Das Direktionsrecht des Arbeitgebers schließt Anordnungen zur
Arbeitnehmersicherheit ein
Das Landesarbeitsgericht (LAG) Schleswig-Holstein hat in einem
vielbeachteten Urteil vom 26. Oktober 1995 -4 SA 467/95- dazu Stellung genommen, ob und
inwieweit das Tragen von Schmuck während der Dienstzeit zulässig ist.
Die Entscheidung: Bei einer Gefährdung des Arbeitnehmers ist das Tragen
von Schmuck am Arbeitsplatz verboten; der Arbeitgeber darf geeignete Maßnahmen zum
Gesundheitsschutz ergreifen. Bei beharrlicher Weigerung, Sicherheitsvorschriften zu
beachten, kann seitens des Arbeitgebers statt einer arbeitsrechtlichen Abmahnung auch eine
verhaltensbedingte Kündigung erwogen werden.
Im entschiedenen Fall ging es um einen Pflegehelfer einer Fachklinik für Geistig- und
Mehrfachbehinderte. Der Pflegehelfer war im Nachtdienst einer geschlossenen Abteilung
eingesetzt und betreute dort 24 Personen. Er trug während der Dienstzeit verschiedene
Schmuckstücke; nämlich Ohrringe, Ringe und Stecker in den Augenbrauen und einem
Nasenflügel sowie einen Ehering und Fingerringe. Der in der Fachklinik eingerichtete
Ausschuß für Arbeitssicherheit hatte in einem Rundschreiben bestimmt, daß "das
Tragen von Schmuck (Fingerringe, Ohrringe, Armbanduhren, Nasenringe und -stecker,
Augenbrauenringe und ähnliche Gegenstände) in allen Bereichen, in denen es zu einer
Gefährdung des Mitarbeiters oder der Patienten/Bewohner führen kann, nicht gestattet
ist". Eine Gefährdung in diesem Sinne sah der Ausschuß in allen Bereichen der
Pflege, der Küche, der Stationsversorgung, der Hausreinigung, der Haustechnik und bei den
Beschäftigungstherapien. Den daraufhin ausgesprochenen Anordnungen und Aufforderungen der
Dienstvorgesetzten, den Schmuck abzulegen, kam der Pfegehelfer nicht nach. Daher erteilte
ihm die Fachklinik eine Abmahnung mit der gleichzeitigen Androhung einer Kündigung des
Arbeitsverhältnisses. Gegen diese Abmahnung wehrte sich der Pflegehelfer vor dem
Arbeitsgericht und bekam zunächst recht. Er strebte die Entfernung der Abmahnung aus der
Personalakte an. Die daraufhin von der Fachklinik eingelegte Berufung hatte vor dem LAG
Schleswig-Holstein Erfolg. Das LAG kam zu einer anderslautenden Entscheidung: Der
Pflegehelfer habe keinen Anspruch auf Rücknahme der Abmahnung, da sie ihm zu Recht
erteilt worden sei.
Das LAG mußte im Berufungsverfahren u.a. zu der Frage Stellung nehmen, in welchem
Verhältnis das verfassungsrechtliche Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers zu den
geltenden Arbeitsschutzbestimmungen (z.B. den Unfallverhütungsvorschriften - UVV -)
steht.
Bei seinen Erwägungen stellte das LAG heraus, daß die Anspruchsgrundlage für das
Begehren des Pflegers, die Abmahnung aus den Personalakten zu entfernen, in der Fürsorgepflicht
des Arbeitgebers liege. Der Arbeitgeber habe im Rahmen seiner allgemeinen Fürsorgepflicht
im Rahmen des § 242 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) nach den Grundsätzen von Treu und
Glauben auf das Wohl und die berechtigten Interessen des Arbeitnehmers zu achten. Dabei
sei aber herauszustellen, daß die Abmahnung zwar die Rechtsstellung des Arbeitnehmers
beeinträchtige, weil sie arbeitsrechtliche Konsequenzen androhe, im vorliegenden Fall
aber gerechtfertigt sei, weil der Pflegehelfer die Anweisungen nicht befolgt habe und
damit gegen eine Pflicht aus dem Arbeitsverhältnis verstoßen habe. Die Anweisungen
beruhten nämlich, so das LAG weiter, auf einer UVV der zuständigen Berufsgenossenschaft
für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege (BGW) und diese sei zwingendes Recht.
