbeitsplätzen. Von daher stellt sich eine solche Förderung durch das Land nicht nur als Investition zugunsten Behinderter, sondern auch als Förderung der Technologie dar.

Zu Absatz 5

Die Ausformulierung der Einzelheiten soll der Landesregierung überlassen werden, die zum Erlaß entsprechender Verordnungen ermächtigt wird.

Zu § 14 (Arbeitsbefreiung)

Zu Absatz 1

Ähnlich wie im Bereich der Jugendpflege (Gesetz vom 29.06.1962 Nds.GVBl. S. 74) soll das ehrenamtliche Engagement in der Behindertenhilfe dadurch unterstützt werden, daß ein Anspruch auf Arbeitsbefreiung begründet wird.

Zu Absatz 2

Um sicherzustellen, daß nur der hier angesprochene Adressatenkreis begünstigt wird, ist es erforderlich, daß eine entsprechende Feststellung verbindlich getroffen wird.

Zu § 15 (Beschäftigungspflicht)

Im Hinblick auf die Beschäftigung Behinderter kommt dem öffentlichen Dienst eine Vorbildfunktion zu. Wird festgestellt, daß dort durchgängig die in § 5 Abs.1 Schwerbehindertengesetz begründete Beschäftigungspflicht nicht erfüllt wird, ist dies nicht akzeptabel. Über die im Schwerbehindertengesetz begründete Verpflichtung hinaus wird eine Verpflichtung auch zu angemessener Berücksichtigung auf Beförderungsstellen und Führungspositionen als notwendig erkannt.

Zu Absatz 1

Bei der Förderung der Beschäftigung Behinderter ist für die Möglichkeit beruflicher Entwicklung Sorge zu tragen; auf die sich aus § 50 Absatz 1 Schwerbehindertengesetz ergebende Verpflichtung wird hierbei hingewiesen. Es soll auch darauf geachtet werden, daß Arbeitsplätze und -bereiche so zugeschnitten sind, daß nach Möglichkeit auch Behinderte die Aufgaben wahrnehmen können.

Zu Absatz 2

Kern der Beschäftigungspflicht ist die Einhaltung der Beschäftigungspflicht nach § 5 Absatz 1 Schwerbehindertengesetz. Die Möglichkeit, sich der Beschäftigungspflicht zu entziehen und die Ausgleichsabgabe gewissermaßen als "lästige Alternative" in Kauf zu nehmen, wird erheblich eingeschränkt. Die Schwerbehindertenvertretung wird in die Lage versetzt, dadurch auf die Beschäftigung Behinderter zu drängen, daß die Besetzung von Stellen mit Nichtbehinderten nicht vollzogen werden kann. Bei der Ausübung des insoweit eingeräumten Ermessens wird die Schwerbehindertenvertretung unter anderem auch berücksichtigen müssen, in welchem Umfang Behinderte mit einer Beeinträchtigung geringeren Grades beschäftigt werden. Der Widerspruch der Schwerbehindertenvertretung hat aufschiebende Wirkung. Die Dienststelle hat die Letztentscheidung, muß aber vor einer Zurückweisung des Widerspruches die zuständige Behindertenbeauftragte oder den zuständigen Behindertenbeauftragten beteiligen.

Zu § 16 (Auftragsvergabe und Leistungsgewährung)

Die Einflußnahme auf Private zur Durchsetzung der Ziele des Gesetzes wäre im Hinblick auf die Sozialbindung des Eigentums im gewissen Umfang auch durch Eingriffsregelungen denkbar. Solche werden hier aber nicht vorgeschlagen. Vielmehr wird auf positive Anreize gesetzt, die bei der Vergabe von Aufträgen oder Fördermitteln zum Tragen kommen können (vgl. insoweit auch §§ 14 und 15 des Gesetzes zur Gleichstellung von Frauen und Männern im öffentlichen Dienst im Land Brandenburg vom 04.07.1994 GVBl.S.254).

Zu § 17 (Verwaltungsverfahren)

Zu Absatz 1

Da davon auszugehen ist, daß die mit der Ausführung dieses Gesetzes befaßten Stellen im übrigen hauptsächlich Aufgaben der Sozialverwaltung wahrnehmen, wird es aus Gründen der Verwaltungsvereinfachung und Rechtssicherheit als sachdienlich angesehen, das Verfahrensrecht nach dem Zehnten Buch des Sozialgesetzbuches als einheitliches Verwaltungsverfahrensrecht vorzuschreiben.

