Wer
"krankfeiert", dem droht der direkte Weg in die Beschäftigungslosigkeit
Die Ausdrücke "ich lasse mich krankschreiben" oder "ich
hole mir den gelben Schein" kennt jeder und nicht selten steht dahinter die
eigentliche Bedeutung: Der Arbeitnehmer "feiert" krank, wobei der eigentliche
Grund nicht eine krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit ist, sondern der Wunsch, sich für
einen bestimmten Zeitraum zu "erholen". Auch wenn vielleicht eher unbedeutende
Gesundheitsstörungen vorliegen, ist doch meistens klar, daß es bei objektiver
Betrachtungsweise noch zur Dienstleistung reichen könnte. Für den Arbeitgeber wird
dieser "Sonderurlaub" verpackt durch das durch einen Arzt ausgestellte Attest,
die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (bzw. die Dienstunfähigkeitsbescheinigung bei
Beamten), die grundsätzlich spätestens nach dem 3. Krankheitstag einzureichen ist.
Obwohl der Arzt zu einer sorgfältigen Prüfung der Beschwerden des Patienten auch im
Hinblick auf das zu erstellende Attest verpflichtet ist, werden hier doch gelegentlich
beide Augen zugedrückt, nicht zuletzt auch durch die Befürchtung, der eigentlich für
arbeitsfähig befundene Patient könne zu einem kooperativen Arzt wechseln. Auch die
Cleverness der Patienten und gesteigerte schauspielerische Leistungen, erschweren dem Arzt
seine eigentliche Aufgabe. Der Arzt, der wie auch immer zur Ausstellung eines unrichtigen
Gesundheitszeugnisses veranlaßt wird, macht sich unter Umständen strafbar. Jährlich
entstehen den Arbeitgebern und Krankenkassen enorme Kosten durch die Arbeitsunfähigkeit,
denn das Arbeitsentgelt wird meistens während der ersten 6 Wochen weitergezahlt, danach
setzt das Krankengeld ein. Vor allem in größeren Betrieben und im öffentlichen Dienst
ist festzustellen, daß die Arbeitsmoral geringer ist als in Kleinbetrieben. Dies ist zum
einen bedingt durch eine größere Anonymität und zum anderen durch eine geringere
Kontrolle. In Kleinbetrieben hingegen existiert eine größere Angst vor dem Verlust des
Arbeitsplatzes, zumal der gesetzliche Kündigungsschutz erst in Betrieben mit mehr als 10
Arbeitnehmern greift, die Arbeitsmotivation scheint deshalb höher zu sein.
Auch wenn es verschiedene Gründe geben kann, aus einer leichten Befindlichkeitsstörung
eine ausgedehnte Arbeitsunfähigkeit zu machen (z.B. fehlende Mitarbeitermotivation,
Streß), ist sie dennoch nicht zu rechtfertigen, denn sie schädigt nicht nur den
Arbeitgeber bzw. den Dienstherrn, sondern auch die restliche Belegschaft, die für den
Krankfeiernden zum Teil unbezahlte Mehrarbeit leisten muß. Diese Unsitte scheint für
manch einen Zeitgenossen lediglich ein Kavaliersdelikt darzustellen, die auch damit
begründet wird, daß dies doch gang und gebe sei und schließlich auch andere dies so
machen.
Die bisherige Rechtsprechung macht es dem erkrankten Arbeitnehmer auch nicht sonderlich
schwer: In Zweifelsfällen hat der Arbeitgeber zu beweisen, daß tatsächlich ein
Krankfeiern vorliegt. Dabei kommt der vom Arbeitnehmer vorgelegten
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ein hoher Beweiswert zu, die zwar vom Arbeitgeber
angezweifelt werden kann, aber im Regelfall nur schwer zu widerlegen ist. Zum einen ist
der Arbeitnehmer grundsätzlich nicht verpflichtet, Auskünfte über seine Krankheit zu
geben oder den Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden, zum anderen führen erzwungene
gesundheitliche Untersuchungen gerade bei Kurzerkrankungen nur selten zum Erfolg, da sie
meist zu spät erfolgen.
