Pressemitteilung des Bundesarbeitsgerichts Nr. 46 vom 08.06.2000
zum Urteil vom 08.06.2000 betreffend außerordentliche Kündigung eines tarifvertraglich
ordentlich unkündbaren Angestellten wegen Totschlags
Der 1939 geborene Kläger ist seit 1972 bei der beklagten Hansestadt als
Diplom-Ingenieur beschäftigt. Nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren
Bundesangestelltentarifvertrag ist er ordentlich unkündbar. Am 7. Dezember 1993 kam es
auf der Zugfahrt des Klägers von Hamburg nach Buchholz zu einer Auseinandersetzung
zwischen dem Kläger und einem wesentlich jüngeren Asylbewerber aus Gambia, deren Hergang
im einzelnen streitig ist. Hierbei fügte der Kläger dem Afrikaner mit seinem beidseitig
geschliffenen Fahrtenmesser u.a. eine acht bis zehn Zentimeter tiefe Bauchverletzung zu,
die zu dessen Tod führte. Im Strafverfahren wurde der Kläger durch Urteil vom 28.
Februar 1997 wegen Totschlags rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf
Bewährung verurteilt. Über den Vorfall vom 7. Dezember 1993 und das anschließende
Strafverfahren erschienen zahlreiche Presseberichte, teilweise unter Erwähnung des Namens
bzw. der Stellung des Klägers. Aufgrund der strafrechtlichen Verurteilung des Klägers
erklärte die Beklagte mit Zustimmung des Personalrats mit Schreiben vom 13. März 1997
die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses und kündigte erneut
außerordentlich nach Eintritt der Rechtskraft des Strafurteils.
Gegen diese Kündigungen wendet sich der Kläger mit seiner Kündigungsschutzklage. Er
macht geltend, ein wichtiger Grund zur Kündigung habe nicht vorgelegen. Er habe am 7.
Dezember 1993 in Notwehr gehandelt und habe sich gegenüber der aggressiven
Verhaltensweise seines Mitreisenden allenfalls bei der Wahl des Abwehrmittels vergriffen.
Demgegenüber hält die Beklagte die ausgesprochenen Kündigungen für rechtswirksam. Ihr
Ansehen als öffentlicher Arbeitgeber habe durch das vorwerfbare Verhalten des Klägers,
nicht zuletzt angesichts des erheblichen Echos in den Medien, Schaden genommen. Der
Kläger habe aus Wut, Ärger und Rechthaberei einen Streit provoziert und dabei, ohne daß
eine Notwehrsituation vorgelegen hätte, einen Ausländer niedergestochen und getötet.
Eine erhebliche Zahl von Mitarbeitern halte eine weitere Zusammenarbeit mit dem Kläger
für ausgeschlossen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat ihr
stattgegeben.
Der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts hat das Urteil des Landesarbeitsgerichts
aufgehoben. Ein Angestellter im öffentlichen Dienst muß sein außerdienstliches
Verhalten so einrichten, daß das Ansehen des öffentlichen Arbeitgebers nicht
beeinträchtigt wird. Begeht ein im öffentlichen Dienst Beschäftigter ein vorsätzliches
Tötungsdelikt, verletzt also bewußt das Recht auf Leben eines anderen (Art. 2 Abs. 2 S.
1 GG) und damit einen Höchstwert innerhalb der Verfassungsordnung, so ist es dem
öffentlichen Arbeitgeber in der Regel unzumutbar, ihn weiterzubeschäftigen. In einem
solchen Fall kann der öffentliche Arbeitgeber regelmäßig auch nicht auf den Ausspruch
einer Abmahnung verwiesen werden. Dem Arbeitnehmer muß klar sein, daß die Begehung eines
vorsätzlichen Tötungsdeliktes als massive Rechtsverletzung seine Weiterbeschäftigung im
öffentlichen Dienst in Frage stellen kann. Das Landesarbeitsgericht ist auf der Grundlage
der Feststellungen der Strafgerichte, ohne eigene Tatsachenfeststellungen zu treffen,
danach zwar zutreffend davon ausgegangen, daß ein nicht durch Notwehr gerechtfertigter
vorsätzlicher Totschlag, wegen dessen ein Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes
rechtskräftig zu einer erheblichen Strafe verurteilt worden ist, an sich geeignet ist,
einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darzustellen. Bei der
Interessenabwägung hat das Berufungsgericht aber u.a. die Schwere des Tatvorwurfs
abweichend von dem rechtskräftigen Strafurteil zu gering bewertet und außerdem
unzutreffend darauf abgestellt, eine Ansehensschädigung der beklagten Stadt sei konkret
nicht meßbar und auch eine Störung des Betriebsfriedens nicht erkennbar. Der Senat hat
den Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen, damit Feststellungen zum
Tathergang und eine fehlerfreie, der Tatsacheninstanz obliegende Interessenabwägung
nachgeholt werden können.
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 08.06.2000 - 2 AZR 638/99 -
(Vorgehende Entscheidung: LAG Hamburg, Urteil vom 22.10.1999 - 8 Sa 82/98 -)
Werner Schell (25.6.2000)
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