Zu Absatz 2

Für Personen, die mit Beeinträchtigungen leben, die die Kommunikation behindern, stellt der Kontakt zu Behörden eine erhebliche Schwierigkeit dar. Im beiderseitigen Interesse wird es zur Pflicht der Behördenseite gemacht, die etwa erforderlichen Mittel und Dienste bereitzuhalten oder hinzuzuziehen.

Zu § 18 (Rechtsschutz)

Zu Absatz 1

Werden Behinderte durch Maßnahmen beeinträchtigt oder wird ihnen ein berechtigter Anspruch nicht erfüllt, fehlt ihnen häufig die Kraft, ihre Rechte durchzusetzen. Solche Vorgänge sind aber oft symptomatisch für bestimmte Situationen und reichen in ihrer Bedeutung über den Einzelfall hinaus. Es besteht daher ein öffentliches Interesse an der Durchsetzung der Ziele dieses Gesetzes auch in individuellen Verfahren. Da Verwaltungsrechtsschutz regelmäßig davon abhängt, daß der Kläger eine unmittelbare Verletzung seiner Rechte geltend machen kann, bedarf die Ausweitung der Klagbefugnis gemäß § 42 Absatz 2 Verwaltungsgerichtsordnung einer entsprechenden gesetzlichen Regelung. Außer für die Behindertenbeauftragten wird auf diese Weise auch eine Klagbefugnis für Verbände begründet. Zu Absatz 2

Im Falle einer Personalentscheidung, die Behinderte benachteiligt oder deren Anspruch auf Gleichstellung und Förderung nicht hinreichend beachtet, ist es für die Behinderten regelmäßig schwierig, nachzuweisen, daß eine Entscheidung zu ihren Gunsten nicht möglich gewesen wäre. Da es sich um amtsinterne Vorgänge handelt, erscheint es als ein Gebot der Fairneß, der Behördenseite insoweit die Darlegungs- und materielle Beweislast aufzuerlegen.

Zu Absatz 3

Für den Fall, daß es - bei Schadensersatzansprüchen - darauf ankommt, ob ein Verstoß gegen die Vorschriften dieses Gesetzes schuldhaft erfolgt ist, erscheint es im Sinne der Realisierung der Zwecke des Gesetzes gerechtfertigt, den Behinderten die Darlegungslast hinsichtlich der objektiven Seite der Benachteiligung oder Behinderung aufzuerlegen. Ist dieser Nachweis geführt, wird ein Verschulden vermutet; diese Vermutung kann aber von der Behörde widerlegt werden.

Zu Artikel III (Kindertagestättengesetz)

Allgemeines

Das Kindertagesstättengesetz enthält in seiner bisherigen Fassung bereits Grundlagen für eine integrative Erziehung und Betreuung behinderter Kinder. Diese Ansätze werden konsequent weiter verfolgt und ausgebaut.

Zu den Einzelvorschriften

Zu Nummer 1

Um die Voraussetzungen für die integrative Betreuung behinderter Kinder zu verbessern, werden die Anforderungen an die räumliche Gestaltung und Ausstattung entsprechend spezifiziert.

Zu Nummer 2

Da der Gesichtspunkt der integrativen Betreuung führend ist, wird der Anspruch auf einen Kindergartenplatz für behinderte Kinder im Sinne des Rechtes der Eltern modifiziert, die Kinder nach Wahl in einer Einrichtung gemeinsam mit nichtbehinderten Kindern oder in einer besonderen Einrichtung betreuen zu lassen.

Zu Artikel IV (Schulgesetz)

Allgemeines

Auch im Schulbereich wird der Ansatz zugunsten einer integrativen Schulerziehung weiterverfolgt. Die Änderungen schaffen hierfür die notwendigen rechtlichen Grundlagen und sehen notwendige organisatorische Veränderungen vor.