So bleibt dem frustrierten Arbeitgeber, der einem solchen Verdacht nachgeht, ihn aber
nicht beweisen kann, nur die Möglichkeit, auf andere Weise Indizien zu sammeln, sei es
durch Zeugen, Fotos oder andere Nachweise. Selbst die Einschaltung eines Dedektives kann
manchmal nur das letzte Mittel sein, einen Verdacht nachzuweisen. Sofern dies aber doch
gelingen sollte, verliert die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ihren Beweiswert, dann
trifft nämlich den Arbeitnehmer die Darlegungslast für seine Krankheit. Sollte er dann
nicht beweisen können, daß er tatsächlich krank war, dann ist eine Kündigung (evtl.
auch außerordentlich) - auch ohne vorherige Abmahnung - kaum noch zu verhindern und auch
die Aussichten in einem Kündigungsschutzprozeß sind dann eher düster, denn das
Vertrauensverhältnis ist somit nachweislich zerstört. Auch wenn diese Fälle eher selten
sind, sie sollten ein mahnendes Beispiel sein.
Ein Urteil des Hessischen Landesarbeitsgerichts bestätigte die fristlose
Kündigung wegen "Krankfeierns"
In seinem Urteil vom 7.8.97 -Az. 12 Sa 297/97- erklärte das Hessische
Landesarbeitsgericht die Kündigung einer Krankenschwester wegen "Krankfeierns"
für rechtswirksam. Diese war aufgrund eines Karpaltunnel-Syndroms arbeitsunfähig krank
geschrieben. Kurz nach dieser Erkrankung arbeitete sie an 3 Tagen in Nachtschicht und
beantragte anschließend Urlaub. Nach Beendigung dieses Urlaubs reichte sie rückwirkend
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ein, die sowohl den Urlaub als auch die Tage des
Nachtschicht-Dienstes betrafen. Die Krankenhausträgerin bezweifelte diese Atteste mit der
Begründung, die Krankenschwester habe schließlich an 3 Tagen Nachtschicht geleistet und
erteilte eine Abmahnung wegen verspäteter Vorlage der Atteste. Anschließend war die
Krankenschwester erneut arbeitsunfähig krank geschrieben bis zu einem neuerlichen Urlaub
bzw. einer Kurmaßnahme. Auch danach wurde ein weiteres Attest wegen Arbeitsunfähigkeit
vorgelegt. Kurz vor Ablauf des Attestes stellte sich durch einen Besuch zweier Mitarbeiter
der Krankenhauspersonalabteilung in der Praxis des Ehemannes der Krankenschwester heraus,
daß diese ohne Bewegungseinschränkung für eine halbe Stunde dort aushalf. Nach
Beendigung der Krankheit wurde sie zum Vorwurf der ungenehmigten Nebentätigkeit im
Krankenstand angehört, außerdem wurde der Personalrat über die beabsichtigte Kündigung
aus wichtigem Grund unterrichtet und angehört. Als dieser nicht widersprach, wurde der
Krankenschwester mit sofortiger Wirkung gekündigt. Das Gericht hat mit seinem Urteil die
eingereichte Kündigungsschutzklage abgewiesen.
Seiner Entscheidung legte das Gericht vor allem folgende Überlegungen zugrunde:
Geht ein Arbeitnehmer während einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit
schichtweise einer Nebenbeschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber nach, so kann eine
außerordentlich Kündigung - auch ohne Abmahnung - gerechtfertigt sein.
Erschüttert der Arbeitgeber den Beweiswert einer vorgelegten
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, ist stets zu prüfen, ob diese Umstände so gravierend
sind, daß sie ein starkes Indiz für die Behauptungen des Arbeitgebers darstellen, die
Krankheit sei vorgetäuscht, so daß der Arbeitnehmer diese Indizwirkung entkräften muß.