Darin ist festgelegt, daß Schmuckstücke, Armbanduhren oder ähnliche Gegenstände beim
Arbeiten nicht getragen werden dürfen, wenn sie zu einer Gefährdung führen können. Bei
der Klärung der Frage, wann eine Gefährdung vorliege, seien, so das AG, die konkreten
Umstände im Betrieb zu beachten. Eine Gefährdungslage sei durch den Ausschuß für
Arbeitssicherheit nach § 11 Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) der Fachklinik bejaht worden;
somit unterfalle der Pflegehelfer diesen Feststellungen. Durch das Tragen des Schmuckes
habe er gegen die begründete Regelung verstoßen. Dies rechtfertige eine Abmahnung und
ggf. eine anschließende Kündigung bei weiteren Pflichtverstößen.
- § 35 Abs. 3 UVV - Allgemeine Vorschriften der BGW (VBG 1) lautet:
Schmuckstücke, Armbanduhren oder ähnliche Gegenstände dürfen beim Arbeiten nicht
getragen werden, wenn sie zu einer Gefährdung führen können.
- Ergänzend bestimmt § 22 UVV - Gesundheitsdienst der BGW (VBG 103): In
Arbeitsbereichen mit erhöhter Infektionsgefährdung dürfen an Händen und Unterarmen
keine Schmuckstücke, Uhren und Eheringe getragen werden.
Die Einwände des Pflegehelfers, daß eine konkrete Gefährdungslage nicht
gegeben sei, weil die Patienten ohnehin ruhiggestellt seien, wollte das LAG nicht gelten
lassen. Schließlich könne man nicht ausschließen, daß es trotzdem zu Berührungen des
Kopfes des Pflegehelfers kommen könne. Es bestünde die Gefahr von Verletzungen sowohl
bei ihm als auch bei den Pflegebedürftigen. Würde der Arbeitgeber hier nicht zugunsten
des Pflegehelfers und der Patienten vorsorglich eingreifen, würde er sich gerade wegen
der UVV im Verletzungsfalle des berechtigten Vorwurfs einer schwerwiegenden
Fürsorgepflichtverletzung aussetzen.
Das Gericht betonte weiterhin, daß das Persönlichkeitsrecht des Pflegehelfers insoweit
hinter den getroffenen Anordnungen zurückstehen müsse, weil es im vorliegenden Fall
nicht um die Frage des persönlichen Geschmacks oder um persönliche Wertvorstellungen
gehe, sondern vielmehr darum, daß eine komplikationslose Betreuung der Patienten
gesichert sein muß.
Der Hinweis des Pflegehelfers, Arbeitskollegen würden Schmuck, Brillen und Ähnliches
tragen, veranlaßte das LAG nicht zu einer anderen Einschätzung. Denn zu Unrecht gebe es
kein Recht. Der mögliche Verstoß anderer Arbeitskollegen gegen die gleichen Vorschriften
führe nicht dazu, daß sein Verhalten rechtens wäre.
Im übrigen, so das LAG weiter, verkenne der Pflegehelfer, daß die Klinik den Grundsatz
der Verhältnismäßigkeit ihm gegenüber beachtet habe. Der Pflegehelfer war nämlich
mehrfach aufgefordert worden, den Schmuck während des Pflegedienstes abzulegen. Die
Weigerung des Pflegehelfers war daher eine beharrliche, denn er zeigte sich schlicht
uneinsichtig. In einer derartigen Phase wäre nach Überzeugung des LAG eine Abmahnung
wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung nicht notwendig gewesen. Es hätte eine
verhaltensbedingte Kündigung wegen Verstoß gegen Sicherheitsvorschriften auch ohne
Abmahnung in Betracht kommen können. Da die Klinik den Weg der Abmahnung gewählt habe,
habe sie, dem sog. "Ultima-Ratio-Prinzip" des Bundesarbeitsgericht (BAG)
folgend, den mildesten Weg gewählt.
Werner Schell
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