Zu den Einzelvorschriften

Zu Nummer 1

An die Stelle der bisherigen Regelung, die zwar für den Regelfall die integrative Beschulung forderte, aber unter dem Vorbehalt der organisatorischen, personellen und sächlichen Gegebenheiten stand, wird nunmehr für den Regelfall ein uneingeschränktes Wahlrecht eingeführt. Die Erfahrung mit der bisherigen Regelung zeigt, daß die integrative Beschulung zu häufig von dem Willen und Engagement der in den einzelnen Einrichtungen und Behörden entscheidenden Personen abhängt, die von der Bedeutung der integrativen Beschulung offenbar sehr unterschiedliche Einschätzungen haben. Von daher dürfte der Durchbruch für die Ziele der integrativen Unterrichtung von einer klaren gesetzgeberischen Entscheidung abhängen, dieses Prinzip durchzusetzen. Die bisher vorgelagerte Frage, ob dies denn in organisatorischer, personeller und sächlicher Hinsicht durchführbar wäre, wird nunmehr zur nachgeordneten Frage, wie sich die gesetzgeberische Entscheidung umsetzen läßt. Das "Wie" zu entscheiden, ist Aufgabe der Verwaltung, die sich auch der Frage adäquater Unterrichtung Schwerhöriger und Gehörloser annehmen muß. Eine Beschulung in Sonderschulen soll nach Wahl der Eltern oder der volljährigen Schülerinnen und Schüler weiterhin möglich bleiben.

Zu Nummer 2

Ein besonderer Regelungsbedarf wird im Hinblick auf die Sonderschulen für Schwerhörige und Gehörlose gesehen. Hier liegt der Schwerpunkt auf einer möglichst frühen Entwicklung des Sprachverständnisses. Es entspricht dem wissenschaftlichen Erkentnisstand, daß die Sprache die wesentliche Trägerin für die Entwicklung der in unserer Gesellschaft relevanten Intelligenz und die Grundlage für eine soziale Integration ist. Die Bedeutung eines möglichst frühen Spracherwerbs kann von daher nicht hoch genug eingeschätzt werden.

Zu Nummer 3

Die integrative Beschulung setzt voraus, daß die Schulen mit den Behörden eng zusammenarbeiten, die im außerschulischen Bereich die Assistenz und sonstigen Hilfen zur Entwicklung der behinderten Schülerinnen und Schüler gewährleisten.

Zu Nummer 4

Die integrative Beschulung setzt bei Schülerinnen und Schülern mit Sehbehinderungen die Einführung adäquater Lernmittel voraus, die eine entsprechende selbständige Nachbereitung des Wissensstoffes - z. B. am PC - ermöglichen.

Zu Nummer 5

Nach der bisher überwiegenden Auffassung war es Aufgabe der Schulen, das für eine zielgleiche oder zieldifferente Unterrichtung erforderliche pädagogische Personal zu stellen, nicht aber das zur persönlichen Assistenz erforderliche. Hieraus hat sich eine Diskussion ergeben, in der regelmäßig über die Abgrenzung und die Verpflichtung der Träger der Sozialhilfe zur Zahlung der Kosten der persönlichen Assistenz gestritten wurde, die bis hin zu gerichtlichen Eilverfahren geführt hat. Um den Betroffenen künftig derartige Auseinandersetzungen zu ersparen und die gesamte notwendige Betreuung in einer Hand zu konzentrieren, wird klargestellt, daß auch das für die persönliche Assistenz notwendige Personal in einem unmittelbaren Dienstverhältnis zum Land steht.

Zu Nummer 6

Es handelt sich um eine Folgeänderung zu Nummer 7.

Zu Nummer 7

Da die integrative Unterrichtung als Regelfall gilt, wird die Erfüllung der Schulpflicht durch den Besuch einer Sonderschule zu einer fakultativen Ausnahme. Für den Fall, daß wegen der Schwere der Beeinträchtigung ein Schulbesuch nicht möglich ist, überwiegen die Gesichtspunkte der Eingliederungshilfe, weswegen dem hierfür zuständigen Sozialleistungsträger gemeinsam mit dem Erziehungsberechtigten die Entscheidung übertragen werden kann, auf welche Weise die Schulpflicht zu erfüllen ist. Für eine Anordnung der Schulbehörde, die Schülerin oder den Schüler in einem Heim oder einer Pflegefamilie unterzubringen, wird im vorliegenden Zusammenhang kein Bedarf gesehen.

Zu Artikel V (Hochschulgesetz)

Zu Nummer 1

Es soll sichergestellt werden, daß eine der Begabung und Befähigung behinderter Studentinnen und Studenten sowie des wissenschaftlichen und des künstlerischen Personals gerecht werdende Entwicklung erfolgt, die die besonderen Bedürfnisse dieses Personenkreises berücksichtigt.

Zu Nummer 2

Auch bei der Ausgestaltung der Studiengänge soll den Bedürfnissen von Studentinnen und Studenten, die in ihrer Kommunikationsfähigkeit oder Motorik eingeschränkt sind, frühzeitig Rechnung getragen werden.