Ist der Beweiswert des Attestes erschüttert, muß der Arbeitnehmer genau darlegen, welche
Krankheiten vorgelegen haben, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben,
welche Verhaltensmaßregeln der Arzt gegeben hat, welche Medikamente zum Beispiel bewirkt
haben, daß der Arbeitnehmer zwar zu leichten anderweitigen Tätigkeiten in der Lage war,
die Arbeit bei seinem Arbeitgeber jedoch nicht verrichten konnte.
Erst wenn diese Substantiierungspflicht erfüllt ist und ggf. die Ärzte von der
Schweigepflicht entbunden sind, muß der Arbeitgeber aufgrund der ihm obliegenden
Beweislast den konkreten Sachvortrag des Arbeitnehmers widerlegen.
Weiter wurde in dem Urteil herausgestellt, daß das Ausüben einer anderen schichtweisen
Beschäftigung während einer Krankheit, nicht nur das Vertrauensverhältnis zwischen
Arbeitgeber und Arbeitnehmer zerstöre, sondern auch ein Verstoß gegen die
Leistungspflichten darstelle. Da die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen insgesamt in
ihrem Beweiswert erschüttert seien, sei auch nach der erforderlichen Interessenabwägung
eine außerordentliche Kündigung zulässig.
Das Bundesarbeitsgericht entschied in zwei Urteilen über die Anforderungen an den
Nachweis bei Arbeitsunfähigkeit
Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) vom 1.10.1997 - 5 AZR 726/96 - befaßt sich mit
dem Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ab dem ersten Tag der Erkrankung. Dazu wurden
folgende Leitsätze vorgestellt (NJW 1998, Seite 2762):
- Der Arbeitnehmer, der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall begehrt, hat
darzulegen und zu beweisen, daß er arbeitsunfähig krank war.
- Diesen Beweis führt der Arbeitnehmer in der Regel durch Vorlage einer
ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Er kann diesen Beweis aber auch mit jedem
anderen zulässigen Beweismittel führen.
- Es ist zulässig, im Arbeitsvertrag zu vereinbaren, daß eine ärztliche
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bereits für den ersten Tag krankheitsbedingter
Arbeitsunfähigkeit beigebracht werden muß.
- Kommt der Arbeitnehmer seiner Verpflichtung zur Beibringung einer
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (§ 5 I 2, 3 Entgeltfortzahlungsgesetz - EFZG -) nicht
nach, so folgt hieraus allein kein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht des
Arbeitgebers, sondern nur ein Zurückbehaltungsrecht (§ 7 I Nr. 1 EFZG). Es endet, wenn
der Arbeitnehmer anderweitig bewiesen hat, arbeitsunfähig krank gewesen zu sein.
Ein anderes Urteil vom 1.10.1997 - 5 AZR 499/96 - befaßt sich mit dem Nachweis
der Arbeitsunfähigkeit bei Erkrankung im Ausland. Dazu wurden folgende Leitsätze
vorgestellt (NJW 1998, Seite 2764):
- Der Nachweis einer im Ausland aufgetretenen krankheitsbedingten
Arbeitsunfähigkeit (§ 5 II EFZG) ist durch eine ärztliche Bescheinigung zu führen, die
erkennen läßt, daß der Arzt zwischen Erkrankung und auf ihr beruhender
Arbeitsunfähigkeit unterschieden hat.
- Den vorgenannten Anforderungen genügt eine
Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nach Maßgabe des Deutsch-Türkischen
Sozialversicherungsabkommens.
- Der Nachweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit kann auch
durch andere Beweismittel geführt werden; das gilt auch, wenn die Erkrankung im Ausland
aufgetreten ist.
Weitere Informationen zu den Schlüsselwörtern
"Arbeitsunfähigkeit (AU)", "Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung",
"Abmahnung", (fristlose) "Kündigung" und "Kündigungsschutz" in Schell, W. "Arbeits- und Arbeitsschutzrecht für
die Pflegeberufe von A - Z". Brigitte Kunz Verlag, Hagen (2. vollständig
überarbeitete und aktualisierte Auflage 1998).
Werner Schell
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