Zu Nummer 3

Um feststellen zu können, ob sich die Ziele des Gesetzes auch im Hochschulbereich mit den hier bisher eingesetzten Mitteln realisieren lassen, ist in dem nach § 10 Absatz 1 geschuldeten Bericht auf die Situation behinderter Studentinnen, Studenten und des wissenschaftlichen oder künstlerischen Personals besonders einzugehen.

Zu Artikel VI (Graduiertenförderung)

Der besonders schwierigen Situation des wissenschaftlichen Nachwuchses mit Behinderungen soll dadurch Rechnung getragen werden, daß sowohl der Zeitraum für die Förderung als auch die Höhe des Stipendiums verdoppelt werden kann.

Zu Artikel VII (Bauordnung)

Allgemeines

Schon in den letzten Jahren sind einige Änderungen des Bauordnungsrechts vorgenommen worden, um den Bedürfnissen Behinderter bei der Nutzung von Baulichkeiten Rechnung zu tragen. Diese werden allerdings als noch unzureichend angesehen, um etwa der Forderung nach Barrierefreiheit zu genügen.

Zu den Einzelvorschriften

Zu Nummer 1

Bei der Formulierung der grundlegenden Anforderungen an bauliche Anlagen ist es erforderlich, auf die Notwendigkeit der Beachtung der Grundsätze barrierefreien Wohnens hinzuweisen. Damit wird ein Prinzip konkretisiert, das für die Nutzung von Baulichkeiten durch Behinderte grundlegenden Charakter hat.

Zu Nummer 2

Die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit von öffentlichen und Wohngebäuden muß von vornherein den Bedürfnissen Behinderter Rechnung tragen. Die vorgesehenen Vorgaben gelten aber aus Gründen der Verhältnismäßigkeit für Ein- oder Zweifamilienhäuser nicht.

Zu Nummer 3

Für Behinderte, die in ihrer Mobilität eingeschränkt und auf Gehhilfen oder einen Rollstuhl angewiesen sind, ist die Verfügbarkeit eines wohnungsnahen Einstellplatzes eine wichtige Voraussetzung für behindertengerechtes Wohnen.

Zu Nummer 4

Je nach Art der Behinderung benötigen Behinderte für die Fortbewegung außerhalb der Wohnung einen anderen Rollstuhl als innerhalb der Wohnung. Dies betrifft vor allem größere Selbstfahrer-Rollstühle. Die sichere Unterbringung der nicht in der Wohnung genutzten Rollstühle stellt ein Problem dar, das bereits bei der Neuerrichtung von Gebäuden bedacht sein muß.

Zu Nummer 5

Die Aufzählung der baulichen Anlagen, für die besondere Anforderungen an die Zugänglichkeit und Nutzbarkeit gestellt werden, wird um Verkaufsstätten, Gaststätten und Beherbergungsbetriebe erweitert, weil gerade die Nutzung solcher Baulichkeiten für die Teilnahme Behinderter am täglichen Leben ganz wesentliche soziale Bedeutung hat. Bei der Erteilung von Ausnahmen und Befreiungen sichert ein Zustimmungsvorbehalt zugunsten des oder der Behindertenbeauftragten die hinreichende Berücksichtigung der Belange Behinderter, was unter anderem in entsprechenden Nebenbestimmungen seinen Niederschlag finden kann. Um die zügige Abwicklung zu gewährleisten und auch nicht in jedem Einzelfall eine ausdrückliche Stellungnahme des oder der Behindertenbeauftragten erforderlich zu machen, wird die Erteilung der Zustimmung fingiert, wenn sie nicht innerhalb von 14 Tagen verweigert worden ist.

Zu Nummer 6

Die Aufzählung der besonderen Anforderungen an bauliche Anlagen oder Räume besonderer Art oder Nutzung wird um den Gesichtspunkt der Zugänglichkeit und Nutzbarkeit durch Behinderte erweitert. Das ermöglicht es, diesbezüglich im Einzelfall noch weitergehende Anforderungen zu stellen.

Zu Nummer 7

Als flankierende Maßnahme wird der Katalog der Ordnungswidrigkeiten um den Verstoß gegen die Vorschriften über das barrierefreie und behindertengerechte Bauen erweitert.

Zu Artikel VIII (Allgemeine Durchführungsverordnung zur Bauordnung)

Die Definition der Begriffe wird um den des barrierefreien Bauens erweitert und durch die Bezugnahme auf die DIN 18024 Teil I und II und DIN 18025 als Mindestvoraussetzung konkretisiert.

Zu Artikel IX (Denkmalschutzgesetz)

Maßnahmen, die die Zugänglichkeit von Denkmalen für Behinderte erleichtern, sollen begünstigt werden.

Zu Artikel X (Personennahverkehr)

Zu Nummer 1

Solange der regelmäßig verkehrende öffentliche Personennahverkehr nicht so gestaltet ist, daß er für alle Behinderten nutzbar ist, sind Fahrdienste notwendig, um die Mobilität auch dieses Personenkreises zu gewährleisten. Deren Organisation wird den Trägern des öffentlichen Personennahverkehrs aufgegeben. Für die Durchführung der Beförderung werden sicherlich flexible Lösungen nach den jeweiligen örtlichen Verhältnissen gesucht werden müssen, die auch den Einsatz von Taxen oder Spezialtransportfahrzeugen von Subunternehmern umfassen können.

Zu Nummer 2

Für die rechtzeitige Berücksichtigung der Belange Behinderter ist es notwendig, die frühzeitige Beteiligung der oder des Behindertenbeauftragten sicherzustellen.

Zu Artikel XI (Straßengesetz)

Behinderte, die in ihrer Mobilität oder Sehfähigkeit beeinträchtigt sind, sind für die Nutzung der Straßen darauf angewiesen, daß Vorkehrungen getroffen werden, die es ihnen ermöglichen, leicht und sicher am Straßenverkehr teilzunehmen. Dazu gehören unter anderem akustische Orientierungshilfen oder abgesenkte Gehwegkanten.

Zu Artikel XII (Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen für psychisch Kranke)

Zu Nummer 1

Aufgrund der psychischen Beeinträchtigung sind solcher Art behinderte Menschen häufig nicht in der Lage, in entscheidenden Situationen adäquat zu reagieren und ihre Vorstellungen zu äußern. In solchen Situationen, zu denen auch eine Untersuchung gehört, bei der die Frage der Notwendigkeit einer Unterbringung geklärt werden soll, erscheint es aus dem Gesichtspunkt der Selbstbestimmung und Interessenwahrung angebracht, den Anspruch auf die Hinzuziehung einer Vertrauensperson zu begründen.

Zu Nummer 2

Im Rahmen der zwangsweisen Unterbringung und Behandlung soll dem Betroffenen nicht mehr Zwang begegnen als unerläßlich. Aus diesem Grunde ist es geboten, für den Fall, daß verschiedene Möglichkeiten der Heilbehandlung bestehen, dem Wunsch der Betroffenen zu entsprechen.

Zu Nummer 3

Die Einrichtungen, in denen eine zwangsweise Unterbringung erfolgt, sind häufig keine Heime im Sinne des Heimgesetzes. Die dort getroffenen Regelungen bezüglich eines Heimbeirates finden dann keine Anwendung. Die Interessenlage der längerfristig untergebrachten Personen ist aber ähnlich wie in Heimen, weshalb es naheliegt, eine derartige Einrichtung auch in diesem Bereich vorzusehen. Auf diese Weise haben die betroffenen Behinderten die Möglichkeit, auf die Abläufe und Einrichtungen einzuwirken und so aus der Rolle eines Objektes der Behandlung herauszukommen. Schließlich dient eine solche Patientenvertretung auch dem kollektiven Schutz der Rechte der einzelnen Behinderten.

Artikel XIII (Erwachsenenbildung)

Zu Nummer 1

Gerade für Behinderte mit einer häufig dem üblichen Ablauf nicht entsprechenden Bildungsbiographie, bietet die Erwachsenenbildung eine wichtige Möglichkeit, Bildungschancen, die in der üblichen Schulzeit nicht wahrgenommen werden konnten, nachzuholen. Von daher ist es besonders wichtig, daß für diesen Adressatenkreis spezifische Angebote geplant werden.

Zu Nummer 2

Um eine Ausgrenzung Behinderter zu vermeiden, muß zu den Förderungsvoraussetzungen hinzukommen, daß die Angebote auch Behinderten offenstehen.

Zu Artikel XIV (Bildungsurlaub)

Zur Förderung der sozialen Integration wird es als sinnvoll angesehen, Bildungsangebote, die diese Zielsetzung verfolgen, ausdrücklich von den Einschränkungen des Absatzes 2 Nummern 4 bis 6 auszunehmen.

Zu Artikel XV (Rückkehr zum Verordnungsrang)

Durch Artikel VIII ist die bisherige Regelung der Verordnung nunmehr durch Gesetz geändert worden. Damit in diesem Zusammenhang auch im Verordnungswege wieder Änderungen vorgenommen werden können, bedarf es der entsprechenden Ermächtigung.